Rede von
Christina
Schenk
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Reform des Strafrechts und auch der Strafpraxis in der Bundesrepublik ist seit langem überfällig. Die von der Bundesregierung und der Regierungskoalition vorgelegten Gesetzentwürfe machen jedoch deutlich, daß von konservativer Seite die moderne rechtspolitische und rechtswissenschaftliche Debatte völlig ignoriert worden ist.
Das trifft auch auf die Strafrahmenharmonisierung zu. Statt die im internationalen Vergleich ohnehin schon hohen Strafen für Eigentumsdelikte abzusenken, wurde das Strafmaß für Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit fast ausnahmslos nach oben korrigiert. Auf die seit längerem laufende Diskussion über eine Reform des Sanktionensystems, über die Abschaffung der Sicherungsverwahrung und der lebenslangen Freiheitsstrafe sowie über humane Alternativen, wurde nicht eingegangen. Mit hektischer Betriebsamkeit hat die Bundesregierung auf die jüngsten Sexualverbrechen mit einer Reform des Strafrechts reagiert.
Ich finde das durchaus verständlich, aber es geht am eigentlichen Problem vorbei. Die Zahl der Sexualverbrechen mit Todesfolge ist keineswegs gestiegen. Einen akuten strafrechtlichen Handlungsbedarf gibt es also nicht. Es ist schon außerordentlich bemerkenswert, daß die Tatsache, daß Jahr für Jahr fast 50 000 Kinder im Straßenverkehr verunglücken und ungefähr 350 von ihnen getötet werden, vergleichsweise gleichmütig hingenommen wird. Nicht einmal eine so simple und selbstverständliche Konseqenz wie ein absolutes Alkoholverbot am Steuer ist - wir werden das ja nachher sehen - in diesem Hause mehrheitsfähig.
Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß das Strafrecht nur die Täter erreicht, die verurteilt werden. Das aber ist nur eine sehr kleine Minderheit der Täter. Die Dunkelziffer ist gerade bei dieser Deliktart außerordentlich hoch. Ein besserer Schutz der Bevölkerung vor sexualisierter Gewalt ist mit einer bloßen Strafverschärfung nicht erreichbar. Das anzunehmen offenbart einen grundsätzlichen Denkfehler, mit dem sich die konservative Seite zum Anwalt populistischer Forderungen macht.
Nein, meine Damen und Herren, ein wirklicher Schutz ist nur über Prävention möglich. Das bedeutet aber auch, daß man sich endlich den Ursachen zuwenden muß. Die grundlegende Voraussetzung für Gewalt ist die Hierarchie zwischen Täter und Opfer. Immer noch ist es üblich, Kinder eher als Besitz der Eltern wahrzunehmen denn als Persönlichkeiten mit einem eigenen Recht auf Schutz und Integrität. Das
Christina Schenk
Machtgefälle zwischen den Geschlechtern, verbunden mit einer immer noch weit verbreiteten Geringschätzung und Verachtung gegenüber Frauen, führt zu einer besonderen Häufung von sexualisierter Gewalt im sozialen Nahbereich. Solange die Gleichstellung der Geschlechter nicht realisiert ist, wird es dabei bleiben, daß die Opfer in der Regel Mädchen sind, die Täter in der Regel Männer.
Auch am Ausmaß der Gewalt wird sich solange nichts Wesentliches ändern. Gegenwärtig ist zirka jede vierte Frau Opfer sexualisierter Gewalt. Gewalt gegen Frauen und Kinder ist alltägliche Realität. Wer wirklich Prävention will, muß etwas gegen die Machtstrukturen zwischen Männern und Frauen tun, gegen die Hierarchie, die Abhängigkeiten und Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern. Das ist vor allem eine sozioökonomische Frage.
Auch das Selbstverständnis und das Rollenbild von Männern gehören zu den Ursachen. Männliche Sozialisation geht in der Regel mit dem Erlernen der Abwehr von Gefühlen einher. Gewaltausübung ist eine Form der Angstabwehr. Die Selbstunsicherheit, die Frustration, die Infragestellung in bestimmten Situationen werden auf sexualisierte Weise mit Gefühlen von Überlegenheit und Macht kompensiert. Das heißt, Jungen müssen lernen, Ängste und auch Schwächen zuzulassen, Empathie zu empfinden. Die Sozialisation von Jungen muß dringend humanisiert werden. Hier muß noch vieles getan werden, und zwar möglichst schnell.
Die Bundesregierung setzt jedoch einseitig auf das Strafrecht und im wesentlichen auf drei Instrumente.
Das ist erstens die Anhebung der Höchststrafe. Eine höhere Strafe hat gerade bei Sexualstraftätern keine abschreckende Wirkung. Langjährige Haftstrafen erhöhen im Gegenteil gerade wegen der spezifischen Situation in Strafvollzugsanstalten die Rückfallgefahr der Sexualstraftäter erheblich. Auf diese Weise, meine Damen und Herren, wird kein einziger Fall sexualisierter Gewalt verhindert. Hier gaukelt die Bundesregierung eine Sicherheit vor, die so nicht erreichbar ist.
Ein zweiter Punkt ist die Heilbehandlung. Das heißt, behandlungsbedürftige und behandelbare Straftäter müssen sich bereits während der Haft einer Therapie unterziehen. Nach neueren Erfahrungen erscheint das vernünftig. Expertinnen und Experten beklagen aber schon seit langem, daß die forensische Psychotherapie bzw. Psychiatrie hierzulande sowohl quantitativ als auch qualitativ unterentwickelt ist und den jetzt im Gesetzentwurf formulierten Anforderungen nicht wird genügen können. Forschung, Lehre und auch Ausbildung müssen deutlich verstärkt werden.
Im übrigen offenbaren die hier verwendeten Begriffe „Heilbehandlung" und „Therapie", wie ich meine, ein sehr grundlegendes Mißverständnis. Sie bergen die Gefahr der Psychiatrisierung von Sexualstraftätern in sich. Sexualstraftäter sind jedoch in aller Regel nicht krank. Nur in den seltensten Fällen liegt eine Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit vor. Die Bearbeitung der Persönlichkeitsdefizite von Sexualstraftätern, die sich im Machtmißbrauch in Form sexualisierter Gewalt ausdrücken, zielt also auf einen Zugewinn an Selbstkontrolle und eine Stärkung der sozialen Kompetenzen ab. Von daher muß also klar sein, daß Heilung im eigentlichen Sinne in der Regel nicht erreichbar sein wird. Das heißt auch, daß Gutachter und Gutachterinnen - und seien sie noch so Bach- und fachkundig - keine hundertprozentig sicheren Prognosen über die Rückfallgefährdung abgeben können. Ein gewisses Risiko bleibt immer. Das muß man der Bevölkerung auch so klar sagen.
Zugleich wird sich mit zunehmenden Erwartungen an die Gutachtensicherheit eine Tendenz zu übervorsichtiger, also zu falsch-negativer Prognose herausbilden. Das heißt, es bleiben Menschen im Strafvollzug bzw. in der Unterbringung, von denen keine Gefahr mehr ausgeht. Das ist nicht hinnehmbar. Um Rückfälle so weit als möglich zu vermeiden, müssen neue Wege beschritten werden. Dazu gehören eine intensive Nachbetreuung von Sexualstraftätern in ihrem sozialen Umfeld und niederschwellige Angebote zur Krisenintervention. Das ermöglicht die Aufdekkung kritischer, rückfallgefährdender Situationen und kann somit gezielt zu deren Vermeidung beitragen. Dafür muß gerade in Deutschland noch sehr viel getan werden.
Der dritte Punkt ist die exzessive und auch wesentlich restriktivere Handhabung der Sicherungsverwahrung. Die Sicherungsverwahrung war bisher die absolute Ausnahme. Was hier jetzt von konservativer Seite vorgeschlagen wird, bedeutet, daß dieses Instrument bei Sexualstraftätern nahezu zum Regelfall gemacht werden soll. Das ist ein außerordentlich gefährlicher Weg.
Es gibt seit langem Kritik an diesem Instrument - Herr Geis, das wird Ihnen nicht entgangen sein -, und zwar aus zwei Gründen. Zum einen ist die Gefahr falsch-negativer Prognosen nicht aus der Welt schaffbar. Das heißt, es besteht immer die Gefahr, Menschen der Sicherungsverwahrung zu unterstellen, die nicht rückfallgefährdet sind. Zum anderen stellt die Sicherungsverwahrung de facto eine Strafe ohne Straftat, quasi eine Präventivstrafe, dar. Beides widerspricht insbesondere dem in Deutschland bisher gepflegten Rechtsverständnis. Konsequenz kann nur die Abschaffung der Sicherungsverwahrung sein, wie die PDS das in ihrem Antrag fordert.
Natürlich, meine Damen und Herren, wird es immer einige Straftäter geben, bei denen mit den heutigen Methoden eine deutliche Senkung der Rückfallgefahren nicht erreicht werden kann. Für diese Gruppe müssen humane Unterbringungsmöglichkeiten deutlich abseits des Strafvollzugs gefunden werden, die nicht bloß eine sichernde, sondern vor allen Dingen auch eine behandelnde Funktion haben. Hier ist es angebracht, meine ich, sich die im Ausland, insbesondere in den Niederlanden, gemachten Erfahrungen anzusehen. Es muß endlich auch in Deutschland mit intensiven Forschungen begonnen werden. Ein erster Schritt wären Evaluationsstudien zum Verlauf und Erfolg der Vielzahl derzeit prakti-
Christina Schenk
zierter Behandlungsprogramme und Therapieformen.
Zum Schluß möchte ich darauf hinweisen, daß bei den jetzigen Diskussionen stets die Täter im Mittelpunkt standen. Wann aber, frage ich, bekommen endlich die Opfer sexualisierter Gewalt einen Anspruch auf Therapie?
Unerträglich ist es auch, daß bestehende Hilfs- und Aufklärungsangebote, Antigewaltprojekte, Notunterkünfte und Frauenhäuser der Sparpolitik der Bundesregierung zum Opfer fallen.
Das macht deutlich, daß es in der jetzigen Debatte vordringlich um Aktionismus, nicht aber um das ernsthafte Bemühen geht, das Problem der sexualisierten Gewalt wirksam anzugehen.
Danke.