Rede von
Jörg
van
Essen
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(F.D.P.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Von den heutigen Gesetzgebungsvorhaben gehen zwei wichtige Signale aus: Der sexuelle Mißbrauch von Kindern wird härter und besser geahndet, und die steigende Gewalt in diesem Land wird vom Gesetzgeber nicht toleriert. Daß wir trotzdem auf die Mithilfe der Medien angewiesen sind, hat sich in dieser Woche nach meiner Auffassung in besonderer Weise gezeigt. Wir sprechen über den Mißbrauch von Kindern, und, passend zu dieser Debatte, erscheint in dieser Woche ein großes deutsches Magazin mit einem Titelbild, das eine Lolita, ein junges Mädchen als sexuelles Anreizobjekt, zeigt. Ich glaube, daß das mehr als alles andere deutlich macht, daß es nicht ausreicht, wenn wir als Gesetzgeber handeln, sondern daß wir dazu auch ein Verantwortungsbewußtsein bei den Medien brauchen.
Bevor ich auf die aus meiner Sicht besonders wichtigen Aspekte eingehe, will ich ausdrücklich den vielen Menschen danken, die sich in den vergangenen Monaten mit großem Engagement für eine Verbesserung des Schutzes von Kindern eingesetzt haben. Sie können heute mit Zufriedenheit feststellen, daß sich ihr Einsatz gelohnt hat.
Wer die öffentlichen Diskussionen nach Mordtaten an Kindern Revue passieren läßt, wird immer wieder feststellen, daß an der Spitze der Forderungen sowohl von Fachleuten wie von politisch Verantwortlichen die nach einer Verbesserung der Therapiemöglichkeiten steht. Das ist richtig so. Eine Therapie kann dazu führen, daß der Täter mit seinem krankhaften Hang besser umgehen kann. Um so erstaunter war ich, welch harter Widerstand gegen eine schnelle Verbesserung der Situation von Länderseite in den Beratungen ausgeübt worden ist. Natürlich haben auch die Länder Haushaltsprobleme. Aber der Föderalismus ist kein Schönwetterprinzip. Wer zu Recht darauf pocht, daß Justiz Ländersache ist, muß sich der Verantwortung stellen. Ich danke deshalb al-
Jörg van Essen
len Mitberichterstattern, daß wir standhaft geblieben sind und den Ländern nur eine kurze Übergangsfrist gewährt haben. Was bei gutem Willen möglich ist, machen Hamburg und Berlin mit einer großen Zahl von Therapieplätzen vor. Die großen Flächenländer müssen schnell folgen.
Ich stehe auch dazu, daß das Gericht eine Therapie ohne Einwilligung des Täters anordnen kann. Erfahrene Psychotherapeuten sind sehr wohl in der Lage, jemanden für die notwendige Heilbehandlung zu öffnen. Aber niemand bleibt in der Behandlung, wenn sich herausstellt, daß er therapieunfähig ist.
Mir scheint es besonders wichtig, daß der Gesichtspunkt der öffentlichen Sicherheit bei den Entscheidungen über eine Strafaussetzung zur Bewährung künftig eine größere Rolle spielt. Das zeigt sich etwa in der Notwendigkeit, bei besonders gefährlichen Tätern ein Gutachten vor der Entscheidung einzuholen. Ich übersehe nicht, daß es nicht immer leicht sein wird, einen geeigneten Gutachter zu finden. Aber niemand darf es sich hier leichtmachen.
Ein Kernpunkt unseres Vorschlages ist die Neuordnung des Rechtes der Sicherungsverwahrung. Sie kann künftig schneller, bereits nach dem ersten Rückfall, verhängt werden. Wir haben aus den Anhörungen die wichtige Anregung aufgegriffen, daß nicht nur Sexual-, sondern auch Körperverletzungsdelikte ein Indiz für eine besondere Rückfallgefährdung eines Täters sein können. Eine weitere Anregung aus diesen Anhörungen war, die Höchstdauer der Sicherungsverwahrung - zehn Jahre - aufzuheben. Die Notwendigkeit der regelmäßigen Überprüfung durch ein Gericht sorgt dafür, daß niemand unzulässig in seinen Grundrechten beeinträchtigt wird.
Wir haben auf Vorschlag der Kollegen aus der SPD die Strafbarkeit von sexuellem Kindesmißbrauch auf alle Deutschen ausgedehnt, unabhängig davon, wo sie ihre Lebensgrundlage haben. Damit wird eine aufgetretene Strafbarkeitslücke geschlossen.
Ich erwähne dies auch deshalb, weil es deutlich macht, daß wir auf vernünftige Anregungen der Kolleginnen und Kollegen aus den Oppositionsparteien gerne eingegangen sind
und alle - bevor Sie sich aufregen - in eine Richtung gedacht haben.
Ich denke, das ist ein wichtiges Signal, weil viele Bürger das Gefühl haben, daß im Bundestag nur gestritten wird. Wir haben in die gleiche Richtung gedacht. Ich bin dankbar dafür, daß das so gewesen ist.
Die Strafvorschrift betreffend den sexuellen Mißbrauch von Kindern haben wir neu gefaßt und in vielen Bereichen verschärft. Die Kollegen sind bereits darauf eingegangen und haben das im einzelnen vorgestellt, so daß ich das nicht mehr machen muß.
Wer einmal - wie ich - als Staatsanwalt in die Augen von sexuell mißbrauchten Kindern sehen mußte, weiß, welche Verantwortung wir haben. Aber auch in dieser Debatte muß es möglich sein, darauf hinzuweisen, daß das Leben nicht nur aus schwarz und weiß, aus Gut und Böse besteht. Auch hier gab und gibt es immer wieder minderschwere Fälle, und wir haben die Bestimmungen, darauf angemessen reagieren zu können, im Gesetz belassen.
Wer die spektakulären Freisprüche in Mainz gesehen hat, spürt im übrigen, welche Verantwortung wir auch gegenüber den Mitmenschen haben, die fälschlicherweise des Mißbrauchs von Kindern beschuldigt worden sind. Auch das muß in dieser Debatte erwähnt werden.
Eine wichtige Ergänzung sind die mit großer Mehrheit erarbeiteten Vorschriften zur Verbesserung des Zeugenschutzes. Der bereits erwähnte Prozeß in Mainz mit seinen Videovernehmungen der kindlichen Zeugen hat deutlich gemacht, wie hilfreich diese Einrichtung sein kann und daß sie zur Schonung der kindlichen Zeugen beiträgt. Gerichtssäle sind oft architektonisch bewußt drohend gestaltet und verstärken damit den ohnehin bei einer Zeugenaussage auf dem Kind lastenden Druck.
Wir lehnen uns, Herr Beck, an das bewährte Vorbild in Großbritannien - dort wird das seit vielen Jahren in dieser Weise gemacht - an, wo alle Prozeßbeteiligten in einem Raum bleiben und von dort das Kind vernommen wird.
Wir halten es für richtig, daß nicht nur Kindern, sondern auch anderen gefährdeten Personen dieser Schutz einer Videovernehmung gewährt werden kann, falls er notwendig ist. Hier ist insbesondere an Vergewaltigungsopfer oder Zeugen aus dem Bereich der organisierten Kriminalität zu denken. Wir öffnen diese Vernehmungsmethode auch für Vernehmungen etwa im Ausland, was die Beweismöglichkeiten und damit die Wahrheitsfindung erheblich verbessern kann.
Auch der zum Schutz des Zeugen beizuordnende Beistand ist ein wichtiger und begrüßenswerter Schritt für eine bessere Wahrung der Rechte von Zeugen im Strafverfahren.
Das Sechste Strafrechtsreformgesetz, das wir sorgfältig beraten und in vielen Fällen ja auch mit Zustimmung der SPD - deshalb hat mich Ihr Urteil, Frau Däubler-Gmelin, besonders gewundert - verabschiedet haben, ist einer der großen strafrechtlichen Reformschritte. Wir begrüßen mit Nachdruck, daß der strafrechtliche Schutz von höchstpersönlichen Rechtsgütern wie dem des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit gegenüber dem Schutz von materiellen Rechtsgütern wie dem Eigentum in Zukunft ein größeres Gewicht hat.
Fälle wie der bekanntgewordene - ich glaube, es war in Niedersachsen -, daß eine Studentin vergewaltigt wurde und dafür eine Einsatzstrafe von vier Jahren verhängt wurde und für den gleichzeitig er-
Jörg van Essen
folgten Raub ihres Zeltes eine Einsatzstrafe von fünf Jahren, darf sich einfach nicht wiederholen.
Ich habe platte Vorwürfe gehört und gelesen, auch in dieser Debatte, daß es eine Strafverschärfungsorgie gegeben habe. Wer den Gesetzentwurf ohne Schaum vor dem Mund studiert, wird sehr schnell das Gegenteil feststellen, nämlich daß es in allen Fällen eine vernünftige Abwägung gegeben hat. Es wird in Zukunft demjenigen leichter gemacht, sich zu seiner Verantwortung zu bekennen, der sich nach einem kleineren Parkschaden in der ersten Unüberlegtheit vom Unfallort entfernt hat.
Wie groß der Reformbedarf war, zeigt sich darin, daß das Strafgesetzbuch für Eigentums- und Vermögensdelikte - selbst für Urkundendelikte - höhere Strafen vorgesehen hat als für Körperverletzungsdelikte. Gerade die stark angestiegenen Zahlen von Gewaltdelikten gegen Menschen fordern eine deutliche Antwort des Gesetzgebers. Sie zeigt sich unter anderem darin, daß die Freiheitsstrafdrohung bei der einfachen Körperverletzung von drei auf fünf Jahre angehoben wird.
Ich halte es im übrigen auch für richtig, daß die versuchte Körperverletzung - übrigens ebenso wie der versuchte Diebstahl - in Zukunft strafbar ist.
Wer dazu ansetzt, einen anderen Menschen körperlich zu verletzen, begeht eben kein Kavaliersdelikt.
Der Bereich des Raubes hat zu besonderen politischen Diskussionen geführt. Ich verkenne nicht, daß wir eine Dreiteilung der Raubstraftaten als besonders sachgerecht angesehen haben. Wir haben uns in der Koalition auf den Vorschlag des Bundesrates geeinigt. Der Kollege Geis hat darauf hingewiesen, daß in dieser Frage dringender Handlungsbedarf bestanden hat. Die Gerichte sind immer mehr auf den minderschweren Fall ausgewichen.
Es macht zwar für das Opfer keinen Unterschied, welche Gefährlichkeit die ihm entgegengehaltene Pistole hat. Für die Beurteilung der Schuld des Täters ist es jedoch von erheblicher Bedeutung, ob die verwendete Pistole etwa aus Schokoladenmasse geformt war oder ob sie eine scharfe mit 9-Millimeter-Patronen war. Das Signal ist aber auch hier klar und eindeutig: Da, wo bei der Begehung von Raub eine besondere Gefährlichkeit herrscht, wird mit hohen Mindeststrafen dafür gesorgt, daß den Tätern deutlich gemacht wird, daß die Rechtsordnung ihr Verhalten nicht hinzunehmen bereit ist.
Ich freue mich auch über die Reform der Brandstiftungsdelikte. Mit ihr sorgen wir dafür, daß aufgetretene Fragen in Zukunft besser beantwortet werden können.
Ich danke allen, die sich an der Diskussion beteiligt haben. Ich glaube, wir sind ein gutes Stück vorangekommen. Jetzt liegt es an den Gerichten, dafür zu
sorgen, daß in Zukunft der Schutz der Kinder, der Schutz aller Bürger besser gewährleistet ist.
Vielen Dank.