Rede von
Dr.
Angelika
Köster-Loßack
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das kann man so betrachten. Aber nach vielen Gesprächen, die ich im Sommer in den USA hatte, möchte ich behaupten, daß es sich nicht nur auf den Herrn d'Amato bezieht, sondern auf eine breitere Diskussion in Universitäten und anderen Bereichen. Es geht nicht generell um die amerikanische Regierung. Damit wollte ich nur darauf hinweisen, wie wichtig es ist, in diesem Zusammenhang mit äußerster Vorsicht vorzugehen.
Die Situation würde allerdings noch zusätzlich verschärft, wenn sich die Meldung der „Süddeutschen Zeitung" von heute morgen bewahrheiten würde:
Der Bundesnachrichtendienst ... soll sich nach Plänen des Kanzleramtes im Ausland um Aktivitäten der Scientology-Sekte kümmern. Der für die Koordination der Geheimdienste zuständige Staatsminister Bernd Schmidbauer und BND- Chef Hansjörg Geiger haben bereits erste Gespräche darüber geführt. Ein Beschluß steht aber noch aus. Die Beobachtung der ScientologySekte durch den BND könnte zu Verwicklungen in der Geheimdienstszene führen. In den Vereinigten Staaten beispielsweise gehören auch höhere Geheimdienstler Scientology an.
Auf Grund ihrer Geschichte und ihrer Grundwerte reagieren die USA äußerst sensibel, wenn sie religiöse Freiheiten bedroht sehen. Das müssen wir verstehen. Vernunft und Dialog müssen an die Stelle weiterer verbaler Attacken treten.
Bei uns führt die Dominanz des Themas Scientology allerdings zu einem weiteren Problem. Scientology wird in der Öffentlichkeit als Sekte wahrgenommen. Gleichzeitig werden aber auch Gruppen wie die Freikirchen, Baptisten, Mormonen, Zeugen Jehovas, Osho usw. in der Öffentlichkeit als Sekten bezeichnet; damit ist ein völlig heterogenes Spektrum angesprochen. Durch die verallgemeinernde Verwendung des abwertenden Sektenbegriffs vor allem in den Medien wird diesen Gruppen das gleiche Gefahrenpotential wie Scientology zugeschrieben. Das ist falsch und für viele Anhänger alternativer Glaubensgruppen besorgniserregend.
- Ich meinte alternative Glaubensvorstellungen im Verhältnis zu den großen Kirchen in Deutschland, die zentral organisiert sind.
Gerade in Zeiten zunehmender sozialer Polarisierung müssen wir dafür sorgen, daß ethnische, gesellschaftliche und religiöse Minderheiten nicht ausgegrenzt oder diskriminiert werden.
Ich möchte etwas zu dem Sondervotum sagen, das wir abgegeben haben. Unser Sachverständiger Professor Seiwert, dem ich auch an dieser Stelle herzlich für seine Mitarbeit danken möchte, und ich haben uns beim Zwischenbericht der Stimme enthalten. Folgenden Punkten konnten wir nicht zustimmen:
Die Kommissionsmehrheit spricht sich in dem Zwischenbericht zwar ausdrücklich gegen Pauschalurteile über religiöse und weltanschauliche Minderheiten aus. Aber im Papier der Arbeitsgruppe 3, das als Anlage beigefügt ist, wird massiv gegen diesen Vorsatz verstoßen. Ohne daß klar wird, auf wen sich die Aussagen beziehen, werden schwerste Beschuldigungen gegen die „sogenannten Anbieter auf dem
Dr. Angelika Köster-Loßack
Religions-, Weltanschauungs- und Psychomarkt" erhoben.
Diese Gruppen werden allgemein und ohne jeden konkreten Beleg mit wirtschaftlicher Ausbeutung und kriminellen Handlungen wie Betrug, Wucher, Steuerhinterziehung oder Körperverletzung in Zusammenhang gebracht. Da nicht geklärt ist, wer gemeint ist, teilen wir die Besorgnis von Angehörigen religiöser und weltanschaulicher Minderheiten, daß sie pauschalen Verdächtigungen ausgesetzt sind.
Wir sehen ebenso, wie es von Vorrednern gesagt wurde, die dringende Notwendigkeit, durch verstärkte Forschungsaktivitäten unsere Wissenslücken zu schließen. Die Tatsache, daß keine empirisch gesicherten Erkenntnisse vorliegen, bedeutet nicht, daß keine Probleme bestünden. Die Anhörungen haben, wie schon gesagt worden ist, gezeigt, daß es in Einzelfällen zu erheblichen Konflikten und auch zu strafbaren Handlungen kommt.
Wenn nur die Gefährlichkeit der neuen religiösen Bewegungen und sogenannten Psychogruppen betont wird, werden mögliche positive Effekte für Menschen, die Orientierung oder enge soziale Bindungen suchen, verschwiegen. Moderne Gesellschaften wie die unsere müssen akzeptieren, daß nicht nur viele Nationalitäten zusammenleben, sondern auch die Lebensstile und Glaubensüberzeugungen immer vielfältiger werden.
Deswegen dürfen wir auch nicht zwischen guten alten und schlechten neuen Religionen unterscheiden. Wer dies macht, verstößt gegen das Verfassungsprinzip der religiösen und weltanschaulichen Neutralität.
Die Enquete-Kommission hat die Aufgabe, unabhängig von den aktuellen politischen Entscheidungszwängen Handlungsempfehlungen zu geben. Die Empfehlungen zur Regelung der gewerblichen Lebensbewältigungshilfe, zur Förderung wissenschaftlicher Forschung und zum Verzicht auf Änderung von Art. 4 des Grundgesetzes entsprechen der bisherigen Diskussion. Wir begrüßen diese Empfehlungen grundsätzlich, halten jedoch detaillierte Vorschläge ohne eine vorherige intensivere Diskussion für verfrüht. Deswegen haben wir eine Große Anfrage zur gewerblichen Lebensbewältigungshilfe in den Bundestag eingebracht. Auf der Grundlage ihrer Beantwortung werden wir uns dann weitere Gedanken in diesem Zusammenhang machen.
Im Zwischenbericht wird ebenso ausdrücklich der Beschluß der Innenministerkonferenz begrüßt, die Scientology-Organisation durch die Ämter für Verfassungsschutz beobachten zu lassen. Das halten wir für falsch. Soweit der Scientology-Organisation oder einzelnen ihrer Mitglieder Gesetzesverstöße vorgeworfen werden, zum Beispiel im Straf-, Zivil- oder Gewerberecht, sind hierfür die regulären Organe der Rechtspflege zuständig.
Natürlich ist schonungslose Aufklärung über Methoden und Ziele von Scientology notwendig, aber die Verfassungsschutzbeobachtung wird nach unserer Auffassung nur bewirken, daß sich die Mitglieder und Anhänger der Organisation kriminalisiert fühlen, die Bindungen an die Organisation eher noch verstärkt und Außenkontakte verringert werden. Dadurch wird es Aussteigern und Aussteigerinnen strukturell schwerer gemacht, diesen Ausstieg auch wirklich zu vollziehen.
Nach unserer Überzeugung ist es Aufgabe der Enquete-Kommission, die genannten Bedenken ausführlich zu diskutieren, bevor Handlungsempfehlungen in diesem sensiblen Bereich gegeben werden. Da dies bisher nicht geschehen ist, können wir dem Zwischenbericht der Kommission so nicht zustimmen.
Zum Abschluß möchte ich sagen: Wir müssen uns bewußt sein, daß bei allen staatlichen Eingriffen und Repressionen immer auch gesellschaftliche Freiheiten eingeschränkt werden. Das Problem dabei ist, daß darunter oft diejenigen leiden, die gar nicht gemeint sind.
Ich danke Ihnen.