Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Enquete-Kommission hat, wie wir schon in einigen Berichten gehört haben, den Zwischenbericht vorgelegt. Der Zwischenbericht trägt einen sehr anspruchsvollen Titel: „Konzept Nachhaltigkeit - Fundamente für die Gesellschaft von morgen".
Ich denke, es sind Bausteine für die Fundamente. Für mich gehört jedenfalls eine ganze Menge mehr dazu als das, was wir in der Kommission zusammenzutragen in der Lage sind.
An die ersten Sitzungen kann ich mich noch ganz gut erinnern. Es wurde lange darüber diskutiert, wie die Strukturierung in der Bearbeitung des Themas überhaupt vorgenommen werden kann. Bei dieser Gelegenheit wurde auch deutlich, wie unterschiedlich die Bedeutung gleicher Begriffe bei den Autoren ist, die sich mit dem Thema schon befaßt haben. Auf diese Weise gelingt es trefflich, aneinander vorbeizureden.
Deshalb war es für uns am Anfang erst einmal wichtig und richtig, einigermaßen Klarheit und Konsens über den Inhalt der wesentlichen Grundbegriffe herbeizuführen. Das scheint mir auch ganz gut gelungen zu sein.
Es ist uns auch bald klargeworden, daß es in der begrenzten Zeit und mit begrenzten Mitteln nur möglich sein kann, anhand ausgewählter Beispielfelder so konkret wie möglich aufzuzeigen, wie Ziele, Maßnahmen und Instrumente für eine nachhaltige Entwicklung zu gestalten sind.
Mit der Erklärung des Begriffs „nachhaltig zukunftsverträgliche Entwicklung" habe ich allerdings Probleme. Eigentlich können nur Insider etwas damit anfangen, die ohnehin schon wissen, worum es geht.
Wenn ich mir die Erklärung ansehe, die wir in der Kurzfassung des Zwischenberichts geschrieben haben, dann habe ich gewisse Zweifel, ob der Mann oder die Frau auf der Straße, die wir ja letztlich erreichen müssen und auch wollen, verstehen, worum es geht.
Ich zitiere aus der Zusammenfassung des Zwischenberichts:
Die langfristige Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen und die Verbesserung der ökonomischen und sozialen Lebensbedingungen bilden die drei Dimensionen, die das Leitbild einer nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung zu vereinbaren sucht. Die Komplexität dieser drei Dimensionen, die Zusammenhänge zwischen wirtschaftlichen Aktivitäten, Produktions- und Handelsverflechtungen, Lebens- und Konsumgewohnheiten und den damit verbundenen Stoffströmen und Umweltbelastungen verlangen einen Richtungswechsel, der mit Einzelfallregelungen nicht zu erreichen ist.
Ich hoffe, Sie wissen jetzt alle, was Sache ist. Aber wie ich sehe, sitzen hier nur Insider. Es wäre vielleicht eine Möglichkeit, Journalisten um Hilfe zu bitten, diese Aussagen über eine nachhaltig zukunftsverträgliche Entwicklung allgemeinverständlich fürs Volk zu formulieren.
Für mich betrüblich an meinen kritischen Betrachtungen ist allerdings folgendes: Ich bin als Mitglied der Kommission dabeigewesen und habe mich bis jetzt nicht erfolgreich für eine allgemeinverständliche Sprache einsetzen können. Aber es ist noch Zeit. Langsam beginne ich schon selbst, sozusagen doppeltspiralförmig geschraubt daherzureden. Das scheint ansteckend zu sein. Wir sollten etwas dagegen tun.
Ich halte unser Thema für ausgesprochen wichtig. Es ist eben gerade nicht für Spezialistenzirkel gedacht. Wir brauchen vielmehr die Einbeziehung vieler gesellschaftlicher Gruppen für die Umsetzung der sogenannten lokalen Agenda 21 auch auf der lokalen Ebene.
Bei der Vorbereitung dieser Rede fiel mir ein Satz ein, den ich in der Schule lernen mußte - ich glaube, er stammt von Karl Marx -: Eine Idee wird zur materiellen Gewalt, wenn sie die Massen ergreift.
Nun bin ich alles andere als ein Marx-Fan, aber in diesem Falle glaube ich, der Mann hat nicht ganz unrecht. Unsere Idee soll die Massen ergreifen, denn nur dann sind sie in der Lage, ihr Verhalten zu ändern.
Dazu müssen sie aber die Ideen verstehen können.
Christa Reichard
Obwohl ich katholisch bin, gebe ich auch Martin Luther mit seiner Forderung, den Leuten aufs Maul zu schauen, recht. Dies sollten wir spätestens mit unserem Abschlußbericht - wenigstens in der Kurzfassung - tun. Es lassen sich bestimmt Kommunikationsspezialisten finden, die eine allgemeinverständliche Kurzform des Abschlußberichts erstellen können. Ich habe es versucht. Es ist mir leider nicht gelungen. Zugunsten einer volkstümlichen Darstellung würde ich auf eine wissenschaftliche Studie verzichten.
Mir sind meine einleitenden Bemerkungen etwas sehr breit geraten. Aber ich halte es wirklich für wesentlich, zu erkennen, daß unsere Arbeit nur wirksam werden kann, wenn jedermann verstehen kann, was wir eigentlich wollen. Von Fachleuten bin ich ebenso wie die anderen Mitglieder der EnqueteKommission in den letzten Wochen immer wieder auf unseren Zwischenbericht lobend und anerkennend angesprochen worden. Daher würde sich die Übersetzung fürs Volk, meine ich, auch lohnen.
Noch einige wenige Worte zum Inhalt unserer Arbeit. Wir haben uns u. a. den Problembereich Böden ausgewählt, um an diesem Beispiel einen Katalog von Umweltqualitätszielen und Umwelthandlungszielen darzustellen. Dabei wurden Aspekte für eine nachhaltig zukunftsverträgliche Nutzung von Böden unterschieden. Ich nenne die Böden als Lagerstätte für Rohstoffe, Stoffeinträge in Böden, Böden als Filter und Speicher für Grundwasser, Erosion und Verdichtung von Böden oder auch Böden als begrenzte Flächenressource. Verknappung bzw. Gefährdung von Böden wird auf Versiegelung, nutzungsbedingte Bödenabträge, Bodenverdichtung oder auf Stoffeinträge zurückgeführt.
An zwei konkreten Beispielen - der Bodenversauerung und der Verkehrs- und Siedlungsflächennutzung - wird nun in Studien geprüft, wie die Rahmenbedingungen zu gestalten sind, damit den ökologischen Erfordernissen Rechnung getragen wird, ohne wirtschaftliche und soziale Probleme unerträglich zu verschärfen.
An einem Beispiel versuche ich das klarzumachen: Der Abbau von oberflächennahen Rohstoffen bzw. allein schon die Antragstellung auf Abbau und die Festlegung von Vorranggebieten für den Abbau in meinem Heimatland Sachsen haben zu heftigsten Auseinandersetzungen geführt. An diesem Beispiel werden die unterschiedlichsten Aspekte sehr deutlich sichtbar. Es besteht ein wirtschaftliches Interesse am Abbau. Auch ökologisch ist es sinnvoll, Baumaterial möglichst einsatznah zu gewinnen - wir haben in unserem Land viel zu bauen. Es werden Arbeitsplätze geschaffen, die wir dringend benötigen.
Aber es wird in einer zerstörenden und nicht nachhaltigen Art in die Landschaft eingegriffen. Es kommt zu Lärmbelastung und Belastung durch zusätzlichen Verkehr. In einer solchen Situation ist es ungeheuer schwierig, Lösungen zu finden, die den Forderungen der Umwelt, der Wirtschaft und den sozialen Fragen genügen. In diesem Zielkonflikt kann nur eine Kompromißlösung sinnvoll sein, bei der sich keine Seite hundertprozentig durchgesetzt hat.
Die Bedeutung des Umweltmediums Boden und die Notwendigkeit seines gesetzlichen Schutzes wird national und international zunehmend anerkannt. Deshalb haben Bundesregierung und Bundestag ein Bundes-Bodenschutzgesetz vorgelegt, das im Vermittlungsausschuß zu einem hoffentlich erfolgreichen Abschluß gebracht werden kann. Auch hier waren Hauptstreitpunkte der Konflikt zwischen Schutz und Nutzung des Bodens sowie der Konflikt um die sozialen Auswirkungen, beispielsweise die Haftungsregelungen.
Hier sehen Sie, wie unterschiedlich wir den Begriff der Zukunftsverträglichkeit interpretieren können. Für die Zukunft des Bodens wäre es am zukunftsverträglichsten, wenn wir ihn in Ruhe lassen und auf eine weitere Nutzung völlig verzichten würden. Für eine nach unseren Vorstellungen verträgliche Zukunft der Menschheit aber ist eine weitere Nutzung des Bodens gar nicht zu umgehen. In diesem Grundkonflikt sozialverträgliche Regelungen zu finden - das verlangt nicht nur ein fundamentales Umdenken, sondern auch neue Methoden der Konfliktlösung.
Meine Damen und Herren, ich denke, mit dem Zwischenbericht haben wir Fachleuten eine gute Arbeitsgrundlage an die Hand gegeben. Dafür möchte ich abschließend allen daran beteiligten Mitgliedern und Mitarbeitern der Kommission herzlich danken. Ich darf hinzufügen: Ich wünsche uns einen Abschlußbericht nicht nur für Fachleute, sondern auch für alle diejenigen, die an diesem Prozeß beteiligt werden sollen.
Danke.