Rede von
Wilhelm
Schmidt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir beiden Schmidts haben als Sprecher unserer Fraktionen in der Reformkommission über viele Monate gemeinsam gearbeitet. Darum gilt mein Dank am Anfang der guten Zusammenarbeit zwischen uns beiden, aber auch zwischen allen Beteiligten in der Reformkommission, und zwar sowohl den Abgeordneten als auch den Sachverständigen. Dort herrschte eine gute Atmosphäre, auch wenn wir uns in der Sache ab und zu massiv auseinandergesetzt haben.
Ich denke, daß es ganz besonders des Dankes an Vizepräsident Klose bedarf - auch Sie, Herr Kollege Schmidt, haben es mit Recht ausgesprochen -, weil er für diese Atmosphäre gesorgt und die Grundlagen dafür gelegt hat, daß wir heute diesen Endbericht vorstellen können.
Die Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande erwarten zu Recht, daß wir reformfähig sind. Dort, wo wir es schaffen können, haben wir es auch immer wieder bewiesen. Es gibt ja nicht nur Fälle wie gestern abend, als durch die Blockade der CDU/CSU im Vermittlungsausschuß die Steuerreform beerdigt wurde, sondern auch manch andere Dinge, die wir in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder auf den Weg gebracht haben, sprechen für sich. Das letzte gute Beispiel war gestern morgen das Kindschaftsrecht. In diese Reihe guter Reformansätze dieses Parlaments kann sich auch der Schlußbericht der Reformkommission zur Verkleinerung des Deutschen Bundestages einreihen. Darum bewerten wir ihn grundsätzlich positiv, auch wenn wir in diesem Zusammenhang nach wie vor einige Mängel zu beklagen haben. Wir hatten uns in diesem Hause selber die Vorgabe gegeben, den Deutschen Bundestag um mindestens 100 auf jedenfalls unter 600 Abgeordnete zu verkleinern. Das wird geschehen. Wir haben es sogar ins Bundeswahlgesetz hineingeschrieben, das schon im vorigen Jahr entsprechend verändert wurde.
Die Verkleinerung des Deutschen Bundestages ist, wenn man so will, einer der letzten Bausteine des Gesamtprojekts Parlamentsreform, bei dem ja noch eine ganze Reihe von anderen Dingen von uns beraten, behandelt und auch entschieden worden sind. Der letzte Punkt der Parlamentsreform wird die Re-
Wilhelm Schmidt
form der Wahlkreise nach der Verkleinerung sein. Einen weiteren Punkt haben wir gestern im Geschäftsordnungsausschuß auf der Grundlage eines Vorschlages meiner Fraktion zu diskutieren begonnen, nämlich die Veränderung der Verhaltensregeln für Abgeordnete: Wir wollen, daß mehr Informationen über die Nebentätigkeiten der Abgeordneten, wenn sie schon wahrgenommen werden, an die Öffentlichkeit dringen und nicht geheimgehalten werden. Dafür werden wir im Geschäftsordnungsausschuß sorgen.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Zwischenbericht, den wir im vorigen Jahr diskutiert haben, hat bereits an den Tag gebracht, daß die Verkleinerung des Deutschen Bundestages auf 598 Sitze und die Verringerung der Wahlkreise von 328 auf 299 natürlich auch einige Folgerungen mit sich bringt, die wir alle gemeinsam zum Schluß noch zu diskutieren haben werden. Wenn wir den Bundestag um ungefähr 11 Prozent verkleinern, heißt das logischerweise im Umkehrschluß, daß wir die Wahlkreise um durchschnittlich 11 Prozent zu vergrößern haben. Dieser Forderung und dieser logischen Entwicklung darf sich in diesem Hause niemand entziehen. Ich will das schon an dieser Stelle sagen, weil ich finde, daß wir bei allen Regelungen, die wir im Generellen getroffen haben, nun auch alle in der Detailarbeit in der Pflicht stehen, das Reformwerk zu vollenden.
Ich bin der Auffassung, daß wir ansonsten gar nicht so sehr dem Druck der Öffentlichkeit nachgegeben haben, wie immer behauptet wird. Der Tatsache nämlich, daß draußen immer häufiger von uns die Verkleinerung des Bundestages gefordert wurde, ist Rechnung zu tragen; aber wir haben sie auch von uns selbst aus als notwendig erachtet, denn nach der deutschen Einheit war der Bundestag mit 672 - nominell 656 - Sitzen ein zu großes Parlament und an mancher Stelle sehr bewegungsunfähig geworden. Ich will aber gleichzeitig darauf hinweisen, daß wir der Forderung: „Verkleinert das Parlament auf 400 Sitze!" natürlich überhaupt nicht nachgeben wollten und konnten. Denn gleichzeitig werden wir Abgeordnete, die wir unsere Arbeit wahrhaftig ernst nehmen, im Wahlkreis immer wieder darauf angesprochen, was wir denn nun alles machen sollen. Am Ende gibt es eine Spannbreite zwischen der einen Forderung, daß jeder Bürger und jede Bürgerin einen eigenen Abgeordneten haben möchte, und der anderen Forderung, daß nicht mehr als 400 Abgeordnete im Parlament sitzen dürfen. Diesen Widerspruch haben wir jedesmal im Einzelfall aufzulösen. Aber solchen populistischen Neigungen muß man nicht nachgeben; das haben wir auch bei dieser Reform nicht gemacht.
In der Frage der neuen Toleranzgrenzen für die Wahlkreisgröße haben wir erfreulicherweise Einigkeit erzielt. Diese zwingen uns nämlich übrigens, auch wenn wir nicht zu den eben skizzierten Schlußfolgerungen kämen, jetzt doch an vielen Stellen in Deutschland Konsequenzen zu ziehen. Wir hatten
schon zur Wahl 1998 die uns massiv bedrängende Frage zu klären, wieviel Wahlkreise wir, weil sie durch die Bevölkerungsentwicklung an die Toleranzgrenzen gestoßen sind, nun verändern wollen. Wir hätten eigentlich schon zur Wahl 1998 156 Wahlkreise verändern wollen oder müssen. Wir haben es dann auf Sparflamme fahren wollen und können, weil wir uns gemeinsam darauf verständigt hatten. Aber die Schlußfolgerung daraus ist, daß wir den Reformstau, was die Parlamentsreform und die Größe der Wahlkreise anbetrifft, den wir nun seit fast 20 Jahren vor uns hergeschoben haben, nun endlich zum Jahre 2002 auflösen müssen. Dazu werden wir uns entsprechend zu stellen haben.
Wir sind uns über eine Veränderung der Toleranzgrenzen einig. Wir sind uns auch einig gewesen - das ist durch den Verfassungsgerichtsbeschluß bestätigt worden -, daß wir bei der Grundmandateklausel und bei der Fünfprozenthürde richtig liegen.
Der andere Teil, bei dem wir nach wie vor - das will ich im Widerspruch zu dem, was Herr Kollege Schmidt gesagt hat, noch einmal sehr deutlich ausführen - im Konflikt stehen, ist die Frage der Überhangmandate. Das will die SPD so nicht hinnehmen. Ich finde, wir sind durch den Verfassungsgerichtsbeschluß vom April dieses Jahres an vielen Stellen bestätigt worden. Es ist so, daß durch das Vier-zu-vierUrteil die Verfassungsgemäßheit nicht angezweifelt worden ist. Die Angelegenheit ist aber beileibe auch nicht so entschieden worden, daß wir nun nicht noch einmal eine Initiative ergreifen könnten. Ich sichere Ihnen schon jetzt zu, meine Damen und Herren auf der rechten Seite, daß wir das tun werden.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat die Problematik möglicherweise zunächst in juristischer Hinsicht geklärt. Aber .der verfassungspolitische Konflikt ist damit wahrhaftig nicht überwunden. Wir finden, daß das, was die CDU/CSU und F.D.P. als Sieg für sich bezeichnet haben, sicherlich eher ein Pyrrhussieg ist; denn das Handeln des Gesetzgebers nach der Wahl 1998 ist damit überhaupt nicht ausgeschlossen. Wir behalten uns dies ausdrücklich vor.
Wir werden auch deswegen darauf zurückkommen müssen, weil wir zu befürchten haben, daß bei der Wahl 1998 erneut eine erhebliche Anzahl von Einsprüchen gegen das Wahlergebnis, das am 27. September 1998 noch zu finden sein wird, eingelegt werden. Dies wird uns zu neuen Entscheidungen führen müssen, die wir dann zur Wahl 2002 durchaus noch zeitgerecht treffen können.
Von daher hat das Verfassungsgerichtsurteil vom 10. April 1997 eine Reihe von Implikationen, die auch unsere Argumentation durchaus unterstützen. Wenn vier von acht Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichtern die Meinung der SPD-Fraktion unterstützen, dann ist das ein sehr deutliches Kennzeichen dafür, daß wir mit unserer Rechtsauffassung - mit unserer politischen Auffassung allemal - gar nicht so verkehrt liegen.
Wilhelm Schmidt
Die Auseinandersetzung mit der Grundmandateklausel ist vom Abgeordneten Schmidt von der CDU/ CSU-Seite eher richtig bewertet worden. Wir wollen nach wie vor nicht die Auseinandersetzung auf diesem juristischen Feld mit Gruppen und Fraktionen, die über diesen Weg in den Bundestag gekommen sind. Wir werden mit der PDS die politische Auseinandersetzung genauso pflegen wie bisher. An der Grundmandateklausel wird nicht gerührt und gerappelt. Dazu stehen auch wir - nicht nur, weil wir das im Bundesverfassungsgerichtsurteil bestätigt bekommen haben, sondern auch, weil wir dabei von politischen Überzeugungen getragen werden.
Meine Damen und Herren, ich will zum Schluß darauf hinweisen, daß wir mit dem vorliegenden Abschlußbericht nur die Vorschläge der Reformkommission präsentieren und daß nun die sicherlich sehr schwierige und mühselige Arbeit des Innenausschusses - am Schluß auch des gesamten Plenums - zur Neuordnung des Wahlkreiszuschnitts noch bevorsteht. Ich sage das deswegen, weil ich schon von vielen Seiten angesprochen worden bin, nach dem Motto: Aber in meiner Region mußt du mich vor Folgerungen aus dieser Reform schonen und schützen.
Das geht beileibe nicht, wiewohl wir natürlich durchaus die Möglichkeit sehen, noch etwas an den Vorschlägen zum Wahlkreiszuschnitt zu verändern. Das ist überhaupt keine Frage; die Vorschläge sind nicht feststehend. Aber sie sind durchaus ein Maßstab und eine Orientierung, die auf der Basis sehr neutraler und sehr fundierter Kenntnisse des Statistischen Bundesamtes und damit des Bundeswahlleiters zustande gekommen sind, der sich in vielen Fällen in den Ländern rückversichert hat. Man mag beklagen, daß sich manche Länder ein wenig gedrückt haben, uns Schützenhilfe zu leisten, wenn es darum geht, objektive Maßstäbe für die Wahlkreisveränderungen zu finden.
Das Entscheidende scheint mir aber wirklich zu sein, daß wir jetzt nicht so vorgehen dürfen, daß die Interessen der einzelnen Abgeordneten, die jetzt im Parlament sind, oder die Interessen einzelner Gruppen möglicherweise in den Vordergrund rücken. Daß die Reformkommission dies berücksichtigt hat, hat sie mit ihrer Arbeit unter Beweis gestellt. Die Dinge sind dort sehr neutral, sehr objektiv behandelt worden, ganz bewußt unter dem Vorzeichen, daß sich nicht der eine vom anderen über den Tisch ziehen läßt oder der eine den anderen über den Tisch ziehen will. Das ist wichtig gewesen, und das sollte auch die Maxime für die Arbeit im Innenausschuß sein, dem ich sonst gar nichts weiter auf den Weg geben möchte, zumal ich mich selbst in die Arbeit dieses Ausschusses sehr gerne einklinken möchte.
Daß es eine Objektivität unter uns gibt, mag man daran erkennen, daß auch in meinem Umfeld, im SPD-Bezirk Braunschweig, durchaus Schwierigkeiten bestehen, die Reduzierung der Zahl der Wahlkreise umzusetzen; denn ein Wahlkreis von fünf wird auf Grund dieser Beschlüsse eingespart werden müssen. Wir tun uns naturgemäß sehr, sehr schwer dabei.
Von daher ist Objektivität ein ganz wichtiger Aspekt, den wir für die vor uns liegende Arbeit entsprechend nutzen sollten.
Wir haben auch unter diesem Aspekt mit der Kommissionsarbeit und dem vorliegenden Schlußbericht ein Beispiel geliefert, um die weiteren Weichen zum Abschluß der Verkleinerung zu stellen. Ich warne jedenfalls sehr nachdrücklich davor, sich möglicherweise an irgendeiner Stelle noch davor zu drücken, das, was wir schon im Bundeswahlgesetz als prinzipielle Regelung stehen haben, nämlich auf 598 Abgeordnete und damit auf 299 Wahlkreise herunterzugehen, noch zu verschieben oder in sonstiger Weise nicht zu realisieren. Ich sage das deswegen, weil der Kollege Andreas Schmidt mit Recht zu Beginn seiner Ausführungen darauf hingewiesen hat, daß wir, wenn dies geschähe, weitere Bausteine dafür lieferten, die Politik- und Parlamentsverdrossenheit in diesem Lande zu nähren. Das wollen wir nicht, und das darf auch nicht sein.
Ein letztes möchte ich in diesem Zusammenhang als Ergänzung und vielleicht auch als Bitte und Auftrag über den eigentlichen Abschlußbericht der Reformkommission hinaus auf den Weg bringen: Ich ermuntere diejenigen, die jetzt die Abschlußarbeit in den Ausschüssen und dann auch hier im Plenum zu leisten haben, darüber nachzudenken, vielleicht doch noch eine Regelung zur Verlängerung der Wahlperiode auf fünf Jahre ab 2002 einzubauen. Auch dafür gibt es eine gute Grundlage; denn wir wissen - das erfahren wir nicht zuletzt in dieser Wahlperiode -, wie spät man manchmal mit der Arbeit beginnt und wie früh der Wahlkampf für die nächste Wahl schon wieder anfängt. Der Kanzler hat bereits im Juni gesagt, wenn es nicht anders gehe, machten wir eben 14 Monate lang Wahlkampf. Damit ist natürlich auch eine Lähmung des Parlamentsbetriebes vorgezeichnet, die wir nicht wollen. Wir wollen auf jeden Fall eine kontinuierliche und solide Arbeit des Parlaments gewährleistet wissen, nicht aber einen 14 monatigen Wahlkampf; das ist die Entscheidung auf der rechten Seite des Hauses gewesen. Hier wäre eine Ausdehnung der Wahlperiode auf fünf Jahre sicherlich eine Verbesserung.
Meine Damen und Herren, in diesem Sinne bitte ich Sie herzlich, diesen Abschlußbericht der Reformkommission wohlwollend zur Kenntnis zu nehmen und bei der weiteren Arbeit als gute, objektive Grundlage zu berücksichtigen.
Vielen Dank.