Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Westerwelle, den vielbeschworenen und eben von Ihnen gar lauthals beschrienen Reformstau in diesem Lande werden Sie mit dem Haushalt 1998 natürlich nicht auflösen, über den Sie im übrigen nicht ein einziges Wort verloren haben.
Sie werden mit dem Haushalt 1998 Ihre längst verstaubte, in manchen anderen europäischen Ländern überholte Politik konservieren und zementieren. Mit dieser verstaubten Politik bekommen Sie als F.D.P. in den neuen Bundesländern, die erst seit sieben Jahren die Planwirtschaft hinter sich gelassen haben, marktwirtschaftlich, wie Sie merken, keinen Fuß auf den Boden. Das müssen Sie sich auch einmal sagen lassen.
Nach dieser Schlußrunde in der ersten Lesung des Bundesetats 1998 wird nun dieser Entwurf, der auf außerordentlich schwammigem Fundament steht, in die Ausschußberatungen verwiesen werden. Wenn es nicht noch, was leider nicht zu erwarten ist, einige grundlegende Veränderungen an diesem Etatentwurf gibt, dann steht ein Nachtragshaushalt 1998 schon am Horizont.
Mit Verlaub: Bei der Aufstellung eines Bundeshaushalts kann man doch nicht wie beim Ausfüllen eines Lottoscheins verfahren. Man kann doch nicht die Eckdaten nach dem Prinzip Hoffnung tippen.
Man muß vielmehr ungeschönt und ungeschminkt den Fakten ins Auge sehen und diesen Fakten im Budgetansatz Rechnung tragen.
Wie schon im Haushalt 1997 handelt es sich auch bei vielen in diesem Entwurf verankerten Ausgaben und Einnahmen wiederum um Wunschvorstellungen und um ungedeckte Schecks. Ich nenne nur - das ist hier häufig schon geschehen - drei Eckdaten: Ich nenne den Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit, der den Bedingungen nicht gerecht wird. Ich nenne die konzipierten Steuereinnahmen, die angesichts der anhaltenden Massenarbeitslosigkeit und der Insolvenzwellen, die durch dieses Land rollen, nicht eintreten werden, und ich nenne die illusionär niedrig angesetzte Nettokreditaufnahme, die nur auf die Einhaltung des Defizitkriteriums von Maastricht ausgerichtet ist.
Allein wegen dieser drei geschönten Ausgangsdaten wird der gesamte Haushalt spätestens im Februar oder März 1998 wieder ins Wanken geraten. Es ist eigentlich schade um die Zeit, die sich so viele Haushälterinnen und Haushälter sowie Abgeordnete in anderen Ausschüssen nehmen, um Titel für Titel durchzugehen und um 10 000 oder 100 000 DM zu feilschen, wenn am Ende das ganze Konstrukt sowieso nur auf schwammigem Fundament steht.
Mit dem Prinzip Hoffnung muß beim Schicksalsbuch der Nation aufgehört werden.
Ist es nicht blamabel, wenn im Haushaltsausschuß schon 1996 und verstärkt 1997 die Befassung mit Anträgen des Finanzministers auf überplanmäßige Ausgaben ständig zunahm? Gewöhnlich heißt es in den Begründungen, es handle sich um unvorhergesehene Ausgaben.
Ich frage mich nur: Wer ist denn da so kurzsichtig, daß in grundlegenden Bereichen ständig Mittel nachbeantragt werden müssen, die im übrigen von allen Oppositionsparteien schon längst angemahnt worden sind?
Dieses notdürftige Reparieren im nachhinein wird für die Gesellschaft teurer, als wenn man rechtzeitig den Gegebenheiten und den Erfordernissen ins Auge sehen würde. Das würde natürlich die Abkehr von neoliberalen Glaubensbekenntnissen erfordern, Herr Kollege Westerwelle. Dies würde ganz einfach ökonomische Vernunft verlangen.
Sie schwören, das, was Sie im Haushalt 1998 vorsehen, sei ordnungspolitisch richtig. Da frage ich mich: Kann man die Richtigkeit von Ordnungspolitik nur an der Einhaltung von Lehrsätzen prüfen oder messen? Sollten dafür nicht realwirtschaftliche oder soziale Effekte der Maßstab sein?
Sie feiern sich - Herr Kollege Jacoby hat das heute wieder getan - wegen der Einmalerlöse aus der Privatisierung öffentlichen Eigentums. Wir wollen keinen ideologischen Streit über Privatisierung. Nur, Sie haben der Öffentlichkeit noch nie erklärt, daß in den nächsten Jahren außer diesen Einmaleinnahmen, für die Sie sich feiern, laufende Gewinnausschüttungen verlorengehen werden und daß es fraglich ist, ob die Relation zwischen Zins- und Renditeerwartungen, die Herr Jacoby hergestellt hat, so aufgehen wird,
Dr. Christa Luft
wie er sich das vorstellt. Sie haben weder der Öffentlichkeit und nicht einmal den Abgeordneten im Haushaltsausschuß darauf eine Antwort gegeben. Ich habe wiederholt danach gefragt und bin mit nichtssagenden Auskünften abgespeist worden.
Sie sprechen in großen Worten von der notwendigen Verschlankung des Staates. Diese Forderung ist zu akzeptieren. Aber wenn man sich das anschaut, was bei der Auflösung des Postministeriums geschieht - ich will das hier nicht ausweiten; es ist in dieser Woche wiederholt angesprochen worden -, dann spricht das für das Gegenteil.
Sie sagen, Investoren bräuchten Planungssicherheit. Das ist völlig richtig. Aber was machen Sie? Sie stellen Barmittel in den Haushalt ein, die die in den vergangenen Jahren eingegangenen Verpflichtungsermächtigungen nicht decken. Ich frage mich, was das noch mit Planungssicherheit zu tun hat. Das alles sind nur Beispiele. Ich kann wirklich nicht erkennen, wem solche verbalen ordnungspolitischen Prinzipien überhaupt nützen.
Eine Reform des Haushaltsrechts und der Haushaltspraxis ist in dieser Republik zweifelsohne überfällig, um bestimmte Mißstände bis hin zur Aushebelung von Rechten der Parlamentarier abzustellen. Es gibt dazu von der Regierung einen Gesetzentwurf. Die Bündnisgrünen haben, wie ich finde, einen sehr fundierten Antrag vorgelegt. Ich will an dieser Stelle - denn die Ausschußberatungen darüber liegen noch vor uns - nur sagen: Wenn es schon zu einer Korrektur des Haushaltsrechts kommt, müßte gesichert werden, daß die Kontrollergebnisse des Bundesrechnungshofes künftig nicht so ohne Konsequenzen verhallen, wie das bislang häufig geschieht.
Ich nenne nur ein einziges Beispiel, nämlich den Prüfbericht des Rechnungshofes vom 27. September 1995 über die vom Bund viel zu billig verkauften DDR-Banken, woraus sich Nachforderungen an die Deutsche Bank und die Dresdner Bank in Milliardenhöhe ergeben könnten. Nichts dergleichen geschieht. Aber wenn es eine Nachforderung an eine Sozialhilfeempfängerin gibt, dann sind Sie ganz schnell zur Stelle.
Beifall bei der PDS)
Natürlich hat diese Republik keine profane, durch technische oder rechtliche Feinkorrekturen behebbare Haushaltskrise. Diese Republik hat eine lange schwelende Beschäftigungskrise und eine damit in Zusammenhang stehende Einnahmekrise. Das Land lebt nicht über seine Verhältnisse, wie es häufig suggeriert wird. Millionen Menschen, darunter viele Frauen und viele junge Leute, müssen nur wegen der Politik dieser Koalition Jahr um Jahr unter ihren Möglichkeiten bleiben, weil es nicht einmal gelungen ist, die Überstundenzahl abzubauen und per Gesetz etwas Handfestes zu installieren oder auch sozialrechtlich eine Absicherung der Teilzeitarbeit herbeizuführen -, um nur Beispiele zu nennen.
Dies alles ist eine beispiellose politikverursachte Verschwendung von potentiellem Volkseinkommen. So viel, wie Sie brachliegen lassen, ja, vergeuden, können Sie durch ein auf strikte Sparsamkeit ausgerichtetes Haushaltsrecht und einen straffen Haushaltsvollzug nie und nimmer kompensieren. Alles, was Sie bislang unter der Flagge der Deregulierung oder gar unter der Flagge der Reform auf den Weg gebracht haben, hat sich beschäftigungspolitisch als eine Nullnummer erwiesen. Geschäftigkeit der Regierung ist doch überhaupt nicht mit Beschäftigungszunahme in diesem Lande gleichzusetzen.
Selbst das gewiß nicht PDS-verdächtige „Handelsblatt" urteilt zum Etatentwurf 1998 zusammenfassend - ich zitiere -:
Das Schlimme an Waigels Zahlenwerk ist freilich, daß es die notleidende Struktur der Bundesfinanzen in den nächsten Jahren nicht um ein Jota verbessert.
Das genau ist der Punkt. Ausgabenkürzungen müssen selbstverständlich dort sein, wo sie sinnvoll sind. Aber mit Ihren Sparprogrammen werden Sie keine nachhaltige Haushaltssanierung bewirken. Sie beantworten ganz einfach die Frage nicht, welche Folgewirkungen mit Ihren sogenannten Sparmaßnahmen verbunden sein werden. Es ist doch einfach unlogisch, die positiven Beschäftigungswirkungen einer zunehmenden Auslandsnachfrage zu feiern, gleichzeitig aber die negativen Wirkungen einer rückläufigen Staatsnachfrage infolge drastischer Sparprogramme zu verschweigen.
Der Haupthebel zur Haushaltskonsolidierung sind Einnahmeverbesserungen über mehr Beschäftigung und über eine gute Bildung der jungen Leute.
Dazu schlagen wir erstens vor, mit öffentlichen Investitionen eine ökologische und eine Verkehrswende in den neuen, aber auch in den alten Bundesländern einzuleiten und infrastrukturelle Verbesserungen in Bereichen herbeizuführen, die zur Zeit notleidend sind. Wir werden Finanzierungsquellen dafür benennen. Auch wir haben gelernt, daß man, wenn man etwas verteilen will, wissen muß, wie man es bezahlt.
Wir fordern zweitens die Einrichtung eines Fonds für soziale und ökologische Gemeinschaftsaufgaben bei der Bundesanstalt für Arbeit. Mit den Mitteln dieses Fonds sollte 1998 wirklich der Einstieg in einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor im normalen Arbeitsmarkt finanziert werden. Auch hierfür werden wir finanzielle Modalitäten formulieren. Wir meinen, daß dies nicht immer als ein Notprogramm und etwas, dessen man sich besser schämen sollte, abqualifiziert werden darf.
Drittens sind wir dafür, endlich ein Recht junger Leute auf berufliche Erstausbildung gesetzlich zu verankern. Solange die Wirtschaft ihrer diesbezüglichen Aufgabe nach dem Grundgesetzartikel „Eigentum verpflichtet" nicht nachkommt und eine Ausbildungsumlagefinanzierung, wie von den Oppositionsparteien gefordert, nicht wirksam wird, wollen wir, daß ein mittelfristiges Ausbildungsprogramm für hunderttausend junge Leute aufgelegt wird. Die
Dr. Christa Luft
Dringlichkeit muß ich nicht begründen. Die Kosten für den Bund sind etwa identisch mit dem, was Sie 1998 für den Eurofighter eingestellt haben.
Wir fordern viertens, den Kommunen die Sozialhilfeausgaben für Langzeitarbeitslose zu erstatten. Das sind jährlich 7 Milliarden DM. Zum Vergleich: Der Verzicht auf die 2-Punkte-Absenkung des Soli-Zuschlages bringt 7,5 Milliarden DM. Die Kommunen bekämen auf diese Weise wieder finanzpolitischen Spielraum, um Infrastrukturmaßnahmen, darunter auch Infrastrukturmaßnahmen für Jugendarbeit, zu finanzieren. Dies brächte Arbeitsplätze und vor allen Dingen neue Lebensperspektiven für Hunderttausende von heute perspektivlosen Menschen.
Nicht nur global denken darf als modern gelten; sozial denken darf nicht unmodern werden.
Danke schön.