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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 13/189 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 189. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 11. September 1997 Inhalt: Benennung des Abgeordneten Werner Lensing als Mitglied im Kuratorium des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung 17095 A Erweiterung der Tagesordnung 17095 A Tagesordnungspunkt 1: a) Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1998 (Haushaltsgesetz 1998) (Drucksache 13/8200) . . 17095 B b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Finanzplan des Bundes 1997 bis 2001 (Drucksache 13/8201) 17095 B Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 17095 C, 17125 C Norbert Formanski SPD 17097 A Dr. Uwe-Jens Rössel PDS 17098 A Anke Fuchs (Köln) SPD . . . . 17099 B, 17125 A Dankward Buwitt CDU/CSU 17102 B Antje Hermenau BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17105 B Ernst Hinsken CDU/CSU 17106 D Margareta Wolf (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17108 C Ernst Hinsken CDU/CSU . . . 17109 A, 17128 C Dr. Otto Graf Lambsdorff F.D.P. . 17109 C, 17126 A Rolf Kutzmutz PDS 17113 A Rolf Schwanitz .SPD 17114 D Dr.-Ing. Paul Krüger CDU/CSU . 17116 D,17120 D Dr. Christa Luft PDS 17120 A Otto Schily SPD 17120 C Ernst Schwanhold SPD . . . . 17122 A, 17127 C Hartmut Schauerte CDU/CSU . 17127 A, 17154 A Margareta Wolf (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17130 B Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 17131 B, 17138 B Rudolf Dreßler SPD 17134 B, 17138 B Dr. Heiner Geißler CDU/CSU . . . . 17135 B Dr. Gisela Babel F.D.P 17136 B, 17150 A Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17138 C Hans-Joachim Fuchtel CDU/CSU . . . 17139 A Rudolf Dreßler SPD 17139 C Ottmar Schreiner SPD 17140 C Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17142 C Dr. Norbert Blüm CDU/CSU . 17142 D, 17152 B Manfred Grund CDU/CSU . . 17144 A, 17153 A Dr. Gisela Babel F.D.P 17145 B Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17145 D Dr. Heidi Knake-Werner PDS 17147 C Ottmar Schreiner SPD 17149 A Dr. Hermann Kues CDU/CSU 17154 C Zusatztagesordnungspunkt 5: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Drucksachen 13/ 1685, 13/8488) . 17156 A - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 28 GG) (Drucksachen 13/8340, 13/8488) 17156A Hansgeorg Hauser, Parl. Staatssekretär BMF 17156B Reinhard Schultz (Everswinkel) SPD . 17157 B Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . 17157 C Hans Michelbach CDU/CSU 17158 C Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17160 A Gisela Frick F.D.P 17160 D Dr. Uwe-Jens Rössel PDS 17161 C Dr. Dietrich Mahlo CDU/CSU 17162 B Detlev von Larcher SPD 17162 D Namentliche Abstimmung 17163 C Ergebnis 17173 A Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister BMBF 17163 C Doris Odendahl SPD 17166 C Edelgard Bulmahn SPD 17168 A Steffen Kampeter CDU/CSU 17170 D Dr. Manuel Kiper BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17175 B Jürgen Koppelin F.D.P. 17176 A, 17199 B, 17203 B Dr. Karlheinz Guttmacher F.D.P. . . . . 17177 B Dr. Ludwig Elm PDS 17178 B Tilo Braune SPD 17179 C Claudia Nolte, Bundesministerin BMFSFJ 17181 A Christel Hanewinckel SPD 17184 C Wilfried Seibel CDU/CSU 17186 C Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17189 A Sabine Leutheusser-Schnarrenberger F.D.P. 17190 B Dr. Edith Niehuis SPD 17190 D Rosel Neuhäuser PDS 17191 D Siegrun Klemmer SPD 17192 D Jochen Borchert, Bundesminister BML 17195 A Horst Sielaff SPD 17197 C Albert Deß CDU/CSU 17198 C Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein CDU/CSU 17200 D Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17202 D Jochen Borchert CDU/CSU 17204 A Günther Bredehorn F.D.P. 17204 D Dr. Günther Maleuda PDS 17206 A Ilse Janz SPD 17207 A Horst Seehofer, Bundesminister BMG . 17208 C Gerhard Rübenkönig SPD 17210 D Roland Sauer (Stuttgart) CDU/CSU . . 17212 C Marina Steindor BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17215 A Jürgen W. Möllemann F.D.P. . . . . . 17216 C Dr. Ruth Fuchs PDS 17217 C Waltraud Lehn SPD 17218 B Nächste Sitzung 17220 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 17221* A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Birgit Homburger (F.D.P.) zur Abstimmng über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 28 GG) (Zusatztagesordnungspunkt 5) 17221* C Anlage 3 Erklärung des Abgeordneten Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 28 GG) 17221* D 189. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 11. September 1997 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Augustin, Anneliese CDU/CSU 11. 9. 97 ** Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 11. 9. 97 ** 90/DIE GRÜNEN Eßmann, Heinz Dieter CDU/CSU 11. 9. 97 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 11. 9. 97 * * Friedhoff, Paul K. F.D.P. 11.9. 97 Günther (Duisburg), Horst CDU/CSU 11. 9. 97 Irmer, Ulrich F.D.P. 11. 9. 97 ** Dr. Kinkel, Klaus F.D.P. 11. 9. 97 Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 11. 9. 97 Laumann, Karl-Josef CDU/CSU 11. 9. 97 Marx, Dorle SPD 11. 9. 97 Müller (Düsseldorf), SPD 11. 9. 97 Michael Dr. Probst, Albert CDU/CSU 11. 9. 97 * Dr. Rochlitz, Jürgen BÜNDNIS 11. 9. 97 90/DIE GRÜNEN Roth (Gießen), Adolf CDU/CSU 11. 9. 97 Schaich-Walch, Gudrun SPD 11. 9. 97 Schloten, Dieter SPD 11. 9. 97 ** Schmidt (Aachen), Ulla SPD 11. 9. 97 ** Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU 11. 9. 97 ** Schmidt (Salzgitter), SPD 11. 9. 97 ** Wilhelm Schoppe, Waltraud BÜNDNIS 11. 9. 97 90/DIE GRÜNEN Sebastian, Wilhelm Josef CDU/CSU 11. 9. 97 Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 11. 9. 97 Terborg, Margitta SPD 11. 9. 97 * Dr. Thomae, Dieter F.D.P. 11. 9. 97 Vosen, Josef SPD 11. 9. 97 Dr. Wittmann, Fritz CDU/CSU 11. 9. 97 Zierer, Benno CDU/CSU 11. 9. 97 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an der 98. Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Birgit Homburger (F.D.P.) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 28 GG) (Zusatztagesordnungspunkt 5) Ich begrüße, daß es aufgrund des langjährigen Drucks, insbesondere der Freien Demokratischen Partei, nun endlich gelungen ist, Konsens darüber zu erzielen, daß die Gewerbekapitalsteuer als Substanzsteuer unnötig Arbeitsplätze belastet und abgeschafft werden muß. Ich bedauere, daß es noch keinen parteiübergreifenden Konsens darüber gibt, daß auch die Gewerbeertragsteuer zu einer Doppelbelastung des Gewerbes und damit zu einer unnötigen Belastung von Arbeitsplätzen vor allem in den Bereichen führt, die besonders beschäftigungsintensiv sind. Obwohl ich die Ergänzung des Grundgesetzes, insbesondere im Art. 28, als überflüssig empfinde, stimme ich dem Gesetzentwurf zu, nachdem fraktionsübergreifend in der Begründung des Antrages klargestellt wird, daß die jetzt gefundene Formulierung einer späteren Abschaffung der Gewerbeertragsteuer nicht im Wege steht und daß eine Abschaffung der Gewerbeertragsteuer zu einem späteren Zeitpunkt auch keiner Grundgesetzänderung bedürfte. Anlage 3 Erklärung des Abgeordneten Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 28 GG) - Drucksache 13/8488 - Im Hause Görresstraße 34 ist vor Eröffnung der namentlichen Abstimmung nur wenige Male der Signalruf erfolgt, so daß meine Nichtteilnahme an der Abstimmung von mir nicht zu vertreten ist. Hätte ich die Abstimmung rechtzeitig erreichen können, hätte ich mich der Stimme enthalten.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Rosel Neuhäuser


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (PDS)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wenn die Jugend in unserer Gesellschaft eine Perspektive hätte, bräuchten wir uns nicht über solche Fragen wie Jugendkriminalität und über andere Dinge in diesem Kontext zu verständigen.
    Auch im Haushalt 1998 bleibt wie in den vergangenen Jahren die Kinder- und Jugendpolitik, die Frauen-, Familien-, Alten- und Behindertenpolitik der Bundesregierung eine Politik der Randgruppen, die in den Waigelschen Haushaltslöchern nahezu untergeht. Frau Nolte, Sie haben vorhin gesagt, um wieviel Prozent Ihr Haushaltstitel gekürzt wird, nämlich im Durchschnitt um 2,5 Prozent.
    Ich finde schon fatal, daß der Titel für die Jugendpolitik zum Beispiel im vergangenen -Jahr um über

    Rosel Neuhäuser
    10 Prozent und in diesem Jahr schon wieder um knapp 4 Prozent gekürzt wurde.
    Kürzungen, Einschränkungen, Umschichtungen und sogar geringfügige Mittelerhöhungen in Einzeltiteln, was Herr Waigel und Frau Nolte einen gelungenen Sparhaushalt nennen, ist lediglich der Versuch, grundsätzlich falsche Schwerpunkte und eine ganze Liste von Versäumnissen der Bundesregierung notdürftig zu kaschieren.
    Die kleinen Anhebungen bzw. geschickten Umverteilungen im Haushalt des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend täuschen aber nicht darüber hinweg, daß die Bundesregierung und mit ihr die zuständige Ministerin zentrale Probleme des gesellschaftlichen Wandels verkennt und dringenden Handlungsbedarf ignoriert. Das haben meine Vorredner hier schon zum Ausdruck gebracht.
    Folgerichtig bleibt jede notwendige Kurskorrektur aus. Deutlich wird auch: Die Bundesrepublik bleibt eine gespaltene Gesellschaft, gespalten in Arm und Reich, Vermögende und Nicht-Vermögende. Immer mehr junge Menschen besitzen faktisch nichts - keinen Ausbildungsplatz, keinen Job, kein Einkommen, kein Vermögen. Das Beschämende daran ist die Tatsache, daß Bundesregierung und Koalitionsparteien Augen und Ohren vor diesen Realitäten verschließen. Das hat auch die Debatte zum Haushalt des Ministeriums von Herrn Rüttgers deutlich gemacht.
    Ungeachtet aller unermüdlichen Beteuerungen werden auch für 1998 weitere soziale Ungerechtigkeiten zementiert. Als kinder- und jugendpolitische Sprecherin der Gruppe der PDS empört es mich außerordentlich, wie sich die Bundesministerin Frau Nolte mit dem Einzelplan des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am Sparwettbewerb beteiligt - mag der Etat auch noch so klein sein - und ihn dem zügellosen Rotstift von Herrn Waigel jedes Jahr aufs neue preisgibt. Kraftvolles Gerede - wie Sie, Frau Nolte, es vorhin in Ihrer Begründung des Einzelplans 17 wieder vorgebracht haben -

    (Zuruf von der SPD: „Kraftvoll" ist übertrieben!)

    über die Werte der Familie, die Hochachtung vor dem Alter, die Verantwortung für die Kinder und die Jugend, für Frauen und Behinderte, Ausländerinnen und Ausländer wird so eindeutig ad absurdum geführt.
    Die Situation im Jugendbereich zeigt beispielhaft, wohin eine solche Politik führt. Seit Jahren delegiert der Bund immer mehr Verantwortung auf die Kommunen, ohne dafür Sorge zu tragen, daß die Kommunen mit entsprechenden finanziellen Mitteln ausgestattet werden. Vor dem Hintergrund immer knapper werdender Ressourcen brechen dort bei der Erstellung der Haushaltspläne erbitterte Verteilungskämpfe aus. Bevorzugte - weil scheinbar disponible - Einsparbereiche in kargen Zeiten sind immer wieder die Jugendhilfe und insbesondere die Jugendarbeit. Hier wird oft nach dem Rasenmäherprinzip pauschal gestrichen. Aktive, zukunftsbezogene Entwicklung und Gestaltung von Jugendhilfe und Jugendarbeit sind aber unter dem Handikap kurzfristiger, ungesicherter und auf Bestandsabbau ausgerichteter Finanzausstattung nicht denkbar. Hier werden rechtliche Grundsätze aus dem KJHG eindeutig unterlaufen. Mehr noch: Es zeichnet sich eine weitere Aushöhlung des Grundgesetzes ab, weg von der Sozialpflicht des Eigentums, hin zum Ausverkauf des öffentlichen Eigentums und zu stetiger Neuverschuldung.
    Lassen Sie mich noch kurz ein Wort zu den Kürzungen bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Kinder- und Jugendbereich sagen. Frau Nolte, Sie wissen genau, daß die Chancen für eine langfristige und kontinuierliche Kinder- und Jugendarbeit, besonders in den neuen Bundesländern, sehr schlecht stehen. Die Ursachen dafür liegen darin, daß die Kinder- und Jugendarbeit eben vorrangig über ABM und § 249 h AFG finanziert wird. Das heißt, die Mittel für die Personalkosten in diesem Bereich kommen nicht aus den Jugendhilfehaushalten der Kommunen, sondern aus Mitteln des Bundes und des Landes. Jeder hier weiß, daß diese Quellen in Zukunft versiegen werden. Als Gruppe der PDS fordern wir deshalb eine langfristige, kontinuierliche Finanzierung von Arbeit im Kinder- und Jugendbereich durch Regelfinanzierung statt ABM und die zusätzliche Einrichtung eines Fonds für die Arbeit im Kinder- und Jugendbereich.

    (Beifall bei Abgeordneten der PDS)

    Außerdem brauchen wir neue Finanzierungmodelle, wie zum Beispiel Jugendfördertöpfe mit Langzeitcharakter, oder auch Experimentiertöpfe, mit denen Ideen von jungen Menschen und Kindern schnell realisiert werden können.
    Wir fordern gerechte Verteilungsmodalitäten für die Ausstattung freier und öffentlicher Träger, um die Vielfalt vor allen Dingen vor Ort zu erhalten.
    Frau Nolte, ich möchte Sie auch heute noch einmal daran erinnern, daß Sie endlich Ihr Versprechen einlösen sollten, die Regularien für die Fördermittelbeantragung und die Fördermittelvergabe zu vereinfachen und handhabbarer auch für kleine freie Träger zu machen.
    Eine Bemerkung zum Schluß: Die Bundesregierung behauptet immer wieder, daß der Sozialismus auch wegen seiner unrentablen Vollbeschäftigung untergegangen ist. Ich denke, Sie sollten sich auch darüber Sorgen machen, daß das marktwirtschaftliche System an seinem überrentablen Mangel an bezahlter Beschäftigung zusammenbrechen könnte.
    Vielen Dank.

    (Beifall bei Abgeordneten der PDS)



Rede von Michaela Geiger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich das Wort der Abgeordneten Siegrun Klemmer, SPD-Fraktion.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Siegrun Klemmer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Offenbarungseid hat viele Vorboten. Manch Aufrichtiger versucht, ihn

    Siegrun Klemmer
    lange unter äußerster Anstrengung abzuwenden, und nimmt dazu Rezepte und Ratschläge auch von außerhalb des eigenen Lagers an. Im schlechtesten Fall steht am Ende das ehrliche Eingeständnis: Wir sind mit unserem Latein am Ende.
    Frau Ministerin Nolte geht mit ihrem vorliegenden Entwurf für den Einzelplan 17 einen anderen Weg. Nach verheerenden Kürzungen im letzten Jahr soll nun ein Totstellreflex helfen, die chronische Misere der Familien-, Senioren-, Frauen- und Jugendpolitik über die Zeit bis zur nächsten Bundestagswahl zu retten. Anders ist es nicht zu interpretieren, daß die wichtigsten Ausgabetitel nominal dort eingefroren werden, wo sie schon zuvor einen einmaligen Tiefststand erreicht hatten. Wir haben in den letzten beiden Jahren bei der Einbringung des Haushaltes über genau die gleiche Misere am gleichen Ort debattieren müssen.
    Allerdings, Frau Ministerin: Dieser Logik der neuen Genügsamkeit werden wir uns verweigern.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Wir bezweifeln das geflügelte Wort: „Wer schläft, sündigt nicht."

    (Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Wer den sozialen Wandel ein weiteres Jahr lang verschläft, Handlungsbedarf ausblendet und die überfällige Prioritätensetzung der vagen Hoffnung auf eine Verschnaufpause nach der Wahl unterordnen will, der arbeitet gegen die Menschen in unserem Land. Wer die alarmierenden Botschaften der freien Träger, die auch bei Ihnen gelandet sind, der Kirchen und vieler gesellschaftlicher Gruppen über neue Armut, Frustration und Zukunftsangst der bei ihnen Hilfesuchenden in den Wind schlägt und als Panikmache diffamiert, der handelt fahrlässig. Wer den Wind der sozialen Verwerfungen nicht spürt, wird den Sturm nicht bändigen können. Ich denke mir: Sie werden auch gar nicht mehr dazu kommen, diesen Sturm zu bändigen.
    Konkret: Wer zu geringe Haushaltsansätze nominal fortschreibt, macht es nicht nur nicht besser, sondern macht es schlimmer.

    (Beifall bei der SPD und der PDS)

    Jede Preissteigerung vernichtet ungebremst letzte noch verbliebene Spielräume.
    Ich habe hier vor einem Jahr festgestellt, daß der Einzelplan 17 nach den damaligen Kürzungen im Kern gar nicht mehr beratungsfähig war. Auch heute besteht die zu bewältigende Logik für uns Berichterstatter darin, dieser Bankrotterklärung mit jeder Erläuterung eines Einzelaspektes sozusagen durch die Hintertür die Etatreife zu bescheinigen.
    Wo der Einzelplan durchgängig unterhalb der fachlich zu verantwortenden Ansätze angekommen ist, sehen sich die Haushälter auf Pfennigfuchser reduziert. 93,4 Prozent der Gesamtausgaben dieses Einzelplanes werden für Personal- und Sachkosten der Verwaltung und gesetzliche Leistungen veranschlagt. Interessant ist, was übrigbleibt: Um 120 Millionen DM sind die allgemeinen Bewilligungen seit 1996 zurückgegangen, also die Mittel, die für gestaltende Fachpolitik sowie für die Förderung der subsidiären Träger zur Verfügung stehen.
    Wer erwartet hatte, Frau Nolte, daß Sie diesem Frontalangriff des Finanzministers auf Ihr Haus der Generationen Paroli bieten würden, der sah sich wieder mal bitter enttäuscht. Statt dessen hat Theo Waigel Ihr Haus sozusagen in einer feindlichen Übernahme unter seine Ägide gebracht.

    (Beifall bei der SPD)

    Eine Studie der beiden größten Wohlfahrtsverbände bringt das Versagen dieser Politik auf den Punkt. Unter den problembeladenen Menschen, die die sozialen Dienste von Caritas und Diakonie, vor allen Dingen in den neuen Bundesländern, in Anspruch nehmen, sind im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung - das wundert uns eigentlich schon gar nicht mehr - mehr junge Menschen, mehr Frauen, mehr Alleinerziehende. Einen überzeugenderen Beleg für das Scheitern der Jugend-, Frauen- und Familienpolitik kann es gar nicht geben.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Der Jahresbericht 1996 der Bundesregierung wiederholt gebetsmühlenartig die zentrale Rolle der Familienförderung innerhalb des Aufgabenkatalogs von Frau Nolte. Die Frau Ministerin hat es hier eben nochmals als ihre Herzensangelegenheit bezeichnet, Familien zu fördern. Doch welche Familie kann das noch glauben, wenn sie hört, was Sie hier heute vorgetragen haben?
    Der rituelle Verweis auf den Familienleistungsausgleich soll den Eindruck erwecken, als habe die Bundesregierung hier ihre Hausaufgaben auf Jahre im voraus gemacht. Doch der Lehrplan hat sich geändert. Der Leistungsausgleich, selbst das von der SPD durchgesetzte erhöhte Kindergeld, bleibt hinter den Erfordernissen zurück.
    Es ist schon gesagt worden - ich will es wiederholen, weil es leider wahr ist in diesem reichen Land -: Kinder gelten mittlerweile als Armutsrisiko. Die reale Kaufkraft der Familien ist dramatisch erodiert. Dies gilt besonders für Ostdeutschland. Wieder sagen Caritas und Diakonie: Auf 10 Sozialhilfeempfänger kommen 17 verdeckt Arme. Besonders hoch ist der Anteil bei Haushalten mit mehreren Kindern.
    Das Drama des Erziehungsgelds ist notorisch. Kollegin Hanewinckel hat bereits vorgetragen, daß sich seit 1996 nichts verändert hat. Ein wenig Bewegung in die Verhältnisse hat nun unser Insistieren gebracht; denn Frau Nolte hat sich des Themas bemächtigt und tönt öffentlich, eine Erhöhung der Einkommensgrenzen wäre erforderlich - immerhin. Gleichzeitig aber nickt sie am Kabinettstisch einen Beschluß ab, der Leistungsverbesserungen und damit auch die Anhebung der Einkommensgrenzen für

    Siegrun Klemmer
    den gesamten Rest der Legislaturperiode kategorisch ausschließt.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Frau Nolte, ich befürchte, nein, ich hoffe, diesen Fall von politischer Schizophrenie werden die Wählerinnen und Wähler für nicht therapiefähig halten.
    Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir ein paar Bemerkungen zu den Aussiedlern. Junge Aussiedler sind die Leidtragenden auch dieses Haushalts. Immer noch reduzieren sie sich für die Bundesregierung auf eine homogene kalkulatorische Größe in einer simplen Rechnung, die lautet: weniger Zuwanderer gleich weniger Ausgaben. Die Rechnung geht fehl.
    Der Anteil der jungen Menschen innerhalb der Neubürger steigt. Gleichzeitig sinken bei den Spätaussiedlern tendenziell die Sprachkompetenzen sowie die Kenntnisse von Gesellschaft und Kultur. Vor allen Dingen kommen sie in einer Zeit, in der die Katastrophe des ersten Arbeitsmarktes ihre Integration in ein selbständiges Erwerbsleben so gut wie ausgeschlossen macht. Es liegt also auf der Hand, daß die staatlich finanzierten Beratungs- und Integrationsangebote auf keinen Fall analog der Zuwandererzahl zurückgefahren werden können.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS)

    Die globale Minderausgabe im Haushalt 1997 wurde in Höhe von 35 Millionen DM bei dieser Gruppe abgeladen, wahrscheinlich deshalb, weil man wußte, daß hier artikulierte Gegenwehr am wenigsten zu erwarten ist. Die erneute Kürzung von Betreuungs- und Beratungsaufwendungen um 4 Millionen DM sowie die Reduzierung des Garantiefonds um 20 Millionen DM ist daher für uns völlig inakzeptabel.

    (Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Der Bundeskanzler, damals noch Oppositionsführer, hat im Jahre 1980 mit politisch kalkulierter Entrüstung die Latte aufgelegt, an der er sich heute messen lassen muß. Er hat damals gesagt - die Damen und Herren der Regierungsparteien sollten zuhören -:
    Eine Regierung, die einen Schuldenberg in dieser gigantischen Höhe auftürmt, muß sich die Frage gefallen lassen, ob sie nicht dabei ist, unserer Jugend das Recht auf ihre Zukunft zu nehmen und sich am Selbstbestimmungsrecht späterer Generationen zu versündigen.
    Hört! Hört!, muß man da sagen. Angesichts der Bilanz Ihrer Regierungszeit müßte Ihnen eigentlich die Schamesröte ins Gesicht steigen.

    (Beifall bei der SPD und der PDS)

    1980 betrug die Neuverschuldung 27,6 Milliarden
    DM. Im laufenden Haushalt 1997 sind es 71,2 Milliarden DM, und immer noch stehen zu Beginn des
    neuen Ausbildungsjahres Zehntausende von jungen Menschen unversorgt auf der Straße. Das sind junge Menschen, Frau Nolte, von denen Sie hier vor 20 Minuten gesagt haben, daß Sie ihnen unbedingt Lebensperspektiven zur Verfügung stellen möchten.
    Welche Folgen die hilflosen Appelle der Bundesregierung an die Wirtschaft haben, hat die Kollegin Hanewinckel ausgeführt. Ich will mir das wegen der Kürze der Zeit ersparen.
    Die Shell-Jugendstudie hat nicht nur in bedeutender Klarheit diagnostiziert, daß die gesellschaftliche Krise die Jugend und bereits auch die Kinder erreicht und zu massiven Zukunftsängsten geführt hat. Sie hat auch eine erschreckende Entfremdung von den Institutionen der Demokratie aufgedeckt.
    Wenn verdienstvolle Organisationen wie Greenpeace oder Amnesty International in der Gunst der jungen Menschen ganz oben rangieren, dann mag das zunächst optimistisch stimmen. Parlament, Regierung und Parteien jedoch am anderen Ende der Skala notiert zu sehen, verlangt nach einer Antwort.
    Vor diesem Hintergrund ist es unverantwortlich, im Kinder- und Jugendplan des Bundes ausgerechnet bei der politischen Bildung sowie bei den Jugendverbänden eine Stagnation zu verordnen. Die demokratiestabilisierende Arbeit der Bildungsträger sowie die demokratische Selbstorganisation der Verbände werden damit endgültig in die Lähmung geführt.
    Ihre Sonntagsappelle, Frau Ministerin Nolte, sollen vermuten lassen, daß es sich bei der immer schärferen Benachteiligung großer Gruppen unserer Gesellschaft sozusagen um eine Form höherer Gewalt handelt. Das ist falsch. Es dokumentiert nicht nur Ihre Hilflosigkeit, sondern leider auch Ihre Verantwortungslosigkeit.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Die Instrumente einer präventiven und ausgleichenden Familien- und Jugendpolitik liegen in Ihrer Hand. Nutzen Sie sie, und regieren Sie!
    In der vorliegenden Fassung ist dieser Haushalt nicht nur ein Dokument für die fachpolitische Ratlosigkeit, sondern auch für Stillstand und Agonie der Koalition. „Nichts geht mehr" in Bonn, hat der „Spiegel" jüngst festgestellt. Dies gilt in besonderem Maße für die Querschnittaufgabe, für die Frau Nolte verantwortlich zeichnet.
    Ich fordere Sie eindringlich auf, Frau Ministerin, dieses Zahlenwerk und damit Ihre gesamte Arbeitsgrundlage für 1998 zu überarbeiten. So werden wir diesen Regierungsentwurf nachdrücklich ablehnen.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)