Rede von
Rosel
Neuhäuser
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wenn die Jugend in unserer Gesellschaft eine Perspektive hätte, bräuchten wir uns nicht über solche Fragen wie Jugendkriminalität und über andere Dinge in diesem Kontext zu verständigen.
Auch im Haushalt 1998 bleibt wie in den vergangenen Jahren die Kinder- und Jugendpolitik, die Frauen-, Familien-, Alten- und Behindertenpolitik der Bundesregierung eine Politik der Randgruppen, die in den Waigelschen Haushaltslöchern nahezu untergeht. Frau Nolte, Sie haben vorhin gesagt, um wieviel Prozent Ihr Haushaltstitel gekürzt wird, nämlich im Durchschnitt um 2,5 Prozent.
Ich finde schon fatal, daß der Titel für die Jugendpolitik zum Beispiel im vergangenen -Jahr um über
Rosel Neuhäuser
10 Prozent und in diesem Jahr schon wieder um knapp 4 Prozent gekürzt wurde.
Kürzungen, Einschränkungen, Umschichtungen und sogar geringfügige Mittelerhöhungen in Einzeltiteln, was Herr Waigel und Frau Nolte einen gelungenen Sparhaushalt nennen, ist lediglich der Versuch, grundsätzlich falsche Schwerpunkte und eine ganze Liste von Versäumnissen der Bundesregierung notdürftig zu kaschieren.
Die kleinen Anhebungen bzw. geschickten Umverteilungen im Haushalt des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend täuschen aber nicht darüber hinweg, daß die Bundesregierung und mit ihr die zuständige Ministerin zentrale Probleme des gesellschaftlichen Wandels verkennt und dringenden Handlungsbedarf ignoriert. Das haben meine Vorredner hier schon zum Ausdruck gebracht.
Folgerichtig bleibt jede notwendige Kurskorrektur aus. Deutlich wird auch: Die Bundesrepublik bleibt eine gespaltene Gesellschaft, gespalten in Arm und Reich, Vermögende und Nicht-Vermögende. Immer mehr junge Menschen besitzen faktisch nichts - keinen Ausbildungsplatz, keinen Job, kein Einkommen, kein Vermögen. Das Beschämende daran ist die Tatsache, daß Bundesregierung und Koalitionsparteien Augen und Ohren vor diesen Realitäten verschließen. Das hat auch die Debatte zum Haushalt des Ministeriums von Herrn Rüttgers deutlich gemacht.
Ungeachtet aller unermüdlichen Beteuerungen werden auch für 1998 weitere soziale Ungerechtigkeiten zementiert. Als kinder- und jugendpolitische Sprecherin der Gruppe der PDS empört es mich außerordentlich, wie sich die Bundesministerin Frau Nolte mit dem Einzelplan des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am Sparwettbewerb beteiligt - mag der Etat auch noch so klein sein - und ihn dem zügellosen Rotstift von Herrn Waigel jedes Jahr aufs neue preisgibt. Kraftvolles Gerede - wie Sie, Frau Nolte, es vorhin in Ihrer Begründung des Einzelplans 17 wieder vorgebracht haben -
über die Werte der Familie, die Hochachtung vor dem Alter, die Verantwortung für die Kinder und die Jugend, für Frauen und Behinderte, Ausländerinnen und Ausländer wird so eindeutig ad absurdum geführt.
Die Situation im Jugendbereich zeigt beispielhaft, wohin eine solche Politik führt. Seit Jahren delegiert der Bund immer mehr Verantwortung auf die Kommunen, ohne dafür Sorge zu tragen, daß die Kommunen mit entsprechenden finanziellen Mitteln ausgestattet werden. Vor dem Hintergrund immer knapper werdender Ressourcen brechen dort bei der Erstellung der Haushaltspläne erbitterte Verteilungskämpfe aus. Bevorzugte - weil scheinbar disponible - Einsparbereiche in kargen Zeiten sind immer wieder die Jugendhilfe und insbesondere die Jugendarbeit. Hier wird oft nach dem Rasenmäherprinzip pauschal gestrichen. Aktive, zukunftsbezogene Entwicklung und Gestaltung von Jugendhilfe und Jugendarbeit sind aber unter dem Handikap kurzfristiger, ungesicherter und auf Bestandsabbau ausgerichteter Finanzausstattung nicht denkbar. Hier werden rechtliche Grundsätze aus dem KJHG eindeutig unterlaufen. Mehr noch: Es zeichnet sich eine weitere Aushöhlung des Grundgesetzes ab, weg von der Sozialpflicht des Eigentums, hin zum Ausverkauf des öffentlichen Eigentums und zu stetiger Neuverschuldung.
Lassen Sie mich noch kurz ein Wort zu den Kürzungen bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Kinder- und Jugendbereich sagen. Frau Nolte, Sie wissen genau, daß die Chancen für eine langfristige und kontinuierliche Kinder- und Jugendarbeit, besonders in den neuen Bundesländern, sehr schlecht stehen. Die Ursachen dafür liegen darin, daß die Kinder- und Jugendarbeit eben vorrangig über ABM und § 249 h AFG finanziert wird. Das heißt, die Mittel für die Personalkosten in diesem Bereich kommen nicht aus den Jugendhilfehaushalten der Kommunen, sondern aus Mitteln des Bundes und des Landes. Jeder hier weiß, daß diese Quellen in Zukunft versiegen werden. Als Gruppe der PDS fordern wir deshalb eine langfristige, kontinuierliche Finanzierung von Arbeit im Kinder- und Jugendbereich durch Regelfinanzierung statt ABM und die zusätzliche Einrichtung eines Fonds für die Arbeit im Kinder- und Jugendbereich.
Außerdem brauchen wir neue Finanzierungmodelle, wie zum Beispiel Jugendfördertöpfe mit Langzeitcharakter, oder auch Experimentiertöpfe, mit denen Ideen von jungen Menschen und Kindern schnell realisiert werden können.
Wir fordern gerechte Verteilungsmodalitäten für die Ausstattung freier und öffentlicher Träger, um die Vielfalt vor allen Dingen vor Ort zu erhalten.
Frau Nolte, ich möchte Sie auch heute noch einmal daran erinnern, daß Sie endlich Ihr Versprechen einlösen sollten, die Regularien für die Fördermittelbeantragung und die Fördermittelvergabe zu vereinfachen und handhabbarer auch für kleine freie Träger zu machen.
Eine Bemerkung zum Schluß: Die Bundesregierung behauptet immer wieder, daß der Sozialismus auch wegen seiner unrentablen Vollbeschäftigung untergegangen ist. Ich denke, Sie sollten sich auch darüber Sorgen machen, daß das marktwirtschaftliche System an seinem überrentablen Mangel an bezahlter Beschäftigung zusammenbrechen könnte.
Vielen Dank.