Rede von
Rita
Grießhaber
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es war ja schon nicht berauschend, was die Regierung zu Beginn dieser Legislaturperiode für die Familien und die Frauen angekündigt hat. Bei der vagen Formulierung, daß sie sich für eine kinder- und familienfreundlichere Gesellschaft einsetzen will, war schon zu befürchten, daß nicht viel Konkretes dabei herausspringen würde.
Immerhin wollte der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung die Arbeit der Familien finanziell besser anerkennen. Ein ganz besonderes Lob und Anerkennung sprach er den „Müttern und Vätern, die ja zu Kindern sagen und ihnen Geborgenheit und Zukunft schenken" aus.
Viel Lob, wenig Geld: In diesen drei Jahren sind zu den mageren Versprechungen noch etliche Kürzungen hinzugekommen. Frau Nolte, wir alle wissen, daß der finanzielle Spielraum äußerst gering ist. Auch wir haben nicht erwartet, daß Sie ein Füllhorn von Wohltaten ausschütten könnten und würden. Aber was Sie uns geboten haben, zeigt neben Unfähigkeit einfach auch Unwillen, auf gesellschaftliche Veränderungen einzugehen, weil Sie oder Ihr Kabinett immer noch in veralteten Vorstellungen verhaftet sind.
Sie haben Kürzungen in einem Bereich beschlossen, die für die Betroffenen zynisch sind und Ihrer eigenen Ideologie Hohn sprechen: bei den Müttern. Ich nenne dafür drei Beispiele: Sie haben die Lohnfortzahlung für die Schwangeren gekürzt. Sie haben - Herr Seibel hat es beklagt - die Mittel für die Bundesstiftung Mutter und Kind gekürzt. Schließlich schränken Sie den Bezug von Erziehungsgeld und Arbeitslosenhilfe ein; das tritt zum 1 Januar nächsten Jahres in Kraft.
Frau Ministerin, Sie wollten in besonderem Maße die Vereinbarkeit von Beruf und Familie fördern. Waren Sie sprachlos, als Ihr Kollege Blüm die Zumutbarkeitsregelungen für die Arbeitswege erhöht hat, oder ist Ihnen nur entfallen, wie die Öffnungszeiten in einem deutschen Regelkindergarten aussehen?
Nein, meine Damen und Herren, diese Regierung will angesichts der wachsenden Arbeitslosenzahlen einfach nicht mehr Frauen auf dem Arbeitsmarkt und Mütter schon gar nicht. Da sie nicht weiß, wie es vorwärtsgeht, versucht sie es mit einer Rolle rückwärts. Es wird zwar nicht explizit ausgesprochen, daß sich die Frauen doch lieber wieder aufs Kinderzimmer beschränken sollten, statt auf den Arbeitsmarkt zu drängen. Den Frauen wird die Formel von der Vereinbarkeit von Beruf und Familie vorgebetet, und gleichzeitig werden die Rahmenbedingungen dafür verschlechtert.
In der Familienpolitik war es schon abenteuerlich, wie Sie sich beim Kindergeld gewunden haben. Es war nicht Ihre Idee, nein, die Familien mußten sich vor dem Bundesverfassungsgericht erstreiten, daß Sie das Kindergeld in den Familienleistungsausgleich umgestaltet haben. Aber wir wissen doch, daß es noch längst nicht ausreicht. Daß es in 14 Jahren einer christlich-liberalen Regierung dazu gekommen ist, daß in dieser Republik Kinder zum Armutsrisiko Nummer eins geworden sind, ist eine Schande.
Tun Sie doch bitte nicht so, als wäre alles nur eine Frage des Geldes. Das ist es auch; aber es ist genauso eine Frage der Prioritäten, die man politisch setzt. Wir haben es mit unserem Steuerkonzept und mit einem einheitlichen Kindergeld von 300 DM für jedes Kind gemacht.
Aber Sie verweigern nicht nur die finanzielle Anpassung beim Erziehungsgeld - die Kollegin Hanewinckel hat es schon ausgeführt -; auch dort, wo es nicht ums Geld geht, beim sogenannten Erziehungsurlaub zum Beispiel, sind Sie nicht bereit, die Weiterentwicklung zu einem flexiblen Zeitkonto in Angriff zu nehmen. Das ist primär eine ideologische Frage. In Ihren Vorstellungen gehört die Mutter die ersten drei Jahre ins Haus, basta!
Wir wollen, daß die Eltern flexibler auf die Bedürfnisse ihrer Kinder und auf die Anforderungen der Gesellschaft reagieren können, und bieten mit dem Zeitkonto eine bedarfsgerechte Lösung dafür.
Da die Vereinbarkeit von Beruf und Familie immer noch auf dem Rücken von Frauen funktioniert, ist auch zu fragen, was denn aus dem Kanzlerwort bei der Regierungserklärung wurde, wo er es auch als Aufgabe des Staates beschrieben hat, nicht die Familien der Arbeitswelt, sondern die Arbeitswelt den Familien anzupassen.
Ich nehme an, er hat dabei nicht einmal an sein eigenes Haus und an seine Vorbildfunktion für die Gesellschaft gedacht. Wie sonst können Sie uns erklären, warum diese Regierung ihr eigenes Gleichberechtigungsgesetz nicht umgesetzt hat? Dabei haben Sie sich mit diesem Gesetz ein Instrument zur Frauenförderung maßgeschneidert, das sich in lauter
Rita Grießhaber
Möchte-, Könnte-, Sollte-Vorschriften erschöpft, das keinerlei verbindliche Vorgaben kennt, und haben noch nicht einmal dies in Ihren Ministerien umgesetzt.
Was die Regelung der Arbeitszeiten in den einzelnen Ministerien betrifft, scheint die Vereinbarkeit von Beruf und Familie auch nicht im Vordergrund. Wie sonst hätte sich der Petitionsausschuß mit dieser Frage befassen müssen, weil es für die Frauen nicht ausreicht?
Mit diesem Unwillen und dieser Unfähigkeit - das ist das Bittere - demonstrieren Sie der Wirtschaft eindrücklich, welchen Wert die berufliche Förderung von Frauen bei Ihnen hat.
Meine Damen und Herren, die Familien werden von dieser Regierung zunehmend im Stich gelassen. Sie leisten Hervorragendes, und zwar trotz aller Schwierigkeiten, und sie haben es nicht verdient, daß ihnen zunehmend die Schuld an der zunehmenden Kinder- und Jugendkriminalität zugewiesen wird. Sie brauchen mehr als symbolische Politik, die sich in Preisverleihungen und Studien erschöpft.
Die Frauen sind flexibel wie nie zuvor und zahlen zu einem großen Teil den Preis für den sozialen Kitt dieser Gesellschaft. Es ist höchste Zeit, daß ihr vielseitiges Engagement in ihrem gesellschaftlichen und politischen Einfluß endlich seine Entsprechung findet. Es reicht nicht, sie zu befragen.
Nicht nur das: Wenn die Politik nicht in der Lage ist, die zunehmende Individualisierung in allen sozialen Sicherungssystemen zu berücksichtigen, werden Mütter, Kinder und Jugendliche zu den größten Verlierern dieser Gesellschaft.
Während wir einen immer größeren Schuldenberg anhäufen, betreibt Ihre Politik den Ausstieg aus all den Strukturen, die Kinder schützen und stärken und ihnen echte Perspektiven bieten. Das ist unverzeihlich.
Vielen Dank.