Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Etat des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erfaßt nur einen sehr geringen Teil der familienpolitischen Realität und Probleme in unserer Gesellschaft.
Ich denke, es ist wichtig, daß wir in den anstehenden Beratungen der Ausschüsse darauf achten und uns bewußt sind, daß immaterielle Themen notwendigerweise im Zusammenhang mit hier zu diskutierenden materiellen Fragen angesprochen werden müssen.
Ich bin erfreut darüber, daß die Entscheidung zur Gründung einer Familie bei jungen Menschen so deutlich und stark zugenommen hat. Noch vor wenigen Jahren gab es Anlaß, sehr ernsthaft über Tendenzen zur Auflösung der Familie nachdenken zu müssen. In allen Umfragen nach dem eigenen Lebensziel steht bei Jugendlichen der Wunsch nach einer Familie obenan. Aber es gilt leider auch festzustellen, daß jede dritte Ehe nach wenigen Jahren in Scheidung endet.
Weil diese Meinung so deutlich hervortritt und der Wunsch, eine Familie zu gründen, so klar ist, sind wir aufgefordert, uns im Steuerrecht, im Wohnungswesen, bei den Einrichtungen der sozialen Betreuung und Fürsorge mit der Frage zu beschäftigen, ob die Rahmenbedingungen, in denen Familiengründungen geschehen, den Bedürfnissen entsprechen.
Eine familienpolitische Generaldebatte über all diese Inhalte können wir hier heute leider nicht führen. Aber ich denke, es ist gut, wenn wir die Notwendigkeit artikulieren und jeder für sich selbst im Hinterkopf behält, daß die Fragen aus den hier angesprochenen Themenkreisen unauflöslich zu den zu diskutierenden Haushaltstiteln hinzugehören.
Ebenso wichtig wird es sein, den Diskussionsprozeß über die Wechselbeziehungen zwischen Kindern und Gesellschaft, über das Verhalten des einen gegenüber dem anderen, wachzuhalten. Das altbekannte Schild „Kindern ist das Spielen auf dem Rasen verboten!" gehört noch nicht der Vergangenheit an. Vergleichbare Sachverhalte lassen sich in beliebiger Reihenfolge und Menge mit immer schlimmeren Pressionen aufzählen.
Aber es gilt auch, daß das Verhalten von Kindern untereinander und gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen rücksichtsloser, härter und leider auch gewaltbereiter geworden ist. Ich selber halte mich für eine stabile Mannsfigur, die unerschrocken dort steht, wo sie steht, und selten zurückweicht. Aber jugendliche Fußballfans im Zugabteil sind eine Erscheinungsform, die mir zumindest Zurückhaltung auferlegt. Die reine Angst bei anderen Reisenden ist deutlich zu spüren.
Natürlich gehören Erziehungsfragen in das Elternhaus. Aber ich denke, wir haben auch ein Recht, ei-
Wilfried Seibel
nen Beitrag auf gesellschaftliche Erziehung von der Schule einzufordern, die sich nicht darauf beschränken kann, Wissensvermittlung zu betreiben. Die Situation in den Schulen, auf den Schulhöfen und um die Schulen herum ist ein so deutliches Warnzeichen, daß man sich wünscht, daß Eltern, Verantwortliche in den Schulen und die Kultusministerien der Länder bei diesem Thema mehr Entschlossenheit an den Tag legen, als es bisher offensichtlich ist.
Eines wird in diesen Tagen allenthalben betont - ich will die Liste der berechtigten Mahnungen nicht unnötigerweise verlängern; aber ein Satz dazu gehört auch in diese Debatte -: Es ist der Appell, der hier schon von jedem Redner angeführt wurde, an alle, die dafür Möglichkeiten bieten können, allen Jugendlichen eine Chance auf einen Ausbildungsplatz zu geben. Wer gesellschaftlich einfordert, daß nur eine gute Schulbildung die Grundlage für eine gesicherte berufliche Laufbahn sein kann, darf junge Menschen nicht enttäuschen, wenn sie nach Abschluß der Schule einen Ausbildungsplatz suchen.
Als Mittelständler sage ich aber ebenso deutlich: Der Appell an die Wirtschaft, Ausbildungsplätze bereitzustellen, muß mit der ernsthaften Bereitschaft einhergehen, im dualen System Ausbildungswege zu verschlanken und von unnötigem Ballast zu befreien. Ich kann Handwerksmeister sehr gut verstehen, die weniger Ausbildungsplätze bereitstellen, wenn ihnen die örtliche Berufsschule klarmacht, daß die Schulstunden nicht an einem Berufsschultag vermittelt werden können, sondern daß der Auszubildende zum Beispiel zur Ableistung von zwei weiteren Schulstunden an einem weiteren Tag in die Berufsschule kommen muß.
Daß eine solche nicht bewältigte Stundenplanproblematik die Frage nach der Zeit der Abwesenheit im Betrieb provoziert, sollte auch den Schulen klar sein.
Frau Kollegin Hanewinckel, lassen Sie mich das sagen: Wenn Sie eben gesagt haben, diese Problematik sei eindeutig Schuld der Regierung und der Wirtschaft, kann man sich nur wundern, daß das so einfach sein soll. Ich halte Ihnen entgegen: So ist das nicht. Die Gründe sind diffiziler, und wir alle müssen auf allen Ebenen daran arbeiten.
Daß Kinder und Jugendliche in ihrer Freizeit erheblichen Gefährdungen ausgesetzt und Gegenstand zum Teil ekelerregender Geschäftemacherei sind, sollte nicht unerwähnt bleiben. Die Gemeinden, die Verbände, die Sportvereine, die Kirchen und andere gesellschaftliche Gruppen sind weiterhin aufgefordert, ihren großen Anteil am außerschulischen Angebot für die Freizeit von Kindern und Jugendlichen zu leisten. In diesem Zusammenhang sind Sie, Frau Ministerin Nolte, wie auch der Finanzminister, vertreten durch die Staatssekretärin, lobend zu erwähnen, daß im Kinder- und Jugendplan im Haushalt 1998 die Höhe der Mittel erhalten geblieben ist, die auch 1997 gewährt wird.
Ein gravierendes Problem für junge Familien ist die Suche nach einer passenden Wohnung oder der Erwerb eines preiswerten eigenen Hauses. Das Preisniveau, das sich beim Einfamilienhausbau als marktüblich eingependelt hat, stellt für die meisten jungen Familien nicht mehr leistbare Größenordnungen dar. Zinsen und Tilgungen, die darauf anfallen, sind schlicht und ergreifend nicht zu verdienen.
Die Bemühungen des Bundesministers Töpfer sind zu unterstützen, der sich intensiv bemüht, zusammen mit der Bauwirtschaft und der Wissenschaft Vorschläge und Initiativen für dem Bau preiswerter Einfamilienhäuser durchzusetzen.
Aber auch Städte und Gemeinden sind aufgefordert, preiswertes Bauland zur Verfügung zu stellen und sich nicht durch Baulandvorratserwerb als Makler zu betätigen und ihre Stadtsäckel durch ordentliche Aufschläge auf billig erworbenes Land, das dann als teures Bauland weiterverkauft wird, aufzubessern.
Die materielle Situation junger Familien hat sich gegenüber nicht verheirateten Paaren leicht verbessert. Ich persönlich meine, der Abstand ist nicht groß genug und weitere Verbesserungen sind einzufordern.
Nicht unerwähnt bleiben darf an dieser Stelle, daß dem in diesem Einzelplan etatisierten Erziehungsgeld große Bedeutung dafür zukommt, daß sich Ehepaare für Kinder entscheiden und ihnen diese Entscheidung erleichtert wird. Leider - ich habe das eingangs erwähnt - steht dem starken gesellschaftlichen Trend zur Familie die Tatsache gegenüber, daß ein Großteil der Ehen bereits nach wenigen Jahren geschieden wird. Wir werden voraussichtlich noch in diesem Monat im Deutschen Bundestag das Kindschaftsrechtsreformgesetz, das Beistandsgesetz und das Erbrechtsgleichstellungsgesetz verabschieden. Ich bin sicher, wir sind einig darin, daß diesen Reformen große Bedeutung zukommt und daß ihre Umsetzung die Chance vergrößert, Störungen, die zur Trennung führen, beseitigen zu helfen bzw. Trennungsfolgen zu mildern.
Sie werden es mir nachsehen, wenn ich mich in einem so kompetenten Umfeld wie dem der übrigen Kolleginnen Berichterstatterinnen dieses Einzelplans, der Ministerin und der auch zumeist weiblichen Mitglieder des Ausschusses zu Fragen der Frauenpolitik enthalte und ohne Umschweife zu ein paar Aspekten der Jugend- und Seniorenpolitik komme. Meinungen habe ich zu diesem Thema schon; keine Sorge.
Da es zum eingeübten Chor der gesellschaftspolitischen Stimmung gehört, daß Gefahren für die Jugend und unglaubliche Dinge, die von der Jugend ausgehen, immer wieder beklagt werden, ist es auch einmal geboten, in einer Debatte wie dieser zu
Wilfried Seibel
sagen, daß wir stolz auf die Jugendlichen in unserem Lande sein können.
Sie sind gut gebildet, tolerant, weltgewandt, international erfahren, mobil und überaus selbstbewußt. Wenn in dieser Woche im Deutschen Bundestag so vielstimmig das Leid geklagt wird, was in diesem Lande alles nicht gelungen ist, will ich versuchen, wenigstens ein dünnes Stimmchen dagegenzuhalten, und zu sagen: Die deutschen Jugendlichen sind ihren Eltern, den Schulen und ihrem sozialen Umfeld gelungen, müssen keinen Vergleich scheuen, sind leistungsbereit. Es wäre zu wünschen, daß diese Leistungsbereitschaft - wie zuletzt beim Hochwasser an der Oder - öfter eingefordert wird.
- Haben Sie Geduld. - Wenn dies nicht in Überforderung endet, bin ich sicher, daß die Jugendlichen jederzeit bereit sind, ihren Beitrag zur Weiterentwicklung der Gesellschaft zu leisten, wie es zum Beispiel in Bundeswehr und Zivildienst geschieht.
Gleichermaßen haben wir eine gesunde, mit größerem Wohlstand als vorher versehene, überaus mobile, selbstbewußte Generation von Senioren, die nach Pensionierung und Renteneintritt, ebenso wie ich es gerade von den Jugendlichen gesagt habe, in dieser Gesellschaft soviel Gutes leisten, daß man das nicht oft genug erwähnen kann. Weil viele von ihnen sich nach einem Berufsleben weiterhin engagieren, ist die Gesellschaft auch in der Pflicht, denjenigen, die im Alter durch Krankheit von der Gesellschaft isoliert und in vielen Fällen sehr einsam sind, beizustehen und dafür Sorge zu tragen, daß ältere Menschen auch bei Krankheit mit Würde, in Gemeinschaft und mit guter Versorgung leben können. Die Einführung der Pflegeversicherung hat sich bewährt.
Auf den gesellschaftspolitischen Feldern für Jugend, Frauen, Senioren und Familie ist die Situation nicht so schlecht, wie sie zuweilen dargestellt wird. Ganz im Gegenteil: Sie ist besser. Dennoch, es gibt eine Fülle von Themen, die der Regelung bedürfen. Ich hoffe, daß diejenigen, die sich dieser Fragen in diesem Parlament - leider an verschiedenen Stellen - annehmen, weiterhin intensiv bemüht sind, aktuelle Probleme lösen zu helfen.
Zum Etat des Ministeriums möchte ich an dieser Stelle drei Wünsche anmelden:
Erstens. Die Zahl der Zivildienstleistenden ändert sich von Jahr zu Jahr; das ist logisch. Gleichwohl haben die Zivildienstleistenden Anspruch darauf, daß die Verwaltung ihrer Tätigkeit durch das Bundesamt in einer Qualität geschieht, daß sie sich vom Staat angenommen und nicht abgelehnt fühlen. Ich wäre dankbar, wenn alle Parteien in den Ausschußberatungen mit dazu beitragen könnten, daß Stellen aus dem Innenministerium - dort gibt es noch ein paar überschüssige - nach dort umgesetzt werden können, um die Arbeitsbelastung im Bundesamt für den Zivildienst mildern zu helfen.
Zweitens. Das Ministerium leistet Zahlungen an Zuwendungsempfänger, 29 an der Zahl, 60 Millionen DM. Ohne die Arbeit, die dort geleistet wird, im Einzelfall abwerten oder kritisieren zu wollen, geht mein Appell an das Ministerium, aber auch an die Zuwendungsempfänger, dafür Sorge zu tragen, daß sehr darauf geachtet wird, daß von einer gegebenen Mark für den Zuwendungszweck nicht große Prozentsätze in der Verwaltung des Empfängers stekkenbleiben.
Schlanke Verwaltung und Abbau von Personalüberhängen dürfen auch bei den Zuwendungsempfängern keine Fremdwörter sein. Ich hoffe sehr, die zuständigen Stellen des Ministeriums werden hier mit der gleichen Intensität die Dinge in der Diskussion halten und ändern, wie sie es im eigenen Hause notwendigerweise tun wollen oder schon tun.
Drittens. Die Zuständigkeit für die Spracherziehung der Aussiedler ist heute verteilt auf vier Bundesministerien: das Arbeitsministerium, das Innenministerium, das Forschungsministerium und das Familienministerium. Ich denke, es ist an der Zeit, gerade bei sinkenden Aussiedlerzahlen, die Beratungen darüber aufzunehmen, wie Dinge vereinheitlicht werden können, wie Kosten eingespart werden können und gleichzeitig eine bessere und vor allen Dingen vereinheitlichte Spracherziehung für Aussiedler, insbesondere für jugendliche Aussiedler, im Herkunftsland sowie bei Ankunft sichergestellt wird.
Die Aspekte der sozialen Integration müssen stärker einbezogen werden.
Ich glaube, wir sollten vom Parlament aus diese Initiative ergreifen und schon jetzt Sorge dafür tragen, daß sich die Dinge im Haushalt 1999 effektiver darstellen. Die angesprochenen Ministerien werden es mir nachsehen, wenn ich glaube, daß das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gut geeignet ist, diese Arbeit konzentriert leisten zu können.
Weil zu einer Haushaltsdebatte auch ein paar Zahlen gehören, noch die wenigen zum Schluß: Die Minderausgaben im Einzelplan 17 für 1998 gegenüber 1997 in Höhe von 322 Millionen DM beziehen sich im wesentlichen auf die gesetzlichen Leistungen. Im Zivildienst sind es 40 Millionen DM weniger wegen der angepaßten Zahlen der Zivildienstleistenden. Beim Kindergeld sind es 213 Millionen DM weniger wegen Auslaufens der alten Kindergeldregelung. Beim Unterhaltsvorschuß sind es 30 Millionen DM weniger wegen Anpassung an den tatsächlichen Bedarf. Schließlich - ich bedauere das sehr; das ist eine bittere Pille, die wir hier schlucken sollen, vielleicht nicht schlucken müssen - sind es bei der Stiftung Mutter und Kind 20 Millionen DM weniger wegen
Wilfried Seibel
Zurückführung auf die im Gesetz vorgesehene Einlage.
Kürzungen, das ist oft gesagt worden, sind leider auch für diesen Haushalt notwendig. Die Art und Weise, wie sie im Einzelplan 17 umgesetzt worden sind, wird dem Stellenwert der Familienpolitik gerecht. Eine Beschädigung in Leistungssubstanz und Leistungsstruktur ist nicht verursacht.
Herzlichen Dank.