Rede von
Dr.
Ludwig
Elm
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorgelegte Haushalt, aber auch die ihm zugrundeliegenden oder ihm fehlenden Gedanken bestätigen die in den vergangenen Tagen bereits mehrfach zitierte Einschätzung des Altbundespräsidenten von der Ideen- und Konzeptionslosigkeit dieser Bundesregierung nachdrücklich.
Ein Musterbeispiel für die Ideenlosigkeit, aber auch für den Versuch, betriebswirtschaftliches Denken am falschen Ort und am ungeeigneten Objekt einzuführen, sind die von Dr. Rüttgers auf der Jahresversammlung der Hochschulrektorenkonferenz im April vorgetragene und heute prinzipiell bekräftigte Todeserklärung für die Humboldtsche Universitätsidee und der Versuch ihrer Ersetzung durch ein betriebswirtschaftliches Optimierungskalkül, das vom Bundesminister anmaßend und irreführend „Hochschulreform" genannt wird. Der Minister hat off en-bar bemerkt, daß bei der Abwicklung an der Humboldt-Universität Anfang der 90er Jahre der Namenspatron dieser Berliner Hochschule übersehen worden ist. In seinem Ehrgeiz will er das jetzt nachholen.
Irgendwie ist die Relegation Wilhelm von Humboldts aber auch folgerichtig. Seine Ideen der Vereinigung der verschiedenen Disziplinen, der Universitas litterarum, der Einheit von Forschung und Lehre und der Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden hatten auch einen emanzipatorischen Zug. Ihm lag in bestimmter Weise auch ein geschichtsoptimistisches Menschen- und Gesellschaftsbild zugrunde.
Wenn man solche und weitere Stichworte nennt, ist es nicht allzu überraschend, wenn man feststellt: In der heutigen offiziellen Politik gibt es sehr wohl den Ansatz, sich von solchen Politiktraditionen zu verabschieden. Das hieße, die Fortentwicklungsfähigkeit der Humboldtschen Universitätsidee auch in bezug auf ihren emanzipatorischen Ansatz für unsere Zeit zu leisten. Das heißt damit auch, Zugänge zu finden für die Jugend, für Angebote, die wirklich zukunftsträchtig sind.
Leistungen in Forschung und Lehre zu privatisieren, sie vor allem nach dem Marktwert zu taxieren und an Meistbietende und Gruppen zu verkaufen ist ziemlich genau das Gegenteil jener Humboldtschen Leitidee.
Die bloße Ersetzung von Ideen durch ein betriebswirtschaftlich inspiriertes Maßnahmebündel von A wie Auswahlrecht bis Z wie Zugangshürden wiederspricht seiner Idee erst recht.
Es geht um strategische Weichenstellungen. Deshalb, glaube ich, ist im Vorfeld der Beratung einer Novellierung des Hochschulrahmengesetzes zu veranlassen, diese Fragen mit anzusprechen. Es könnte sehr wohl sein, daß Traditionen, Potentiale und Kulturinstitutionen beeinträchtigt werden, wobei die Korrekturen und die Rückkehr zu Bewährtem später überaus schwer werden könnten.
Insbesondere die politische Führung dieses Landes und dieses Ressorts, ihre Defizite an zukunftsgestaltenden Leitbildern sind verantwortlich dafür, daß die Potentiale an Wissenschaft und Bildung unzureichend für die Lösung der dringendsten Probleme eingesetzt werden, beispielsweise für solche Schlüsselfragen unserer Gesellschaft wie die Probleme hinsichtlich der Lebenschancen und -perspektiven der jungen Generation, der Zukunft der Arbeit als ein menschenrechtlicher Anspruch, der nachhaltigen und ökologischen wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten in unserem Land, der Völker Europas und der Welt, aber auch die Probleme des dauerhaften Abbaus der Ursachen und Triebkräfte von Rüstung, Spannungsherden und militärischen Konflikten.
Die Schlagworte von Exzellenz und Effizienz sind vor allem an Leistungen auf diesen Hauptfeldern zu
Dr. Ludwig Elm
messen. Die Begriffe „Eurofighter", „Transrapid" und Atomenergie" stehen umgekehrt für die destruktiven und kontraproduktiven Linien gegenwärtiger Forschungs- und Technologiepolitik.
Wie vieles aus dem Hause Rüttgers erweist sich auch die Hochschulreform bzw. die absehbare Novellierung des Hochschulrahmenrechts vorwiegend als Etikettenschwindel. Positiv formuliert heißt das, daß auf eine Sammlung von Einzel- und Ersatzteilen ein Etikett geklebt wird, wobei unter den Einzelvorschlägen durchaus vieles legitim - wenn auch überfällig - ist und wir dies bei den künftigen Beratungen auch unterstützen können.
Das ändert nichts an unserer prinzipellen Kritik und Ablehnung der sich abzeichnenden HRG-Novelle, die im Kern die Umgestaltung der Hochschule zu einem Marktflecken zum Inhalt hat, die wichtige geistes-, bildungs- und kulturgeschichtliche Traditionen des deutschen höheren Bildungswesens aufgibt und damit vor allem die notwendige gesamtgesellschaftliche Kompetenz und Verantwortung für die Zukunft aufkündigt. Wir werden unsere Forderungen in einem Antrag einbringen und versuchen, möglichst mit anderen Kräften zusammen die Dinge in eine Richtung zu bewegen, die in einem höheren Maße den Namen „Reform" verdienen könnte.
Ich bekräftige die kritischen Aussagen dieser Tage zur Lehrstellensituation und erinnere an unsere früheren Initiativen auf diesem Gebiet. Ebenso erinnere ich daran, daß die Wissenschaftler der ehemaligen DDR, die aus dem Wissenschaftler-Integrationsprogramm und aus vielen anderen Maßnahmen Ende 1996 aus Arbeitsverhältnissen ausgeschieden sind, unverändert auf ihre Chance auf innovative und kreative Aufgaben warten.
Wir erhalten zunehmend Zeugnisse darüber, daß sich das, was mit „Umbau der Forschungslandschaft" beschrieben wird und in Teilbereichen mit positiven Entwicklungen verbunden ist, für viele effektiv als ein Schrumpfungsprozeß darstellt. Wenn es beispielsweise schon in dem Institut für Polymerforschung in Dresden, einem Institut, das sowohl von seinem Forschungsgegenstand als auch von der Qualifikation seines wissenschaftlichen Potentials und den Leistungen bei der Drittmittelwerbung gegenüber industriellen Partner zu jenen gehört, denen man eine Chance geben sollte, kritische und existentielle Fragen gibt, sind wir aufgerufen - das ist ein Appell dieses Institutes an uns im Parlament, an unseren Ausschuß -, entsprechende Anstrengungen neu zu unternehmen.
Zum Schluß: Das notwendige Umsteuern ist weniger eine Frage der Veränderung dieser oder jener Einzelpositionen des Haushaltes oder gar von Retuschierungsarbeiten. Damit kommen wir immer wieder auf dieselben Fragestellungen zurück. Es geht vor allem um eine grundsätzlich andere Politik und um Reformen, die diesen Namen verdienen, wie zum Beispiel vor knapp 200 Jahren die Reformen Wilhelm von Humboldts, die einen geschichtlichen Platz erlangt haben und deren progressive Leistungen nicht mehr bestritten werden.
Danke.