Herr Präsident! Graf Lambsdorff, wenn ich im Eifer des Gefechts „erbärmlich" gesagt habe, dann nehme ich das ausdrücklich zurück und sage: „Enttäuschend" war gemeint. Ich stehe überhaupt nicht an, solch einen Begriff nicht zu revidieren. Ich finde, Erbarmen haben Sie nicht nötig, Graf Lambsdorff. Das wäre falsch.
Aber nun zur Sache. Lassen Sie mich anfangen mit Herrn Schauerte, der ja von der SPD plötzlich redet, als ob sie der Mehrwertsteuererhöher sei. Ich kann mich eigentlich nur daran erinnern, daß der verehrte - hier hat Herr Kollege Fischer gesagt: „designierte Ex-Finanzminister" - Herr Waigel diese Debatte mit Freundlichkeiten hochgezogen hat und daß sie in Ihren Reihen auf das heftigste geführt worden ist, so daß sich der Kollege Westerwelle und der Kollege Gerhardt massiv dagegen wenden und den Bruch der Koalition antreten müßten. Das war doch das Sommertheater, oder war ich in irgendeinem Märchen? Wer hat das eigentlich gemacht?
Insofern, Herr Schauerte: Quatsch, daneben, sechs.
Das war die erste Bemerkung. Ich sage Ihnen aber noch zwei Dinge zu der Frage, was die Mittelständler denn tatsächlich von uns erwarten. Gehen Sie einmal zu den Händlern und fragen Sie sie doch mal, was das Wirtschaftsministerium mit der sechsten Kartellrechtsnovelle anrichten wird, was den Mittelstand und seine Chancen in der Zukunft angeht. Sie werden sehen, welche „Dankesbriefe" sie Ihnen schreiben und welche Bittbriefe sie uns schreiben, um für Unterstützung dafür zu sorgen, daß im Bereich des mittelständischen Handels auch noch eine Zukunft für die Restbestände bleibt, die angesichts des beschriebenen Prozesses noch da sind.
Dies ist eine wichtige Frage, über die wir zu reden haben. Im Zusammenhang mit dem Mittelstand haben wir über eine weitere wichtige Frage zu reden. Das ist nicht die Frage der Handwerksordnung - das ist auch eine wichtige Frage, aber nicht die allerzentralste Frage. Die wichtigste Frage ist: Welche Chancen eröffnen wir den mittelständischen Unternehmen
Ernst Schwanhold
eigentlich angesichts des gnadenlosen Verdrängungswettbewerbs gegenüber diesen Unternehmen? Das hat etwas mit Steuern zu tun. Das hat aber insbesondere etwas mit Technologietransfer zu tun, das hat etwas mit Marktzugangshilfen zu tun, und das hat etwas mit Orientierung an den Weltmärkten zu tun. Dazu erkenne ich keinen Ansatz. Dies habe ich an Beispielen des Haushaltes deutlich gemacht.
Nun, Graf Lambsdorff, eine letzte Bemerkung zu den konjunkturgerechten Lohnabschlüssen: Es ist richtig, daß in Ostdeutschland die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf Grund der Situation, die dort vorherrscht - hohe Arbeitslosigkeit, schlechter Zugang zu den Märkten, geringe Absatzchancen -, mit etwas Druck freiwillig auf einen Lohn verzichtet haben, der ihnen ein auskömmliches Leben unter Gleichheit der Lebensbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland ermöglichen würde. Damit haben sie einen großartigen Beitrag dazu geleistet, daß die Unternehmen, die sich dort selbständig gemacht haben, auch in Zukunft eine Chance haben.
Aber daß konjunkturgerechte Lohnpolitik natürlich auch etwas damit zu tun hat, daß die Produktivitätszuwächse verteilt werden und daß man nicht allzu weit entfernt bleibt von dem, was an Wertschöpfung zusätzlich in den Unternehmen gewonnen wird, ist auch klar. Wir hatten in den letzten Jahren Reallohneinbußen. Das ist ein Teil der Probleme, die wir haben; denn daraus resultiert keine Nachfrage.
Wenn Sie Menschen an anderen Stellen der Erde fragen, unter welchen Aspekten sie investieren, dann fragen die: Was ist mit dem Markt? Dann fragen sie: Was ist mit dem Humankapital, wie sind die Leute ausgebildet, was ist mit der Infrastruktur? Dann fragen sie: Was ist mit Shareholder Value oder mit Steuern? Das werden sie aber in dieser Reihenfolge fragen; die Steuern sind das letzte. Ich sage Ihnen: Wir haben in unserem Land eine Schwäche des Marktes. Wer soll eigentlich hier investieren, wenn der Markt völlig gesättigt ist und nichts mehr aufnimmt?