Rede von
Rolf
Schwanitz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundeswirtschaftsminister hat am 8. September 1997 in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" ein Programm marktwirtschaftlicher Erneuerung gegen Arbeitslosigkeit, Bürokratie und Verkrustung veröffentlicht. Über den Inhalt dieses Programmes mag man an anderer Stelle streiten. Für mich ist allerdings eines bezeichnend. Das Thema wirtschaftlicher Aufbau in den neuen Bundesländern kommt in diesem Artikel nicht vor. Ja, noch nicht einmal mit einem einzigen Wort kommen die neuen Bundesländer überhaupt in diesem Artikel vor. Sie werden nicht erwähnt. Ich halte das für symptomatisch.
Es ist geradezu eine Freudsche Fehlleistung, man könnte sagen: eine Freudsche Unterlassung. Sie cha-
Rolf Schwanitz
rakterisiert das Handeln dieses Ministers auf das typischste. Ich will das an einigen Punkten belegen.
Meine Damen und Herren, anstatt sich dafür einzusetzen, daß die Wirtschaftsförderung für die neuen Bundesländer im Jahre 1997 trotz der Haushaltssperre des Finanzministers unvermindert aufrechterhalten bleibt, läßt es Minister Rexrodt zu, daß diese absolut notwendigen Finanzmittel für die neuen Länder gegenüber dem Haushaltssoll um bis zu 30 Prozent gekürzt werden. Mit dieser unverantwortlichen Politik verschärfen Sie, Herr Minister Rexrodt, die Krise in den neuen Ländern. Wären Sie, Herr Rexrodt, ein Sachwalter ostdeutscher Interessen, dann hätten Sie an dieser Stelle beim Bundeskanzler mit dem Bruch der Koalition gedroht und nicht bei der Absenkung des Solidaritätszuschlags.
Nennen wir einige Beispiele aus dem Haushaltsentwurf Ihres Hauses, Herr Minister, aus denen klar wird, daß mit diesem Entwurf ostdeutsche Interessen abermals grob mißachtet werden.
Erstes Beispiel: Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur". Alle wissen, das ist eine der entscheidendsten Säulen der Wirtschaftsförderung in den neuen Bundesländern. Sie war notwendig. Auf mittlere Sicht bleibt sie existentiell notwendig, wenn der wirtschaftliche Aufbau in Ostdeutschland gelingen soll.
Doch was geschieht? Sie lassen es zu, daß die Mittel der Gemeinschaftsaufgabe in den nächsten drei Jahren mehr als halbiert werden. Praktisch wird die GA in den nächsten Jahren auslaufen. Sie soll quasi still liquidiert werden. Für Ostdeutschland ist dies jedoch eine reine Katastrophe. Das wissen auch alle.
Damit nicht genug! In den Sommermonaten fällt dem Bundesfinanzminister ein, er könnte ja diese stille Liquidation der GA noch beschleunigen, und er sperrt sich gegen die Auszahlung von 709 Millionen DM Fördermittel in den Jahren 1997 und 1998. Dem stellt sich der Bundeskanzler nicht in den Weg und erst recht nicht der Bundeswirtschaftsminister. Statt dessen wird ein Kompromiß ausgehandelt, den die Landesregierungen der neuen Länder zähneknirschend mitmachen mußten. Das Ergebnis ist völlig klar: Der unverantwortliche Kahlschlag bei der regionalen Wirtschaftsförderung wird beschleunigt. Sie, Herr Minister, lassen es zu, daß 1997 noch einmal 200 Millionen DM an Fördermitteln in der GA gekürzt und weitere 500 Millionen DM auf die nächsten Jahre gestreckt werden müssen.
Der Preis dafür liegt auf der Hand: ein milliardenschwerer Ausfall von Investitionen und eine erneute Verfestigung der Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern.
Zweites Beispiel: ökologische Erneuerung und Sanierung in den neuen Bundesländern. Der Bundeswirtschaftsminister hatte ursprünglich für die Altlastenfreistellung Verpflichtungsermächtigungen für 1998 in einer Höhe von 313 Millionen DM eingeplant und stellt nun in den Etat 1998 nur 116 Millionen DM ein. Das ist eine glatte Halbierung der Ansätze. Die Haushaltsansätze für die Wismut GmbH, die bekanntlich die höchst gefährlichen Altlasten des DDR- Uranbergbaus beseitigen muß, werden 1998 um 50 Millionen DM gekürzt. Was macht es für einen Sinn, die Beseitigung von ökologischen Altlasten zu verschieben, wenn dadurch diejenigen, die auf Grund dieser Tätigkeit noch Beschäftigung haben, gerade in benachteiligten Regionen, in die Arbeitslosigkeit entlassen werden und die infrastrukturelle Entwicklung beispielsweise in Ronneburg, in Aue, in Schlema oder in Königstein weiterhin verzögert wird und dort erneut Arbeitsplätze nicht entstehen können?
Von den Einschnitten bei der Sanierung von Braunkohlegebieten will ich an dieser Stelle gar nicht reden. Erneut werden bei diesem gesamten Komplex die ökologische Sanierung und das vitale Interesse des Ostens vernachlässigt, und es wird gegen Ostdeutschland entschieden.
Drittes Beispiel: Förderung von Forschung und Entwicklung in ostdeutschen Unternehmen. Wir wissen doch alle, wie wichtig Innovationen gerade im wirtschaftlichen Aufbauprozeß sind. Wenn die Wirtschaft in den neuen Ländern eine Zukunft haben soll, dann müssen wirkliche Chancen für die nächsten Jahre eröffnet werden; dann müssen ostdeutsche Unternehmen mit neuartigen Produkten und modernen Produktionsverfahren ihren eigenen Weg gehen können und auf internationalen Märkten Felder erobern. Dafür ist eine Wirtschafts- und Forschungspolitik notwendig, die die Innovationskraft der ostdeutschen Unternehmen entscheidend fördert und verbessert. Wir müssen aus Ostdeutschland die Innovationswerkstatt des Landes machen; das ist die Aufgabe.
Doch es geschieht zur Zeit das genaue Gegenteil: Die Hilfen für Forschung, Entwicklung und Innovationen werden zusammengestrichen. Es ist doch geradezu aberwitzig, die F-und-E-Hilfen des Bundeswirtschaftsministeriums wie das Programm „Marktvorbereitende Industrieforschung" oder die Personalkostenfinanzierung im laufenden Haushaltsjahr um 20 Prozent zu kürzen. Das ist purer Unsinn, und es zeigt, daß der Bundeswirtschaftsminister seiner Aufgabe einfach nicht gewachsen ist.
Wenn ich dann noch im Haushaltsentwurf des Jahres 1998 lese, daß die Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovationen im Osten von 525 Millionen DM im Jahre 1997 auf 470 Millionen 1998 gekürzt wird, dann bleibt man ob dieses Unverstandes schlicht und einfach sprachlos.
Rolf Schwanitz
Ein weiteres kleines, aber bezeichnendes Beispiel. Der Bundeskanzler sonnte sich am 1. September im Glanz der Eröffnung einer Messe, die die Vermarktung ostdeutscher Produkte verbessern soll. Gleichzeitig wird aber bekannt, daß die absatzfördernden Maßnahmen der Bundesregierung im nächsten Jahr um ein Drittel gekürzt werden sollen. So weit klaffen Wirklichkeit und Anspruch bei dieser Bundesregierung auseinander.
Meine Damen und Herren, vorgestern veröffentlichte die Bundesanstalt für Arbeit die Arbeitsmarktzahlen für den August. Sie sind für Deutschland insgesamt erschreckend, für Ostdeutschland sind sie jedoch katastrophal. Gegenüber dem Vorjahresmonat ist die Zahl der Arbeitslosen in den neuen Bundesländern im August 1997 um knapp 23 Prozent gestiegen.
Dieser Anstieg der Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland ist im wesentlichen, wenn nicht sogar überhaupt durch die Politik dieser Bundesregierung verursacht worden. Während die Bundesregierung einerseits der ostdeutschen Bauwirtschaft eine massive Schrumpfungskrise verordnet hat, wurden andererseits arbeitsmarktpolitische Maßnahmen radikal zusammengestrichen. Während die Anzahl der Teilnehmer an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen im August gegenüber dem Vorjahr um 241000 zurückgeschraubt wurde, stieg die registrierte Arbeitslosenzahl im gleichen Zeitraum um 257 000 Personen an.
Es ist also genau das eingetreten, was wir der Bundesregierung vor einem Jahr vorgeworfen haben.
Die Kürzungen bei arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen in den neuen Bundesländern haben direkt die Zahl der Arbeitslosen erhöht.
Der Anstieg der Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern innerhalb eines Jahres um fast ein Viertel ist das unmittelbare Resultat der Politik der Bundesregierung. Sie sind dafür verantwortlich. Dies ist die Wahrheit.
Meine Damen und Herren, seit über einem Jahr befinden sich die neuen Bundesländer in einer Krise. Es ist nicht nur eine konjunkturelle Krise, sondern es ist eine Krise des wirtschaftlichen Aufbaus überhaupt. Die Wachstumsraten der Wirtschaft liegen unter denen Westdeutschlands. Wir sind seit 1995 im zweiten Jahr mit kontinuierlich steigender Arbeitslosigkeit. Nach wie vor ist über ein Drittel der Arbeitsfähigen in den neuen Bundesländern ohne reguläre Arbeit - und dies mit wachsender Tendenz.
Das entscheidende Problem, vor dem Ostdeutschland steht und das die jetzige Bundesregierung verdrängt, lautet: Das bisherige Bündel an wirtschafts-, finanz- und arbeitsmarktpolitischen Instrumenten und Hilfen garantiert keinen weiteren entscheidenden Fortschritt mehr beim wirtschaftlichen Aufbau in den neuen Bundesländern.
Wir brauchen deshalb eine Neuorientierung des wirtschaftlichen Aufbaukonzeptes in Ostdeutschland, an dem Kapitalgeber, Unternehmensmanagement, Betriebsräte, Gewerkschaften, die öffentlichen Hände, die Europäische Union und die Bundesbank beteiligt werden müssen. Wir brauchen dazu eine umfassende Bilanz der bisherigen Förderpolitik, eine ungeschönte Bewertung der Förderinstrumentarien, eine schonungslose Aufdeckung von Fehlentscheidungen und Mißständen beim wirtschaftlichen Aufbau in Ostdeutschland.
Dazu ist diese Bundesregierung jedoch weder bereit noch in der Lage.
Wir brauchen deshalb einen politischen Neuanfang. Glauben Sie mir: Die Menschen im Lande, insbesondere in den neuen Bundesländern, spüren dies. Es ist deshalb Zeit für einen Wechsel.