Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist völlig klar, daß die Reden und gedruckten Texte zu den Haushaltsberatungen sich immer an den aktuellen Daten und Entwicklungen messen lassen müssen. Der Haushalt, so wird gesagt, sei in Zahlen gegossene Politik. Nimmt man dies zum Maßstab, so wird deutlich, wie sehr die Politik der Koalition gescheitert ist. 4,4 Millionen offiziell erwerbslos gemeldete Menschen sind allein Beweis genug.
Nichts deutet darauf hin, auch im Haushalt für 1998 nicht, daß es Signale für eine beschäftigungspolitische Trendwende gibt. Angesichts der Zahlen, die aus der Bundesanstalt für Arbeit gegeben werden, angesichts der Zahlen, die von verschiedenen Wirtschaftsforschungsinstituten zur Entwicklung der Arbeitsmarktlage gegeben werden, verstehe ich die Argumentation von Herrn Rexrodt überhaupt nicht, wenn er hier für 1997 eine Trendwende beschwört.
Festzustellen ist: Mit dem vorgelegten Entwurf für das Wirtschaftsministerium hat die unseriöse Haushaltspolitik eine neue Qualität erlangt. Kollege Weng beteuerte vorgestern, mit dem Haushaltsrechts-Fortentwicklungsgesetz würden die Rechte des Parlaments nicht grundsätzlich eingeschränkt. Ich kann jedoch bisher nur neue Schlupflöcher für Haushaltsakrobatik der Exekutive entdecken. Die ungedeckten Schecks von globaler Minderausgabe über „Effizienzrendite aus Ausgabenflexibilisierung" - man beachte die Kreativität bei der Wortschöpfung - bis zu über verschiedenste Etats gespreizten Ausgaben und fälligen, aber ungedeckten Verpflichtungsermächtigungen summieren sich im 16-MilliardenDM-Etatansatz von Minister Rexrodt bisher auf eine halbe Milliarde DM.
Für die Schaffung von Ausbildungsplätzen sind 224 Millionen DM eingeplant, 44 Millionen DM im Haushalt von Herrn Rexrodt und 180 Millionen DM im Haushalt von Herrn Rüttgers. Jetzt sagte Herr Rexrodt aber, er übernehme 50 Prozent dieser Summe. Es gehört keine höhere Mathematik dazu, herauszubekommen, daß 44 Millionen nicht 50 Prozent von 224 Millionen sein können. Ich frage deshalb auch, wie es zu solchen eigenartigen Zahlenkonstruktionen kommt.
Vor diesem Hintergrund muß auch klar gesagt werden: Wenn die Bundesregierung die wochenlange Debatte um die Investitionsförderung Ost jetzt mit zusätzlichen 200 Millionen DM Barmitteln im Jahr 1998 beenden will, so ist dies keineswegs ein Zugeständnis, wie allerorten verlautbart wird, sondern schlicht und einfach die Erfüllung der Pflichten eines ordentlichen Kaufmannes; denn zur Deckung der eingegangenen und fälligen Verpflichtungsermächtigungen fehlen im bisher vorgelegten Entwurf 193 Millionen DM.
Die PDS wird in den Haushaltsberatungen die Aufstockung der bisherigen Mittelansätze für die Gemeinschaftsaufgabe Ost um 352 Millionen DM und für die Gemeinschaftsaufgabe West um 200 Millionen DM beantragen. Das ist keine Forderung nach dem Motto: höher, weiter, besser. Im Osten würde damit nur der mit den Bundeshaushaltsgesetzen 1995 bis 1997 verbriefte Ermächtigungsrahmen für 1998 von 3,1 Milliarden DM erfüllt. Im Westen - jeder weiß, daß es auch hier Strukturprobleme gibt - würden so wenigstens die Ausgaben von 1996 erreicht. Dabei geht es uns auch darum, die milliardenschweren Antragshalden in den Ländern endlich und vor allem beschäftigungswirksam abzubauen.
Wenn diese Gelder nicht fließen, dürften hoffnungsvolle Ansätze für integrierte Standortkonzepte - ich nenne hier nur zwei Beispiele aus Brandenburg: im Umfeld des Halbleiterwerkes Frankfurt/Oder und in der Zellstoffabrik in Wittenberge - von vornherein zum Scheitern verurteilt sein.
Wie sonst wollen wir, außer mit wohlfeilen Reden, politische Weichen für die von Finanzminister Waigel beschworene neue Zeit stellen? Die geforderten 552 Millionen DM, die ohne Änderung der Rechtsgrundlagen und ohne neuen Verwaltungsaufwand im kommenden Jahr zusätzlich fließen können, hätten, legt man die Berechnungen der Bundesregierung zugrunde, einen Beschäftigungseffekt von mindestens 17 000 Arbeitsplätzen zur Folge.
Ich will an dieser Stelle die konkrete Frage an Herrn Rexrodt anschließen: Bedeutet Ihre Aussage zur Sicherheit der Fördermittel, daß sich die Haushaltssperre nicht, wie auch von der thüringischen Ministerin Frau Lieberknecht befürchtet, auf das „Sonderprogramm Forschung und Entwicklung Ost" auswirken wird? Neue Arbeitsplätze sind auch auf einem anderen Gebiet möglich.
Geradezu lächerlich ist der Betrag von 18 Millionen DM, der 1998 für die Förderung von Einzelmaßnahmen zur Nutzung erneuerbarer Energien vorgesehen ist. Angesichts des hohen technischen Standards und der vorhandenen Fertigungskapazitäten, die es hierzulande für die Technologien der Solar-, Windkraft- und Biomasseenergiegewinnung sowie der Geothermie gibt, und angesichts der bisher maßgeblich durch die Steuerpolitik dieser Regierung abgewürgten Binnennachfrage wären - davon gehen solide Berechnungen aus - 500 Millionen DM notwendig und angemessen, was mindestens 20 000 neue Arbeitsplätze brächte.
Um zukunftsfähige Arbeitsplätze, um nichts anderes, muß es auch im Etat des Wirtschaftsministers gehen.
Bisher aber steht auch dieser Entwurf völlig unter dem Kuratel der Maastricht-Kriterien. Dabei bekennt jeder Experte, daß es für die Weichheit oder Härte des Euro völlig unerheblich ist, ob drei oder mehr Prozent Neuverschuldung zu Grunde liegen. Ihre Kriteriendebatte, auf der Sie von der Regierungskoalition Ihre ganze Haushaltspolitik aufbauen und der sich leider auch alle anderen Parteien angeschlossen haben, ist nichts anderes als ein Placebo für das Volk.
Rolf Kutzmutz
Sie versuchen damit, von dem eigentlichen Problem des bisherigen Maastricht-Prozesses abzulenken: der Ausschaltung des Souveräns. Sie wedeln so oft mit unserem Grundgesetz. Schauen Sie einmal nach, was dazu in der Präambel steht! Dies empfehle ich Ihnen. Hier wird über eine Schicksalsfrage entschieden.
Sie gehen einen Weg, der bisher durch bewußten Verzicht auf Politik, dafür um so mehr durch das Setzen auf den Markt als Allheilmittel vorgezeichnet ist. So aber werden alle erarbeiteten und erstrittenen Sozial- und Umweltstandards ins Rutschen kommen. Die Zeche dafür zahlt die große Mehrheit der Menschen, die Sie aus diesem Entscheidungsprozeß ausschließen.
Gerade weil wir für ein vereintes Europa freier Völker und gegen jeden Nationalismus sind, lehnen wir diesen Euro ab. Maastricht kann und darf nicht länger Basis der Haushaltspolitik sein.
Unsere Vorschläge zur Ausweitung einzelner Titel - zwei nannte ich schon - sind finanziell seriös untersetzt. Die Bundesrohölreserve, die netto über 1 Milliarde DM wert ist, darf nicht für das Phantom Maastricht verpulvert werden.
Seit Herbst 1995 hat unsere Gruppe in Anträgen und Reden, in Ausschüssen wie im Plenum, wieder und wieder die Hebung dieser Reserve für zukunftsfähige Arbeitsplätze verlangt. Immer wurde es abgelehnt. Seit Juni dieses Jahres will nun plötzlich die Koalition diesen Schatz heben, um den finanziellen Bankrott ihrer Politik notdürftig zu kaschieren.
Frau Matthäus-Maier hat das vorgestern zu Recht kritisiert. - Ich frage Sie: Wäre der Einsatz dieser Reserve für den ökologischen Umbau unserer Volkswirtschaft nicht eine gute Wiederanlage dieser von der sozialliberalen Koalition aufgebauten „Zukunftsvorsorge"?
Ich frage die Herren Rexrodt und Waigel: Wo sind eigentlich die mindestens 265 Millionen DM Strafen abgeblieben, die das Bundeskartellamt schon bis Juni gegen das Starkstromkabelkartell verhängt hatte? Diese tauchen weder im Nachtragshaushalt 1997 noch im Haushalt 1998 auf, obwohl sie inzwischen rechtskräftig sind. Man kann nur vermuten, daß es eventuell noch schwarze Kassen gibt.
Zum Schluß eine Bemerkung zum ablebenden Postministerium. Minister Rexrodt beerbt bekanntlich Minister Bötsch. Ob die Auflösung des Postministeriums inhaltlich überhaupt sinnvoll ist, was der Vorsitzende der Postgewerkschaft, van Haaren, im „Focus" vom 1. September bezweifelt, kann und will ich hier nicht bewerten.
Ausgelöst durch den kleinen Artikel in der „Wirtschaftswoche" vom 17. Juli mit der Überschrift „Waigel erbt" haben wir uns genauer die vorläufigen Ansätze für die Übernahme von Aufgaben des bisherigen Postministeriums durch Wirtschafts- und Finanzministerium angeschaut.
Während sich Minister Waigel hier mit dramatisch sinkenden Personalausgaben brüstet, spricht bisher alles dafür, daß die Auflösung des Postministeriums mehr kostet als sein Fortbestand. So sollen im neuen Jahr der Präsident und der Vizepräsident der neuen Regulierungsbehörde 128 000 DM teurer kommen, als heuer Minister Bötsch und Staatssekretär Laufs kosten.
Solche phänomenale Kostenvermehrung setzt sich im höheren Dienst fort. Meine Kollegin Frau Professor Luft sprach vorgestern bereits Kollegen Weng auf solche Ungereimtheiten an. Er sagte bekanntlich Beratung und Klärung im Haushaltsausschuß zu. Darauf bin ich wirklich gespannt.
Selbst Kollegen Graf Lambsdorff macht die vorgesehene Größe der Regierungsbehörde Sorgen. So jedenfalls habe ich Ihre Bemerkung, Herr Lambsdorff, auf einer öffentlichen Veranstaltung des Europäischen Forums auf dem Petersberg verstanden.
Lösen können das Problem aber wohl eher die kleineren Parteien in diesem Haus. Denn bei der Besetzung der neuen Chefetagen sitzen die sogenannten großen Volksparteien in einem Boot.
Herr Minister Rexrodt, Ihr Etatentwurf ist aus unserer Sicht so nicht beratungsfähig. Wir wünschen und ich persönlich wünsche Ihnen morgen eine schöne Geburtstagsfeier. Wir erwarten aber, daß Sie ab Montag in Ihrem Haus an die Überarbeitung des Planes gehen,
selbst wenn es der letzte ist, den Sie zu verantworten haben.