Das ist wiederum Ihre Interpretation. Sie wissen, daß das Handwerk die Arbeit der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN zu schätzen weiß.
Ich komme auf unseren Gesetzentwurf zur Umlagefinanzierung zurück. Wenn es uns gelingt, die kapitalintensiven Branchen, die zum großen Teil neuere Branchen sind, mit in die Berufsbildung einzubeziehen, retten wir das duale System, und es gelingt uns, den Strukturwandel entscheidend zu beeinflussen und zu fördern. Das halte ich für eine ganz wichtige Handlungsweise, die wir an den Tag legen müssen, um die Zukunft für uns zu erobern.
Herr Wirtschaftsminister, wir haben Ihnen auch Vorschläge dazu gemacht, wie man die fatale Abhängigkeit der Unternehmer vom Verhalten der Banken einschränken kann. Denn das Verhalten der Banken führt dazu, daß unternehmerische Kreativität blokkiert wird. Ich halte auch das für falsch. Das ist eine Innovationsblockade, die dadurch entsteht, daß Banken und Unternehmer unterschiedlich gelagerte Interessen haben.
Weil Sie in der Regierung so stolz auf Ihr Programm zur Berufsbildung sind, habe ich noch einmal nachgelesen: Seit sieben Jahren kommt jedes Jahr bzw. alle zwei Jahre ein neues Sofortprogramm der Bundesregierung zur Lehrstellensituation, die immer erst in dem jeweiligen Jahr auf einmal ganz dramatisch ist. Die Kompetenz für die Vorlage dieses Programms war zunächst bei Herrn Blüm angesiedelt. Dann ist sie zu Herrn Rüttgers abgewandert. Danach haben sich Rexrodt und Rüttgers um die Zuständigkeit gekloppt, damit sie beide in entsprechenden Debatten erscheinen können. So entsteht der Eindruck, als handelten sie. Aber das tun sie überhaupt nicht. Sie handeln gar nicht.
Sie müßten eigentlich mittelfristige Lösungen anstreben. Sie hätten die Möglichkeit dazu gehabt. Sie sind lange genug an der Regierung, um langfristige Veränderungen in Ihrem Haushalt vorzunehmen. Statt dessen ist es beim Durchreichen der Subventionen geblieben.
Es wird von einer neuen Gründerzeit gesprochen. Vergleichen wir einmal die Situation mit der früheren Gründerzeit, auf die Sie sich wahrscheinlich gedanklich beziehen.
Damals wurde eine neue Infrastruktur aufgebaut; das war die Eisenbahn. Heute könnte vielleicht Telekommunikation oder Informatik dafür stehen; das muß man noch herausfinden. Es ist vielleicht tatsächlich so, daß wir jetzt in ein neues technisches Zeitalter eintreten.
Damals fanden Investitionen in Wissenschaft und in Bildung statt. Das vermisse ich allerdings heute, obwohl es immer mehr Stimmen gibt, die der Meinung sind, daß wir das ändern müssen.
Damals gab es einen sehr lebendigen Kapitalmarkt, der das Risiko nicht scheute. Davon kann man heute in Deutschland nichts erkennen; ich finde, das ist einer der dringendsten Punkte, bei denen wir anfangen müssen.
Damals gab es große Technikbegeisterung, starke Willenskraft und Stehvermögen bei den jungen Unternehmern. Dieser Unternehmergeist scheint auch heute noch zu existieren; sonst gäbe es keine Gewerbeanmeldungen. Aber er scheint mir nicht mehr so verbreitet zu sein, weil es offensichtlich viel angenehmer und leichter ist, sich gut bezahlte Jobs im mittleren Management oder im öffentlichen Dienst zu suchen. Ich bin mir nicht sicher, ob sich durch die Verschlankung des Staates und die Globalisierung der Unternehmen wirklich etwas ändern wird. Ich frage mich, ob nicht genug lukrative Jobs erhalten bleiben, die die Leute davon abhalten, sich selbständig zu machen.
Ich denke, daß das bestehende Insolvenzrecht in Deutschland ein massives Hemmnis ist. Denn wenn man einmal eine Niederlage mit einer Unternehmung erlitten hat, ist man in Deutschland im Prinzip „gestorben" und wird nicht ermutigt, aus seinen Fehlern zu lernen. Das halte ich für fatal.
Herr Wirtschaftsminister, Sie haben gesagt, der Osten Deutschlands liege Ihnen besonders am Herzen. Es gibt - da sind wir übrigens gar nicht so weit auseinander - Diskussionen darüber, endlich zu einer Basisförderung überzugehen und nicht mehr zu versuchen, auf einzelne kleine Probleme und Symptome hin zu fördern, sondern den noch bestehenden infrastrukturellen Nachteil auszugleichen. Das halte ich im Prinzip für richtig.
Es gibt auch andere Instrumente, um gezielt bestimmte Wirkungen zu erreichen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie endlich das Instrument Ökosteuer zur Anwendung brächten; das würde enorm viel bringen. Im Bereich Umwelttechnologie haben wir große innovative Möglichkeiten, gerade im Osten. Wir könnten vielleicht das nachholen, was Sie hier versäumt haben, zum Beispiel die Entwicklung der Photovoltaik zur Massenproduktionsreife. Das würde,
Antje Hermenau
glaube ich, im Osten eine Reihe von Leuten sehr interessieren.
Sie haben uns sowieso in die Nischen abgedrängt. Sie haben uns die klassischen Industriegüter nicht zugestanden, weil Sie diese Märkte nicht hergeben wollten. Dann lassen Sie uns aber diese Nischen wirklich ausfüllen und ausnutzen! Dann erlauben Sie uns wirklich, diese Spitzentechnologien innovativ herzustellen! Das muß natürlich erst einmal gefördert werden, bis es sich selber trägt.
Was wäre jetzt eigentlich wirtschaftspolitisch angesagt, zumindest für die fünf neuen Länder, aber auch, wie ich es einschätze, immer mehr für das Altbundesgebiet? Angesagt wäre eigentlich, daß wir wie verrückt klotzen. Alle Regionen in Europa scharren mit den Füßen, weil sie in den nächsten Jahren ihre Startpositionen einnehmen müssen. Es geht darum, den potentiellen Investoren klarzumachen, wo eigentlich das günstigste Investitionsklima ist und die besten Investitionsvoraussetzungen herrschen.
Auch in Deutschland müßte eine solche Aufbruchstimmung erzeugt werden. Statt dessen schlagen Sie sich innerhalb ihrer Regierung untereinander die Köpfe über den Euro ein und suggerieren, das sei eine ganz gefährliche Angelegenheit. Keiner traut sich mehr, von Chancen zu sprechen. Ich finde das fatal. So zieht man keine Gründergenerationen heran und bekommt keinen Gründergeist. So erzeugt man nur eine diffuse Angst vor der Zukunft.
- Zur Meinung der Grünen zum Euro sage ich: Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist die einzige Fraktion in diesem Haus, die wirklich unverbrüchlich hinter einer fristgerechten und ordentlichen Einführung des Euros steht.
- Das sagen eigentlich alle in unserer Fraktion.
- Sind Sie mit dem Begriff der Individualität nicht vertraut, Herr Westerwelle? Wir gestehen den Menschen ihre individuelle Meinung zu. Das ist ihr gutes Recht. Herr Schulz hat immer gesagt, daß seine Äußerungen zum Euro seine individuelle Meinung darstellten. Insofern müßten Sie wissen, was das bedeutet.
Wir müßten jetzt also eigentlich klotzen: Europa 2000 - etwas in der Art. Aber das ist in den Regionen leider nicht zu spüren. Es wird überall, zum Beispiel bei Infrastrukturmaßnahmen, ein bißchen abgeknapst. Die Leute haben nicht das Gefühl, daß es jetzt wirklich um die Wurst geht. Aber das müßten wir alle miteinander deutlich sagen: Leute, es geht jetzt wirklich um die Wurst. Wir müssen jetzt wirklich in die Puschen kommen. - Aber genau das wird nicht suggeriert. Man tut so, als könne man das Schiff ohne große Mühe umsteuern. Das halte ich wirklich für falsch. Ich glaube, daß wir uns selber keinen Gefallen tun, wenn wir der Bevölkerung nicht klaren Wein einschenken und das Ganze nicht mit Zuversicht und Mut angehen. Denn der zivilisatorische Prozeß in Europa ist in den letzten Jahrhunderten nicht fatal verlaufen.
Ich bedanke mich.