Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ach, Herr Rexrodt! Hätte der Bundeskanzler Ihnen doch die Gnade der frühen Abberufung gewährt, dann wären Sie jetzt in einer besseren Lage.
So erzählen Sie Jahr für Jahr dasselbe. Aber durch jeden Ihrer Programmpunkte ist die Arbeitslosigkeit gestiegen. Sie müssen doch irgendwann einmal zu der Erkenntnis kommen, daß der Weg, den Sie uns
immer vorgegeben haben, falsch gewesen ist, weil Sie die Probleme nicht gelöst haben.
Ich habe die Debatte aufmerksam verfolgt und habe mir alle Haushaltsansätze angeschaut, und zwar im Hinblick auf die Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung, der Innovation, der Zukunftsorientierung und der Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Dabei wurde ja von Herrn Minister Waigel eindrucksvoll belegt, daß unser Steuersystem zerklüftet ist und daß es eine Erosion auf der Einnahmenseite gibt. Mein logisches Resümee ist: Raum ist nur für eine aufkommensneutrale Steuerreform. Diese ist allerdings dringend erforderlich, damit wir wieder eine Basis für vernünftige Politik haben.
Ja, es ist richtig: Unsere Volkswirtschaft ist internationalem Konkurrenzdruck ausgesetzt. Aber um die Wettbewerbsfähigkeit in der Zukunft zu sichern, müssen wir doch jetzt den Herausforderungen ins Auge sehen.
Das heißt: Modernisierung des Bildungssystems, Nutzung der Zukunftstechnologien, Verbreiterung der Unternehmenslandschaft und Förderung des Mittelstandes. Wir brauchen einen Strukturwandel durch Innovation und wirtschaftliche Dynamik. Dazu ist diese Bundesregierung aber nicht fähig.
Prüfen Sie einmal die Haushalte! Meine Kollegen Rolf Schwanitz und Ernst Schwanhold werden darauf noch einmal eingehen.
Sie tun noch so, als ob in den Haushalten des Wirtschaftsministeriums oder des sogenannten Zukunftsministeriums wirklich die richtigen Impulse gegeben werden. Dabei wird in diesen Haushalten gekürzt. Da kann man eine ganze Liste aufstellen. Es wird gekürzt bei der Förderung für die mittelständischen Unternehmen; es wird überall dort gekürzt, wo wir der mittelständischen Wirtschaft helfen könnten, den Anschluß an den Strukturwandel zu finden. Nein, all Ihre Haushaltsansätze zeigen: Sie wursteln sich weiter durch, versuchen, über die Runden zu kommen; Machterhalt ist Ihnen wichtiger als eine dynamische, zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik.
Ich möchte noch einmal auch an die CDU/CSU appellieren: Wir versagen doch auch vor der Zukunftsaufgabe, wenn wir weiter zulassen, daß die berufliche Bildung und die Chancen junger Menschen auf dem Arbeitsmarkt so vernachlässigt werden. Investitionen in Ausbildung und Qualifikation sind doch
Anke Fuchs
ein Element, um in einer von Globalisierung gekennzeichneten Welt überhaupt mithalten zu können. Unsere Demokratie muß und kann gewährleisten, daß junge Menschen ihre Fähigkeiten entfalten können und eine Eintrittskarte in die Arbeitswelt erhalten. Wer das nicht gewährleistet, versündigt sich an der jungen Generation und macht unsere Zukunft kaputt, in der es auf Qualifikation ankommt.
Wenn sich Unternehmen dieser Aufgabe entziehen, dann ist die Politik gefordert. Deswegen besagt unser Ansatz: Wirtschaft, werde deiner Aufgabe gerecht und stelle genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung! Macht es branchenspezifisch! Aber wenn ihr es nicht könnt, dann wird der Staat mit einer Ausbildungsabgabe eingreifen, damit die jungen Leute nicht auf der Straße bleiben.
Die wirtschaftliche Lage ist durch einen Exportboom gekennzeichnet; die Wirtschaft und die Betriebe haben schmerzhafte Anpassungsprozesse hinter sich gebracht, und sie haben ihren Nachholbedarf in bezug auf Modernität und Infrastruktur befriedigt. Das ist gut so. Niemand von uns hat etwas dagegen, wenn der Aufschwung kommt, wenn es wirtschaftliches Wachstum gibt und wenn zumindest die Exportwirtschaft boomt. Aber diese Tatsachen können doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die binnenwirtschaftliche Entwicklung vor sich hin dümpelt. Das hat etwas mit Ihrer Politik zu tun, well von Ihren Haushaltsansätzen und den Streitereien der Koalition Signale des Attentismus ausgehen und keine dynamische wirtschaftliche Entwicklung in Gang gebracht werden kann.
Insofern sind Sie durch die Art Ihrer Politik die Verhinderer von dynamischer wirtschaftlicher Entwicklung.
Ich habe auf die Kürzungen hingewiesen. Sie müßten doch jetzt in diesen Bereichen investieren; aber Sie tun es nicht. Und was sagt der Wirtschaftsminister? - Wir haben es ja gehört. Er sagt, von Reform zu Reform sei die Sache besser geworden. Da faßt man sich doch an den Kopf. Ich habe nach der gestrigen Debatte in einem Lexikon nachgeschlagen, was eigentlich „Leistung" heißt. Sie, die CDU/CSU und die F.D.P., bezeichnen sich ja immer als Leistungsträger. Ich habe gedacht: Schaust du einmal ins Lexikon. Da steht unter dem Stichwort „Leistung":
die in bestimmter Zeit verrichtete Arbeit, auch das dadurch geschaffene Arbeitsergebnis.
Das geschaffene Arbeitsergebnis von 15 Jahren Kohl
und Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. ist: höchste
Staatsverschuldung, höchste Arbeitslosigkeit, höchste Abgabenlast. Nein, Sie sind keine Leistungsträger; Sie haben eine Negativleistung vollbracht. Sie dürften eigentlich gar nicht darüber reden, daß Ihnen noch ein Stückchen Steuerentlastung gewährt werden soll.
Von Programm zu Programm wurden Erwartungen geweckt: Jetzt komme die Trendwende; jetzt müsse man wirklich zusehen, daß sich auch auf dem Arbeitsmarkt etwas tut. Im Grunde ist jedoch die Arbeitslosigkeit von Programmpunkt zu Programmpunkt gestiegen.
Das möchte ich herausarbeiten, meine Damen und Herren: 4 Millionen Arbeitslose belasten unsere gesamten Haushalte mit 180 Milliarden DM. Es geht um die Zukunft und die Perspektiven von Menschen. Die Ursache für die Probleme bei der Arbeitslosenversicherung, der Rentenversicherung und der Krankenversicherung ist aber doch die Tatsache, daß wir zu viele Arbeitslose und zu wenige Beitragszahler haben. Wenn sich all Ihre Programme auf dem Arbeitsmarkt nicht auswirken, dann sind Sie gescheitert, meine Damen und Herren. Das müssen Sie endlich mal zugeben.
Sie müssen sagen: Wir müssen eine Trendwende herbeiführen, die mit Investitionen, aber auch mit anderen Maßnahmen dazu beiträgt, daß die hohe Arbeitslosigkeit abgebaut wird und nicht nur stagniert.
- Herr Hinsken, wir blockieren doch nicht. Ich nenne Ihnen ein Stichwort: Ladenschlußgesetz. Wir beide müssen uns nicht darüber unterhalten, welch ein Flop das war. Die Menschen haben genug Zeit zum Einkaufen; sie haben zuwenig Geld zum Einkaufen. Das haben wir alle miteinander gewußt und auch immer gesagt; das will ich jetzt nicht vertiefen.
Stichwort Gesundheitsreform - ein grandioses Programm zum Abbau von Arbeitsplätzen. Die Menschen sind bei der Bundesanstalt für Arbeit gelandet.
Stichwort Schlechtwettergeld - die Abschaffung des Schlechtwettergeldes war teurer, als die vorherige Situation es war. Die Bundesanstalt für Arbeit mußte mehr und nicht weniger zahlen.
Stichwort Baubranche - eine bodenständige Branche, die in einer Kombination davon lebt, daß öffentliche Haushalte ihre Aufgaben erfüllen, die davon lebt, daß die öffentliche Hand die Rechnungen bezahlt, die davon lebt, daß die Mindestlöhne, die wir vereinbart haben, auch gezahlt werden.
Das alles hat mit Globalisierung nichts zu tun. Das sind hausgemachte Fehler dieser Bundesregierung.
Anke Fuchs
Die belasten die Bundesanstalt für Arbeit und damit die gesamten Haushalte.
Ich verweise auf die „grandiose" Leistung, das Arbeitsförderungsgesetz so zu verändern, daß dadurch jetzt 300000 Leute mehr auf der Straße stehen. Das zeigt doch, daß Sie nicht nachdenken, daß Sie nicht in der Lage sind, die Folgen Ihrer Entscheidungen vernünftig zu durchdenken. Denn sonst würden Sie doch gar nicht auf die Idee kommen, für die Bundesanstalt für Arbeit gar keine Zuschüsse mehr vorzusehen, obwohl Sie dann am Ende des Jahres locker vom Hocker 20 Milliarden DM zuschießen müssen. Was hätten wir mit den 20 Milliarden DM tun können, wenn wir sie zu Beginn des Jahres in die berufliche Bildung, in die wirtschaftliche Entwicklung, in die soziale Sicherheit investiert hätten!
Sie haben es auch geschafft, daß der soziale Konsens beschädigt wurde. Sie haben zugelassen, daß die Spitzenfunktionäre der Unternehmensverbände den sozialen Konsens aufgekündigt und auf Konfrontation gesetzt haben. Sie haben sich von der unglaublichen Dreistigkeit des Herrn Henkel, der Schmusekurs habe Arbeitsplätze geschaffen, nicht distanziert. Nein, Sie haben die Shareholder-valueIdeologie unterstützt und die Durchökonomisierung der Gesellschaft zum Programm erhoben. Sie sind verantwortlich für die geistig-moralische Verrohung in bezug auf das Miteinander und für das Zusammenbrechen des sozialen Konsenses.
Die Steuergesetze sind so gestaltet, daß es als eine Art Monopoly-Spiel gesellschaftsfähig geworden ist, keine Steuern zu zahlen. Herr Rexrodt, die Ursache, daß der Boden für Gemeinsamkeit zerstört wurde, liegt darin, daß Sie die Kräfte nicht gebündelt haben, sondern die Spitzenfunktionäre ihre Meinung haben sagen lassen und alle anderen mit Sozialabbau belastet haben. Der Hauptgrund, warum es in den anderen Ländern besser funktioniert als bei uns, ist: Dort war das Klima für die notwendigen Veränderungen sozial ausgewogen. Sie haben das Klima mit Ihrer Akzeptanz einer einseitigen Interessenvertretung durch die Spitzenfunktionäre der unternehmerischen Wirtschaft kaputtgemacht.
Da wir auf die Niederlande schauen, erwähne ich das Beispiel der dortigen Teilzeitinitiative: Teilzeitinitiative heißt dort, sozialversicherungspflichtige Teilzeitarbeitsplätze zu schaffen. Das ist mit Ihnen gar nicht zu machen. Dies ist nur ein kleines Beispiel dafür, wie Sie einseitig ökonomisch falsche Projekte auf den Weg bringen und sich dann wundern, wenn die
Ergebnisse auf dem Arbeitsmarkt nicht so sind, wie Sie das wollen.
Ich habe gehofft, daß die CDU das begreift, und daran geglaubt, daß wenigstens die CDU weiß, was sozialer Zusammenhalt in unserer Gesellschaft bedeutet: daß dies ein positiver Standortfaktor ist und seine Beschädigung auch ökonomisch falsch ist. Ich habe auch angenommen, das gemeinsame Papier der Kirchen werde zum Nachdenken genutzt. Aber Machterhalt ist eben wichtiger als der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.
Lassen Sie mich noch auf zwei Punkte in der aktuellen Diskussion eingehen. Erstens zum Stichwort Lohnnebenkosten. Wir waren doch schon einmal sehr viel weiter, als wir in diesem Bundestag über die Frage diskutiert haben, wohin die Investitionen fließen sollen, wie die inhaltliche Ausrichtung des Fortschritts in der Zukunft aussieht. Wir alle waren der Auffassung: Die ökologische Erneuerung der Industriegesellschaft hat eine grandiose wirtschaftspolitische Bedeutung. Der erste Schritt dahin, so haben wir miteinander gesagt, ist die Belastung des Faktors Umwelt und die Entlastung des Faktors Arbeit. Warum um Gottes willen ist es nicht möglich, einen Einstieg in die ökologische Steuerreform zu erreichen?
Das wäre ein Weg, bei dem klar wäre, welches Ziel Innovationen und Strukturwandel haben sollen. Ich weiß, Herr Sohns war auf meiner Seite, Herr Repnik war auf meiner Seite. Sie hatten Ihre Papiere alle schon verfaßt, aber dann kamen die Interessenvertreter und sagten, sie wollten das nicht. Damit war die Sache vom Tisch. Machterhalt und einseitige Interessenvertretung sind Ihnen wichtiger. Es ist ein Jammer, meine Damen und Herren, daß wir nicht einmal diese kleine Wende, die zu vielen Verbesserungen hätte führen können, geschafft haben. Ich fordere Sie auf - wenn es denn noch Gespräche geben soll -, diese ökologische Steuerreform in einem ersten Schritt mit uns gemeinsam durchzusetzen.
Zweitens. Selbst wenn eine Innovations- und Bildungsinitiative zu mehr Arbeitsplätzen führt, bleibt die Frage, was wir mit den heute arbeitslosen Menschen machen. Herr Gerhardt hat gestern immer von Leistung geredet und davon, daß die Leute arbeiten sollen. Nicht einmal hat er einen Satz wie folgenden gesagt: Wer auf die Solidarität der Gesellschaft angewiesen ist, hat auch einen Anspruch auf sie.
Ich sage Ihnen: Wir müssen den Arbeitsmarkt in Ordnung bringen. Darin steckt Potential für den Abbau der Arbeitslosigkeit um eine Million Menschen. Das hat nichts mit Globalisierung zu tun, sondern liegt daran, daß die Bundesregierung nicht in der
Anke Fuchs
Lage ist, Veränderungen, die durchsetzbar wären, so zu gestalten, daß Arbeitslosigkeit abgebaut wird.
Ich nenne stichwortartig die Punkte: Vier Millionen Menschen sind auf der Basis dieser schrecklichen 610-DM-Verträge beschäftigt. Wenn wir daraus ordentliche Teilzeitarbeitsplätze machten, könnten wir einen großen Beitrag zum Abbau von Arbeitslosigkeit leisten.
Phänomene wie Schwarzarbeit, illegale Beschäftigung und Scheinselbständigkeit haben sich wie ein Wust entwickelt. Wenn man das ordnete, würde man dazu beitragen, daß es zusätzliche sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse gibt. Es würde mehr Beitragszahler geben, und wir würden diesen ganzen grauen Markt eindämmen, dem ja die moralische Kategorie zugrunde liegt: Ich mache das mal eben schwarz; es ist mir doch egal, wenn ich der Gesellschaft damit schade. - Hier Ordnung zu schaffen, hat auch damit zu tun, wie wir mit menschlichen Ressourcen auf dem Arbeitsmarkt umgehen.
Zusammenfassend noch einmal die Stichworte: 610-DM-Arbeitsverträge, Mindestlöhne in der Baubranche, Verbesserung der Zahlungsmoral der öffentlichen Hand, nachdrücklichere Bekämpfung der illegalen Beschäftigung. Darin läge die Chance, die Zahl der Arbeitslosen um eine Million zu reduzieren. Darin läge die Chance, die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 zu halbieren. Nur in einer Bündelung all unserer Strategien, in einer Bündelung der Kräfte bekommen wir beides hin: eine dynamische wirtschaftliche Entwicklung für die Zukunft, die sich auf dem globalisierten Markt durchsetzen wird - vor allem wenn der Euro kommt -, und daneben Sicherheit und Zuversicht für die Menschen, daß diejenigen, denen auf dem Weg nicht alle Chancen offenstehen, nicht allem gelassen werden.
Deswegen gehören Innovation und soziale Gerechtigkeit zusammen. Sie verlassen den gemeinsamen Weg dieses sozialen Konsenses, wenn Sie so weiterwurschteln wie bisher. Es ist an der Zeit, daß es einen Neuanfang in dieser Bundesrepublik gibt.