Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Im Rahmen der heutigen Haushaltsdebatte heißt mein Thema: Bundeskanzler Kohl verspielt die Zukunft der deutschen EZ,
und der zuständige Entwicklungsminister kneift. Das will ich an sieben Punkten darlegen.
Erstens. Herr Minister, als ich die ersten Pressemitteilungen las, war ich angenehm überrascht. Ich hatte erwartet, daß „Mister Goldfinger" stärker zuschlagen würde, und las dann - ich habe Ihre Worte im Ohr -: Soll 1998 ungefähr wie Soll 1997. Wenn man dann aber analysiert, stellt man als erstes fest: 90 Millionen DM haben Sie schon für den Dollarkurs eingerechnet -1,55 DM -, 100 bis 150 Millionen DM kommen für den aktuellen Dollarkurs mindestens dazu. Das sind schon 240 Millionen DM weniger, und die Haushaltsberatungen und die Steuerschätzung im November sind noch gar nicht vorüber bzw. hat noch nicht stattgefunden. Da sind Größenordnungen von weiteren 500 Millionen DM genannt worden. Ich behaupte: Das bereinigte Soll, das reale Soll von 1998 wird um 0,7 Milliarden DM unter dem von 1997 liegen. Dann sind wir bei rund 10 Prozent Rückgang Ihres Etats, und das sind keine Peanuts mehr. Da, Herr Minister, hätte ich mehr Redlichkeit statt Schönfärberei in Ihren vielen Pressemitteilungen erwartet.
Zweitens. Die VE, Verpflichtungsermächtigung, wird um 0,8 Milliarden DM reduziert. Das sind 15 Prozent. Genau damit, Herr Staatssekretär, verspielt die Regierung Kohl die Zukunft der EZ. Oder mit Ihren eigenen Worten in den Erläuterungen:
Ungeachtet der Bedeutung, die dem Barmittelansatz für die Flexibilität und Handlungsfähigkeit
der deutschen Entwicklungspolitik im nächsten Jahr zukommt, sind für unsere langfristig angelegte Zusammenarbeit die Verpflichtungsermächtigungen von besonderer politischer Bedeutung. Sie legen den Rahmen der möglichen neuen Zusagen, die uns bilateral möglich sind, fest. Dieser ist 1998 kleiner als 1997.
Nicht einmal das Wort „leider" ist Ihren Mitarbeitern eingefallen, Herr Minister. Seit Erhard Eppler wissen wir, was das bedeutet: Verpflichtungsermächtigungen - hinauf oder herunter. Sie aber, Herr Minister, kneifen schlicht.
Drittens. Sie, Herr Minister nehmen nicht einmal Ihre eigenen fünf Kriterien ernst. Nehmen Sie sich eigentlich selber ernst? Oder wie erklären Sie sich, daß nach wie vor FZ-Spitzenreiter Länder wie Indien, China, Türkei und Indonesien sind? Offenkundig wird die Einhaltung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit - im besten Kolonialstil - nur von afrikanischen Staaten verlangt. In Afrika nennt man Sie inzwischen den „Minister mit den zwei Maßstäben" : mit dem strengen Maßstab für die Schwarzen und mit dem soften Maßstab für die wirtschaftlich interessanten Länder Asiens. Wollten Sie das eigentlich, Herr Minister?
Ich bin sehr gespannt, wie Sie Ihr sechstes - richtiges - Kriterium, die Korruptionsklausel, in die Praxis umsetzen werden, ob Sie dann auch wieder zwei verschiedene Metermaße anlegen werden.
Viertens. Herr Minister, einstimmige Beschlüsse des Fachausschusses, um die Sie dauernd werben, kümmern Sie und Ihr Haus offensichtlich nicht. Das will ich an zwei Beispielen deutlich machen:
Wir haben im Januar dieses Jahres, Herr Graf von Waldburg-Zeil, ganz mühselig und ernsthaft diskutiert und differenziert, wie wir im Sudan helfen können. Wir haben dann einstimmig beschlossen: Jawohl, wir brauchen eine koordinierte Förderung der Zivilgesellschaft und keine Förderung der staatlichen Strukturen. Wir haben bewußt gesagt: Förderung über den DED und die NGOs. Sie skippen das einfach. Wenn es dann im Sudan zum großen Bürgerkrieg kommt, dann zahlen wir wieder und weinen. - Unverständlich!
Zweites Beispiel: Armutsbekämpfung. Scheinbar erhöhen Sie die Mittel von 14 auf 15 Prozent. Erstens sind 15 Prozent immer noch nicht 20 Prozent, und zweitens verschweigen Sie, daß Sie durch Manipulation der Bezugszahl den Titel Armutsbekämpfung, Herr Pinger, de facto um 60 Millionen DM reduzieren. Aus lauter Angst, Sie könnten Armutsminister genannt werden, verkommt die deutsche Entwicklungszusammenarbeit zur falsch verstandenen Industriepolitik. Die engagierten Menschen im Süden, auf die wir als Träger der Entwicklung angewiesen sind, bleiben auf der Strecke. - Unverständlich!
In die gleiche Rille paßt Ihre seltene Teilnahme an Sitzungen des Fachausschusses. Ich kenne keinen Minister, der sich im Ausschuß so wenig dem Dialog
Dr. R. Werner Schuster
stellt, wie Sie: weder Herr Blüm noch Herr Waigel, weder Herr Seehofer noch Herr Rühe und Herr Kinkel.
Den Boden des Fasses schlägt die Information aus, daß Sie nicht einmal Zeit haben werden, bei den Haushaltsberatungen im Ausschuß anwesend zu sein.