Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, Sie, Herr Minister Spranger, heute so frisch wiederzusehen; denn Sie hätten ja leicht dem Sommerspektakel Ihres Parteifreundes Waigel zum Opfer fallen können. Das hätten wir doch sehr bedauert.
Wir brauchen den Dialog mit Ihnen, und wir gehen davon aus, daß Sie am 24. September auch noch in den Ausschuß kommen, um mit uns den Einzelplan 23 zu beraten. Haushaltsberatungen sind das ureigenste Recht des Parlaments. Deshalb bin ich mir
sicher, daß Sie rechtzeitig aus Hongkong wieder da sein werden. Die Weltbankkonferenz, auf der Sie dort sind, ist sicherlich wichtig, aber ich denke, in diesem Fall sind wir noch wichtiger.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Etat für die Entwicklungszusammenarbeit der Bundesrepublik wird 1998, wenn es nach den Haushaltsansätzen geht, nominell zwar annähernd konstant bleiben, real aber sinken. Herr Minister Spranger mag dies angesichts der teilweise stark gekürzten Haushaltsansätze der Mehrzahl der anderen Ministerien zwar als Erfolg feiern; dessenungeachtet muß sich Bundeskanzler Kohl fragen lassen, was denn aus seinem Ziel von 0,7 Prozent geworden ist, das in Rio so vollmundig angekündigt worden ist. Außer hohlen Phrasen ist nichts geblieben.
Die Nerven liegen in dieser Frage auch bei Herrn Minister Spranger blank. In einer Presseerklärung Ihres Hauses hat Ihr Pressesprecher die Äußerungen der Deutschen Welthungerhilfe und von „terre des hommes" zur deutschen Entwicklungspolitik nicht nur als irreführend und maßlos zurückgewiesen, sondern auch die darin enthaltene Zahl von 0,29 Prozent als Anteil der Entwicklungshilfe am Bruttosozialprodukt als pure Spekulation zurückgewiesen. Weiter heißt es in dieser Presseerklärung:
Tatsächlich weisen die vor kurzem für 1996 offiziell vorgelegten Zahlen eine Quote von 0,32 Prozent aus. Damit liegt Deutschland weit über dem internationalen Durchschnitt von 0,25 Prozent.
Hierzu möchte ich zweierlei bemerken: Erstens sollte man in seiner Wortwahl gegenüber zwei Organisationen, die seit Jahren vorbildliche Entwicklungsarbeit leisten, doch etwas höflicher sein. Zweitens entspricht es einfach der Realität, daß in Deutschland seit Jahren der Anteil der Entwicklungshilfe am Bruttosozialprodukt sinkt. 0,25 Prozent bedeuten nach Angaben der OECD die niedrigste Quote seit Beginn der Erfassung. Wenn Sie, Herr Minister, jetzt sagen, mit 0,32 Prozent liege man weit über dem internationalen Durchschnitt, dann ist dies Schlichtweg falsch und beschämend für die deutsche Entwicklungspolitik. Dafür tragen Sie die politische Verantwortung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es stimmt augenscheinlich etwas nicht an der Entwicklungspolitik dieser Bundesregierung. In diesem Zusammenhang fand ich es doch sehr bemerkenswert, was der Kollege Laschet auf einer Pressekonferenz anläßlich des Beschlusses des Bundesfachausschusses Entwicklungspolitik der CDU dazu gesagt hat. Herr Kollege Laschet, was ich hierzu der Presse entnehmen konnte, war, daß Sie sich für eine stärkere Ausrichtung der deutschen Politik an entwicklungspolitischen Aufgabenstellungen ausgesprochen haben, für eine Stärkung der multilateralen Zusammenarbeit plädiert haben, kritisiert haben, daß derzeit elf Ressorts in unterschiedlicher Weise entwicklungspolitisch aktiv sind und dabei einzelne Häuser, die
Adelheid Tröscher
im selben Land engagiert sind, zum Teil nicht einmal von den Aktivitäten anderer Ministerien wissen, bemängelt haben, daß eine Reihe großer UN-Konferenzen zu Fragen der internationalen Entwicklung während der vergangenen fünf Jahre von unterschiedlichen Ministerien federführend betreut worden seien, obwohl es zentral stets um Fragen der Entwicklungspolitik, also des BMZ, gegangen sei, und auch den Stellenabbau im BMZ kritisiert haben. Gleichzeitig haben Sie gefordert - das fand ich besonders bemerkenswert; ich stehe Ihnen da ganz nahe, Herr Laschet -, daß globale Strukturpolitik zur Chefsache beim Bundeskanzler erklärt werden müsse,
und betont, das vorgelegte Papier sei kein Beitrag zur neuentflammten Diskussion über eine Kabinettsumbildung. Daß Sie das noch erwähnen mußten, ist natürlich besonders pikant.
Es liegt doch an Minister Spranger selbst - ich spreche ihn hier direkt an -, die Federführung bei den großen UN-Konferenzen anzumahnen und für sich zu beanspruchen. Es liegt doch an ihm, den Stellenabbau im BMZ zu stoppen. Es liegt auch an ihm, die Auslandsarbeit besser zu koordinieren. Schließlich liegt es auch an Minister Spranger, die multilaterale Zusammenarbeit zu stärken. Aber ein Minister, der es zuläßt, daß sein Haushalt immer weiter sinkt, der sich mit Außenminister Kinkel über den Sicherheitsrat streitet, der den Austritt aus der UNIDO fordert - das ist ja jetzt Gott sei Dank korrigiert worden - und Etatkürzungen bei der UNDP zustimmt, macht keine vorbildliche Politik, sondern schadet dem internationalen Ansehen deutscher Entwicklungszusammenarbeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der vorgelegte Haushalt führt vor dem Hintergrund hoher Rechtsverpflichtungen zu schmerzhaften Eingriffen in nahezu allen Bereichen des Einzelplans 23. Dies gilt sowohl für die Ausgabenseite als auch für die Verpflichtungsermächtigungen. Gerade bei den Verpflichtungsermächtigungen als herausragendem Gestaltungselement für eine wirkungsvolle Entwicklungszusammenarbeit wird dies für die Zukunft zu schweren Fehlentwicklungen und Belastungen führen. Die Kürzungen in diesem Bereich gehen über das hinaus, was wirklich erforderlich gewesen wäre.
Nun komme ich zu den Schwerpunkten, die wir, die SPD-Bundestagsfraktion, daher bei den Haushaltsberatungen setzen werden. Als erstes
nenne ich die verstärkte Förderung von Projekten der selbsthilfeorientierten Armutsbekämpfung.
Herr Minister Spranger, Sie haben unter anderem bei der Vorstellung des Berichts des United Nations Development Programs über die menschliche Entwicklung erklärt, daß der Schwerpunkt Armutsbekämpfung längst zum Bestandteil deutscher Entwicklungspolitik gehöre. Fakt ist aber, daß der Anteil
im Bereich der selbsthilfeorientierten Armutsbekämpfung in den letzten Jahren immer weiter gesunken ist. Wir fordern Sie daher auf, den Anteil auf mindestens 20 Prozent der finanziellen und technischen Zusammenarbeit zu steigern.
Zweitens fordern wir die Erhöhung der Mittel für die entwicklungspolitische Bildung und für private Träger der Entwicklungszusammenarbeit. Dies wäre durch Umschichtung im Haushalt zu erreichen; denn gerade die besondere Bedeutung entwicklungspolitischer Bildungsarbeit und der Nichtregierungsorganisationen ist auch von Ihnen immer wieder hervorgehoben worden. Es geht nicht an, daß die NROs von Ihnen immer wieder dann instrumentalisiert werden, wenn Sie sie brauchen; aber wenn sie Geld von Ihnen fordern, dann werden sie in den Senkel gestellt.
Drittens fordern wir die verstärkte Förderung von Kleinkreditprogrammen. Kleinkreditprogramme gewinnen insbesondere im Bereich der Förderung von Frauen in Entwicklungsländern zunehmend an Bedeutung, da sie besonders nachhaltig wirken. Herr Kollege Pinger, mir wäre es sehr wichtig, wenn wir in dieser Frage zu einer gemeinsamen Initiative finden würden.
Viertens fordern wir keine Kürzungen bei Stiftungen und Kirchen. Gerade die Entwicklungszusammenarbeitsprojekte der Kirchen und Stiftungen dienen in besonderer Weise der Förderung der Zivilgesellschaft in den Entwicklungsländern; wir dürfen das wirklich nicht unterschätzen.
Wir fordern, fünftens, keine Kürzungen bei UNDP und UNIDO. Die Armut ist zwar in den letzten 50 Jahren auf der Welt deutlich zurückgegangen, dennoch weist auch der letzte UNDP-Bericht darauf hin, daß die Zahl der Menschen, die von weniger als einem Dollar pro Tag leben müssen, auf 1,3 Milliarden gestiegen ist. Dies betrifft über ein Viertel der Bevölkerung in den Entwicklungsländern. Kürzungen bei der UNDP sind ein falsches Signal, und Sie haben hier ja doch eine erhebliche Kürzung vorgesehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zum Schluß noch auf einige grundsätzliche Punkte eingehen.
Aus sozialdemokratischer Sicht muß Entwicklungspolitik eine am Ziel der Nachhaltigkeit orientierte Querschnittsaufgabe durch Vernetzung von Entwicklungs-, Außen-, Wirtschafts-, Europa-, Land-wirtschafts- und Umweltpolitik werden. Wir wollen, daß die multilateralen Institutionen gestärkt werden. Das heißt: Die Programme und Transfers der UNO mit ihren Unter- und Sonderorganisationen, der WTO, des IWF und der Weltbank sowie der regionalen Entwicklungsbanken, müssen besser koordiniert werden. Das heißt auch, daß wir den eingeleiteten Reformprozeß unterstützen und unserem politischen Gewicht entsprechend mitgestalten und Stellung beziehen. Das wird einfach von uns erwartet.
Im Bereich der Wirtschafts- und Handelspolitik wollen wir erreichen, daß arme Entwicklungsländer im Prozeß der Globalisierung aufholen können. Entsprechende Strukturhilfe muß daher ein Schwerpunkt unserer Entwicklungszusammenarbeit sein.
Adelheid Tröscher
Entwicklungsländer brauchen einen fairen Zugang zu den Märkten.
Wir müssen stärker als bisher die Entschuldung der am stärksten verschuldeten Entwicklungsländer bei privaten und staatlichen Gläubigern wie auch bei multilateralen Organisationen vorantreiben.
Bemühungen von Entwicklungsländern um demokratische Strukturen, die Garantie von Menschen- und Minderheitenrechten und effektive Verwaltung müssen wir verstärkt unterstützen.
Wir müssen auch stärker zwischen Schwellenländern und armen Entwicklungsländern unterscheiden. Schwellenländern müssen wir öffentliche Mittel vorrangig für die ökologische Umlenkung im Produktions-, Energie- und Verkehrssektor bereitstellen. Für die armen Länder brauchen wir Mittel vorwiegend für Programme im Bereich der Armutsbekämpfung, der Bildung, der Gesundheit, des Umweltschutzes, der eigenen Ernährungssicherung, der Frauenförderung und der gesellschaftlichen Partizipation.
Bei aller Unterschiedlichkeit, die wir manchmal in der Sache haben: Bei diesen Punkten sollten wir gemeinsam handeln.
Ich danke Ihnen.