Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst, Herr Rühe, haben Sie recht: Das Ansehen der Bundeswehr ist in diesem Sommer - zu Recht - gestiegen. Unsere Soldaten haben beim Katastropheneinsatz an der Oder Großartiges geleistet. Ohne ihren koordinierenden und helfenden Einsatz wäre es mit großer Wahrscheinlichkeit zu erheblich mehr Dammbrüchen und noch größeren volkswirtschaftlichen Schäden gekommen. Besonders dankbar möchte ich die Tatsache hervorheben, daß es beim gesamten Einsatz nicht zum Verlust von Menschenleben gekommen ist.
Dagegen mußten wir gestern leider mit tiefem Bedauern zur Kenntnis nehmen, daß es in Bosnien einen weiteren Verkehrsunfall mit Todesfolge gegeben hat und dabei ein Stabsunteroffizier aus dem Gebirgsbataillon 232 in Bischofswiesen, Bayern, getötet und zwei Soldaten verletzt worden sind. Den Angehörigen gilt unser Mitgefühl, und den verletzten Soldaten wünschen wir baldige Genesung.
Frau Kollegin Beer, beim Katastrophenschutz an der Oder hat die Bundeswehr in der Tat mit ihrer herausragenden Leistung ihren Platz und ihre Rolle in der Gesellschaft und im Verfassungssystem gefestigt. Noch vorhandene Skepsis in den neuen Bundesländern ist breiter Zustimmung gewichen. Durch diese helfende Leistung sind die Streitkräfte ein noch selbstverständlicherer und akzeptierterer Teil unseres Volkes geworden, als sie es schon waren. Deswegen möchte ich dies im Namen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion ausdrücklich hervorheben, begrüßen und mich bei allen Soldaten herzlich bedanken. So etwas Törichtes wie Ihre Bemerkung hierzu, daß dies erschreckend sei, habe ich schon lange nicht mehr gehört -
um mich Ihnen gegenüber als Kollege höflich zu äußern; mir läge auch etwas anderes auf der Zunge.
Ich glaube, daß von diesen Sonnenstrahlen, die auf die Bundeswehr gefallen sind, zu Recht auch der Verteidigungsminister einige abbekommen hat. Das ist auch deswegen bemerkenswert, weil Ihre Koalitionskollegen in der Regierung trotz des schönen Sommerwetters, zumindest im August, im übertragenen Sinne eher im Regen standen, den Sie auch noch selbst - bayrisch - herbeigeredet haben. Zehren Sie also, lieber Kollege Rühe, von den Strahlen, die durch die gute Leistung Ihrer Soldaten auch Sie getroffen haben. Denn was ich zu anderen Bereichen anzumerken habe, ist leider nicht nur glänzend und anerkennend.
Die Probleme des Rechtsradikalismus in der Bundeswehr haben, wie wir in den letzten Tagen erfuhren, nun doch einen zahlenmäßig größeren Umfang angenommen, als es uns bisher glaubhaft gemacht wurde. Wir begrüßen es daher, daß der Generalinspekteur die Kommandeure gegenüber den Erschei-
Walter Kolbow
nungsformen des Rechtsradikalismus hat sensibilisieren können. Es ist richtig und erforderlich, um Schaden von der Bundeswehr abzuwenden, wenn nun jeder Fall der insgesamt 110 Fälle aufgegriffen und gemeldet wird. Gleichwohl meine auch ich, daß es die Sachlage verbietet, von einem rechtsradikalen Trend in der Bundeswehr zu sprechen,
weil - so meine Information jedenfalls - 94 Prozent der gemeldeten Täter Wehrpflichtige und 93 Prozent der Fälle sogenannte Propagandafälle sind. Der Kampf gegen rechtsextremistische Verhetzung und Ausländerfeindlichkeit muß daher auch - ich stimme Ihnen zu, Herr Minister - in der Familie, in der Schule, im Ausbildungsbetrieb und im Vereinsleben zivilcouragiert geführt werden, aber eben auch in der Bundeswehr.
Die erhebliche Zahl der nun gemeldeten Fälle beweist, daß die im Verteidigungsausschuß einhellig erhobene Forderung der Verteidigungspolitikerinnen und Verteidigungspolitiker richtig war, mit der Vernachlässigung der staatsbürgerlichen Bildung der Soldaten Schluß zu machen und auch in der Bundeswehr konsequent gegen den in Teilen der jungen Generation vorhandenen Rassismus vorzugehen und die Erziehungsmöglichkeiten der Bundeswehr auch zu nutzen.
Dem Generalinspekteur danken wir für seine Initiative zur stärkeren Nutzung der politischen Bildung in den Streitkräften. Er liegt richtig, wenn er Kommandeure und Chefs anweist, die vielfältigen Möglichkeiten des staatsbürgerlichen Unterrichts zu nutzen, um den Soldaten die verheerenden Folgen von Ausländerfeindlichkeit und Rassismus vor Augen zu führen. Wir hätten diese klaren Worte und auch die deutliche Information, wie viele Fälle dies nun sind, auch von Ihnen, Herr Rühe, erwartet. Schlechte Botschaften überbringen bei Ihnen immer andere; das ist ja auch nicht so medienwirksam.
Dem, was Sie dazu gesagt haben - wie wir vorbereitend, präventiv tätig werden -, wollen wir Ihnen gerne rechtstaatlich folgen. Aber Sie konnten leider auf meine schriftliche Anfrage an die Bundesregierung, wie Sie das denn tun wollen unter Beachtung rechtstaatlicher Kriterien des Datenschutzes, aber auch des Jugendschutzes, keinerlei Auskünfte geben. Sie sagen, Sie prüften noch. Sagen Sie uns bitte aus Sicht der Bundesregierung, auch im Rechtsausschuß, auch im Innenausschuß und natürlich im Verteidigungsausschuß, wie wir dies machen wollen. Sie erhalten dann unsere Unterstützung.
Ich komme nun zum heutigen Hauptthema, der finanziellen Lage der Bundeswehr. Hier hat, wie immer in diesem Zusammenhang, der Bundesminister der Verteidigung Zweckoptimismus verbreitet und einen Haushaltskompromiß zu seinen Lasten mit seinen markigen Worten, die ihm so eigen sind, kaschiert.
Denn die finanzpolitische Lage, in die die Bundesregierung die Bundeswehr mit dem 1998er Haushalt bringt, läßt leider befürchten, daß sich die dunklen Wolken, die durch die Politik dieser Regierung schon bisher über die Bundeswehr geschoben worden sind, weiter verfinstern. Die düstere Lage der Streitkräfte läßt sich eben nicht schönreden und auch nicht auf Foren und in sonstigen Reden im Lande kaschieren und - wie im Forum der „Welt am Sonntag" geschehen - einfach mit der Behauptung beseitigen, es gebe in der Strukturfrage - so Volker Rühe - eine völlige Übereinstimmung zwischen der politischen und militärischen Führung.
Eine gesunde Struktur kann nur erhalten werden, wenn sie bezahlbar ist. Davon beißt die Maus eben keinen Faden ab: Sie, Herr Rühe, haben für diese Struktur seit Jahren nicht genügend Mittel aufbringen können, und für die verfügbaren Mittel haben Sie keine Struktur.
In dieser Frage helfen Ihnen auch nicht die von Ihnen erlassenen Denkverbote. Wer wie Sie 53 Prozent des Etats für den Personalhaushalt der Bundeswehr ausgeben muß und eben nur 22 Prozent für Investitionen übrig hat - so die Zahlen -, der untergräbt die eigene Strukturpolitik. Die vergleichbaren Zahlen für gesunde Streitkräftestrukturen, zum Beispiel bei den Briten und den Amerikanern, aus dem Jahr 1995 sehen gänzlich anders aus. Die Briten wenden 40,9 Prozent für das Personal und 37 Prozent für Investitionen auf; die Amerikaner 39,4 Prozent für das Personal und 29,7 Prozent für Investitionen.
Selbst Ihr Parteifreund Thomas Kossendey, Herr Rühe, stellt an Hand der neuen sicherheitspolitischen Lage in Europa fest, daß eine Verkleinerung der Bundeswehr vor allem in der Teilstreitkraft Heer bezüglich der knappen Haushaltsmittel zukunftsweisend sei. Ich hoffe, er bekommt keine weiteren Schwierigkeiten. Aber wer die Wahrheit sagt wie wir, der bekommt ja auch öfter Probleme mit dem Verteidigungsminister.
Ich zitiere den Kollegen aus der SZ vom 20. Juni, der sagt:
Immer mehr soll also mit immer weniger Geld geleistet werden. Diese Rechnung geht nicht auf. Da helfen weder Denkverbote, wie der Verteidigungsminister sie gerne verkündet, noch populistische und phantasielose Schnellschüsse, wie wir sie in diesen Tagen schon von einigen F.D.P.-Kollegen hören.
Die koalitionsinternen Schnellschüsse des Herrn Kollegen Koppelin machen die Unzufriedenheit mit Ihrer Haushalts- und Strukturpolitik deutlich, wenn er fordert - ich zitiere -:
Walter Kolbow
Würde man 10 000 Wehrpflichtige weniger einberufen, könnten schon 300 Millionen DM für andere Aufgaben freigesetzt werden.
Solche Schnellschüsse lösen das Problem in der Tat nicht, sie machen aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, den Handlungsbedarf deutlich.
Deshalb treten wir für eine parteiübergreifende Wehrstrukturkommission ein, die seriös zu neuen, tragbaren Lösungen kommt, die die Wehrpflicht so lange wie möglich als die für die Bundeswehr beste Wehrform erhalten. Bereits heute liegen interessante Vorschläge hierzu vor, über die es sich parteiübergreifend zu diskutieren und einen Konsens anzustreben lohnt.
Bitte schön, Herr Kollege.