Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Verteidigungshaushalt 1998 halten wir die Bundeswehr einsatzbereit und zukunftsfähig. Der Haushalt ist ein annehmbarer Kompromiß. Die schwierige Finanzlage erfordert von allen schmerzhafte Eingriffe. Die Bundeswehr hat sich dieser Notwendigkeit schon in den letzten Jahren nicht verschlossen. Die Streitkräfte haben einen einzigartigen Sparbeitrag geleistet.
Aber unsere Verantwortung verlangt, daß unsere Bundeswehr ihren hohen Stand bei Ausbildung und
Ausrüstung hält. Die dringend notwendige Modernisierung für Heer, Luftwaffe und Marine kann weitergehen. Dazu gehört auch das neue Jagdflugzeug für die Luftwaffe. Die Finanzierung ist im Verteidigungshaushalt abgesichert.
Die Bundesregierung wird hierzu Ende September entscheiden. Wir haben trotz angespannter Haushaltslage eine Vorhabenplanung, die dem Bedarf aller Teilstreitkräfte angemessen Rechnung trägt.
- Frau Beer, nicht aufregen! Ich habe mich gestern über die Kollegin von der SPD amüsiert, die früher immer vorgerechnet hat, wie viele Kindergärten angeblich nicht gebaut werden können. Jetzt hat sie sich Sorgen um das deutsche Heer gemacht, fast so, als ob sie, Frau Matthäus-Maier, die Heeresbeauftragte der Sozialdemokraten wäre.
Das Heer ist in guten Händen. Die Teilstreitkräfte werden ausgewogen unterstützt.
Ich hoffe, Sie machen sich keine Sorgen um- das Heer, liebe Frau Beer. Es ist in guten Händen und auch in diesem Haushalt hervorragend berücksichtigt.
Ich bin dankbar für die breite Übereinstimmung in der Regierungskoalition, aber auch darüber hinaus, hier im Parlament und in der Öffentlichkeit, daß beim Verteidigungshaushalt nicht mehr gespart werden kann und eine mäßige Konsolidierung notwendig ist,
damit die Bundeswehr ihre Aufgaben erfüllen kann.
Der Haushalt wächst mittelfristig von 46,3 Milliarden DM im Jahre 1997 bis auf 48,6 Milliarden DM im Jahre 2001.
Dadurch steigt der investive Anteil von heute 22,5 Prozent auf über 28 Prozent im Jahre 2001.
Damit kommen wir näher heran an das notwendige und gute Verhältnis von Betriebsausgaben und Investitionen von 70 : 30.
Beim Betrieb steht jetzt die Materialerhaltung vor allem beim Heer im Vordergrund. Das ist eine komplexe Herausforderung an die Logistik. Denn zur Zeit wird das gesamte logistische System grund-
Bundesminister Volker Rühe
legend umgestellt und an die neuen Bedingungen angepaßt. Zugleich laufen Versorgung und Instandsetzung für Ausbildung und Einsatz weiter. Da sind Friktionen und Engpässe unvermeidbar.
Wir müssen unsere Soldaten auf den Einsatz in Bosnien sorgfältig vorbereiten. Deshalb muß die Truppe für jedes Kontingent intensiv üben. Das Material wird daher besonders beansprucht. Im Einsatz in Bosnien wird es ungleich mehr belastet als im Frieden am Standort.
Die Probleme sind erkannt. Wir gehen sie zielgerichtet und mit Nachdruck an. Für die Materialerhaltung vor allem des Heeres haben wir beträchtliche zusätzliche Mittel im Haushalt bereitgestellt. Mein besonderes Augenmerk gilt allen Maßnahmen, mit denen die Ersatzteilversorgung Schritt für Schritt den neuen Erfordernissen angepaßt wird.
Vorrang haben, was der Einsatz verlangt, Ausbildung und Ausrüstung. Unsere Streitkräfte müssen heute nicht mehr in 48 Stunden aufmarschieren können, wie das in der Zeit des kalten Krieges der Fall war. Sie müssen nicht mehr in 48 Stunden verteidigungsbereit sein. Deshalb können wir in der Einsatzbereitschaft und auch in der Materialausstattung differenzieren. Ich bin schon erstaunt über den einen oder anderen Kollegen von den Sozialdemokraten, der ein öffentliches Geheul über die schwierige Lage des Heeres veranstaltet, in Zusammenarbeit mit dem Freundeskreis des deutschen Heeres. Zum Teil verbergen sich dahinter eher Industrieinteressen, als daß es sich um besondere Freunde des deutschen Heeres handelte.
- Der Kollege weiß schon, wen ich meine.
Deswegen kann ich Ihnen nur mit aller Deutlichkeit sagen: Wir sind in einer anderen Lage als 1989. Meine zentrale Verantwortung ist es, wo immer Soldaten zum Einsatz kommen, ihre Ausbildung und Ausrüstung optimal zu regeln. Aber nicht alle 340000 Soldaten der Bundeswehr müssen in jeder Stunde kurzfristig voll ausgebildet, voll ausgerüstet in einen Einsatz geschickt werden können.
Es hat schon etwas für sich, daß sich die Sozialdemokraten von einem Verteidigungsminister dieser Koalition sagen lassen müssen, in ihrem Kopf ein bißchen für Ordnung zu sorgen.
- Ich weiß, das tut weh, wenn man darauf hingewiesen wird, daß man umdenken muß. Die Soldaten, die in den Einsatz gehen, erhalten das Beste, was wir haben. Ihre Ausrüstung in Bosnien hält jedem Vergleich stand.
Vergleichen Sie sie einmal mit den Ausrüstungen der Streitkräfte anderer Länder!
Gegenüber dem Haushalt 1997 steigen die verfügbaren Mittel im nächsten Jahr um rund 550 Millionen DM. Das ist ein wichtiges Signal für die Bundeswehr. Allerdings bleibt der Haushaltsentwurf hinter dem sorgfältig begründeten Bedarf zurück. Deshalb sind einige Eingriffe unvermeidbar.
- Was heißt hier aha? Was meinen Sie denn, was Rot oder Rot-Grün für die Bundeswehr bedeuten würde? Das wäre im Vergleich zu diesen kleinen Eingriffen die Zerstörung der Bundeswehr. Man muß das immer wieder sagen.
- Ich wußte doch, daß es mir gelingen würde, Sie nach dieser staatsmännischen Debatte über den Etat des Auswärtigen Amtes aufzuwecken.
Ich bleibe bei unserer Linie:
Erstens. Eingriffe in die Umfangstärke und die Struktur der Bundeswehr kommen nicht in Frage.
Zweitens. Auch bei Ausbildung und Übung wird es keine haushaltsbedingten Eingriffe geben.
Drittens. Der Aufbau Ost und wichtige Infrastrukturvorhaben zur Einnahme der neuen Struktur werden ebenfalls geschont.
Einige Bemerkungen zur Lage der Bundeswehr. Ich glaube, da können wir alle übereinstimmen: Das Ansehen unserer Streitkräfte war noch nie so hoch wie heute. Die Zustimmung der Bevölkerung zur Bundeswehr ist überwältigend.
- Ach, für Frau Beer ist das erschreckend. Ich glaube, das sollte festgehalten werden. Wenn Soldaten in einer Demokratie die Unterstützung der Bevölkerung haben, dann ist das nicht erschreckend. Es ist vielmehr eine phantastische Sache, wenn die Soldaten vom Vertrauen der Bevölkerung getragen werden.
Es ist nur erschreckend für diejenigen, die eine andere politische Strategie betreiben.
Ich finde es übrigens auch interessant, daß sich Frau Beer morgen bei der angeblich so geheimen KSK-Evakuierungsübung abgemeldet hat.
Ich habe sie für die Abgeordneten aller Fraktionen geöffnet. Selbst Vertreter der PDS kommen. Das sind Berührungsängste mit der neuen erfolgreichen Bundeswehr. Wir öffnen uns dort für alle, damit sie sich angucken können, was wir machen. Wenn Sie kommen würden, würde es Ihnen etwas schwerer fallen,
Bundesminister Volker Rühe
in der Öffentlichkeit weiterhin bestimmte Dinge über den Einsatz der Soldaten zu sagen.
Mit den Leistungen, dem erfolgreichen Kampf gegen die Flut an der Oder, dem Einsatz für den Frieden in Bosnien, dem Aufbau der Armee der Einheit, findet die Bundeswehr heute große Anerkennung und Unterstützung.
An der Oder hat die Armee der Einheit die große Bewährungsprobe bestanden. Wir haben dort Soldaten aus 70 Verbänden aus allen Regionen Deutschlands im Einsatz gehabt. Insgesamt waren es über 30000 Männer und Frauen. Heute weiß jeder, daß dort mehr geschehen ist als das Verbringen von acht Millionen Sandsäcken. Hier sind Menschen sozusagen zusammengewachsen. Die Soldaten können auf das, was sie dort geleistet haben, stolz sein. Die Dankbarkeit der Bevölkerung ist ihr schönster Lohn.
Ich habe an der Oder, auch in Hohenwutzen, zu den Soldaten immer über Bosnien gesprochen, weil ich wußte, was es für eine kritische Entscheidungssituation ist. Das wird auch in den nächsten Wochen der Fall sein. Unsere Soldaten dort leisten einen großartigen Dienst für den Frieden. In diesen Tagen ist das sechste Kontingent bezüglich IFOR und SFOR in den Einsatz gegangen. Man muß sich einmal folgendes vor Augen halten, um zu sehen, daß es eine ganz andere Armee ist: Insgesamt haben jetzt über 31000 Soldaten und Soldatinnen aus der ganzen Bundeswehr, aus Hunderten von Einheiten, aus allen Bundesländern an dem Einsatz im früheren Jugoslawien mitgewirkt.
Der dritte Punkt. Wie kaum eine andere Armee unterstützt die Bundeswehr unsere Nachbarn im Osten auf ihrem Weg in das Atlantische Bündnis. Wir helfen ihnen dabei, daß die Integration in die NATO im Frühjahr 1999 reibungslos erfolgen kann. Militärische Integration ist ein Signal dafür, daß das Schicksal unserer Völker auf das engste miteinander verbunden ist. Diese Schicksalsgemeinschaft ist im Westen über Jahrzehnte gewachsen. Ähnliches soll jetzt mit Polen und den anderen neuen Mitgliedstaaten geschehen.
Sie haben die Verabredung zwischen dem dänischen, dem polnischen und dem deutschen Verteidigungsminister verfolgt, ein gemeinsames Korps zu bilden. Schon im nächsten Monat werden die ersten sechs polnischen Offiziere nach Rendsburg zu LANDJUT kommen. Dann wird es in Stettin ein gemeinsames Hauptquartier mit wechselnder Leitung zwischen diesen drei Ländern geben. Es ist phantastisch, daß wir im dänisch-polnisch-deutschen Verhältnis Vergleichbares schaffen können, wie wir das mit unseren westlichen Nachbarn, den Franzosen, den Niederländern oder auch den Dänen im Norden haben schaffen können.
Wir werden im Oktober in Greifswald zwischen der 14. deutschen Division aus Neubrandenburg, der dänischen Jütland-Division und der 12. polnischen Division aus Stettin feierlich eine Partnerschaft zur Vorbereitung des gemeinsamen Korps besiegeln - übrigens unter einem Chef, der 1993 die Führungsakademie der Bundeswehr in Blankenese absolviert hat. Dies ist eine ganz bewußte Entscheidung des polnischen Verteidigungsministers, für die ich ihm sehr dankbar bin. Es ist eine sehr gute Geste, in der Stettiner Division jemanden einzusetzen, der diese Führungsakademie absolviert hat.
In dieser Zusammenarbeit entstehen persönliche Beziehungen, die unsere Völker verbinden: Truppenbesuche, Soldatenaustausche, Seminare, Sportveranstaltungen, gemeinsame Ausbildung - im Grunde ein Jugendaustausch in Uniform. Es sind alles junge Männer. Ich glaube, das ist der beste Stabilitätsexport, den wir uns vorstellen können.
- Natürlich. Auch mit ihnen wollen wir enger zusammenarbeiten. Es gibt ja auch schon die Teilnahme von russischen Soldaten an PfP. Vor allen Dingen in Jugoslawien arbeiten sie auf das engste zusammen. Also auch hier wollen wir eine engere Zusammenarbeit.
Ich muß mich jetzt etwas kürzer fassen. Wir haben die richtigen Streitkräfte für jede Aufgabe, die dieses deutsche Parlament den deutschen Streitkräften stellen kann: für die Landes- und Bündnisverteidigung - die klassischen Aufgaben -, die neuen internationalen Einsätze und eben auch für einen so gewaltigen Katastropheneinsatz wie den an der Oder.
Ich glaube, das ist die wichtigste Aussage, die wir treffen können: Unsere Soldaten haben die richtige Ausbildung und die richtige Ausrüstung. Bei allem Gejammere, das gelegentlich aufkommt, muß man sehen: Die Hubschrauber, über die manche früher gespottet haben, haben sowohl Menschen aus Tirana gerettet als auch Sandsäcke nach Hohenwutzen verbracht. Sie haben beide Aufgaben glänzend bestanden.
Ich kenne mit Ausnahme der Amerikaner eigentlich niemanden, der ein solches technologisches „asset" hätte. Das heißt, bei allen Lücken, die es immer wieder geben mag und die man über Nacht auch nicht beseitigen kann oder muß, weil wir uns nicht in einer zugespitzten Sicherheitslage befinden, gibt es eine hervorragende technologische Ausrüstung der Bundeswehr für alle Aufgaben, die sich ihr stellen. Das gilt auch für die ausgewogene Mischung von Berufs- und Zeitsoldaten, Wehrpflichtigen und Reservisten.
Jetzt lassen Sie mich als letztes noch kurz sagen: Die Bundeswehr ist das Spiegelbild der Gesellschaft. Dies ist auch gut so. Wir bekommen so in die Streitkräfte viel Intelligenz, Jugendlichkeit und Mobilität, was wir in einer Berufsarmee nie hätten.
Aber wir erhalten natürlich auch die schwarzen Schafe und werden mit den Fehlentwicklungen der Gesellschaft konfrontiert, zum Beispiel mit jungen Menschen, die 18 Jahre in Familie und Schule ge-
Bundesminister Volker Rühe
formt wurden und nach zwei Monaten bei der Bundeswehr auffällig werden. Deswegen ist festzustellen: Jeder Soldat muß wissen, wofür er dient. Niemand sagt das so hart und klar wie wir. Er muß wissen, daß er als Soldat im Dienst und außerhalb des Dienstes für die Würde aller Menschen einzutreten hat. Die Bundeswehr kann und will Schule und Elternhaus nicht ersetzen. Die Versäumnisse können nicht in wenigen Monaten Grundausbildung aufgeholt werden.
Aber wir können auf keinen Fall Kriminelle und Gewalttäter in der Bundeswehr dulden. Auf diese Debatte freue ich mich; denn einige haben sich, so glaube ich, im Sinne einer Verabsolutierung des Datenschutzes voreilig festgelegt. Ich bin dankbar für die Unterstützung, die ich von Frau Schulte und von anderen bekommen habe.
Wehrdienst ist ein Ehrendienst. Dafür steht auch die Uniform. Wir können es nicht dulden, daß Extremisten an der Waffe ausgebildet werden und daß wir ihnen die Uniform geben.
Ich kann übrigens auch nicht akzeptieren, daß jugendliche Straftäter eine Woche nachdem sie bei der Bundeswehr sind, plötzlich zu Straftätern der Bundeswehr werden. In Wirklichkeit handelt es sich um jugendliche Straftäter, die eingezogen werden und der Bundeswehr in der nächsten Sekunde zugerechnet werden.
Ich möchte durch einen Einblick in das Zentralregister, in das Erziehungsregister, was die Reststrafen angeht, und durch Informationen der Landesbehörden wissen, ob beides zusammenkommt, nämlich Gewaltbereitschaft und politischer Radikalismus, und ob sich das in Straftaten geäußert hat. Es ist doch ein Unding, daß wir darüber nicht Bescheid wissen und diese Leute unwissend zum Wehrdienst heranziehen. Eine Woche später heißt es dann: Soldaten haben dieses und jenes gemacht.
Darum geht es. Ich glaube, man kann den Datenschutz für junge Männer in vernünftiger Weise gewährleisten und ihnen keine Jugendsünden auf ewig anhängen. Aber wenn Gewalttaten und politischer Radikalismus zusammenfallen, müssen wir darüber Bescheid wissen. Denn es bleibt immer noch eine Ehre und auch eine Verpflichtung, wenn wir ihnen Uniform und Gewehr geben. Deswegen werden wir diese Diskussion offen führen. Sie zeigt im übrigen auch: Für diese Leute ist kein Platz in der Bundeswehr; da gibt es kein Zurückweichen von unserer Seite.
Ich bedanke mich.