Herr Präsident, ich hoffe auf Ihre gütige Nachsicht. Dem Terminplan nach hätte ich genau die Hälfte der Redezeit von Herrn Riedl. Ich hoffe, unter dieser zu bleiben. Vielleicht überschreite ich trotzdem um eine Minute.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Riedl hat eine Anfangsbemerkung gemacht, über die wir kritisch nachdenken sollten, Herr Außenminister. Das, was Herr Riedl über den proportionalen Anteil des Haushalts des Auswärtigen Amtes - historisch betrachtet - am Gesamthaushalt gesagt hat, hat wenn man bedenkt, daß Sie das Ressort verwalten, das präventive und nicht-militärische Außenpolitik macht - anderwärts könnte viel mehr eingespart werden -, zur Folge, daß präventive Außenpolitik erschwert wird. Die Aufgaben nehmen doch zweifellos zu.
Ich will mich auf ein Thema des Sommertheaters beschränken. Ich kann hier keine Tour d'horizon machen. Dazu ist meine Redezeit zu knapp.
Ich will mich nicht auf das Thema Euro-Neurose beziehen, das eine große Rolle spielte. Dazu hat der Bundeskanzler die nötigen Erklärungen abgegeben, mit denen wir übereinstimmen können. Ich möchte vielmehr über die Abschiebungshysterie sprechen, die wir in diesem Sommer erlebt haben.
Dr. Helmut Lippelt
Der Ausgangspunkt war ganz klar ein opportunistischer gegenüber vermeintlichem Wählerwillen. Dabei ging es um die Feststellung, daß das Profil der größeren Oppositionspartei vom Kandidaten geschärft werden müsse, um Herrn Kanther zu überbieten; denn da wurde eine Schwäche gesehen. Trotzdem wundert mich, daß sich so viele daran beteiligt haben. Auch unser Außenminister hat sich an dieser Diskussion wenig rühmlich beteiligt.
Warum wird der Begriff der „hier straffällig gewordenen Ausländer" sofort unterschiedslos auch auf die noch nicht eingebürgerten, aber hier geborenen Ausländer der zweiten Generation übertragen? Dem Justizminister ist zu danken, daß er hier als erster ein bißchen Klartext geredet, und Herrn Westerwelle ist zu empfehlen, daß er sich von ihm beraten läßt.
Warum verschiebt sich die Diskussion sofort auf afrikanische Länder, von denen wir doch alle wissen, daß ein großer Teil heute von mörderischen Diktaturen beherrscht wird, die ihre Gegner nicht zurücknehmen wollen. Warum verschiebt sich die Diskussion auf die Konditionierung von Entwicklungshilfe? Das sind doch ganz andere Themen.
Das zugrunde liegende Problem - dabei will ich einen Moment verweilen - ist ein ganz anderes. Natürlich gibt es Gründe, weswegen Menschen aus aller Welt zu uns fliehen - natürlich sind manche dieser Gründe nicht anzuerkennen -, natürlich gibt es Schlepperbanden usw. Alles das wissen wir.
Aber: Wer die asylpolitischen Lageberichte des Auswärtigen Amtes in Stichproben kennt, wer die Verharmlosungen in ihnen gelesen hat, wer sich die Mühe gemacht hat, in die Kasuistik der Urteile einzusteigen, mit denen Asylanträge und Nachfolgeanträge abgeschmettert werden, wer auch den einen oder anderen vor Angst zitternden Ayslbewerber einmal in eine sogenannte Heimatbotschaft begleitet hat, wo er unter dem Druck des Ausländeramts Ersatzpapiere beantragen mußte, und dort neben den Konsularbeamten den Geheimdienstleuten begegnet ist, die die Immigration in unserem Lande kontrollieren, der weiß, daß die wirklich politisch Verfolgten oft keine Chance haben, das ihnen von den Müttern und Vätern des Grundgesetzes zugedachte politische Asyl bei uns zu finden, und allein deshalb ihre Herkunft verschleiern, weil sie kein Zutrauen zu unserem Asylverfahren haben und verhindern möchten, ins Land ihrer Verfolger zurückgesandt zu werden.
Dabei ist das Problem längst beherrschbar. Die Asylbewerberzahlen sinken von Jahr zu Jahr. Der Bundeskanzler hat heute morgen eine Zahl von Zuwanderern genannt, die ich für 1996 nicht nachvollziehen kann. Für 1992 - Höchststand der Asylanträge; 300 000 aus Rußland Umgesiedelte - könnte ich die Zahl akzeptieren, für 1995 oder 1996 kann ich es nicht. Im Augenblick beträgt die Zahl der Asylanträge 100 000 pro Jahr,
das entspricht genau der Höhe des gesamtgesellschaftlichen Sterbeüberschusses in Deutschland. Bei
einer Anerkennungsquote von 5 bis 8 Prozent entspricht die Personenzahl der eines größeren Dorfes im jetzt wieder so großen Deutschland. Das Problem ist also beherrschbar.
Ich denke, es ist an der Zeit, das Verfahrensrecht zu humanisieren. Natürlich hat dieser Ungeist der Abwehr des Fremden auch mit Ihrer Außenpolitik zu tun, Herr Kinkel, die sich ihre Zielvorgaben nicht nur von der Wirtschaft, sondern auch vom Innenminister holt. Und nun rangieren diese innenpolitischen Vorgaben vor außenpolitischen Notwendigkeiten.
Beispiel: Normalisierung der Beziehungen zu Milosevic nach Dayton. Plötzlich hat für Sie, Herr Kinkel, die Umsetzung eines Repatriierungsabkommens höchste Priorität, das doch, wie Sie selber und wir alle wissen, zu 75 Prozent Kosovo-Albaner trifft. Und die Forderung an Milosevic, politisch zuvor das Kosovo-Problem zu lösen, ist zweitrangig geworden.
Die Folgen weist der Bericht des Diakonischen Werks Stuttgart aus. Hier wurde den Schicksalen der von der ersten Abschiebewelle Betroffenen nachgegangen. Bei mehr als 50 von ihnen sind schwere Menschenrechtsverletzungen, von Mißhandlung bis hin zum Verschwinden einzelner, dokumentiert.
Was für ein Paradox, wenn wir plötzlich aus Ihrem Munde, Herr Außenminister, die Forderung nach ausländerfreundlicher Stimmung in unserem Land hören. In diesem Punkt unterstützen Sie Bildungsminister Rüttgers, der feststellen mußte, daß die Attraktivität der deutschen Universitäten für ausländische Studenten nachgelassen hat. In der Tat: Die vom Bundeskanzler 1982 angekündigte geistig-moralische Wende ist in einen Salto mortale umgeschlagen. Wir sprechen von Globalisierung nur noch unter dem Aspekt des Kostendrucks auf die Industrie mit der Folge der Arbeitsplatzverluste und bemerken nicht die Provinzialisierung unserer Bildung. Nur noch 2 bis 3 Prozent der deutschen Studenten zieht es ins Ausland. Auch das ist eine Folge der Abschottung gegen das Fremde, wie sie in der Abschiebung von Fremden zum Ausdruck kommt. Weltoffenheit ist nicht teilbar zwischen Harvard-Studenten und Kosovo-Albanern.
Die äußerste Zuspitzung solch gewendeten Geistes erleben wir jetzt in der irrealen Sicherheitsphilosophie unseres Verteidigungsministers, der für 23 Mil-harden DM, das heißt die Hälfte eines Jahresmilitärbudgets, 180 Eurofighter kaufen will und der damit eklatant gegen den Geist der NATO-RußlandGrundakte verstößt.
- Darüber können wir mit etwas mehr Zeit reden. Stellen Sie eine Zwischenfrage, dann rechnet es der Herr Präsident nicht auf meine Redezeit an.