Rede von
Oskar
Lafontaine
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DIE LINKE.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
- Sie dürfen im übrigen auch nicht von der Bundesratsbank Zwischenrufe machen.
- Herr Struck, bevor man zur Sache kommt, muß man immer einige Bemerkungen machen.
Herr Kollege Scharping, Sie haben eine Rede gehalten, die zu hören für uns nicht nur angenehm war. Das ist ja in Ordnung; das gehört zu solchen Debatten. Wir haben Sie aber ungestört reden lassen.
Ich finde es ziemlich skandalös, daß Ihre Parlamentarischen Geschäftsführer während der Rede des Bundeskanzlers durch Ihre Reihen gegangen sind, um Unruhe zu organisieren. Das ist dieses Hauses unwürdig.
- Wir alle haben es beobachtet.
Ich bin ja gewohnt, daß Sie versuchen, uns am Reden zu hindern,
und zwar durch Lärm, den Sie organisieren. Sie haben es auch beim Kollegen Michael Glos so gemacht.
Aber ich finde, Ihr Anliegen wirkt durch die Art, wie Sie sich verhalten, nicht sehr glaubwürdig.
Herr Ministerpräsident Lafontaine, ich will Ihnen noch etwas sagen: Sie haben von der deutschen Einheit gesprochen und gesagt, der Bundeskanzler habe damit relativ wenig zu tun.
Darüber kann man unterschiedlicher Meinung sein.
- Doch.
- Er hat es ziemlich genau so gesagt. Lesen Sie es im Protokoll nach!
Ich weiß jedenfalls eines: Wenn es jemanden in diesem Hause gibt, der davon nicht reden sollte, dann sind Sie es, Herr Lafontaine.
Sie wollten die Einheit nun wirklich nicht. Ihnen habe ich schon im Jahre 1990 in der Debatte zum Einigungsvertrag sagen müssen: Sie haben vergessen, ein einziges Mal ja zur deutschen Einheit zu sagen.
Sie haben doch damals in Bundesrat und Bundestag ein gespaltenes Votum herbeiführen wollen und ähnliches mehr. Reden Sie doch jetzt nicht davon! Es wäre besser, Sie schwiegen darüber.
Herr Gysi, auch Sie haben gezeigt, wes Geistes Kind Sie sind, so nach dem Motto: Kontrolle ist besser, und dann noch möglichst totalitär. Das haben Sie gut gelernt. Das sind wir ja schon gewöhnt; der Bundeskanzler hat das Notwendige dazu gesagt.
Was mich stört, ist die Erfurter Erklärung von Politikern der SPD, der PDS und den Grünen, in der zur neuen Volksfront aufgerufen wird. Das ist ein unglaubliches Dokument.
- Ich habe sie da; ich lese sie Ihnen vor.
Ich will Ihnen sagen, wie ich darauf gestoßen bin: Wir begehen den Tag der deutschen Einheit nach einer gemeinsamen Absprache zwischen Bund und Ländern seit dem Jahre 1990 - ich habe als Innenminister viel damit zu tun gehabt - jedes Jahr in einer anderen Landeshauptstadt, und zwar immer in der Hauptstadt des Landes, das den Vorsitz im Bundesrat hat, also an diesem 3. Oktober in Stuttgart, BadenWürttemberg hat gerade den Vorsitz im Bundesrat.
Welcher Narr reitet Sie eigentlich, zum 3. und 4. Oktober 1997 zu einer Versammlung zur Erfurter Erklärung in Erfurt einzuladen, also zu einer Gegenveranstaltung der offiziellen Veranstaltung zum Tag der deutschen Einheit?
- Herr Thierse, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD. Ziehen Sie ihn zurück. Sie sind doch daran beteiligt.
Der Kollege Richter der SPD-Fraktion moderiert. Sie
sind alle mit dabei. Auf der einen Seite reden Sie von
Gemeinsamkeit und Demokraten, und auf der ande-
Dr. Wolfgang Schäuble
ren Seite organisierten Sie die nächste Volksfront. Das paßt nicht zusammen.
Entweder oder - mit dieser Art von Doppelstrategie
entlarven Sie sich und die Glaubwürdigkeit Ihrer Handschrift.
- Ich finde das überhaupt nicht lächerlich. Es ist todtraurig, daß wenige Jahre nach der deutschen Einheit durch eine Zusammenarbeit von SPD, Grünen - die sind genauso dabei - und PDS in Sachsen-Anhalt regiert wird gegen die stärkste Partei und gegen die Gemeinsamkeit der Demokraten. Das, was wir mit Herrn Gysi heute erlebt haben, ist Anlaß, daran zu erinnern.
- Verzeihen Sie, beim Einzelplan des Bundeskanzlers wird über die Lage der Nation und über die Verhältnisse in Deutschland insgesamt geredet. Das gehört mit dazu, auch wenn Sie es nicht gerne hören wollen. Ich finde Sie in Ihrem Engagement für die Überwindung der Folgen der deutschen Teilung unglaubwürdig, solange Sie mit der PDS gemeinsame Sache machen.
Weil Sie davon geredet haben, daß man vor den Wahlen den Wählern die Wahrheit sagen soll - dazu fordern wir uns ja immer gegenseitig auf -: Dazu gehört auch, daß Sie vor den Wahlen so tun, als würden Sie mit der PDS keine gemeinsame Sache machen, wie Sie es in Sachsen-Anhalt gemacht haben. 24 Stunden nach der Wahl bilden Sie entgegen allen Ankündigungen mit der PDS faktisch eine Koalition. Das ist die Wahrheit, und das dürfen wir für das nächste Jahr auch erwarten.
Herr Ministerpräsident Lafontaine,
Sie haben davon gesprochen, es ginge dem Bundeskanzler und der Koalition Ihrer Meinung nach mehr damm, die Macht zu bewahren und sie in den nächsten Wahlen wieder zu gewinnen, als die Probleme des Landes zu lösen.
- Er hat uns doch den Vorwurf gemacht.
- Ist doch in Ordnung.
Ich wollte gerade sagen: Wir sind vielleicht alle nicht ganz vor der Versuchung gefeit, nicht nur an das Wohl des Landes zu denken, sondern auch daran, daß wir überzeugt sind, selber den besseren Weg für die Zukunft des Landes zu haben, und deswegen für eine Mehrheit und für unsere Politik kämpfen.
Nur, wenn Sie in einem Zusammenhang davon reden, daß man über die Probleme des Landes wahrheitsgemäß und problemorientiert diskutieren muß, Herr Lafontaine, dann können Sie nicht so tun, wenn Sie ernstgenommen werden wollen, als seien die schweren Sorgen, die wir mit der Arbeitslosigkeit haben - das ist doch völlig unbestreitbar - nur die Folgen der Politik der Bundesregierung und der Koalition. Sie gehen völlig an der Wirklichkeit vorbei. Da können Sie doch gar nicht ernstgenommen werden.
Der Bundesfinanzminister Theo Waigel hat gestern - Frau Matthäus-Maier, es war ein bißchen schade um Ihre Nichtantwort -, in einer ungewöhnlich klugen und die Probleme in den Gesamtzusammenhang stellenden Einbringungsrede für den Bundeshaushalt darauf hingewiesen,
daß wir eine sehr gespaltene Situation haben. Wir haben am heutigen Tag die Meldung, daß wir im zweiten Quartal dieses Jahres im Schnitt 2,9 Prozent reales Wirtschaftswachstum haben.
Das ist doch nicht schlecht. Aber wir haben am selben Tag die Meldung, daß es im August 4,4 Millionen Arbeitslose gibt. Das ist verheerend. Beides gehört zusammen. Deswegen wäre es gescheiter, wenn wir in der Debatte an das angeknüpft hätten, was Theo Waigel schon gestern in seiner Einbringungsrede gesagt hat.
Die Tatsache, daß es gute Nachrichten gibt - wir haben doch eine Menge Erfolg gehabt - und daß es schlechte Nachrichten gibt, hat doch entscheidend damit zu tun, daß sich die Welt in einem ungeheuren Tempo verändert. „Globalisierung" kann man es nennen. Ich nenne weiter: Veränderungen in der industriellen Arbeitswelt durch technologische Revolution, Veränderungen in der sozialen Wirklichkeit unseres Landes - ich möchte als Beispiel die demographische Entwicklung, die Tatsache, daß die Menschen länger leben, und den Sachverhalt, daß wir in Großstädten 50 Prozent Ein-Personen-Haushalte haben, anführen - und dergleichen mehr. Dann kommt Herr Lafontaine so plump daher. Die 3 Millionen Arbeitsplätze, die in den 80er Jahren in diesem Land entstanden sind, sind nicht allem von der Regierung geschaffen worden. Das war das Ergebnis des Engagements von Arbeitgebern und Gewerkschaften in unserem Lande, einer gesamtgesellschaftlichen und wirtschaftlichen Anstrengung, und auch das Ergeb-
Dr. Wolfgang Schäuble
nis einer richtigen Politik. Daran müssen wir anknüpfen.
- Ja, es gibt auch eine Reihe von Problemen, an deren Lösung wir weiter arbeiten müssen.
Ich sage: Wir müssen das Tempo der Innovation beschleunigen.
Frau Matthäus-Maier, ich habe aus den letzten Jahren die Erinnerung behalten, daß immer, wenn es darum ging, konkrete innovatorische Prozesse in unserem Land voranzubringen - damit wir, wie der Bundesfinanzminister gefordert hat, in der Lage sind, auf weltweite Entwicklungen angemessen zu reagieren -, Sie im Bremserhäuschen waren. Heute haben Sie das wieder gemacht.
Die Art, wie Sie teilweise - Sie, Herr Fischer, in diesem Fall besonders - über die Privatisierung gesprochen haben, verkennt doch völlig, daß, wenn es eine Antwort auf die Entwicklungen unserer Zeit und der Welt von heute und morgen gibt, sie ganz sicher lautet, daß die großen bürokratischen Strukturen nicht in der Lage sind, angemessen schnell zu reagieren.
Deswegen ist Privatisierung der richtige Weg,
und deswegen ist die Privatisierung der Telekom der richtige Weg. Das bekämpfen Sie.
Welchen Widerstand haben Sie geleistet, bevor wir die Postreform und die Bahnreform zustande bringen konnten!
Wenn Sie jetzt bessere Einsichten gewonnen haben, ist das ja zu begrüßen.
Es interessiert mich überhaupt nicht, daß in 12 Monaten Wahl ist. Wir haben in dieser Legislaturperiode noch 12 Monate vor uns, in denen wir gemeinsam noch eine Menge voranbringen können, um die Arbeitslosigkeit in unserem Lande zu bekämpfen. Das ist das vorrangige Thema.
Sie haben die auch nicht erfreuliche Situation auf dem Lehrstellenmarkt angesprochen und haben gesagt, sie stelle sich so dar, wie sie in diesen Tagen beschrieben worden ist. Die Wirklichkeit ist differenzierter und komplizierter - das hat der Bundeskanzler zu Recht angesprochen -, als es an Hand der Zahlen, etwa der Zahl 150 000, den Anschein hat. Aber niemand kann zufrieden sein, wenn wir so große Probleme haben, für alle jungen Menschen, die ausbildungsfähig und ausbildungswillig sind, die gewünschten oder die notwendigen Ausbildungsplätze zu finden.
Es hat sich übrigens kaum jemand persönlich stärker dafür engagiert, daß das Problem gelöst wird, als der Bundeskanzler Helmut Kohl, dem dafür auch einmal gedankt werden soll.
Ich habe übrigens früher als andere von dieser Stelle aus immer wieder darauf hingewiesen, auch die Verantwortlichen in der Wirtschaft und zwar auch die in der Großindustrie - das Handwerk ist ja nach wie vor vorbildlich in seiner Ausbildungsbereitschaft -, daß die Glaubwürdigkeit und Legitimität der Reformansätze, die wir alle miteinander, Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften - alle, denen das Schicksal unseres Landes nicht gleichgültig ist -, betreiben müssen, nicht zuletzt dadurch eine Bestätigung erfahren, daß es gelingt, rechtzeitig und genügend Ausbildungsplätze im Jahre 1996, im Jahre 1997 und darüber hinaus zu schaffen.
Nun sagen Sie wieder: Wir machen eine Ausbildungsumlage, wenn es nicht funktioniert.
Sie machen da wieder den Fehler, daß Sie aus der Unzufriedenheit mit einer Situation heraus - sie teilen wir; niemand ist mit der Lage auf dem Ausbildungsmarkt, wie sie im Augenblick erscheint, zufrieden - zur Lösung des Problems nach den großen bürokratischen Strukturen greifen, die zur Lösung der Probleme ungeeignet sind. Das ist der falsche Weg. Deswegen lehnen alle diejenigen, die in Ihrer Partei konkret Verantwortung für die wirtschaftliche Entwicklung tragen, das ab. Der Wirtschaftsminister von Schleswig-Holstein - der Kollege Dietrich Austermann hat ja gestern den Artikel aus der FAZ zitiert; ich habe ihn ebenfalls mitgebracht, wenn Sie ihn noch einmal hören wollen -, der Wirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen - ich weiß nicht, wer alles noch -, also alle diejenigen, die sich konkret für die wirtschaftliche Entwicklung verantwortlich fühlen, haben ja inzwischen verstanden, daß die großen bürokratischen Strukturen zur Lösung der Probleme ungeeignet sind.
Dr. Wolfgang Schäuble
Wenn wir auf diesen enormen Wandel, der sich mit den Stichworten „Globalisierung", „technologische Revolution" und dergleichen mehr verbindet, angemessen reagieren wollen, brauchen wir mehr Flexibilität, brauchen wir mehr Subsidiarität, brauchen wir mehr Eigenverantwortung und Engagement in allen Bereichen.
Deswegen ist es übrigens falsch, wenn Sie immer wieder diese Neiddebatte führen. Wir brauchen in allen Bereichen Veränderungen. Es darf nicht der eine gegen den anderen ausgespielt werden. Es gab sogar Ansätze für eine kommunale Arbeitsmarktpolitik. Liebe Kolleginnen und Kollegen, darüber können wir uns schnell verständigen. Meine Fraktion arbeitet seit langem an der Frage: Wie können wir Sozialhilfe, arbeitsmarktpolitisches Instrumentarium und subsidiäre Eigenverantwortung der Gemeinden stärker zusammenbringen? Dazu gehört aber auch die Frage: Wie können wir die Schwelle zwischen Transfereinkommen, die richtigerweise ohne eigene Leistung bezahlt werden, und geringer bezahlter Arbeit auf dem Arbeitsmarkt so erhöhen, daß es für die Menschen nicht attraktiver erscheint, gar nicht zu arbeiten, als eine geringer bezahlte Arbeit anzunehmen?
- Nein, allein mit dem Grundfreibetrag lösen Sie das Problem nicht.
Ich glaube, daß wir intelligentere Lösungen haben. Die Arbeitgebervereinigung hat den Kombilohn genannt.
Wir haben seit langem gesagt: In der Sozialhilfe müssen wir die Verrechnung von geringeren Arbeitseinkommen und einem Rest Sozialhilfe ändern. Der Bundesgesundheitsminister, Horst Seehofer, hat in diesen Wochen einen sehr klugen Vorschlag in die Tat umgesetzt, die Anrechnung zu verringern. Wenn wir auf diese Weise vorangehen, haben wir bessere Chancen, die Arbeitsmarktprobleme zu lösen.
Wenn Sie diese Sozialneiddebatte, Herr Lafontaine, aber so führen, wie Sie es heute wieder getan haben, dann schaden Sie genau dem Anliegen, dieses Ziel zu verwirklichen. Denn wenn den Menschen eingeredet wird, es seien nur die sogenannten Besserverdienenden und der Staat schuld an ihrem Schicksal, dann ermutigen Sie sie nicht, ihre eigenen Möglichkeiten im Rahmen dessen, was ihnen gegeben ist, zu nutzen.
Deswegen brauchen wir mehr Bereitschaft zur Selbständigkeit.
- Ach, Pleitewelle. Herr Fischer, Ihre Zwischenrufe werden immer schwächer.
Sie waren schon früher nicht so toll, und sie werden immer schwächer.
Sie zeichnen sich inzwischen - das fiel mir auch bei Ihrer Rede auf, wenn ich Ihnen das sagen darf - nur noch durch ein beachtliches komödiantisches Talent aus.
Aber Sie tragen nichts mehr zur Substanz der Politik bei.
Sie haben einen großen Rivalen. Was komödiantisches Talent anbetrifft, Herr Kollege Fischer, haben Sie natürlich einen ernsthaften Wettbewerber, und zwar in Gestalt des Hamburger Bürgermeisters. Auf eine Kanzel zu gehen und zu sagen „Ich würde niemals wegen Geld aus der Kirche austreten; ich bin auch nie aus der Kirche ausgetreten" und dann vergessen zu sagen, daß man nie in der Kirche gewesen ist, das ist schon eine beachtliche schauspielerische Leistung.
- Ich habe Ihr komödiantisches Talent gelobt und beklagt, daß Sie ansonsten keinen Beitrag zur Substanz der Politik leisten.
Wenn Sie auf die Forderung nach mehr Selbständigkeit „Pleitewelle" rufen, dann sage ich Ihnen: Es wird vielleicht gescheiter sein, wir machen uns auch an die Novellierung unseres Konkursrechtes in dem Sinne heran, daß wir die Bereitschaft zur Existenzgründung nicht durch die lebenslange Haftung für den Fall, daß die Existenzgründung scheitert - -
Dr. Wolfgang Schäuble
- Wir sind ja dran. Wir machen das ja.
- Ich mache das Schnitt für Schnitt.
Sie haben Selbständigkeit, Unternehmertum in diesem Lande durch Ihre Neiddebatten immer diffamiert.
So schafft man doch nicht das Klima, das man braucht, um die Menschen zu ermutigen, den Schritt ins Risiko, in die Selbständigkeit zu tun, um Arbeitsplätze zu schaffen.
Wir brauchen ein Klima der Ermutigung.
Deswegen brauchen wir auch eine Steuerreform. Je schneller wir sie zustande bringen, um so besser.
Herr Ministerpräsident Lafontaine, lassen Sie uns das noch einmal in aller Ruhe gegeneinanderstellen, so daß es vielleicht auch für jemanden außerhalb dieses Saales verständlich ist: Wir haben in Bundestag und Bundesrat unterschiedliche Mehrheiten; beide sind gleich legitim, denn sie beruhen auf Wählerentscheidungen. Sie freut die Mehrheit im Bundestag nicht, uns freut die Mehrheit im Bundesrat nicht. Das ist in Ordnung. Wir sind gleichwohl bei Gesetzen, die nach dem Grundgesetz der Zustimmung des Bundesrats bedürfen - das sind ja nicht alle -, darauf angewiesen, zu gemeinsamen Lösungen zu kommen.
Wir sind immer noch davon überzeugt, daß die Konzeption unserer Steuerreform, die wir unter der Federführung von Theo Waigel vorgelegt - Peters-berger Beschlüsse - und im Bundestag verabschiedet haben, richtig und angemessen ist. Und wir werden Woche für Woche durch alle tatsächlichen Entwicklungen und durch alle Sachverständigen in Wirtschaft und Bundesbank bestätigt.
Die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden sind gleichermaßen von dem Problem betroffen, daß die Einnahmen aus der veranlagten Körperschaft-
und Einkommensteuer bei hohen Steuersätzen und einer wachsenden Wirtschaft immer stärker zurückgehen. Das ist leider so, und das betrifft alle.
- Herr Kollege Zwischenrufer, dann könnte man doch gemeinsam zu der Erkenntnis kommen, daß eine Steuerreform, die das Prinzip verwirklicht, Ausnahmen von der Besteuerung zu beseitigen und die Steuersätze insgesamt zu senken, nicht dazu führt - wie Herr Lafontaine gesagt hat -, neue Löcher in die
Haushalte zu reißen, sondern geeignet ist, die Löcher zu schließen, weil die Steuereinnahmen wieder steigen.
- Langsam! Kollege Michael Glos hat Herrn Scharping schon vorgehalten, man müsse zwischen unseren Vorschlägen für 1998 und denen für 1999 unterscheiden. Es macht auch gar keinen Spaß, wenn Sie unser Bemühen, festzustellen, wo Möglichkeiten einer Einigung sind, nicht differenziert betrachten. Wir nehmen ja Ihre Erklärungen ernst und versuchen dennoch, auszuloten, wo man sich einigen kann.
Herr Lafontaine, Sie haben von diesem Pult aus des öfteren erklärt, die Mehrheit im Bundesrat sei nur bereit, über eine Steuerreform zu verhandeln, wenn sie zum 1. Januar 1998 in Kraft tritt. Über alles nach der Wahl wollten Sie nicht verhandeln. Das haben Sie oft genug gesagt. Dies halten wir für falsch, weil wir glauben, daß eine Steuerreform die Spielräume für Nettoentlastungen längerfristig ausloten muß, wie wir dies übrigens in den 80er Jahren in drei Stufen sehr erfolgreich durchgeführt haben.
Deswegen schlagen wir vor: Laßt uns ein mittelfristiges Konzept vereinbaren. Unser Petersberger Konzept ist ja nicht auf 1998 bezogen. 1998 können die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden Steuermindereinnahmen in Höhe von 30 Milliarden DM nicht verkraften. Das haben wir nie vorgeschlagen, haben wir auch nicht beschlossen. Vielmehr haben wir im Bundestag ein Gesetz beschlossen, das für 1998 die Auswirkungen für die Haushalte der öffentlichen Gebietskörperschaften insgesamt
auf 1 Milliarde DM begrenzt. Das ist zumutbar und verkraftbar.
Wenn Sie also bereit sind, über eine Steuerreform zu reden, die über 1998 hinausgeht, müssen wir mit einer Nettoentlastung in der Größenordnung der Summe rechnen, die in den Petersberger Beschlüssen entwickelt und vorgeschlagen worden ist.
Wenn Sie darauf bestehen, nur über 1998 zu verhandeln - was wir für falsch halten -, dann sind wir auch zu diesem Schritt bereit. Den nächsten können wir dann halt erst nach der Wahl gehen. Dann bleiben wir in dem Rahmen, den wir festgelegt haben. Die Begrenzung der Einnahmeverkürzungen für den Haushalt 1998 muß dann in der Größenordnung dessen sein, was im Steuerreformgesetz 1998 beschlossen wurde. Auch diesbezüglich sind wir nicht nur gesprächs-, sondern einigungsbereit.
Wenn es allerdings bei der Entlastungsstufe 1998 bleibt, schlagen wir gemeinsam vor - da gibt es überhaupt keinen Unterschied zwischen F.D.P., CDU und CSU; wir alle sind derselben Meinung -, 1998 wenigstens den Teil der Beseitigung von Ausnahmetatbe-
Dr. Wolfgang Schäuble
ständen, dem auch Sie zustimmen, zu verabschieden. Sie haben dazu ja gelegentlich schon Presseerklärungen abgegeben. Von unserer Seite hat Hans-Peter Repnik das immer wieder vorgetragen. Vielleicht können wir uns auf die Beseitigung einiger Schlupflöcher verständigen, um damit die Steuersätze - aber alle, vom Eingangssteuersatz bis zum Spitzensteuersatz - zu senken.
Nur das macht Sinn.
Sie wissen ganz genau: Wenn wir die Spitzensteuersätze nicht senken, können wir das Problem nicht lösen, daß ein immer größer werdender Teil derjenigen, die höhere Steuersätze zu bezahlen hätten, sie nicht bezahlen, weil sie entweder ihre Einkünfte ins Ausland verlagern oder weil sie legale, zum Teil auch illegale Schlupflöcher nutzen, um sich der Besteuerung zu entziehen.
Wenn es dabei einen Zweifel gegeben hätte, daß Sie das verstanden haben, dann, Herr Lafontaine, haben Sie ihn selber beseitigt, indem Sie einen Vorschlag gemacht haben, über den ich einen Moment lang gedacht habe: Mein lieber Mann, ob er sich das genau überlegt hat?
Sie haben vorgeschlagen, einen Mindeststeuersatz von 20 Prozent einzuführen.
- In den Vereinigten Staaten nennt man das flat tax. Da zahlen alle oberhalb eines Freibetrags für ihr Einkommen denselben Prozentsatz.
Sie führen eine Sozialneidkampagne gegen uns, weil wir unseren Spitzensteuersatz von 53 Prozent auf 40 Prozent absenken wollen. Gleichzeitig schlagen Sie vor, einen Mindeststeuersatz von 20 Prozent, der im Ergebnis der Spitzensteuersatz ist, einzuführen. Haben Sie denn noch alle Tassen im Schrank?
Wenn Sie diesen Vorschlag verwirklichen, dann führt er dazu, daß ein Steuerpflichtiger, der die entsprechenden steuerlichen Möglichkeiten nutzt, für jede zusätzliche Mark auch dann, wenn er über 1 Million DM oder 1,1 Million DM Einkommen verfügt, nicht 40 Prozent oder wie heute 53 Prozent Einkommensteuer bezahlt, sondern 20 Prozent. Das ist für uns keine Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit.
Deswegen glauben wir, daß unser Reformansatz der richtige ist.
- Es ist so, Herr Scharping. Sie wissen das selber. Der Mindeststeuersatz, den Lafontaine vorgeschlagen hat, hat genau diese Wirkung.
Ich will gar nicht daran festhalten. Ich bin nie ein Anhänger der flat tax gewesen. Ich sage Ihnen: Richtig ist, daß wir die Ausnahmen von der Besteuerung soweit irgend möglich beseitigen und das gleichzeitig dazu nutzen - Herr Bundesfinanzminister, wir haben das gemeinsam erarbeitet -, alle Steuersätze, den Eingangssteuersatz, die Steuersätze für mittlere Einkommen und die Steuersätze für höhere Einkommen, gleichmäßig und gleichgewichtig zu senken. Das ist der Inhalt unserer Steuerreformkonzeption.
Das können wir in einer ersten Stufe notfalls auch mit geringen Auswirkungen für den Haushalt 1998 verwirklichen. Darüber sollten wir in den nächsten Stunden und Tagen vernünftig reden und rasch zu einem Ergebnis kommen. Es würde die Chancen für weniger Arbeitslosigkeit in unserem Land verbessern.
Eine zweite Bemerkung: Herr Kollege Scharping, Sie haben heute morgen in Ihrer Rede - ich habe es mir aufgeschrieben - sinngemäß gesagt: Laßt uns doch jetzt wenigstens mit einem ersten Schritt zur Senkung der Lohnnebenkosten beginnen.
Sie, Herr Lafontaine, haben etwas Bemerkenswertes gemacht. Sie haben eine Erhöhung der Mehrwertsteuer ganz schlechtgeredet. Sie haben gesagt, der Einzelhandel könnte keine Erhöhung der Mehrwertsteuer verkraften.
- Doch, das haben Sie hier gesagt. Unmittelbar vor mir haben Sie gesagt, eine Mehrwertsteuererhöhung wäre ganz schlecht. Das Handwerk und den Einzelhandel haben Sie angesprochen. Sie müssen das Protokoll schon ziemlich umschreiben, wenn das nachher nicht mehr drinstehen soll.
Sie sollten bei dem, was Sie hier sagen, nicht vergessen, daß Sie gerade mit Ihrer Mehrheit im Vermittlungsausschuß eine Erhöhung der Mehrwertsteuer vorgeschlagen haben. So schlecht kann sie also nach Ihrer Auffassung auch nicht sein.
Ich sage Ihnen jetzt, worüber wir uns einigen könnten. Ich stimme Ihnen zu, daß die Rentenreform nach dem Grundgesetz nicht der Zustimmung des Bundesrats bedarf. Sie ist eine Gesetzgebungsmaterie, die nicht der Zustimmung des Bundesrats bedarf.
Es spricht gleichwohl viel dafür - deshalb unterstütze ich Norbert Blüm, ich habe ihn immer unterstützt -, in der Rentenpolitik zusammenzuarbeiten, weil die Reform eine sehr langfristige ist. Wenn es aber nicht geht, weil Sie sagen: Das machen wir nicht, dann machen wir es auch alleine.
Aber eine Erhöhung von Verbrauchsteuern - jedenfalls der Mehrwertsteuer - bedarf, außer der Mineralölsteuer, der Zustimmung des Bundesrates. Herr Kollege Lafontaine, selbst Sie und die SPD haben gesagt, eine Erhöhung der Mineralölsteuer um
Dr. Wolfgang Schäuble
15 Pfennig in einem Schritt ist aus wirtschaftspolitischen Gründen nicht zu verantworten. Sie haben darin recht. Verursachen wir doch keine Differenzen in Punkten, in denen wir uns bisher einig waren. Das ist auch die Position der SPD: Die Mineralölsteuer ist ein Kostenfaktor, und schockartige Veränderungen sind immer schwierig.
In der Koalition gibt es in der Frage, ob man die Mineralölsteuer nicht behutsam Schritt für Schritt erhöhen kann, unterschiedliche Positionen. Lieber Himmel, das ist so aufregend nun nicht. Das habe ich oft gesagt. Meine Meinung dazu kennen Sie.
Aber Sie können das Problem einer Senkung des Rentenversicherungsbeitrags um einen Prozentpunkt - das kostet nämlich 15 Milliarden DM - nach Ihrer eigenen Auffassung nicht allein über die Mineralölsteuer lösen. Deswegen brauchen wir dafür die Mehrwertsteuererhöhung. Ihre Forderung, dies bis zum 1. Oktober 1997 zu verwirklichen, geht technisch nun wirklich nicht. Es ist auch sehr schwierig, die Mehrwertsteuer jetzt noch zum 1. Januar 1998 zu erhöhen; denn natürlich haben zum Teil die Versandhäuser ihre Kataloge schon gedruckt. Eine solche Erhöhung ginge natürlich auch in die Preiskalkulation ein.
Trotzdem hat die Koalition, haben CDU, CSU und F.D.P. in einer Entschließung in der Sitzung des Bundestags Anfang August vorgeschlagen: Laßt uns zum 1. Januar 1998 den Rentenversicherungsbeitrag um einen Prozentpunkt senken und dieses durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt finanzieren.
Wenn Sie sagen, jetzt müsse schnell ein Schritt gemacht werden, dann erklären Sie doch jetzt hier und heute, im übrigen unbeschadet unterschiedlicher Meinungen zur Rentenreform: Sind wir uns in der Frage, Rentenversicherungsbeitrag und Arbeitskosten zu senken und dafür einen maßvollen Schritt zu tun, die Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt zum 1. Januar zu erhöhen, einig? Dann können wir es gemeinsam machen. Im übrigen streiten wir über die richtige Rentenpolitik und ob es dort Gemeinsamkeiten gibt.
Wenn Sie es heute oder morgen erklären - das kann man dann im Vermittlungsausschuß schnell zu Ende bringen, schon nächste Woche können wir dem mit Sondersitzungen von Bundestag und Bundesrat zustimmen -, dann haben wir, Herr Scharping, den, Schritt, den Sie hier konkret gefordert haben. Wenn Sie es aber damit verknüpfen, daß Sie sagen: Nur wenn ihr die an sich nicht zustimmungsbedürftige Rentenreform so macht, wie wir es uns vorstellen, weil Sie im letzten Vermittlungsverfahren vor Herrn Dreßler eingeknickt sind - so war doch der Ablauf -, dann blockieren Sie auch wieder in dieser Frage, obwohl wir uns an sich in der Sache einig sind. Das sollten Sie nicht tun.
Jetzt will ich Ihnen dazu noch etwas sagen. Ihre Position in der Rentenversicherung ist aus meiner Sicht in zwei Punkten wirklich falsch. Erstens: Angesichts der demographischen Entwicklung - es ist erfreulich, daß die Menschen länger leben; weniger erfreulich ist, daß wir weniger Kinder haben - kommt doch niemand, der auf längere Sicht - Herr Fischer, es geht also um Ihre Generation und die nächsten Generationen - die Renten sichern will, darum herum, diese demographische Entwicklung in der Rentenformel zu berücksichtigen.
Warum wird denn das Reformwerk von Norbert Blüm und der Koalition von der SPD so diffamiert, wenn es unausweichlich notwendig und richtig ist, die demographische Entwicklung in der Rentenformel zu berücksichtigen?
Ihre Position ist reines Umfinanzieren: Steuern herauf, Beitrag herunter, ansonsten nichts einsparen. So senken wir die Staatsquote nicht. Aber die Staatsquote ist zu hoch. Deswegen brauchen wir beides: Strukturreform und Umfinanzierung; aber eben nicht nur Umfinanzierung, sondern auch Strukturreform.
Der zweite Punkt ist genauso falsch; dabei geht es umdie versicherungsfremden Leistungen, mit denen Sie argumentieren. Das macht sich zwar gut. Man kann die Leute leicht aufhetzen; das tun Sie gelegentlich gerne. Sie haben mit den versicherungsfremden Leistungen viel vor und erzählen, wie Sie diese bei den Aussiedlern berücksichtigen wollen oder gegen wen es Ihnen paßt, die Propagandamühlen zu drehen.
Wenn Sie alle versicherungsfremden Leistungen konsequent aus der Rentenversicherung herausnehmen, haben Sie keine solidarische Rentenversicherung mehr, sondern ein System, bei dem jeder mit Hilfe der Versicherungsmathematik und der Lebenserwartung ausrechnet, was er in die Versicherung einbezahlt hat und wieviel er zurückbekommen kann. Das ist dann eine private Lebensversicherung; dazu brauchen Sie keine solidarische Rente.
Unsere solidarische Rente beruht auf dem Gedanken der Solidarität und des Ausgleichs. Darüber waren wir uns bei der Rentenreform Anfang der 90er Jahre übrigens noch einig.
Ich kann Ihnen das vorlesen, wenn Sie wollen. Wenn Sie die versicherungsfremden Leistungen aus der Rentenversicherung herausnehmen, dann geht das Prinzip der Solidarität in der Rentenversicherung flöten. Dann ist es nicht mehr diese Republik und nicht mehr dieser Sozialstaat. Deswegen wollen wir das nicht.
Im übrigen ist der Streit für die Bürger in Wahrheit doch völlig uninteressant. Denn das, was Sie in Ihren Reden als versicherungsfremde Leistungen sehr be-
Dr. Wolfgang Schäuble
redt brandmarken - allerdings wahrheitswidrig -, ist
durch den Bundeszuschuß zur Rentenversicherung längst abgedeckt. Wir haben ja einen Zuschuß zur Rentenversicherung, der übrigens der größte Einzelposten auch in den Haushalten 1997 und 1998 ist. Über 80 Milliarden DM Bundeszuschuß zur Rentenversicherung!
Wenn wir diesen Bundeszuschuß nach unseren Vorstellungen um weitere 15 Milliarden DM erhöhen wollen, uni den Rentenversicherungsbeitrag entsprechend abzusenken, dann gibt es überhaupt keine reale Grundlage mehr für eine Debatte über versicherungsfremde Leistungen in der Rentenversicherung.
Wir wollen die Unterschiede gar nicht einebnen. Aber dort, wo gemeinsames Handeln notwendig und möglich ist, wo es also darum geht, gemeinsam zu handeln, lassen Sie uns doch jetzt eine erste Stufe der Steuerreform mit Auswirkungen, die für die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden verkraftbar sind, nach gemeinsamer Überzeugung machen, und lassen Sie uns ferner den Rentenversicherungsbeitrag senken, indem wir es insoweit machen, wie wir Gemeinsamkeit haben.
Dann hätte diese Debatte mehr Sinn als alle Ihre Reden. Denn in der Zeit, in der wir angesichts der Situation unseres Landes sind, angesichts der ungeheuren Veränderungen und angesichts der Gefahrenpotentiale, die neben allen Chancen darin auch liegen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist Reden in diesem Fall nur Silber und Handeln Gold. Handeln Sie mit uns!