Rede von: Unbekanntinfo_outline
Erblast. Nun, ich bin mittlerweile alt genug; ich kann mich an diese Debatte noch erinnern. Mit der Erblast sind Sie an die Macht gekommen, von der Erblast haben Sie jahrelang gelebt, und die Erblast, fürchte ich, wird Sie auch die Macht wieder kosten.
Mit 1,8 Millionen Arbeitslosen sind Sie angetreten; heute haben wir 4,3 Millionen Arbeitslose. Auch wenn Sie den Faktor deutsche Einheit - ich möchte hier nicht blind polemisieren - hinzurechnen, bleibt festzuhalten: Auch in Westdeutschland haben wir einen dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit zu verzeichnen. Wenn man bei Ihnen eine Politik gegen die Arbeitslosigkeit sucht, findet man nichts - trotz Ihres Versprechens, die Arbeitslosigkeit zu halbieren. Konsequenz: Diese Bundesregierung hat durch gesetzliche Maßnahmen in den vergangenen Monaten dazu beigetragen, daß die Arbeitslosigkeit steigt.
Im Mai hat Herr Jagoda - weiß Gott für uns ein unverdächtiger Zeuge -, der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, in seiner Pressekonferenz gesagt: In diesem Jahr ist die Arbeitslosigkeit vor allem auch deswegen angestiegen, weil drei Faktoren eine Rolle gespielt haben: erstens die Unfähigkeit dieser Regierung, die Probleme der Bauwirtschaft zu lösen; zweitens die Verlagerung von AB-Maßnahmen, das Kürzen, das Zerschlagen von ABM-Strukturen, das Kürzen im gesamten Ausbildungsförderungsbereich durch diese Regierung auf Grund der Haushaltsnöte. Die Menschen haben sich nicht in Luft aufgelöst, sondern sie sind natürlich bei der Arbeitslosenhilfe wieder aufgetaucht. Das heißt, es war eine reine Umbuchung - mit der Folge, daß diese Menschen jetzt arbeitslos und ohne Perspektive sind. Das dritte, was Herr Jagoda angeführt hat, war die Gesundheitsreform. Alles drei falsche Entscheidungen dieser Bundesregierung, die nicht zu einer Halbierung der Arbeitslosigkeit geführt, sondern zu einer Aufblähung der Arbeitslosigkeit beigetragen haben. Das ist die Realität!
Wissen Sie, Herr Glos, wir erwarten von der CSU nicht, daß sie unsere ausländerpolitischen Positionen vertritt. Ich teile Ihre Positionen auch nicht. Dieses Land hat in den vergangenen Jahrzehnten von der Zuwanderung kulturell und materiell massiven Gewinn gehabt. Das hat unser Land offener gemacht. Es hat uns sehr viel gebracht. Die Menschen-
Joseph Fischer
sind hierher gekommen, weil Deutsche sie darum gebeten haben.
Ich kann mich an die Anwerbungsbüros in Südeuropa noch sehr gut erinnern. Ich sage ganz klar: Die politischen Flüchtlinge sind auch wenn sie von Ihnen nicht erbeten waren, für dieses Land - ich sage das bewußt - kulturell, moralisch und materiell ein großer Gewinn. Viele CSU wählende bayerische Unternehmer sehen das genauso. Wenn sie einen bosnischen Flüchtling haben, der bei ihnen eine hervorragende Arbeit macht, wollen Sie ihn nicht mehr verlieren, auch wenn Sie ihn ausweisen wollen.
Wir können hier unterschiedlicher Meinung sein, Herr Glos, und wir sind unterschiedlicher Meinung. Aber: Wenn Sie sich als Vertreter der CSU hier hinstellen und sagen, es sind zu viele Ausländer in diesem Lande,
dann hören Ihnen Leute zu, die aus dieser primitiven Polemik nicht die Konsequenz ziehen, CSU zu wählen, sondern die daraus eine ganz andere Konsequenz ziehen.
Wenn wir hier über Kriminalität diskutieren, dann müssen wir darüber diskutieren, daß für Teile unserer Bevölkerung in bestimmten Gebieten dieses Landes der Grundrechtsschutz in Teilen faktisch außer Kraft gesetzt ist, daß es blutige Angriffe auf Ausländerinnen und Ausländer gibt, die wir alle verurteilen. Ich unterstelle Ihnen nicht, daß Sie das wollen. Aber Sie müssen wissen, welche Konsequenzen solche Worte haben, wenn Sie das in dieser Form hier sagen.
Deswegen sage ich ganz bewußt: Wir müssen ein weltoffenes Land bleiben, wir müssen ein minderheitenfreundliches Land bleiben. Wir wollen mit Ausländerinnen und Ausländern zusammenleben.
Ich sage Ihnen noch ein Weiteres, Herr Glos: Wenn der Bundesinnenminister jetzt meint, man müsse nichtdeutschen Studenten die Möglichkeiten, in Deutschland zu studieren, einschränken, während hier gleichzeitig verkündet wird, wir leben im Zeitalter der Globalisierung, dann kann ich nur sagen: Ein weiteres Beispiel von Irrsinn in dieser Regierung.
Herr Bundeskanzler, wir haben unter Ihrer Regierung die höchste Steuer- und Abgabenlast. Erinnern Sie sich: Sie wollten die Steuern für den Aufbau Ost nicht erhöhen. Das hat zu einer Explosion der Lohnnebenkosten geführt. Das hat deutsche Arbeitskosten verteuert. Das bestreitet heute niemand mehr. Ich muß nur das „Handelsblatt" oder die „FAZ" aufschlagen; überall findet man dasselbe „Ceterum censeo". Selbst Norbert Blüm verkündet dieses.
Wenn Sie sich die Zahlen anschauen, dann werden Sie feststellen: Wir liegen bei der Steuer- und Abgabenquote überhaupt nicht an der Spitze in Europa, im Gegenteil. Wenn Sie sich ferner die Spitzensteuersätze ansehen - das sollten Sie einmal tun; Ihre eigene Regierung hat sie ja veröffentlicht -,
dann werden Sie feststellen: Wir liegen auch da überhaupt nicht an der Spitze. An der Spitze liegen wir aber bei den Bruttolohnkosten und das vor allen Dingen als Folge der deutschen Einheit. Damals kam es zu einer Explosion. Warum? Sie haben den Sozialversicherungsträgern und damit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern eine Last aufgebürdet, die Sie dem deutschen Volk als Ganzem in Form von Steuererhöhungen hätten zumuten müssen. Aber das wollten Sie 1990 nicht. Das ist der Fluch der bösen Tat.
Wir haben gegenwärtig 150 000 Jugendliche ohne Lehrstelle. Ich möchte ein besonderes Augenmerk auf die Jugend im Osten richten. Wissen Sie, gegenwärtig wird eine Debatte über die Sicherheitslage in New York geführt. Dabei erbittert mich, daß die Realität nicht mehr gesehen wird. Angesichts einer krisenhaften Zuspitzung der Ökonomie durch eine „fertige" Regierung glaubt man nun, man müsse diese Debatte auf einem solchen Niveau führen, bei dem man die Fakten ausblendet und nur noch auf Ängste setzt. Wir haben zwar das Problem von Gewalttätigkeiten Jugendlicher in Ostdeutschland. Aber ich frage Sie: Wer hat sich denn seit 1990 um die ostdeutsche Jugend tatsächlich gekümmert? Welche Rolle haben sie denn bei Ihrer Einheitspolitik gespielt? Sie haben doch mit Ihrer Einheitspolitik dort eine verlorene Generation produziert, die jetzt in ihrer Verzweiflung zu Gewalt greift, was zwar nicht hinzunehmen ist, was man aber wissen muß, wenn man die Ursachen klären will. Ich sage Ihnen, ursächlich waren Sie.
Jetzt wollen Sie in diesem Bereich weitere Kürzungen vornehmen. Man muß Jugendgewalt dort, wo sie aktuell auftritt, mit allen Mitteln des Staates entgegentreten. Aber noch besser ist es sie vorbeugend zu verhindern. Das läßt sich am besten durch mehr Sozialarbeit und durch mehr Angebote an Juqendliche machen. Aber wenn Sie auf Grund Ihrer völlig verfehlten Haushaltssanierung und Steuerpolitik gleichzeitig die Kassen der Kommunen plündern, dann dürfen Sie sich nicht wundern, wenn Ihnen anschließend die Brocken um die Ohren fliegen, wenn
Joseph Fischer
diese Gesellschaft, anstatt zusammengeführt, auseinandergetrieben wird.
Schauen wir uns die Situation weiter an. Der entscheidende Fehler, Herr Bundeskanzler, den Sie gemacht haben, war ein strategischer Großfehler beim Aufbau Ost. Es zeigt sich jetzt, daß die Weitsicht bei der Frage, was mit der deutschen Einheit, die Sie ja herbeigeführt haben, zu tun ist, wirklich gefehlt hat und immer noch fehlt. Wir sind in der Situation - das muß sich die F.D.P. einmal auf der Zunge zergehen lassen -, daß Sie Teilhaber am größten keynesianischen Programm der Wirtschaftsgeschichte namens deutsche Einheit sind. Wir sagen ausdrücklich ja zu diesem Programm, damit Sie uns nicht mißverstehen. Das Dilemma ist nur: Wir finanzieren dort - nicht vollständig, aber überwiegend - in alte Strukturen, die sich in Westdeutschland bereits als überholt erwiesen haben. Das heißt, die Bundesrepublik Deutschland gibt - zu Recht - pro Jahr über 100 Milliarden DM im Nettotransfer für den Aufbau Ost aus; aber davon ist ein großer Teil Investitionen in alte Strukturen, die sich in Westdeutschland bereits als erneuerungsbedürftig erwiesen haben. Eine absurde Strategie, meine Damen und Herren! Das ist eines der zentralen Probleme dieser Koalition.
Das macht die großen Probleme mit dem Strukturwandel aus, weil Ihnen die finanziellen Möglichkeiten fehlen.
Herr Bundeskanzler, Sie hätten 1990 bis 1993, als der Einheitsboom dieses Land ökonomisch vorangebracht hat, doch die Möglichkeit gehabt, eine Steuerreform zu machen. Warum haben Sie es damals nicht getan? Damals wäre eine Nettoentlastung mit einem gewissen. Selbstfinanzierungseffekt durchaus vertretbar gewesen. Warum wurde es damals nicht gemacht? Ich will es Ihnen sagen. Sie waren damals der Meinung: Wir machen das großartig; die Dinge laufen hervorragend; meine Mehrheiten sind gesichert; ich brauche mich nicht zu bewegen; die Dinge entwickeln sich von selbst; Wirtschaft findet in der Wirtschaft statt, wie die große ökonomische Leuchte, Herr Rexrodt, einmal gesagt hat.
Damit haben Sie den Strukturwandel verschlafen: Sie haben den ökonomischen Strukturwandel verschlafen; Sie haben den finanzpolitischen Strukturwandel verschlafen; Sie haben den ökologischen Strukturwandel verschlafen. Das alles wird jetzt bei den abhängig Beschäftigten und bei den Beziehern unterer Einkommen abgeladen. Das ist das Kennzeichen Ihrer Steuerreform.
Lassen Sie mich jetzt noch einen Augenblick beim Haushalt bleiben; denn wir diskutieren ja über den
Haushalt. Es gab ursprünglich eine Nettoneuverschuldung von 56 Milliarden DM; jetzt, mit dem Nachtrag, sind es 71 Milliarden DM. Allerdings haben selbst die Klausur im Kloster Andechs und inständiges Beten zu allen Heiligen und Märtyrern nichts genützt:
Der Finanzminister kann beim besten Willen nicht sagen, ob es am Ende nicht mehr werden, das heißt, ob seine Planungen nicht wieder Makulatur werden. Jetzt kommt es zu einem Aufstand der Haushälter, die sich weigern, noch irgendeine Vorlage von Waigel zu beschließen. Einen größeren Mißtrauensbeweis gegenüber einem Finanzminister gibt es ja wohl nicht.
Es wurde von einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts geredet; das Grundgesetz mußte bemüht werden. Das alles kam nicht über Nacht. Das wurde Ihnen in Debatten vorhergesagt; das läßt sich nachlesen. Beide Oppositionsfraktionen haben Ihnen penibelst vorgerechnet, wie es kommen wird, und Ihnen gesagt, daß Ihre Zahlen illusionär sind. Aber Sie haben entlang der Linie, die Sie seit der deutschen Einheit vertreten haben, nämlich Täuschen und Verschieben, weitergemacht.
Dann griffen Sie, Herr Waigel - das ist wieder ein Stück aus dem Tollhaus -, zur Privatisierung. Man muß sich das einmal vorstellen: Es sind Notverkäufe und Scheinverkäufe.
Der Bund verkauft an eine 100 prozentige Tochter die Telekom-Aktien und parkt sie da.
- Alles Quatsch? Daß Sie das überfordert, Herr Glos, das weiß ich. Aber Quatsch ist das nun wirklich nicht.
Ich stelle Ihnen einmal die Liste vor - es ist wirklich kabarettreif; es ist traurig, aber wahr, es ist die Politik der Bundesregierung unter Dr. Helmut Kohl -, was in dieser Not an Privatisierung angegangen wird. Telekom: Man sagte, die deutschen Arbeitnehmer sollten sich an der Telekom beteiligen. Warum aber wurde dieses Paket an Telekom-Aktien zurückgehalten? - Zum Zwecke der Alterssicherung für ausscheidende Telekom-Mitarbeiter. Das heißt: Ab dem Jahr 2000 werden Sie die Mittel dafür nicht mehr peu à peu durch den Verkauf von Telekom-Aktien realisieren können, Herr Glos, sondern Sie werden das dann aus dem Bundeshaushalt finanzieren müssen. Das ist eine Verlagerung der Kosten in die Zukunft; das ist alles.
Joseph Fischer
Dann kam die Aktion „Gold der Bundesbank". Das hat auf Grund des internationalen und nationalen Aufschreis nicht funktioniert, und die Not war doppelt groß. Dann entdeckte man eine Bundesrohölreserve, angelegt im kalten Krieg. Die cleveren Jungs der Bundesregierung kamen dann auf die Idee, daß man doch andere Reserven habe. Also wurde die nationale Erbsenreserve entdeckt und entsprechend bewertet. Aber bei der Erbsenreserve bleibt es nicht. Im Urlaub las ich in seriösen, konservativen Blättern, man plane die Privatisierung der Notrufsäulen an den deutschen Bundesautobahnen.
Ich fragte mich allen Ernstes, wann denn diese Bundesregierung zurücktritt; denn so etwas darf doch nicht wahr sein. Jetzt lese ich, man wolle, um die 3,000 zu erreichen, in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung auch noch die Schwarzarbeit einrechnen.
Meine Damen und Herren, das ist nicht die Münchner Lach- und Schießgesellschaft, sondern das sind Theo Waigel und Helmut Kohl, das ist unsere Bundesregierung in einer der schwersten Krisen, die wir je hatten.
Herr Bundeskanzler, unter Ihrer Ägide ist die Investitionsquote in den letzten Jahren beständig zurückgegangen. Wenn wir weniger investieren, werden die Spielräume für den Strukturwandel immer geringer. Schauen Sie sich doch - Herr Kollege Scharping hat es gesagt - den Bereich Wissenschaft und Bildung an: Als Sie 1982 angetreten sind, war dieses Land bei den Investitionen für Wissenschaft und Bildung auf Platz zwei. Wenn Sie spätestens im nächsten Jahr abtreten werden, werden wir auf Platz sechs sein, und das in einer Situation, in der jeder Sachverständige, auch Ihr zuständiger Fachminister sagt, daß der nächste große Zyklus auf die Ressource Wissen gegründet sein wird. In einer solchen Situation begreifen Sie als zukunftsfähige Politik, daß wir von Platz zwei auf Platz sechs zurückfallen.
Das gleiche gilt für den großen Faktor ökologischer Umbau, der damit eng zusammenhängt; denn eine auf Wissen gegründete Welt wird sich auch in einem hohen Maße den ökologischen Problemen stellen müssen. Ich habe in einer - wiederum sehr konservativen - Zeitung, dem „Handelsblatt", einen hochinteressanten Artikel über den ökologischen Zustand Chinas, den wir immer prophezeit haben, gefunden. Hier geht es aber nicht nur um eine schlimme Last, darum, sie zu bewältigen, sondern auch um Märkte von morgen. Die Märkte von morgen werden wir aber nur bestimmen können, wenn wir den ökologischen Strukturwandel bei uns endlich energisch voranbringen.
Wie sieht es denn da bei Ihnen aus? Wie ist es mit der ökologischen Steuerreform? Damit kämen wir
endlich von den hohen Lohnnebenkosten herunter, was ein wichtiger Punkt im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit ist. Aber das ist mit Ihnen nicht zu machen, weil Sie vor den Interessen derer, denen Sie auf den Schlips treten müßten, in die Knie gehen. Aber es ist ein historisch notwendiger Schritt, im Zeitalter der Globalisierung zu einer ökologischen Steuerreform zu kommen. Gegenwärtig finden Sie, Herr Bundeskanzler - das haben Gespräche in Frankreich gezeigt -, eine beachtliche Zustimmung zu einer ökologischen Steuerreform auf europäischer Ebene. Ich bin gespannt, ob Sie den Beschäftigungsgipfel, den Sondergipfel der EU im November, nutzen werden. So wie Sie mich gerade angucken, werden Sie ihn nicht nutzen.
Auch hier werden wir wieder eine Fehlanzeige zu vermelden haben, meine Damen und Herren.
Was könnten wir jetzt mit der ökologischen Steuerreform machen? Was könnten wir machen, Ihr Musterliberalen, wenn wir endlich die letzten Monopole in diesem Land aufbrächen, die Strommonopole? Das wäre doch wunderbar. - Wir schieben doch, wo es nur geht.
- Hören Sie doch auf, mein Lieber! Der entscheidende Punkt ist doch ein anderer. Der entscheidende Punkt ist, daß die F.D.P. nicht mehr die Partei des Mittelstands ist, sondern die Partei der großen Wirtschaftsinteressen.
Wie verhindern Sie, Herr Rexrodt, Durchleitungsrechte für staatlich garantierte Monopole, ohne daß es vorher zur Harmonisierung kommt? Diese Debatte führen Sie doch mit Verve bei der Deregulierung der Telekommunikation. Ich würde mir wünschen, Sie verträten dieselben Positionen auch bei der Deregulierung des Stromsektors; dann wären Sie glaubhafter. Was könnten wir da an Arbeitsplätzen schaffen!
Schauen Sie sich doch nur das kleine Beispiel der „Windenergie" an, wozu es mittlerweile eine wirklich parteiübergreifende Konstellation gibt. Dank der Initiative auch der Bundesregierung, die wir lange eingefordert haben, sind wir mit einer verbesserten Einspeisevergütung in eine Zukunftsinvestition eingestiegen. Dies wollen Sie nun unter dem Druck der Stromwirtschaft wieder zurücknehmen. Wir haben durch meine Kollegin Hustedt ein mehrheitsfähiges Konzept vorgelegt. Herr Bundeskanzler, Sie müssen das nur realisieren. Sie finden dafür Zustimmung bis in Ihre Fraktion hinein. Lassen wir also den Blödsinn, der Windenergie die Zukunft zu nehmen! Verhindern wir diesen Rückschritt, den irgendwelche Rückständigen in den Reihen von F.D.P. und CDU/CSU - es sind nur einige wenige - aus Wirtschaftsinteressen
Joseph Fischer
durchsetzen wollen! Dafür finden Sie hier eine breite Mehrheit.
Im Bereich der Verkehrspolitik wollen Sie, meine Damen und Herren, die Bahn entschulden, aber jetzt bürden Sie ihr neue Schulden auf. Gleichzeitig erhöhen Sie den Straßenbautitel. Das muß mir einmal einer erklären. Das ist ein weiteres Stück Irrsinn aus dem Hause Waigel, aus dem Hause Kohl.
Deswegen müssen wir all diese Dinge anpacken. Gleichzeitig müssen wir endlich ernst machen mit einer Reform des öffentlichen Dienstes, die den Namen verdient und nicht nur halbherzig ist. Glauben Sie denn allen Ernstes, daß wir mit unserem bezopften Berufsbeamtentum - das geht nicht gegen den einzelnen Beamten, der teilweise mit hoher Motivation arbeitet, aber in einer völlig falschen Struktur steckt -, mit diesen Instrumenten des fürstlichen Absolutismus des 18. Jahrhunderts, in das Zeitalter der Globalisierung, in eine vernetzte Welt, eintreten können und dabei auch noch Erfolg haben werden? Hier sind die notwendigen Strukturveränderungen vorzunehmen.
In aller Kürze noch zur Rente. Ich gehöre nicht zu denen, die kritisieren, daß Sie endlich anfangen, die Wahrheit zu sagen, die Sie seit weit über einem Jahrzehnt kennen. In Rentenfragen sind die Bremswege sehr, sehr lang. Kohl und Blüm haben immer verkündet: Die Rente ist sicher. Im Jahr 2013 ist sie nicht mehr sicher, sagt der Bundeskanzler. Das habe ich nachgerechnet: Ich bin Jahrgang 1948. Was werde ich im Jahr 2013? 65.
Ich kann Ihnen nur sagen, Herr Glos: Die Rentendebatte ist keine Debatte, die die aktuelle Elterngeneration betrifft, sondern eine Debatte, die meine Generation und die jüngere Generation betrifft, also viele hier im Haus. Ich finde es nicht kritisierenswert, wenn Sie die Debatte zwischen Blüm und Biedenkopf führen. Ich fürchte nur: So, wie es gegenwärtig angelegt ist, wird Biedenkopf in Gestalt von Blüm recht bekommen.
Das heißt: Wenn es so weitergeht, wenn wir nichts tun, dann bekommen wir die beitragsfinanzierte Grundrente. Das wäre die schlechteste Variante, die ich mir vorstellen kann.
Eine Alternative wäre die, Privatisierung à la F.D.P.: Dann geht es dem, der privat für das Alter vorgesorgt hat, gut. Wo aber ist die Krankenschwester, wo ist der normale durchschnittliche Arbeitnehmer, die bzw. der mit seinem Verdienst entsprechend vorsorgen kann? Das muß mir einmal jemand sagen.
Eine andere Alternative wäre, neue Wege zu gehen. „Neue Wege" heißt: neuer Generationenvertrag. Ein neuer Generationenvertrag muß berücksichtigen, daß der Arbeitsplatz, wie wir ihn in den vergangenen 40 Jahren gekannt haben, in einer globalisierten Welt eher die Ausnahme als die Regel ist. Wir müssen neue Arbeitszeitformen schaffen, neue soziale Sicherungssysteme schaffen.
Wir aber behaupten: Wir brauchen strukturelle Veränderungen unseres Rentensystems. An erster Stelle geht es darum, die Lasten gerecht zu verteilen und nicht alles bei der heute aktiven Generation abzuladen.
Das setzt voraus, daß wir in der Tat über das Anwachsen der Rentenbeträge reden und darüber eine Vereinbarung treffen müssen.
- Ich hoffe, Sie klatschen weiter.
Wir sind der Meinung - die Erfahrungen in der Schweiz sind hervorragend -, daß alle, auch Selbständige und Beamte, in das Rentensystem aufgenommen werden sollten.
Die Schweiz ist kein Beispiel, von dem Sie sagen könnten, es wäre eine sozialistische Erfahrung. Wir halten es für eine sehr gute Erfahrung.
Für die schwierigen Jahre 2013 und vor allen Dingen 2020 folgende müssen wir vermutlich sogar einen Tick über die heutige Schwelle der Rentenbeiträge gehen, um einen zusätzlichen Anspareffekt für die Kapitalbildung zu haben und diese Jahre bewältigen zu können.
In einer globalisierten Welt, meine Damen und Herren, sehe ich keine andere Möglichkeit bei einer wachsenden älteren Bevölkerung. Wir werden alle älter - Gott sei Dank. Es ist allen zu wünschen. Auf Grund der höheren Lasten werden wir mehr Vorsorge betreiben müssen. Es führt bei abnehmender Lohnsumme, bei prekärer werdenden Beschäftigungsverhältnissen kein Weg daran vorbei, daß es zu einer wirklich in die Fläche gehenden, breiten Beteiligung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern am Kapitalvermögen kommt.
Wir müssen endlich den Schritt von der Mitbestimmungs- zur Miteigentümergesellschaft machen. Eigentlich müßte das doch für eine konservativ-liberale, für eine christlich-soziale Regierung das Projekt sein, das sie eigentlich schon längst hätten anpacken müssen. Dieser Schritt von der Mitbestimmungs- zur Miteigentümergesellschaft ist eine weitere Voraussetzung für die Rentensicherheit. Wenn wir diesen Schritt auch aus gesellschaftspolitischen Gründen nicht machen, dann werden wir bei der Globalisierung einen Weg gehen, der dieses Land auseinandertreiben wird.
Joseph Fischer