Rede von
Joseph
Fischer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Lage der Koalition muß schon schlimm sein, wenn sie eine solche Rede während der Beratung des Kanzleretats hier vortragen läßt.
Herr Kollege Glos, daß Sie hier den Manfred Fleischer zitieren, ist schon völlig in Ordnung. Nur, wenn Sie das ins Hochdeutsche übersetzen, könnte das in der Tat, wenn man sich die Haushaltsbilanz dieser Bundesregierung anschaut, eine Regierungserklärung des Bundeskanzlers gewesen sein.
In diesem Moment berät er Zukunftsfragen mit einem Minister, der immer dünner und schmaler wird, weil sein Haushalt immer geringer wird,
obwohl er wachsen sollte.
Herr Bundeskanzler, ein Sommer des Mißvergnügens ist für Sie zu Ende gegangen; ein Sommer des Mißvergnügens, den Sie vor allem Ihrem Finanzminister verdanken. Gestatten Sie mir, daß ich auf diese Entwicklung noch etwas eingehe.
Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß das Debakel der konservativ-liberalen Regierung um das Gold der Bundesbank - in Finanzfragen sehen Sie den Kernbereich Ihrer Kompetenz; der Glaube im Volk, Konservative könnten mit Geld umgehen, Konservative seien in Geldfragen solider als Grüne und Sozialdemokraten, ist ein Irrglaube, wie sich herausgestellt hat -, im Zuge dessen Sie mit den primitiv-
Joseph Fischer
sten Konkursverschleppungstricks einer Nachbilanzierung Ihre 3,00 Prozent erreichen wollten, noch steigerungsfähig ist. Aber die Kreativität von Theo Waigel nimmt mit jedem weiteren Haushaltsloch, das er in seinem Haushalt findet, exponentiell zu.
Wer hätte das für möglich gehalten, während der Bundeskanzler ruhig seine Bahnen im Wolfgangsee zog?
Bevor er in den Urlaub fuhr, hat er vor der Bundespressekonferenz eine furchtbare Drohung ausgestoßen, indem er uns mitteilte: Wenn die Opposition in der Steuerreform nicht endlich auf Regierungskurs geht, dann werden wir 14 Monate Wahlkampf machen. Daß der Wahlkampf dann so aussieht, wie das Theo Waigel gemacht hat, haben wir uns nicht vorgestellt.
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Weil ich gerade das versammelte Kabinett sehe, muß ich sagen: Sie schauen alle so lieb, nachdem Ihnen in diesem Sommer Theo Waigel einen Leistungsnachweis nach dem anderen ausgestellt hat. Der Blick von Theo Waigel war in diesem Punkt von Realitätssinn geprägt. Er schaute auf das Kabinett und sagte: Mit der Truppe werden wir die Wahlen nicht gewinnen; wir müssen das Kabinett ändern.
Das hatte ganz offensichtlich auch der Bundeskanzler vor. Also schritt Theo Waigel zur Tat, indem er dem „Spiegel" ein Interview gab. Dort sagte er: