Rede von
Dr.
Winfried
Wolf
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Dem Verkehrsetat kommt im doppelten Sinn strategische Bedeutung zu. Da ist dessen Funktion für die Binnenkonjunktur - dieser Etat enthält mehr Investitionen als andere -, und da ist dessen umweltpolitische Bedeutung: Mit keinem anderen Etat läßt sich deutlicher belegen, ob diese Regierung fortgesetzt in Richtung Zerstörung marschiert oder ob eine Wende - hier die Verkehrswende - eingeschlagen wird. Das wird bereits dadurch deutlich, daß das Finanzvolumen des Etats 12 fünfunddreißigmal größer als dasjenige des Umweltressorts ist.
Der Einzelplan 12 erweist sich hinsichtlich dieser beiden strategischen Aspekte als Nullnummer und Luftnummer. Die Investitionen im Verkehrsetat werden zurückgefahren; damit leistet er in Zeiten einer Stagnation auf dem Binnenmarkt einen aktiven Beitrag zur Steigerung der Erwerbslosenzahlen. Der Etat konkretisiert zum zweiten erschreckend deutlich, daß diese Regierung gewillt ist, ihre umweltzerstörerische Politik noch zu steigern.
Der Straßenneubau wird ungebremst fortgesetzt. Umgekehrt gibt es die vom Kollegen Wagner genannten Sperrvermerke bei den Schieneninvestitionen; darüber hinaus werden die Bundesmittel für den Bau neuer Schienenwege reduziert: 1998 von 3,5 auf 3 Milliarden DM. Das Schienennetz wird in den Jahren 1996 und 1997 insgesamt um 2 000 Kilometer abgebaut.
Sie, Herr Wissmann, sagen, im Verkehr gelte der „Vorrang Schiene". Oft sagt Atmosphärisches mehr als nackte Zahlen. Der Verkehrsetat 1998 kommt auf 249 Seiten. Davon befassen sich gerade einmal 15 mit dem Schienenverkehr. Dem Straßenverkehr werden gleich doppelt so viele Seiten vorbehalten, und dann bekommen wir frei Hohes Haus als Begleittext zum Haushalt den „Straßenbauplan für die Bundesfernstraßen 1998", in dem auf 202 Seiten all diese orgiastischen Betonergüsse festgehalten werden, mit denen Sie die Natur und die Bevölkerung im Jahr 1998 beglücken wollen. Da finden sich so faszinierende Details wie auf Seite 103, wonach 1998 auf der Autobahn A 13 eine „Erneuerung der Fahrbahndecke von km 69,0 bis 82,5/linke Rifa" - Richtungsfahrbahn - für 10 Millionen DM stattfinden werde. Wo bitte, frage ich Sie, Herr Wissmann, wird Vergleichbares für den Schienenverkehr festgehalten? Hier gibt es im Haushalt 1998 nur Pauschalzahlen. Der seit drei Jahren von der Opposition geforderte detaillierte Jahresplan für Schienenwege wird uns weiter vorenthalten.
Gestatten Sie mir, ergänzend zu dem, was bisher von den anderen Oppositionsparteien gesagt wurde, drei spezielle Aspekte hervorzuheben.
Erstens. Dieser Etat dokumentiert erneut, daß mit der Bahnprivatisierung der Schienenverkehr gegen den Prellbock zu fahren droht. Die Verschuldung der Deutschen Bahn AG wird sich allein durch neue Darlehen des Bundes im Jahr 1998 um 2,2 Milliarden DM erhöhen. Ende 1998 wird die DB AG bereits einen Schuldenberg von 27 Milliarden DM haben. Das sind in vier Jahren zwei Drittel von dem, was die Bundesbahn zuvor in 40 Jahren an Schulden akkumuliert hat.
Gleichzeitig wird im Einzelplan 12 auf Seite 183 festgehalten, daß das Rückfahren der Bahnaltschulden, die im Bundeseisenbahnvermögen zusammengefaßt sind, just dann gestoppt wird, wenn es beginnen sollte: im Jahre 1998. Damit explodieren jedoch die Schulden in diesem Schattenhaushalt. Sie stiegen bereits seit der Bahnprivatisierung von 65 auf 78,4 Milliarden DM.
Zweitens. Sie verstecken im Titel 861 31- Kapitel 12 02 - einen Skandal, auf den Gila Altmann schon aufmerksam machte: Der Transrapid muß von der Bahn komplett finanziert werden. In diesem Posten sind Verpflichtungsermächtigungen bis zum Jahr 2003 in Höhe von 5,7 Milliarden DM für Investitionen in den Fahrweg der Magnetschnellbahn Hamburg-
Dr. Winfried Wolf
) Berlin enthalten, alle in Form von Darlehen an die Deutsche Bahn AG. Das heißt: Der Bund fördert zerstörerische Konkurrenz zur Bahn und läßt die Bahn dafür durch jährliche Defizite im konventionellen Schienenverkehr und durch „transrapide" Überschuldung doppelt zahlen.
Drittens. Abschließende Worte zu den Binnenschiffahrtswegen: Herr Wissmann, Sie hatten nun zwei Monate Zeit, sich Gedanken zu den Überschwemmungen im Odergebiet zu machen und dies im Einzelplan 12 zu dokumentieren. Doch was finden wir dort? Das Projekt 17, der Ausbau von Havel und Mittellandkanal, wird fortgesetzt. Erneut werden beträchtliche Summen in Flußbegradigungen gesteckt, weitere Schäden den noch verbliebenen Flußauen zugefügt, anstatt diese Gelder in den Hochwasserschutz und in eine umweltverträgliche Gestaltung von Flußläufen und Kanälen zu investieren.
Der Kanzler sagte auf der Sondersitzung des Bundestages einen einzigen vernünftigen Satz: Man müsse den Flüssen ihren Raum lassen. - Einzelplan 12 dokumentiert nüchtern: Auch dies ist eine Null- und Luftnummer. Diese Regierung gewährt der Natur nicht Raum. Sie entwickelt ihre Wasserbaukunst aus Beton weiter.
Geben wir das Schlußwort zum Einzelplan 12 dem klugen Bertolt Brecht:
In den Jahrzehnten vor der Sintflut
kamen kleinere Fluten.
Die Wasserbaukunst entwickelte sich.
In einem bestimmten Jahr
Galt die Gefahr vor den Fluten als endgültig überwunden.
Im nächsten Jahr
kam die Sintflut. Sie ersäufte
Alle Dämme und alle Dammbauer.