Rede von
Dr.
Barbara
Höll
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So schaut es also aus, wenn wir gezwungen werden, einen Haushalt zu diskutieren, von dem wir alle wissen, daß er Makulatur ist, vorgelegt von einem Minister, der keine Lust zum Arbeiten hat und sich eigentlich zu Höherem berufen fühlt.
Über dem Haushaltsentwurf schwebt eine imaginäre Drei - eines der Maastricht-Kriterien, welches es im nächsten Jahr zu erfüllen gilt. Nun mögen die vier Kriterien, die sicher nur die wenigsten Abgeordneten tatsächlich aus dem Kopf können und von denen ebenso wenige wissen, was sie beinhalten, ja ein Hilfsmittel sein, Volkswirtschaften zu bewerten und
Dr. Barbara Höll
zu vergleichen. Aber sie sind garantiert nicht das, was die Bürgerinnen und Bürger interessiert.
Genau aus diesem Grunde, weil Sie die Fragen zum gemeinsamen Europa nicht beantworten, die gestellt werden, ist die PDS auch gegen diesen Weg, wie Sie ihn vorschlagen. Sie stellen nur den Euro vorneweg, und alles andere interessiert Sie nicht.
Sie wollen ein Europa des Kapitals. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Probleme der. Schaffung von Arbeitsplätzen, von Bildung und Ausbildung, von tatsächlichen Zukunftsinvestitionen, der Benachteiligung von Frauen und ökologische Probleme sollen irgendwann vielleicht einmal gelöst werden.
Ich muß sagen, Herr Waigel, das kenne ich eigentlich noch sehr gut von früher. Wir haben ein Ziel, den Euro. Wir haben ein Versprechen, alles wird besser, und wir haben einen Weg. Das heißt nun einmal Einschnitte, die wir heute machen müssen. Aber darauf können wir verzichten. Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande haben es verdient, daß sie bei dieser wichtigen Frage mitentscheiden können.
Deshalb haben wir einen Antrag über einen Volksentscheid zu diesem Thema eingebracht. Wir glauben, das wäre ein richtiger Weg, um die dringenden Fragen, die tatsächlich existieren, zu diskutieren und zu lösen.
Sie haben die Fragen, für die Sie für Europa keine Lösungsvorschläge unterbreiten können, hier im Lande auch nicht gelöst. Herr Waigel konnte sich zu Recht vorhin darauf berufen, daß die Wirtschaftsdaten besser sind. Ja, das ist richtig, aber wie ist es denn mit den 4,35 Millionen Arbeitslosen? Das ist der Stand im August, der höchste der Nachkriegszeit. Hier hat doch Ihre Wirtschaftspolitik völlig versagt. In keiner Weise entspricht sie dem, was notwendig wäre. Der Haushaltsentwurf entspricht dem ebenfalls überhaupt nicht.
Ich muß sagen, das, was Sie vorhin als Begründung für das Ansteigen des Sozialetats vorgelegt haben, ist wirklich schon abenteuerlich. Das Ansteigen des Etats, das richtigerweise da ist, begründen Sie und sagen, die Fürsorgepflicht des Staates wurde immer erfüllt. Die Ursachen dafür blenden Sie völlig aus. Im Gegenteil bezeichnen Sie die Menschen noch als Haushaltsrisiken, Menschen, die in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, dann aber arbeitslos werden, Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und zum Teil auch Sozialhilfe beziehen. Diese Menschen haben gesetzlich verbriefte Ansprüche. Weil sie diese gesetzlich verbrieften Ansprüche jetzt auch tatsächlich brauchen, weil sie arbeitslos und vielleicht noch tiefer gerutscht sind, sagen Sie, die Menschen sind letztlich Haushaltsrisiken. Ich muß sagen, das ist ein Umgang mit den Bürgerinnen und Bürgern, der nicht mehr haltbar ist.
Herr Waigel, als letztes noch zu Ihrer heutigen Rede. Sie sagen, wir brauchen eine Steuerreform und wir brauchen als ersten Schritt eine Senkung des Eingangssteuersatzes. Die PDS hat dazu einen Vorschlag gemacht. Wir sind für die Senkung des Eingangssteuersatzes auf 19 Prozent, aber bei einer wesentlich höheren Freistellung des Existenzminimums. 13 000 DM sind lächerlich. 17 000 DM müßten es sein. Sie begründen das Ganze aber damit, daß dadurch der Anreiz zur Arbeitsaufnahme erhöht wird.
Per 31. Dezember 1995 bezogen 109 118 Personen, welche erwerbstätig waren, laufende Hilfe zum Lebensunterhalt. Davon waren 50 233 Personen voll beschäftigt und 58955 in Teilzeit. Das waren 7,2 Prozent der Menschen, die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt beziehen. Sie arbeiten, und trotzdem reichen die niedrigen Löhne nicht, um wenigstens das Existenzminimum zu sichern.
Kümmern Sie sich um die Höhe der Mindestlöhne und darum, daß das allgemeine Lohnniveau erhöht wird, aber nicht darum, über die Steuer Anreize zur Schaffung von Arbeitsplätzen zu geben.
Diese neoliberale Wirtschaftspolitik hat versagt und kann die drängendsten Probleme nicht lösen. Die Arbeitslosigkeit hat eine Rekordhöhe erreicht; die Nettolöhne sind gesunken. Wir haben eine katastrophale Situation in der Berufsausbildung. Soziale und ökologische Probleme werden verschleppt; die kommunale Selbstverwaltung verkommt zur Farce. Die Haushaltspolitik ist gekennzeichnet durch eine enorme Verschuldung, durch Haushaltsakrobatik, rigides Sparen, durch das Verscherbeln des Tafelsilbers und durch das Inkaufnehmen von Einnahmeverlusten.
Regierung und Koalition verabschieden sich von jeglichem politischen Gestaltungswillen. Im aktuellen Finanzplan heißt es dazu - ich zitiere -:
Der Spielraum im Bundeshaushalt 1998 für zusätzliche Einsparungen bei konsumtiven Ausgaben ist angesichts der Konsolidierungsmaßnahmen in diesen Ausgabenbereichen seit Beginn der 90er Jahre eng begrenzt .
Ist das Sinn und Zweck einer soliden Haushaltspolitik? Soll nicht der Haushalt eigentlich die Bewirtschaftung des Gemeinwesens sicherstellen? Das sollte die Zielsetzung sein.
Die ganze Situation hat sich natürlich nicht zufällig ergeben. Es ist mittlerweile schon die Regel, daß Sie ständig von zu optimistischen Basisdaten ausgehen. Da meine Zeit arg begrenzt ist, möchte ich nur eine Zahl nennen: Für 1998 legen Sie wiederum ein Sinken der Arbeitslosenzahlen zugrunde. Alle großen Wirtschaftsforschungsinstitute gehen von dem genauen Gegenteil aus. Wir haben eine Situation, in der von vornherein klar ist, daß wir im Jahre 1998
Dr. Barbara Höll
wieder über einen Nachtragshaushalt werden reden müssen.
Bei diesen ganzen Problemen Ihrer fragwürdigen Finanz- und Steuerpolitik tun Sie mit einem unnachahmlichen, naiven Augenaufschlag so - das muß man einfach einmal sagen -, als ob das alles zufällig und von Ihnen unabhängig entsteht. Ich zitiere dazu nochmals aus dem Finanzplan:
Die Entwicklung der Veranlagungssteuern ist durch strukturelle Probleme gekennzeichnet. Bei der Veranlagung führen Faktoren wie Verlustvortrag und intensive Nutzung der „Sonderabschreibung Ost" in den vergangenen Jahren erst jetzt zu Erstattungen mit den entsprechenden Konsequenzen beim Steueraufkommen.
Ja nun, Gott, wer hat denn diese Gesetze beschlossen? Und wissen wir es denn erst seit heute, daß es einen gravierenden Unterschied gibt zwischen den Arbeitnehmern, die jährlich ihre Steuern zahlen, und denjenigen, die eine Einkommensteuerveranlagung durchführen? Natürlich verhält es sich so, daß, wenn wir 1994, 1995 Gesetze beschließen, die das ermöglichen, dies irgendwann zum Tragen kommt. Es handelt sich dabei um einen Prozeß, der seit 1990/91 von Ihnen sehr radikal vorangebracht wird. Hier handelt es sich um eine Steuerentlastung für einen bestimmten Personenkreis.
Wenn Sie heute die Erosion der Steuerbasis beklagen: Dieses Hohe Haus hat mit Ihren Mehrheiten genau die gesetzlichen Grundlagen dafür geschaffen, daß das geschieht.
- Ja, das ist schlampig gehandhabt worden.
- Nein, das ist genau richtig. Was dazu nicht mit gesagt wird, ist, daß Sie in den betreffenden Jahren zusätzlich noch die indirekten Steuern erhöht haben. Stichworte sind: Mehrwertsteuererhöhung, Versicherungssteuer, Mineralölsteuer. Das sind alles Steuern, die in den 90er Jahren erhöht wurden. Diese Steuerarten zahlt die Allgemeinheit, alle Bürgerinnen und Bürger, und sie zahlen nicht die Personen, für die der Spitzensteuersatz von 56 auf 53 Prozent gesenkt wurde, den Sie jetzt noch weiter herunterfahren wollen, bis unter 40 Prozent. Nur auf Druck der Öffentlichkeit haben Sie hier etwas nachgegeben.
Wir sind der Meinung, daß Ihre Steuerpolitik genau dem widerspricht, was Sie hier wieder vollmundig ankündigen, nämlich mehr Steuergerechtigkeit zu verwirklichen. In Ihren Vorschlägen entlasten Sie die Bezieher höchster Einkommen überproportional. Es ist schon fast nicht mehr auszudrücken, was Sie hier machen wollen. Die Bezieher von niedrigen Einkommen sollen vielleicht mit dem Eingangssteuersatz und dem Tarifverlauf ein wenig entlastet werden, aber sie sollen durch die Erhöhung der indirekten Steuern, die eine Fußnote zu den anderen Vorschlägen ist, massiv belastet werden.
Wenn Sie hier vom Schließen der Steuerschlupflöcher reden, dann sage ich: Bitte sehr. Wir haben bei der Werftendiskussion im Finanzausschuß etwas völlig anderes erlebt. Auf einmal gibt es von seiten der Koalition große Ankündigungen: Die Entfernungspauschale muß geändert werden. Dann haben wir eine Diskussion um die Arbeitszimmer bekommen, die ja angeblich alle viel zu groß sind. In diesem Bereich finden Sie dann bei den Arbeitnehmern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen auf einmal Ihre Beispiele.
Wir werden in diesen Diskussionen um den Haushalt entsprechend unseren bisherigen Vorschlägen als Partei des Demokratischen Sozialismus klarmachen, daß wir diese Politik nicht mittragen. Wir werden hier im Laufe dieser Woche konkrete Projekte vorlegen, die gegenfinanziert sind und womit eine kurzfristige Antwort auf die drängenden Probleme möglich ist.
Ich möchte hier nur ein Beispiel nennen, einfach eine Relation aufzeigen. Die Ausgaben der Kommunen für Menschen, die Sozialhilfe beziehen, die in diese Situation gekommen sind, weil sie arbeitslos sind, betragen insgesamt etwa 8,5 Milliarden DM. Die Streichung der Vermögensteuer - eine Landessteuer - bedeutet einen Verzicht auf 9 Milliarden DM im Jahr. Das heißt, Sie verzichten genau auf die Summe, die die Kommunen für die Sozialhilfe aufwenden.
Ich frage Sie: Wie viele Menschen haben etwas von der Streichung der Vermögensteuer? Wie viele Menschen lassen Sie in der Sozialhilfe? Sie setzen das Geld nicht bewußt ein, um tatsächlich etwas gegen Arbeitslosigkeit zu tun, sondern verzichten freiwillig darauf. Das ist das Hauptproblem, denke ich, zum Ausgang dieses Jahrhunderts.
Ich danke.