Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich denke, es ist gemeinsame Überzeugung, daß der Schutz der Bevölkerung vor radioaktiver Strahlung ein wichtiges Gut ist. Um das auch kontrollieren zu können, gibt es nationale und internationale Normen. Das Sicherheitsniveau der Wiederaufarbei-
Parl. Staatssekretär Walter Hirche
tungsanlage in Frankreich ist diesen internationalen Normen unterworfen. Die Strahlengrundsätze, die dort gelten, stimmen mit den Empfehlungen der Internationalen Strahlenschutzkommission, ICRP, und den EURATOM-Grundnormen überein. Die Gefährdungsprozesse werden dadurch so gering wie möglich gehalten.
Meine Damen und Herren, die für den Strahlenschutz geltenden Werte - ich habe es gesagt - sind in den EURATOM-Grundnormen verankert. Wenn die Grundnormen eingehalten werden, ist von der Schadlosigkeit des Wiederaufarbeitungsvorgangs auszugehen. Das ist nach Überzeugung der Bundesregierung der Fall. Zu diesem Ergebnis ist auch die Kommission der Europäischen Union gelangt.
Ich sage trotzdem an dieser Stelle: Immer, wenn es neue Erkenntnisse oder - besser gesagt - Behauptungen gibt, dann tut natürlich jede Regierung gut daran, solchen Behauptungen nachzugehen.
Wir haben aber Zweifel daran, daß die Behauptungen, die hier aufgestellt werden, die Grundsätze verletzen, auf die man sich geeinigt hat.
In dem Bericht der Oslo- und Paris-Kommission über die flüssigen Ableitungen aus kerntechnischen Anlagen im Jahre 1995 wurde darauf verwiesen, daß in La Hague der Ableitungsgrenzwert von Tritium zu weniger als 30 Prozent, die Grenzwerte für andere Radionuklide zu weniger als 20 Prozent ausgeschöpft wurden. Die deutliche Unterschreitung der Ableitungswerte aus den Anlagen in La Hague wurde aktuell auch noch einmal von der französischen Aufsichtsbehörde gegenüber dem Bundesumweltministerium bestätigt. Wir haben keine Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit dieser Aussage. Im übrigen hat auch Greenpeace keine Überschreitung von Genehmigungsgrenzwerten behauptet.
Meine Damen und Herren, zu der These, daß es eine Studie der Universität Besançon über eine erhöhte Leukämierate in der Umgebung gibt, darf ich eine AFP-Meldung von gestern zitieren, in der der Präsident des Wissenschaftskomitees für eine neue epidemiologische Studie über Leukämie in Nord-Cotentin, also der Gegend, um die es sich hier handelt, Herr Charles Souleau, feststellt, daß es kein Element gibt, das zu einer Veränderung der Lebensgewohnheiten führt. In dieser Meldung heißt es wörtlich: Zur jetzigen Stunde gibt es „aucun élément d'alerte", also „kein Element des Alarms" in diesem Zusammenhang. Das ist die These, zu der die regionale wissenschaftliche Kommission vor Ort gekommen ist.
Ich finde, in einer solchen Diskussion, in der man nichts, keinerlei Besorgnisse unter den Tisch kehren sollte, kann nicht einseitig zitiert werden. Man muß schon das, was in der Region an Erkenntnissen vorliegt, ernst nehmen.
Daß bei Proben von Greenpeace direkt an der von der Wiederaufarbeitungsanlage ins Meer führenden Abwasserleitung erheblich höhere Konzentrationen aufgetreten sein sollen als in dem unbelasteten Einleitungsmedium selbst, ist allerdings alles andere als
überraschend. Auch wer Luftproben unmittelbar an der Schornsteinmündung einer Chemieanlage nimmt, wird sich nicht wundern, wenn die Schadstoffkonzentrationen deutlich über denen des unbelasteten Mediums liegen.
Entscheidend für die Beurteilung der Ableitungswerte aus La Hague ist aus deutscher Sicht, ob die tatsächlichen Ableitungswerte den Genehmigungswerten entsprechen und mit der Stellungnahme der Europäischen Kommission aus dem Jahre 1989 zu den Ableitungen auf der Grundlage des Art. 37 des EURATOM-Vertrages in Übereinstimmung stehen. Hieran hat die Bundesregierung keine begründeten Zweifel, zumal auch die der Oslo- und Paris-Kommission jährlich gemeldeten Ableitungswerte weit unterhalb der Genehmigungswerte liegen. Darauf habe ich bereits hingewiesen.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß - jedenfalls beim derzeitigen Kenntnisstand -, wie es bei Greenpeace wörtlich heißt, „von einer Verseuchung des Meerwassers bei La Hague durch die Wiederaufarbeitung " deutscher Brennelemente keine Rede sein kann. Es besteht deshalb nach derzeitigen Erkenntnissen keinerlei Grund, die Verbringung bestrahlter Brennelemente aus Deutschland nach La Hague mit dem Ziel ihrer Wiederaufarbeitung zu unterbinden. Vielmehr sieht die Bundesregierung diesen atomgesetzlich zugelassenen Entsorgungsweg unverändert als sicherheitstechnisch verantwortbaren Teil der friedlichen Nutzung der Kernenergie in Deutschland an.
Unverantwortbar erscheint es mir, mit unzutreffenden Argumenten die Wiederaufarbeitung zu verteufeln, andererseits aber die direkte Endlagerung mit den notwendigen Transporten zu den Zwischenlagern in Gorleben und Ahaus dadurch in Mißkredit zu bringen, daß eine seit Jahrzehnten positive Bilanz ins genaue Gegenteil verkehrt wird.
Der Kollege Kubatschka hat vorhin gesagt - er ist im Augenblick leider nicht mehr im Raum -, man solle ausschließlich die direkte Endlagerung zulassen. Ich hätte von ihm gerne ein Bekenntnis dazu verlangt, daß sich die SPD in diesem Zusammenhang für reibungslose Transporte und für Zwischenlager einsetzt. Das aber fehlt.
In diesem Zusammenhang ist also eine äußerst widersprüchliche Position festzustellen.
Wir setzen uns mit allen kritischen Erkenntnissen, von welcher Seite auch immer sie geäußert werden, auseinander. Aber gerade nach dem, was wir von Greenpeace seinerzeit an Daten zum Beispiel im Zusammenhang mit Brent Spar geliefert bekommen haben, besteht Anlaß, bei jeder Organisation nachzuhaken, ob die Daten stimmen und in welchem Verhältnis sie zum Gesamtumfeld stehen. Das hat nichts damit zu tun, daß wir den Wert von Nichtregierungsorganisationen geringschätzen; das habe ich vorhin - ich glaube, zuletzt von Herrn Rochlitz - gehört. Aber nur weil es eine Nichtregierungsorganisation ist, weil es Greenpeace ist, sind doch die Argumente, die von
Parl. Staatssekretär Walter Hirche
dieser Seite geäußert werden, nicht sakrosankt und tabu.
Wir haben uns auf Verfahren verständigt; diese werden wir einhalten. Wir gehen Besorgnissen nach. Wir halten sie nach unserem derzeitigen Kenntnisstand zwar nicht für gerechtfertigt. Das aber darf niemanden daran hindern, Besorgnisse ernst zu nehmen. Wir möchten - lassen Sie mich mit diesem Satz schließen -, bei allem Verständnis für Besorgnisse der Öffentlichkeit, nur nicht zulassen, daß auf der Grundlage von Halbwahrheiten Unsicherheit geschürt wird.