Rede von
Jutta
Müller
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann nur eins sagen, Frau Kollegin Hellwig: Ich liebe keine Kernkraftwerke; ich liebe meinen Freund.
Eigentlich wollte ich ein paar Passagen Ihrer Rede mitschreiben, um darauf zu antworten. Aber ich glaube, das lohnt nicht.
Wenn in La Hague erhöhte Radioaktivität im Meer festgestellt wird und wenn die Leukämiehäufigkeit laut „Le Monde" um das Fünffache erhöht ist, Frau Kollegin Schönfelder, dann ist das auch ein deutsches Problem. Jährlich werden 230 Millionen Liter radioaktiver flüssiger Atommüll in La Hague ins Meer abgelassen. Mindestens ein Drittel davon stammt aus Deutschland. Wenn man sich die tatsächlichen Zahlen anschaut, stellt man fest, daß es wahrscheinlich noch wesentlich mehr ist, da fast ein Viertel des gesamten von Frankreich exportierten Stroms direkt nach Deutschland geht. Das Risiko des Betriebes und die entsprechenden radioaktiven Abfälle bleiben natürlich der französischen Bevölkerung vorbehalten.
Beängstigend war für mich die Tatsache, wie die Betreiberfirma Cogema in La Hague auf die Meßergebnisse von Greenpeace reagiert hat. Einer der Sprecher sagte tatsächlich, das sei alles nicht so schlimm, denn meistens sei das Abflußrohr, aus dem die Radioaktivität ausströme, unterhalb des Wasserspiegels. Außerdem würden die Schleusen nur geöffnet, wenn die Strömung an der Küste sehr stark sei - also immer zirka zwei Stunden nach jedem Hochwasser. Es ist wirklich beruhigend, in welch verantwortungsvolle Hände die Deutschen ihre Atommüllentsorgung legen.
Die Bundesregierung schweigt dazu. Sie schweigt auch zu allen anderen Störfällen in französischen Atomkraftwerken, obwohl sie als Hauptkunde einen politischen Hebel in der Hand hätte. Die Realität wird verschwiegen, statt dessen wird hier immer wieder schöngeredet. Dabei ist es in der Atompolitik ja das gleiche wie in den anderen Bereichen des Umweltschutzes: Die Bundesregierung will sich international immer als ökologischer Musterknabe darstellen.
Da macht der Bundeskanzler in New York nette Erklärungen über eine Waldkonvention, eine Konvention für Artenvielfalt, zu einem Klimaprotokoll - „hartes Klimaprotokoll" hat er sogar gesagt -, und in der Europäischen Union steht die Bundesrepublik Deutschland ständig auf der Bremse. Kein Land hat doch so viele Klagen wegen Nichteinhaltung von EU-Richtlinien am Hals wie die Bundesrepublik Deutschland.
Von den Mißerfolgen ihrer Politik einmal ganz zu schweigen; denn mit der Glaubwürdigkeit ist es ja nicht mehr allzu weit her.
Deshalb war der Gipfel in New York auch sehr schwierig. Es ist doch ein bißchen komisch, wenn man den Ländern der Dritten Welt Ratschläge geben will, wie man im Klimaschutz weiterkommen könnte und selbst bei dem hochgesteckten Ziel, den CO2Ausstoß zu reduzieren, kläglich gescheitert ist. Sie haben sich immer auf die Selbstverpflichtung der Industrie verlassen, und Sie sind immer betrogen worden.
Jutta Müller
Frau Kollegin Hellwig, hören Sie doch endlich einmal mit dem Märchen auf, wir könnten unsere CO2Problematik durch die Atomenergie lösen.
Das können wir nämlich nicht. Wir brauchen eine Wende in der Energiepolitik. Das muß eine Wende hin zu rationaler Energieverwendung sein, eine Wende hin zu erneuerbaren Technologien. Genau dies blockiert die Atomindustrie, weil sie eine veraltete Großtechnologie ist, die intensiv genutzt werden muß. Deshalb will man auch die anderen Energien vom Markt verdrängen.
Wir hatten doch erst vor kurzem eine Anhörung zur Energierechtsnovelle im Deutschen Bundestag. Was ist denn dabei herausgekommen? Was haben denn Firmen wie PreussenElektra gesagt? Der Vertreter von PreussenElektra sagte, es wäre wünschenswert, wenn die Windparks pleite gingen. Dazu muß man aber auch wissen, daß Preussen Elektra eine der Firmen ist, die mittlerweile schon Festverträge mit der Cogema abgeschlossen haben.
Die Cogema hat im Moment in Frankreich ein Problem. Sie kämpft zur Zeit mit der EDF um einen neuen Wiederaufarbeitungsvertrag. Die Cogema braucht dringend Kunden, und das zu jedem Preis. Deshalb ist die Cogema auch bereit, Lager- und Wiederaufarbeitungsverträge wirklich zu Schleuderpreisen anzubieten.
Bereits 1990 haben die deutschen EVUs Fakten geschaffen. Zunächst gab es sehr vorsichtige Verträge mit Rückzugsklauseln, also eher Lagerverträge. Aber Ende 1995 wurden diese Verträge ohne Unterrichtung der Öffentlichkeit, geschweige denn Beteiligung der Öffentlichkeit, von Bedarfsverträgen in Festmengenverträge umgewandelt. Federführend sind hier PreussenElektra, RWE und die Stadtwerke München.
Wir können nicht einfach sagen, das sei ein französisches Problem. Denken Sie bloß nicht, daß in Frankreich die Atomenergie von der Bevölkerung befürwortet würde. Es gibt jede Menge Widerstand, aber dieser Widerstand wird auch durch Geld aus Deutschland kleingehalten. Da werden Milliarden an Devisen locker gemacht, um mit dem Argument der Arbeitsplatzsicherung die Bevölkerung kleinzuhalten.
Es ist an der Zeit, daß die Deutschen ihre latent-arrogante Haltung gegenüber der französischen Bevölkerung überwinden und endlich für die in deutschem Namen und mit deutschem Geld betriebenen Anlagen Mitverantwortung übernehmen.
Ich sage Ihnen: Geben Sie dieses Wahnsinnsprojekt der Wiederaufarbeitung auf. Reden Sie mit uns. Wir sind zu einem Konsens fähig, zu sagen: Wir suchen einen nationalen Endlagerstandort ohne die Wiederaufarbeitung. Blockieren Sie das aber nicht immer mit dem Weiterbetrieb von Anlagen; denn
über Müll kann man sich nur dann unterhalten, wenn man auch die Mengen kennt.