Rede von
Ursula
Schönberger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! In den letzten Wochen konnte die Umweltschutzorganisation Greenpeace erstmals das Ausmaß der radioaktiven Verstrahlung durch die Abwässer der Wiederaufarbeitungsanlage La Hague messen - trotz massiver Behinderungen und dem Diebstahl von Ausrüstung durch Mitarbeiter der Cogema. Die Ergebnisse dieser Messungen sind erschreckend. Die Proben enthalten pro Kilogramm zehntausendmal mehr Radioaktivität als verseuchte Fische in Stauseen bei Kiew nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Jährlich werden von der Cogema 230 Millionen Liter radioaktiver Flüssigkeit einfach in den Ärmelkanal gepumpt - nach der Devise: Verteilen und verdünnen ist billiger als Sammeln und Lagern.
Doch die Folgen sind bitter. Eine vor kurzem veröffentlichte Studie von Wissenschaftlern der Universität in Besançon weist eine dreifach erhöhte Leukämierate bei Kindern und Jugendlichen in der Umgebung der Anlage auf.
Diese Kinder und Jugendlichen sind Opfer auch der deutschen Atompolitik. Denn über 50 Prozent der Brennelemente, die in La Hague aufgearbeitet werden, stammen aus deutschen Atomkraftwerken. Seit Jahren wird deutscher Atommüll zur Wiederaufarbeitung nach Frankreich und Großbritannien ver-
Ursula Schönberger
schoben und damit der Weiterbetrieb dieser Atomfabriken überhaupt erst abgesichert.
- Sowohl die UP 3 in Frankreich als auch die Inbetriebnahme der neuen THORP-Anlage in Großbritannien ist dadurch überhaupt erst möglich geworden. Das ist richtig, Kollege Fischer.
Die Erkenntnis, daß Wiederaufarbeitung teuer und dreckig ist, daß sie den Atommüll vermehrt und nicht reduziert und daß es zu schweren Unfällen kommen kann, setzt sich allmählich weltweit durch. Die USA, Spanien, Schweden und Kanada haben sich definitiv gegen die Wiederaufarbeitung entschieden. Der schwere Unfall in der japanischen Anlage in Tokai läute deren Ende ein.
Nur in Frankreich und Großbritannien werden die Anlagen noch gefahren. Warum? Weil ausländische Kunden - allen voran deutsche - hoffen, auf diese Weise das ungelöste und unlösbare Entsorgungsproblem noch um einige Jahre hinauszögern zu können - das mittels Atomanlagen, die nach deutschem Recht und Gesetz gar nicht genehmigungsfähig wären, weil sie zu dreckig sind.
Dies ist ein Verstoß gegen den im Atomgesetz verankerten Grundsatz der schadlosen Verwertung. Denn eine Wiederaufarbeitung, die radioaktive Abwässer im Meer und auf dem Strand verteilt, die noch nicht einmal die von der EU zugelassenen Grenzwerte einhält, kann keine schadlose Verwertung sein.
Hier versuchen die deutschen Energieversorger - mit Billigung der Bundesregierung - am deutschen Gesetz vorbei, die Probleme mit dem radioaktiven Müll auf die Menschen in anderen Ländern zu verlagern. Dies ist ein gravierendes Beispiel, was die Europäisierung im Umweltbereich derzeit bedeutet: Mit dem Verweis auf gegenseitiges nationales Recht ist letztendlich keiner für die schädlichen Auswirkungen verantwortlich.
Die einzig richtige Antwort darauf ist, die weitere Produktion von Atommüll zu stoppen und aus der Atomenergie auszusteigen. Doch selbst wenn man in der Logik der Bundesregierung bleibt - soweit man da von Logik reden mag, aber immerhin -, müßten die jetzt vorliegenden Zahlen und Beweise auch für Sie Anlaß genug sein, wenigstens endlich die Wiederaufarbeitung deutscher Brennelemente im Ausland zu unterbinden. Wir fordern Sie jedenfalls auf, das endlich zu tun.
Sollten Sie dazu nicht willens sein, dann haben Sie aber immerhin zur Kenntnis zu nehmen, daß nicht nur die Bevölkerung in Deutschland die Atomenergie nicht akzeptiert, sondern sich der Widerstand auch in der Atomnation Nummer eins, in Frankreich, formiert.
Unser Grüner Kollege Didier Anger, Symbolfigur im Kampf gegen die Wiederaufarbeitungsanlage in La Hague, erhielt bei den Parlamentswahlen 40,8 Prozent der Stimmen. Die Grüne Umweltministerin Dominique Voynet hat bereits das Aus für den Schnellen Brüter im Cres-Malville verkündet.
Über kurz oder lang wird es ein Ende der deutschfranzösischen Nuklearkooperation geben. Wenn Sie nicht dafür sorgen, werden es die Menschen tun - die Menschen, die nicht mehr bereit sind, Opfer der Atompolitik zu sein, weder in Deutschland noch in Frankreich oder sonstwo auf der Welt.