Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Weiterentwicklung der Rentenversicherung ist eine sozial-
und gesellschaftspolitische Aufgabe ersten Ranges. Die Rentenreform ist für mich nicht zuletzt deswegen von ganz besonderer Bedeutung, weil sie wie keine andere Aufgabe die Belange von Familien, Senioren, Frauen und Jugend miteinander verknüpft.
Nach sehr intensiver Vorarbeit, aus einer schwierigen Gemengelage und aus den unterschiedlichsten Interessen und Anliegen heraus ist es uns gelungen, die Reform auf den parlamentarischen Weg zu bringen. Die SPD tut sich keinen Gefallen damit, wenn sie die Konfrontation und nicht den Konsens zur Sicherung des Rentensystems sucht.
Es geht schließlich um das Vertrauen der jungen Menschen in die Sicherung der Rente und darum, den Älteren zu zeigen, daß der Generationenvertrag hält. Gleichzeitig ist es aus dem Blickwinkel der Familien- und Frauenpolitik Reformziel, die zentrale Rolle der Familie für den Generationenvertrag deutlicher zu machen und die eigenständige Alterssicherung von Frauen zu verbessern.
Der Rentenversicherungsbericht 1996 bestätigt die Unterschiede bei den Renten zwischen Männern und Frauen. Danach erhalten Frauen in den westlichen Bundesländern im Schnitt 800 DM Rente; die Männer liegen etwa 1000 DM darüber. Die Gründe dafür sind offensichtlich und heute schon ein paarmal genannt worden. Es liegt an den niedrigeren Einkommen von Frauen, an kürzeren Erwerbszeiten sowie an der geringeren Versicherungszeit wegen der Kindererziehung und der Pflege.
Wenn Sie heute die jungen Frauen betrachten, dann stellen Sie fest: Sie sind sehr gut ausgebildet und wollen, auch wenn sie Kinder haben, erwerbstätig sein und tun dies auch. Das heißt also: Für die Zukunft ist zu erwarten, daß sich die Rentenbiographien von Frauen günstiger darstellen, als das in der Vergangenheit der Fall war.
Wenn wir uns über alle Fraktionsgrenzen hinweg immer wieder für eine Wahlfreiheit in der Gestaltung des Erwerbs- und Familienlebens einsetzen, müssen wir die familienbedingten Nachteile auch in der Rentenversicherung abbauen und die Lücken in der Erwerbsbiographie von Müttern schließen.
Eltern, die wegen ihrer Kinder auf Erwerbstätigkeit verzichten, dürfen rentenrechtlich nicht benachteiligt werden. Frauen erbringen in der Familie und für die Familie eine unschätzbare Leistung, die der Gesellschaft zugute kommt. Diese Leistung muß sich bei der Rente auswirken.
Wenn wir auf der einen Seite immer den hohen Stellenwert der Familie betonen, müssen wir auf der anderen Seite natürlich bei den Rahmenbedingungen entsprechende Verbesserungen vornehmen. Deshalb bin ich sehr froh, daß wir heute feststellen können: Die von uns geforderte stärkere Anerkennung der Kindererziehungszeiten steht im Reformgesetz.
Dies bedeutet konkret: Wir wollen die stufenweise Neubewertung der Erziehungszeiten von 75 auf 100 Prozent des Durchschnittsentgelts aller Versicherten. Zum 1. Juli 1998 wollen wir die Kindererziehungszeiten mit 85 Prozent, ein Jahr später mit 95 Prozent und ab dem 1. Juli 2000 mit 100 Prozent des Durchschnittseinkommens bewerten. Die Änderungen gelten sowohl für den Rentenbestand als auch für Rentenneuzugänge. Dies ist ein großer Fortschritt, der sich nicht nur finanziell für die Frauen auswirkt.
Denn wir machen damit deutlich, daß für uns die Kindererziehung genauso wertvoll ist wie die Erwerbstätigkeit.
Weiterhin werden wir, so wie es das Bundesverfassungsgericht im März 1996 vorgegeben hat, Kindererziehungszeiten und Beitragszeiten bis zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze additiv anrechnen. Damit dokumentieren wir: Familienarbeit ist für uns nicht zweitklassig. Im übrigen wird damit auch der Doppelbelastung von Frauen, die Kinder erziehen und gleichzeitig erwerbstätig sind, Rechnung getragen.
Mit diesen Neuregelungen setzen wir fort, was wir 1986 mit der erstmaligen Anerkennung eines Versicherungsjahres für die Erziehung eines Kindes in der Rentenversicherung begonnen und 1992 mit der Anerkennung von drei Erziehungsjahren weiterentwikkelt hatten.
Der Weg bis zu diesem Reformgesetz war nicht immer einfach. Das Ziel der Aufwertung der Kindererziehungsleistungen findet jedoch breite Zustimmung. Die von der Bundesregierung, der CDU und der CSU eingesetzten Rentenkommissionen hatten in ihren Konzepten alle einheitlich die stärkere Berücksichtigung der Familienkomponente vorgeschlagen. Vor allem den Frauen in den Kommissionen und in den verschiedenen Gesprächskreisen ist es zu verdanken, daß dieses Ziel hartnäckig verfolgt wurde. Wir haben in diesem grundsätzlichen Anliegen einen parteiübergreifenden Konsens erzielt. Das zeigen die heute von der Opposition eingebrachten Anträge.
Renommierte Wissenschaftler, Frauenverbände, Familienverbände und andere Interessenvertreter und -vertreterinnen fordern seit Jahren die stärkere Anerkennung der Kindererziehungszeiten. Wir wollen und brauchen diese Verbesserungen. 1991 hat der Deutsche Bundestag interfraktionell beschlossen, daß die Alterssicherung von Frauen reformiert werden soll. Das Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber 1992 aufgefordert, die kindererziehungsbedingten Nachteile bei der Alterssicherung in stär-
Maria Eichhorn
kerem Umfang als bisher auszugleichen. Mit dieser Rentenreform setzen wir das um.
Wir sind uns sehr bewußt, daß es bei dieser Reform der Rentenversicherung vorrangig um die Begrenzung des Ausgabenanstiegs gehen muß. Gleiches galt im übrigen bei dem Rentenreformgesetz 1992. Auch dabei war die Kostendämpfung das Ziel. Trotzdem wurden die Erziehungszeiten ausgedehnt. Denn wir sind uns bewußt: Wenn wir die Erziehungszeiten besser bewerten, investieren wir in die Zukunft - auch in die Zukunft der Rentenversicherung.
Bei den kommenden Beratungen wird aus unserer Sicht sicher das eine oder andere noch geprüft werden müssen. Die Hinterbliebenenrente ist heute schon ein paarmal angesprochen worden. Wir haben sie bewußt nicht in das jetzige Reformpaket aufgenommen. Wir sind der Meinung, daß wir diese Frage erst in einem zweiten Schritt angehen sollten, nämlich dann, wenn das notwendige Datenmaterial vorliegt, um entsprechend fundierte Entscheidungen treffen zu können.
Aus der Sicht der CSU ist mir ein Punkt besonders wichtig. Wir haben uns immer dafür eingesetzt, daß 45 Pflichtbeitragsjahre in der Rentenversicherung anders als weniger Pflichtbeitragsjahre zu behandeln sind. Das heißt also: Wer 45 Pflichtbeitragsjahre aufzuweisen hat, soll nach unseren Vorstellungen die volle Rente erhalten, auch wenn er vorzeitig in den Ruhestand geht. Nach dem Gesetzentwurf gilt das in Zukunft für diejenigen, die 1941 oder früher geboren sind. Wer 45 Jahre lang hart gearbeitet hat, soll auch vor dem 65. Lebensjahr ohne Abschläge in Rente gehen können.
Mit dem klaren politischen Ziel der zukunftsorientierten Weiterentwicklung der Rentenversicherung bringen wir erneut eine wichtige Reform auf den Weg und beweisen Handlungsfähigkeit. Ich bedaure sehr, daß es nicht wie 1992 gelungen ist, diese Rentenreform in Übereinstimmung mit der SPD einzubringen. Noch haben Sie die Gelegenheit mitzumachen. Ich fordere Sie daher auf: Lassen Sie es uns gemeinsam schaffen, daß die alten Menschen morgen und die jungen Menschen übermorgen ihrer Renten sicher sein können!