Rede von
Rita
Grießhaber
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte mich mit der Frage auseinandersetzen, was die Rentenreform denn nun für die Frauen bietet.
Als erstes haben wir als Ausgangspunkt die Anhebung des Rentenalters für Frauen festzustellen.
Als zweites haben wir zu sehen: Es gibt Verbesserungen; bezüglich der Erziehungszeiten wollen Sie endlich statt 75 Prozent des Durchschnittseinkommens 100 Prozent anrechnen. Allerdings sehe ich da ein Problem für die Rentenversicherung selbst. Das wird schwierig zu realisieren sein, weil der Finanzminister will, daß dies aus dem System heraus und nicht durch weitere Zuschüsse finanziert wird.
Wir haben auch positiv zu vermerken, daß es nun endlich die vom Bundesverfassungsgericht verlangte additive Anrechnung von Erziehungszeiten und gleichzeitiger Erwerbstätigkeit gibt. Das heißt, die
Rita Grießhaber
Benachteiligung von erwerbstätigen Müttern wird aufgehoben.
Dies ist alles wichtig und richtig, und ich verkenne die Bedeutung dieser Punkte nicht. Aber was ist denn die eigentliche Anforderung an die Reform?
Frau Mascher hat bereits auf die Selbstverpflichtung des Parlaments hingewiesen: Es geht um die eigenständige Alterssicherung von Frauen. Die Verbesserung für Mütter kann da ein Mosaikstein sein, aber sie weist darauf hin, welchen blinden Fleck die Regierung hier hat; denn nicht alle Frauen sind Mütter. Und selbst wenn sie es ausschließlich wären, könnten sie über die Erziehungszeiten allein kaum zu einer ausreichenden Rente kommen, selbst dann nicht, wenn man das traumtänzerische Modell der PDS zugrunde legen würde.
Was eine Reform leisten muß, um Weichen für eine angemessene eigenständige Alterssicherung für Frauen zu stellen, ist, sich mit den Lebens- und Erwerbsverläufen von Frauen auseinanderzusetzen. Da hat sich unheimlich viel geändert. In den letzten 30 Jahren haben die Frauen viel in Bildung investiert. Aber was tun Sie? Jetzt, wo die Frauen aufgeholt haben, wird an der Stelle zurückgefahren.
Frauen arbeiten oft Teilzeit. Sie stellen 90 Prozent der Teilzeitarbeitenden und zahlen dafür einen hohen Preis; denn trotz enormer Belastungen haben viele nur ein armutsnahes Einkommen. Das Rentensystem, Frau Babel, spiegelt diesen einseitigen Leistungsbegriff wider; denn Rente als Lohn für Lebensleistung spiegelt die Diskriminierung der Frauen in der Arbeitswelt wider. Unbezahlte Arbeit wird nicht genügend berücksichtigt. Bei der bezahlten Arbeit sind die Frauen diskriminiert. Wir wissen es doch: Selbst wenn Frauen genauso lange erwerbstätig waren wie Männer, haben sie noch immer etliche 100 DM weniger im Geldbeutel bzw. auf ihrem Rentenbescheid als die Männer.
Der Rentenbescheid - das hat Herr Blüm hier ausgeführt - sagt natürlich noch lange nichts über die wirkliche Sicherung im Alter aus. Er schweigt über private Vermögensverhältnisse und über mögliche Betriebsrenten. Auf diese Elemente verweist die Bundesregierung zunehmend. Wer mehr will, soll mehr vorsorgen. Dafür muß man dann aber auch die Rahmenbedingungen schaffen. Wir tun das mit unserem Steuerkonzept und stellen die Vorsorgeaufwendungen bis zur Beitragsbemessungsgrenze steuerfrei. Frau Babel, das ist etwas anderes, als das bei der Lebensversicherung anzurechnen.
Aber selbst dieser Appell bleibt für die Frauen in den allermeisten Fällen zynisch; denn ihre Einkommen reichen kaum für zusätzliche Aufwendungen.
Wie sieht eine Rentenreform aus, die diesen Namen für Frauen verdient? Sie darf die Diskriminierung vom Arbeitsmarkt nicht ungebrochen fortsetzen. Sie muß Teilzeit besser absichern, allerdings nicht nach der Devise: halbe Arbeit, volle Rente. So
meinen wir das nicht. Die Brüche in den Erwerbsbiographien dürfen keine Einbrüche bei der Rente mehr bedeuten. Genau diese Elemente umfaßt das grüne Konzept.
Die SPD will das sogenannte Rentensplitting einführen. Das bedeutet, daß sich Mann und Frau die Rentenanwartschaften aus der Zeit der Ehe teilen. Ich habe da ein Problem;
denn ob durch das Rentensplitting wirklich ausreichende Rentenansprüche entstehen, ist ungewiß. Es ist ein Modell für Ehefrauen. Was der Arbeitsmarkt nicht hergibt, soll der Heiratsmarkt bieten. Zwar wollen Sie die nichteheliche Partnerschaft einbeziehen. Wie das aber in der Praxis funktionieren soll, ist noch unklar. Frauen ohne Partner schließt dieses Modell ganz aus.
Für die Bewußtseinsbildung, daß beide etwas erworben haben, ist es sicher ein sehr positives Element. Aber - auch das muß man bedenken - in der Realität führt das Modell eher dazu, daß der Mangel aufgeteilt wird.
Wenn ich die Reden der Kollegin von Renesse höre, die Erfahrungen im Scheidungsbereich hat, dann stelle ich fest: Bisher wird nur der Mangel verteilt. Wenn Sie da etwas entsprechend aufstocken wollen, stellt sich die Frage, wer das bezahlen soll. Wenn Sie das nicht machen, bleibt es bei der Armut.
Das allergrößte Rätsel, Frau Mascher, ist für mich dabei noch immer: Was ist daran eigenständig außer einem abgeleiteten Anspruch vom Ehemann? Eigenständige Alterssicherung soll doch wohl bedeuten, daß Frauen es aus eigener Kraft schaffen können, existenzsichernde Rentenanwartschaften aufzubauen.
Das grüne Konzept reagiert auf die gesellschaftlichen Umbrüche. Es greift die Lebenszusammenhänge der Frauen auf und bietet damit den besten Ansatz auf dem Weg zu einer eigenständigen Alterssicherung für die Frauen. Die Frauen sind bei uns nicht mehr diejenigen, die das Defizit haben. Sie sind nicht mehr diejenigen, die das Problem darstellen. Bei uns sind sie die Norm, an der sich die soziale Sicherung auszurichten hat.
Vielen Dank.