Rede von
Julius
Louven
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 23. Januar des letzten Jahres wurde im Rahmen der Kanzlerrunde von Bundesregierung, Gewerkschaften und Arbeitgebern einmütig festgestellt:
Der Standort Deutschland steht vor großen Herausforderungen.
Wenig später heißt es:
Den Sozialstaat zu sichern und zu festigen ist gemeinsames Ziel und gemeinsame Aufgabe. Seine Finanzierungsgrundlagen müssen durch Reformen erhalten bleiben.
Treffender kann das Hauptanliegen der Rentenreform 1999 nicht beschrieben werden. Vor diesem Hintergrund sollten wir nüchtern an die Bewältigung der Probleme herangehen. Polemik, Herr Kollege Dreßler, hilft hier nicht weiter. Zu welcher Polemik Sie fähig sind, haben Sie heute wieder bewiesen, aber auch vor drei Wochen in meinem Wahlkreis. Zu letzterem ist eigentlich noch eine Entschuldigung Ihrerseits fällig.
Die Aufgabe, die sich uns stellt, ist ein Stück Zukunftssicherung. Es geht darum, die Entwicklung
der gesetzlichen Rentenversicherung in Übereinstimmung zu bringen mit den wirtschaftlichen und
- Rudolf, ich gebe dir das Papier schon einmal; dann kannst du es dir durchlesen -
mit den demographischen Herausforderungen, weil nur auf diese Weise das soziale Ziel der Einkommenssicherung im Alter bei vertretbaren Beiträgen garantiert werden kann.
Unser Reformkonzept erfüllt diese Anforderungen. Wir schützen nicht nur die Beitragszahler vor Überforderung, sondern sorgen zugleich dafür, daß die Renten auch in Zukunft bezahlbar bleiben. Für mich ist wichtig, daß es nachvollziehbar zu einer Lastenverteilung zwischen Alt und Jung kommt. Ich denke, die älteren Menschen sehen ein, daß der Preis für das Älterwerden nicht allein von immer weniger Jungen durch immer höhere Beiträge gezahlt werden kann, während andererseits die Jungen erkennen sollten, daß sie unter geänderten demographischen Bedingungen zukünftig private Vorsorge für das Alter treffen müssen.
Ihr Konzept, meine Damen und Herren von der Opposition und insbesondere von der SPD, genügt diesen Anforderungen nicht.
Sie, Herr Dreßler, haben inzwischen dazugelernt; denn als ich im Dezember 1994 hier im Bundestag auf Grund der Prognos-Zahlen davon gesprochen habe, daß wir die nächste Legislaturperiode, also diese, dazu nutzen sollten, eine weitere Rentenreform vorzubereiten und durchzuführen, haben Sie in Ihrer typischen Art von Besserwisserei erklärt, daß eine weitere Rentenreform objektiv nicht notwendig sei. Die Wirklichkeit hat Sie sehr schnell eingeholt.
Zu Ihrer neuen Erkenntnis haben vielleicht auch die Jungen in Ihrer Partei beigetragen. Wenn man das Papier „SPD 2000 plus - Wir sind da" liest, erkennt man, daß die Jungen in Ihrer Partei Ihnen, Herr Dreßler, kräftig Dampf gemacht haben. Der Satz „Es reicht nicht aus, wenn sich alte Männer wechselseitig versichern, daß ihre Rente sicher ist, denn sie könnten nicht nur andere, sondern auch sich täuschen" muß Ihnen doch schon ganz schön weh getan haben.
Ebenfalls der Satz „Aber auch eine Korrektur von Rentenansprüchen im Falle steigender Beitragssätze und eine veränderte Besteuerung von Renten" zeigt mir, daß Sie nicht mehr allein der große Zampano in der Rentenversicherung sind. Herr Dreßler, heute morgen im Frühstücksfernsehen konnten Sie einen jungen Kollegen aus Ihrer Fraktion - ich sehe ihn jetzt leider nicht - hören, der sich massiv darüber beklagte, daß es nicht so weitergehen könne, daß die
Julius Louven
Jungen durch immer höhere Beiträge das Alterwerden bezahlen.
An dieser Stelle will ich gerne einmal darauf hinweisen, daß ich es sehr begrüße, daß sich junge Menschen - ob bei Ihnen oder bei uns in der Jungen Union, wie auch in politischen Versammlungen - zunehmend um das Thema Rente kümmern; ein Sachverhalt, den ich bis vor wenigen Jahren so nicht gekannt habe. Diese jungen Menschen bewegt die Frage, wie mit immer weniger Jungen eine immer längere Lebenserwartung der Alten finanziert werden kann. Es ist gut, daß auch die Jungen diese Debatte in politische Gremien hineintragen und sich daran beteiligen.
Hauptanliegen Ihrer Rentenreform, meine Damen und Herren von der SPD - wenn man hier überhaupt von einer Rentenreform sprechen kann -, ist, die Rentenversicherung mit neuem Geld zu versorgen. Der Arbeitsminister hat dies hier schon sehr plastisch dargestellt. Dieses Geld wollen Sie von Arbeitnehmern, den Selbständigen, den Unternehmern, der Arbeitslosenversicherung und aus dem Bundeshaushalt.
Ich will dafür einige Beispiele nennen. Sie wollen alle geringfügig Beschäftigten in der Rentenversicherung versicherungspflichtig machen, wogegen sich -aus guten Gründen - sogar die Rentenversicherungsträger wenden. Sie wollen die Versicherungspflicht letztlich auf alle Selbständigen ausweiten, was in der Tat zunächst Mehreinnahmen in einem erheblichen Umfange bringen würde. Sie verschweigen aber, daß hieraus natürlich auch Ansprüche entstehen, die später finanziert werden müssen.
Sie wollen - wie auch an vielen anderen Stellen - Einsparungen, die wir mit dem Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz durchgesetzt haben, im wesentlichen zurücknehmen ohne Rücksicht auf die Lohnzusatzkosten, deren Senkung Sie sonst so lautstark verlangen.
Die gestrige Debatte zum Thema Rehabilitation und Ihre Forderung, in diesem Bereich wieder kräftig draufzusatteln, um dann mit den Beiträgen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber Strukturpolitik zu betreiben, hat wieder einmal deutlich gemacht, wie wenig lernfähig Sie im Vergleich zu anderen sozialdemokratischen Parteien in Europa sind.
Von Tony Blair und seinem Sieg bei den letzten Unterhauswahlen in Großbritannien sind Sie noch meilenweit entfernt.
Sie laufen tatsächlich Gefahr, die rückständigste sozialdemokratische Partei in Europa zu werden.
Schließlich gehen Sie notwendige Reformen nur halbherzig an. Zusammengefaßt lautet Ihre Botschaft: Einsparungen sind weitestgehend überflüssig. Es muß lediglich umfinanziert werden. Es muß frisches Geld aus anderen Quellen herbeigeschafft werden.
Mit Zukunftssicherung hat dies nichts zu tun; um so mehr aber mit Wirklichkeitsverweigerung. Niemand, der noch ernstgenommen werden will, streitet mehr ab, daß zu hohe Lohnnebenkosten Arbeitsplätze gefährden.
Deshalb war es richtig und mutig zugleich, daß Bundesregierung und die Sozialpartner in der von mir eingangs angesprochenen Kanzlerrunde vom 23. Januar das anzustrebende Ziel genau benannt haben. Es heißt in der gemeinsamen Erklärung: Die Sozialbeiträge müssen insgesamt bis zum Jahr 2000 wieder auf unter 40 Prozent zurückgeführt werden.
Richtig ist diese Deckelung deshalb, weil wir ein konkretes Ziel brauchen, an dem sich unsere Reformen in der Sozialversicherung zugunsten der Arbeitsplätze messen lassen müssen. Mit Zahlenfetischismus hat das nichts zu tun.
Trotz der im Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz umgesetzten Maßnahmen mußte der Beitragssatz zur Rentenversicherung in diesem Jahr von 19,2 Prozent auf 20,3 Prozent heraufgesetzt werden. Hätten wir die Einsparungen, die Sie, meine Damen und Herren von der SPD, im Falle eines Wahlsieges, den ich allerdings nicht sehe, wieder rückgängig machen wollen, nicht durchgesetzt, wäre der Anstieg des Rentenversicherungsbeitrags noch deutlicher ausgefallen. Trotz dieser Einsparungen, deren Durchsetzung natürlich auch uns nicht leichtgefallen ist, wird der Rentenversicherungsbeitrag im nächsten Jahr weiter ansteigen, womit deutlich wird, wie notwendig weiterer Handlungsbedarf in der Rentenversicherung ist.
Zweifellos hat die Entwicklung, die ich bereits 1994 angesprochen habe, viel mit der schlechten Konjunktur und der Arbeitsmarktlage und sicherlich auch mit den Belastungen infolge der Wiedervereinigung zu tun. Der weit verbreitete und nicht allein von der SPD genährte Glaube, daß sich die Situation für die Rentenversicherung nach Überwindung dieser Problemlagen wieder deutlich entspannen wird, führt jedoch in die Irre. Die Zukunft der Rentenversicherung kann langfristig nicht allein durch eine deutlich verbesserte Arbeitsmarktlage gesichert werden.
Julius Louven
Die erheblich zu niedrige Geburtenrate und die steigende Lebenserwartung, die ich natürlich jedem gönne, haben ein solches Gewicht, daß weder mit einer guten Beschäftigungslage noch durch eine deutlich steigende Erwerbsbeteiligung oder durch noch so hohe Zuwanderungszahlen langfristig ein starker Beitragsanstieg zu verhindern wäre.
Vor diesem Hintergrund ist es konsequent, ehrlich und richtig, daß unser Konzept zur Rentenreform deutliche Einsparungen vorsieht; denn ohne diese Einsparungen erreichen wir die von Gewerkschaften, Arbeitgebern und Bundesregierung einvernehmlich festgelegte Zielsetzung nicht.
In unserer Rentenreform sind es vor allem drei Schritte, die zur Beitragsstabilisierung beitragen: der zusätzliche Bundeszuschuß, die Reform der Erwerbsminderungsrenten und der Demographiefaktor.
Dennoch ist die von uns angestrebte Rentenreform keine reine Sparreform; denn im Bereich der Familienleistungen kommen wir trotz angespannter Finanzlage zu Verbesserungen. Meine Kollegin Maria Eichhorn wird auf diesen Bereich noch eingehen.
Lassen Sie mich daher jetzt zu den von mir angesprochenen drei Punkten kommen, die zur Beitragsstabilisierung führen. Auf Grund des erhöhten Bundeszuschusses müssen Sie nun endlich aufhören, davon zu reden, wir hätten nicht die Kraft und den Mut, sogenannte versicherungsfremde Leistungen auszugliedern.
Angesichts der Tatsache, Herr Dreßler und Herr Dreßen, daß Sie die letzte versicherungsfremde Leistung hier im Deutschen Bundestag noch mitbeschlossen haben, ist Ihre Argumentation an dieser Stelle ohnehin fadenscheinig. Dies ist es auch deshalb, weil eine Ausgliederung nicht bedeutet, daß sich diese Leistungen auflösen; vielmehr müssen sie aus dem Bundeshaushalt bezahlt werden, was wiederum zu einer höheren Steuerbelastung führt. Dies kann auf Grund der Absicht der Kanzlerrunde, die Gesamtstaatsquote zurückzuführen, nicht wünschenswert sein.
Was die Erwerbsminderungsrenten angeht, so hatten Volker Kauder und ich vorgeschlagen, Neuzugänge nicht mehr im Rahmen des Umlageverfahrens, sondern im Rahmen der Kapitaldeckung zu finanzieren. Ich komme darauf zurück, weil der Vorschlag bezüglich der Kapitaldeckung, der auch bei der Kollegin Fischer eben eine Rolle spielte, nicht nur in unseren Reihen, sondern auch in Ihren Reihen, vor allem bei Ihnen, Herr Dreßler, erheblichen Zuspruch gefunden hat.
Volker Kauder und ich haben uns für eine Kapitaldeckung außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung ausgesprochen.
Sie, Herr Kollege Dreßler, und andere plädieren hingegen für eine kollektive Kapitaldeckung innerhalb der Rentenversicherung. Dieser Vorschlag ist aus guten Gründen abgelehnt worden. Herr Professor Krupp, Mitglied der Rentenreformkommission der SPD, hat im Maiheft der „WSI-Mitteilungen" noch einmal wichtige Einwände gegen ein solches Verfahren untermauert.
Er weist erstens darauf hin, daß es bei einer kollektiven Kapitaldeckung in größerem Umfang zu einer unverantwortlichen staatlichen Machtausübung käme, zu einer Kapitalkonzentration, die mit den Prinzipien einer sozialen Marktwirtschaft unvereinbar wäre.
Er legt aber zweitens dar, daß eine private Kapitaldeckung in begrenztem und sicherlich noch auszubauendem Umfang durchaus sinnvoll ist. Letzteres wollten wir, Volker Kauder und ich, erreichen.
Wir gehen nun mit unserer Reform bei der Erwerbsminderungsrente einen anderen Weg, den wir - wiederum Volker Kauder und ich - natürlich akzeptieren und unterstützen. Dabei - dies will ich hier offen sagen - sehen wir in diesem Teilbereich noch Beratungsbedarf. Hier wollen wir insbesondere die Anhörung abwarten, um möglicherweise im Gesetzgebungsverfahren zu modifizierten Regelungen zu kommen.
Den wichtigsten Einspareffekt erbringt der Demographiefaktor. Er bewirkt, daß sich der künftige Anstieg der Renten verlangsamt, was zu einer Verminderung des Rentenniveaus führen wird. Ausgeschlossen wird ein Absinken unter den Wert von 64 Prozent, ausgeschlossen werden auch Rentenkürzungen. Sie sollten daher endlich aufhören, dies zu behaupten.
Sie, meine Damen und Herren von der SPD, lehnen einen Rückgang des Rentenniveaus rundweg ab und wollen, wie ich zuletzt von Frau Mascher im WDR, aber auch von Herrn Dreßler hier hörte, dies zum Wahlkampfthema machen. Ich sage Ihnen: Davor haben wir keine Angst.
Julius Louven
- Weil es notwendig ist, Herr Kollege Dreßen. - Die in dieser Frage sensibilisierten Menschen wissen, daß die Formel „mit 25 in Arbeit, mit 58 in Rente" mit immer weniger Beitragszahlern bei einer immer längeren Lebenserwartung nicht zu finanzieren ist.
Interessant ist, daß die Gewerkschaften in dieser Frage erneut weiter sind als Sie. Die Auffassung von Herrn Schulte ist weithin bekannt. Weniger bekannt, aber heute morgen auch noch einmal durch Norbert Blüm bekannt gemacht worden, ist die Position von Herrn Standfest, ebenfalls DGB. Er hat sich vor der Hauptversammlung des VdR vor sechs Wochen - Sie müssen hier nicht mit Äußerungen vom vorigen Jahr kommen, Herr Dreßler -
wie folgt geäußert - das zeigt auch, daß er lernfähig ist -:
Bei gleichbleibendem Recht wird der aktuelle Rentenwert im Jahr 2030 rund 109 DM betragen. Infolge des demographischen Faktors würde sein Anstieg auf 103 DM abgebremst. Diese 6 DM, die 5,8 Prozent entsprechen, sind die Gegenleistung dafür, daß die Rente dann mehr als zwei Jahre länger als heute gezahlt werden muß. Ein Durchschnittsverdiener muß heute 27 Jahre lang Beiträge entrichten, um eine Rente zu erhalten, die die Sozialhilfeschwelle für Rentner übersteigt. Wenn der aktuelle Rentenwert schon heute 5,8 Prozent niedriger wäre, müßte er 28,5 Jahre Durchschnittsbeitrag entrichten.
Soweit Herr Standfest.