Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundesminister Blüm, die große Übereinstimmung und die Einigkeit in der Rentenreformdebatte, die Sie hier wieder heraufbeschworen haben, existiert doch schon längst nicht mehr.
Sie waren es, die den Konsens verlassen haben und zum Generalangriff auf das System der solidarischen Rentenversicherung geblasen haben; denn was Sie uns heute als Gesetzespaket vorgelegt haben, ist
Petra Bläss
eben keine, wie Sie sagen, behutsame Weiterentwicklung.
Herr Minister Blüm, ausgerechnet der Opposition vorzuwerfen, sie führe die Menschen in die Irre, ist schon ein starkes Stück. Es waren schließlich Koalitionspolitikerinnen und Koalitionspolitiker, die das ganze Jahr über allwöchentlich - möglichst noch am Sonntag - mit neuen Kürzungsvorschlägen kamen und die Leute in diesem Lande verunsichert haben.
Die PDS fordert Koalition und Bundesregierung auf, den vorgelegten Gesetzentwurf für die sogenannte Rentenreform 1999 zurückzuziehen. Der Gesetzentwurf beruht auf falschen Prämissen und wird den eigentlichen Herausforderungen der Zukunft nicht gerecht.
Wir fordern Sie auf, statt weitere Einschnitte vorzunehmen, schnellstens die rechtlichen Regelungen des Rentenkonsenses 1992 wieder herzustellen, die finanziellen Engpässe durch einen erhöhten Bundeszuschuß zu beseitigen und ein gleiches Rentenniveau in Ost und West zu schaffen.
Auf dieser Basis sollte der Bundestag eine Kommission einsetzen, die aus den Vorschlägen aller Parteien, von Gewerkschaften, Verbänden und Vereinen eine wirklich zukunftsorientierte Reform für die gesetzliche Rentenversicherung erarbeitet.
Eine Reform, die nicht nur die jetzige Rentnerinnen-
und Rentnergeneration berührt, sondern die auch die Alterssicherung der heute 30jährigen und Jüngeren betrifft, sollte in einem breiten gesellschaftlichen Konsens erarbeitet werden.
Voriges Jahr, als Bundesminister Blüm noch stereotyp behauptete, die Renten seien sicher, forderte die PDS ein Rentenmoratorium, das kurzfristige Änderungen untersagen und eine Reform für die kurz-, mittel- und langfristigen Probleme einleiten sollte. Das wurde damals in diesem Hause abgelehnt.
Seit Beginn dieses Jahres wurde nun eine unsägliche Reformhysterie erzeugt, die seriöser Arbeit abträglich ist. Sie mißbrauchen einen von der Politik verursachten finanziellen Engpaß, um einen akuten Handlungsbedarf für die Jahre 2020 bis 2040 zu suggerieren, den es aus rentenpolitischer Sicht so nicht gibt.
Es stimmt, daß die Rentenversicherung 1996 ein Manko hatte, weil der gewählte Beitragssatz nicht den anhaltenden Einbruch auf dem Arbeitsmarkt einkalkulierte. Mit der 97er Anhebung der Beitragssätze dürfte es aber gelingen, das Loch in der Schwankungsreserve zu stopfen. Aber insgesamt ist
in den vergangenen Jahren eben kein exorbitanter Beitragsanstieg zu verzeichnen. Von einer Ausgabenexplosion kann also keine Rede sein.
Der Beitragssatz bewegt sich genau auf dem Pfad, der mit dem Rentenreformgesetz 1992 prognostiziert worden war,
obwohl bei dessen Verabschiedung die deutsche Einheit nicht einmal einkalkuliert war.
Wenn der Bund seine staatliche Garantie erfüllen und die im Laufe der Jahrzehnte der Rentenversicherung übertragenen gesamtgesellschaftlichen Ausgaben sachgerecht ausgleichen würde, funktionierte die Rentenversicherung in ihrer heutigen Verfaßtheit bis zum Jahre 2015. Es bliebe also Zeit für einen seriösen Diskussionsprozeß.
Der geplante parlamentarische Galopp mit Anhörung in der Sommerpause, Sondersitzungen im. September und Abschluß sage und schreibe Anfang Oktober kann doch wirklich nur einem Ziel dienen: durch Änderungen der Änderungen im Sozialbuch VI noch mehr soziale Grausamkeiten unbemerkt durchzuschleusen, als jetzt schon ersichtlich ist. Da haben Sie ja mit dem Sparpaket im vergangenen Jahr schon Ihre Erfahrungen gemacht.
Wie groß die Arroganz der Macht dieser Regierungskoalition ist, sieht man daran, daß die unüberhörbaren Proteste wie die eine Million gesammelten Unterschriften des VdK und die unzähligen Protestresolutionen anderer Verbände - erinnert sei an den BRH-Bundesvertretertag vergangene Woche, der unter dem Motto stand: „Eines ist sicher: Wir wehren uns!" - einfach ignoriert werden und daß Sie kraft Ihrer Mehrheit im Parlament ungehindert Ihre Vorstellungen durchzusetzen versuchen.
Auf das schärfste protestieren auch wir gegen das Vorhaben, mittels eines sogenannten Demographiefaktors das Rentenniveau abzusenken. Der Standardrentner mit 45 Arbeitsjahren zu immer durchschnittlichem Verdienst, der das Rentenniveau von 70 Prozent erreicht, ist mittlerweile - das wissen Sie selbst - ein statistischer Exot geworden.
Wenn 55 Prozent der Männer und 95 Prozent der Frauen dieses Niveau bereits heute nicht mehr erreichen, droht vielen von ihnen schon jetzt Altersarmut. Eine weitere Absenkung wirkt folglich existentiell. Frau Kollegin Fischer von den Grünen, daß sich die Grünen mittlerweile auf diese Diskussion um Rentenkürzungen einlassen, zeugt doch davon, daß Sie von dem System der solidarischen Rentenversicherung Abschied genommen haben.
Petra Bläss
Wenn Sie der F.D.P. permanent Klientelpolitik vorwerfen, dann sage ich Ihnen: Das ist Klientelpolitik. Im übrigen entwickeln Sie sich hier schnurstracks dahin, Kronzeuge für die unsoziale Kürzungspolitik der Bundesregierung zu sein.
Wir meinen, daß die lebensstandardsichernde Funktion der gesetzlichen Rente erhalten und gestärkt werden muß und daß diese nicht zu einer Minimalversorgung degradiert werden darf.
Höchste Zeit wird es, daß sich die Regierungskoalition endlich den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts beugen und Kindererziehungszeiten additiv zu anderen zeitgleich vorhandenen Beitragszeiten anerkennen will.
Auch die stufenweise angehobene Bewertung mit dem Durchschnittseinkommen reicht noch nicht aus, sich damit zu brüsten, daß mit diesen Maßnahmen den Bleichlautenden Entschließungen von Bundestag und Bundesrat aus dem Jahre 1991 entsprochen wird. Es bleibt dabei, daß vor dem 1. Januar 1992 geborene Kinder nur mit einem Jahr bewertet werden. Das ist eindeutig zu wenig. Damit wird sich an der Situation vieler älterer Frauen eben nichts oder nicht sehr viel ändern. Für eine wirklich bessere Alterssicherung von Frauen bleibt in der Tat noch vieles zu tun.
Als besonders inhuman prangern wir die Veränderungen für Erwerbs- und Berufsunfähige sowie für Schwerbehinderte an. Den Berufsschutz völlig abzuschaffen, stundenweise Resterwerbsfähigkeit auf den ohnehin überlasteten Arbeitsmarkt zu verweisen, das ist nicht Ausdruck von Risiskoverteilung, sondern einzig eine Sparorgie und ein Anreiz zur weiteren Ausweitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse. Zu Recht sprach gestern die BAG „Hilfe für Behinderte" davon, daß hiermit ein weiterer Schritt der Bundesregierung getan wird, fiskalische Probleme auf Kosten behinderter und chronisch kranker Menschen zu lösen.
Weiter geht es mit der Erhöhung des Renteneintrittsalters. Nach dem späteren Rentenbeginn für Arbeitslose und Frauen folgt jetzt der für Schwerbehinderte und Langzeitversicherte. Dieser Weg ist bei der derzeitigen Arbeitsmarktlage kontraproduktiv.
Die Abschläge für vorzeitige Inanspruchnahme sind unsozial. Meine Damen und Herren, mit den vielen Übergangsregelungen wird auch immer unübersichtlicher, wann jemand überhaupt in Rente gehen kann.
Liebe Kolleginen und Kollegen, für die Perspektive der Rentenversicherung wird völlig einseitig ein demographisch determiniertes Bild gezeichnet: Sinkende Geburtenrate und steigende Lebenserwartung führen zur Verschiebung in der Alterszusammensetzung der Bevölkerung, was großen Einfluß auf die Finanzierbarkeit der Rentenversicherung habe.
Wesentlich sind doch vor allem aber die Einnahmen, also die Anzahl der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler, die Anzahl derer, die in versicherungspflichtiger Arbeit stecken. Völlig ausgeblendet werden die Veränderungen in der Arbeitswelt, wo künftig für alle erforderlichen Waren und Dienstleistungen immer weniger Arbeitskräfte benötigt werden. Nachgedacht werden müßte unseres Erachtens, wie das dann produzierte Bruttoinlandsprodukt für die Sozialversicherungen erschlossen werden kann.
Es gibt neuartige Fragen, die nicht mit alten Methoden beantwortet werden können. Die Bundesregierung entwickelt aber nur bei Kürzungsvorschlägen einen unnachahmlichen Einfallsreichtum, nicht hinsichtlich neuartiger Finanzierungsquellen. Der daraus resultierende neoliberale Umbau des Sozialsystems muß gestoppt werden.
Deshalb legen wir in unserem Antrag Vorschläge vor, die die Rentenversicherung nicht nur erhalten, sondern auch armutsfest, gerechter und attraktiver machen sollen. Insofern machen uns auch die Anträge der anderen Oppositionsparteien bei aller Unterschiedlichkeit im Detail Mut, daß eine andere Politik in der Rente möglich wäre.
Zieht man dann noch außerparlamentarisch entstandene Konzepte wie das der Volkssolidarität in Betracht, könnte man richtig Lust auf die Arbeit an einer Rentenreform bekommen.
Kurz ein paar Splitter unserer Forderungen: Um das Rentenrecht für Frauen zu verbessern, setzen wir dort an, wo das Hauptproblem liegt. Ihre für die Gesellschaft verrichtete Leistung bleibt häufig unbezahlt und zu gering bewertet. Erwerbsarbeit wird zumeist zu gering bezahlt und bleibt unversichert. Deshalb fordern wir eine wesentlich höhere Anerkennung der Kindererziehungszeiten, die höhere Bewertung häuslicher Pflege, die modifizierte Beibehaltung der Rente nach Mindestentgeltpunkten, die Versicherungspflicht für jede geleistete Arbeitsstunde und die einschränkungslose Anerkennung von Zeiten von Arbeitslosigkeit und Weiterbildung.
Ich möchte Sie daran erinnern, daß die PDS hier im Bundestag schon im vergangenen Jahr einen Antrag zur eigenständigen Alterssicherung von Frauen vorgelegt hat.
Erst dann stellen wir die Forderung nach einer bedarfsgerechten sozialen Grundsicherung für diejenigen, die keine existenzsichernde Rente erzielen. Für uns steht nicht Alimentierung, sondern Anerkennung von Lebensleistungen im Vordergrund.
Unser Angebot für chronisch Kranke und eingeschränkt Leistungsfähige läuft auf aufeinander abge-
Petra Bläss
stimmte, flexible Formen von gesundheitlicher Rehabilitation, Selbstverwirklichung im Beruf und ergänzende Rentenleistungen hinaus.
Menschen mit Behinderungen, die nie einer Erwerbstätigkeit nachgehen können, sollen einen existenzsichernden Nachteilsausgleich erhalten.
Um die lebensstandardsichernde Funktion der Rentenversicherung zu stärken, schlagen wir vor, das Eckrentenniveau künftig an die durchschnittlich erreichten Jahre von Erwerbstätigkeit zu binden. Die Selbstbestimmung befördern und den Arbeitsmarkt entlasten könnte ein flexibler Übergang in den Ruhestand auf Basis von Lebensarbeitszeitkonten. Wir bieten Ihnen an, darüber zu diskutieren.
Eine wirkliche Reform wird aber ohne Umverteilung des produzierten Reichtums nicht möglich sein. Wichtig wäre für uns auch, die Versicherungspflicht auf alle auszuweiten, die Beitragsbemessungsgrenze deutlich anzuheben, um die Arbeitgeber und den finanziell leistungsstarken Teil der Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerschaft stärker in den Solidarausgleich einzubeziehen.
Die solidarische Rentenversicherung hat also Chancen. Wir müssen sie ihr nur geben.
Danke.