Rede von
Joseph
Fischer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir debattieren heute über eine Regierungserklärung des Bundeskanzlers anläßlich seiner Teilnahme an drei Gipfeln, nämlich den Gipfeln in Amsterdam, Denver und New York. Eine halbe Weltreise liegt hinter Ihnen, Herr Bundeskanzler. Jetzt sind Sie wieder zurück im irdischen Jammertal der Bonner Koalition. Die Probleme hier sind dieselben geblieben. Das möchte ich gleich vorwegschicken.
- Es tut mir leid, Herr Kollege Glos. Auf Sie und Ihren Laden komme ich nachher noch zu sprechen - darauf können Sie sich verlassen -; denn wir werden, wenn wir über die Außenpolitik, die Europapolitik, über Amsterdam, über die Zukunft der europäischen Integration und über den Euro reden, garantiert auch über eine der wichtigsten Säulen des Kabinetts Kohl und seiner Koalition, nämlich über die CSU und Herrn Stoiber, reden müssen. Wer über den Euro spricht, kann über Stoiber und die CSU nicht schweigen.
Aber darauf komme ich gleich noch zu sprechen.
Mir geht es hier um eine Bewertung dessen, was diese Gipfel gebracht haben. Wenn man sich heute die Regierungserklärung angehört hat, aber wenn man sich auch gegenwärtig - ganz aktuell - die Rede des Kollegen Lamers angehört hat, - -
- Herr Kollege Hintze, sie war in ihrem europapolitischen Teil, vor allen Dingen im Euro-Teil, in der Tat sehr gut.
Da habe ich mehr geklatscht als Herr Glos. Damit haben wir wieder dasselbe Problem.
Meine Damen und Herren, der entscheidende Punkt ist ein anderer. Wenn man sich die Regierungserklärung des Bundeskanzlers und die Rede des Kollegen Lamers angehört hat, wird man feststellen: In Amsterdam war das Ergebnis ein minimales Ergebnis. Es hat Fortschritte gebracht, allerdings
auch ein hohes Maß an Stagnation, viele Fragezeichen, um die herumgeredet wurde.
Zu Denver kann man nur sagen: Das einzige, was positiv zu verzeichnen ist, ist die Teilnahme Rußlands, eine verstärkte Einbindung Rußlands in die westlichen Strukturen. Denver hat aber nicht die notwendige Regulierung des Globalisierungsprozesses, die Abstimmung von Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik gebracht. Das alles, was heute zwischen den wichtigsten Industrienationen gemacht werden müßte, ist in Denver nicht gemacht worden.
Und New York? Nun ja, zu New York möchte ich jetzt etwas ausführlicher kommen. Herr Bundeskanzler, seien Sie mir nicht böse. Auf der einen Seite freut es mich, wenn ich an 1983 zurückdenke, an die erste Legislaturperiode, als wir hier waren, welche beeindruckende Veränderung in den Reihen von CDU/CSU zumindest mental in der Umweltpolitik stattgefunden hat, auch bei Ihnen. Damit Sie mich richtig verstehen: Ich möchte Sie ausdrücklich darin bestätigen, in dem Kurs weiterzumachen, international umweltpolitisch Druck auszuüben. Nur, ich bezweifle, daß Sie ernst genommen werden, wenn Sie das, was Sie international fordern, national nicht umsetzen.
Dann muß ich Ihnen sagen: Ich kriege fast schon zynische Anwandlungen, wenn ich Ihre Regierungserklärung höre. Welches Wunder im Luftraum über dem Mittelwesten zwischen Denver und New York ist denn passiert? In New York mimen Sie den Ökofreak, während hier in Bonn gleichzeitig die Politik weitergetrieben wird, die letztendlich auf Umweltsudeleien, auf eine Betonpolitik hinausläuft.
Wie sieht es denn aus? Was ist denn die Bilanz dieser Bundesregierung, die sie international vorweisen kann? Nehmen Sie doch einmal die CO2-Reduktionsziele, die Sie in Berlin verkündet haben. In Berlin hat man Ihnen den Ökofreak noch abgenommen - ich nicht, aber die Umweltverbände. In New York werden sie Ihnen diese Nummer nicht mehr abnehmen. Sie haben dort eine schöne Rede gehalten, eine gute Initiative - allerdings ist Ablehnung gesichert, insofern kann man eine solche Initiative vortragen - gestartet, während Sie gleichzeitig hier feststellen müssen - Ihre Umweltministerin hat es jetzt auch zugegeben -, daß Sie die Selbstverpflichtung zur CO2Reduktion um 25 Prozent bis 2005 nicht einhalten werden.
Es ist ein Faktum, Herr Bundeskanzler, daß wir es im Jahre 1996 zum ersten Mal wieder mit einem Anstieg um 2 Prozent bei der CO2-Emission zu tun haben - im Westen Deutschlands, und da wird die Sache endgültig zynisch. Wir haben eine 45-Prozent-Reduktion, bezogen auf das Basisjahr 1989, im Osten Deutschlands. Das bezahlen wir mit Massenarbeitslosigkeit, mit katastrophalen Zuständen über
Joseph Fischer
die Deindustrialisierung durch eine falsche Einheitspolitik.
Da gibt es 45 Prozent Reduktion, während im Westen seit 1990 Null Reduktion zu verzeichnen ist, im Gegenteil, jetzt haben wir wieder einen Anstieg. Es macht natürlich unglaublich glaubwürdig, wenn ich dann gleichzeitig auf internationaler Ebene verbindliche Festlegungen fordere.
Aber gehen wir doch weiter. Wie sieht es denn aus bei einer Politik der Nachhaltigkeit? Jetzt stehen wir innenpolitisch vor entscheidenden Strukturreformen, das ist ja nicht umstritten. Wir müssen jetzt handeln. Nur, wo ist die Nachhaltigkeit in dem, was Sie vorschlagen?
Steuerreform: Es erbittert mich, Herr Bundeskanzler. Ich habe Ihnen hier das „Konzept Nachhaltigkeit, Fundamente für die Gesellschaft von morgen, Zwischenbericht der Enquete-Kommission ,Schutz des Menschen und Umwelt' des 13. Deutschen Bundestages aus 1997" mitgebracht. Ich habe Ihnen eine vorzügliche Studie von einer obersten Bundesbehörde, vom Umweltbundesamt, mitgebracht - sie ist aktuell erschienen -: „Nachhaltiges Deutschland - Wege zu einer dauerhaft umweltgerechten Entwicklung" . Ich empfehle dies zur Lektüre. Außerdem habe ich hier ein voluminöses, grün gebundenes Gutachten, „Umweltgutachten '96 - Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen bei der Bundesumweltministerin", das sich nicht nur zum Lesen, sondern dann und wann auch zum Handeln eignet.
In all diesen Publikationen können Sie Strategien für eine nachhaltige Zukunftsentwicklung finden. Überall ist die Notwendigkeit einer ökologischen Steuerreform enthalten. Ohne eine ökologische Steuerreform, ohne daß wir in unserer Marktwirtschaft die externen ökologischen Kosten internalisieren, werden wir den Prozeß der Nachhaltigkeit in Deutschland nicht hinbekommen.
Insofern müssen Sie, Herr Bundeskanzler, wenn Sie Ihre Rede ernst meinen, die Chance der jetzt notwendigen Steuerreform nutzen. Ihr Bundesfinanzminister muß endlich begreifen, daß eine ökologische Steuerreform für die nachhaltige Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland unverzichtbar ist.
Ich möchte in diesem Zusammenhang einen weiteren Punkt ansprechen. Wie sieht es denn mit der Lage des Waldes aus? Hinsichtlich der Schäden haben wir ständig einen Zuwachs. Wie ist die Situation der Böden, des Grundwassers in diesem Lande? Sie beklagen den Waldverlust völlig zu Recht. Mein Eindruck aber ist der, daß die Radikalität Ihrer Position exponentiell, das heißt im Quadrat zunimmt, je weiter Sie sich von Ihrem eigenen Verantwortungsbereich entfernen.
Die Helmut Kohls, das heißt die Konservativen in Indonesien, Borneo, Amazonien, wo auch immer, bringen Ihre Argumente vor. Dies führt dort zu einer ähnlich fatalen Politik, wie sie 'es hier bereits gibt.
Wir haben nach wie vor einen täglichen Flächenverlust von 80 Hektar zu verzeichnen. Schauen Sie sich doch einmal die Roten Listen in Deutschland an! Ich will Ihnen einmal die Fakten vorlesen: Ausgestorben oder verschollen sind 8 Prozent der Säugetiere, 6 Prozent der Süßwasserfische und 4 Prozent aller Vogelarten. Bestandsgefährdet sind 40 Prozent aller Säugetiere, 64 Prozent der Süßwasserfische, 39 Prozent der Vögel und 65 Prozent der Kriechtiere. Wir haben also nicht nur ein Problem in den tropischen Regenwäldern. Wir haben ganz aktuell hier unsere ökologischen Hausaufgaben unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit zu machen.
Schauen Sie sich die Entwicklung des Individualverkehrs an! Allein unsere Kraftfahrzeugflotte verbraucht mehr Rohöl als Gesamtafrika. Die Tendenz ist wachsend. Die Botschaft, daß die Volksrepublik China unter anderem auch von deutschen Automobilunternehmen motorisiert werden soll, mag für diese Unternehmen eine schöne Botschaft sein. Wenn wir aber so weitermachen, ist es ökologisch die schlichte Katastrophe.
Umgekehrt, Herr Bundeskanzler, können wir den armen Ländern nicht sagen: Bleibt arm, damit wir reich bleiben können! Das ist moralisch und politisch nicht zu vertreten. Wir müssen eine Politik der Nachhaltigkeit betreiben, um ihnen die Möglichkeit zu geben, sich entwickeln zu können.
Eine Verkehrswende, eine Energiereform, eine Entwicklung weg von der Angebotsorientierung, eine Öffnung des Marktes für neue, umweltschonende Technologien - all das liegt in unserer nationalen Entscheidungskompetenz und bringt nebenbei einen gewaltigen Modernisierungseffekt, neue Märkte und Arbeitsplätze, trägt also wesentlich zum Kampf gegen die Arbeitslosigkeit bei.
Dem bedeutenden Ministerpräsidenten aus einem nördlichen Bundesland, der in diesem Zusammenhang meint, die Umweltbürokratie sozusagen als neues Feindbild aufbauen zu müssen - das muß ich hier ansprechen -, kann ich nur folgendes sagen: Ich kenne die Zustände in diesem Land nicht. Allerdings ist meine Erfahrung als Umweltminister: Erstens. Kein Ökologe kann ein Interesse an zuviel Bürokratie und langen Genehmigungsverfahren haben. Da wurde in der Vergangenheit vieles verbessert. Vermutlich kann es noch besser gemacht werden, aber in allen Bundesländern, egal von wem sie regiert
Joseph Fischer
werden, sind beeindruckende Fortschritte erzielt worden. Zweitens. Umweltbürokratie und Umweltgesetze schaffen Rechtssicherheit, wenn sie entsprechend angewendet werden. Sie schaffen Investitionssicherheit und Sicherheit für Mensch und Umwelt.
Wenn dies eine Metapher sein soll, mit der man den ganzen Umweltkram vom Tisch räumen will, dann kann ich diesen Herrn nur warnen; denn das bedeutet ein Zurück in die Steinzeit der 60er Jahre. Es wäre eine Gefährdung des Industriestandortes Deutschland.
Ich habe überhaupt nichts dagegen: Wir können uns zwischen Ordnungsrecht, Haftungsrecht oder ökologischer Steuerreform entscheiden. Ich plädiere für einen Mix dieser Dinge als eine moderne Umweltpolitik. Ich halte aber überhaupt nichts davon, dies vom Tisch zu räumen.
Nun lassen Sie mich noch - leider in aller Kürze - auf den Amsterdamer Gipfel eingehen. Das Ziel war, die institutionellen Reformen für die Ostöffnung zu ermöglichen, eine Öffnung, die wir nachdrücklich bejahen. Diese institutionellen Reformen sind auf minimaler Ebene stehengeblieben.
Das Beschäftigungskapitel ist für uns - gegen den Widerstand der Bundesregierung durch die politischen Veränderungen in unseren Nachbarländern durchgesetzt - einer der wichtigsten Erfolge von Amsterdam. Erst einmal steht das nur auf dem Papier. Aber es schafft Möglichkeiten. Ich möchte Rudolf Scharping nachdrücklich für seine klaren Sätze hier danken.
- Nein, hören Sie zu! Das wird für die kommende Auseinandersetzung sehr wichtig sein.
Er hat gesagt, daß es nicht um staatliche Beschäftigungsprogramme auf EU-Ebene geht, sondern daß es um eine abgestimmte Politik hin zu einem gemeinsamen Sozialraum geht.
Das ist für mich ein ganz wichtiger und entscheidender Punkt. Damit können wir nämlich diese ganze Debatte, die in die 70er Jahre zurückführt, schlicht vergessen.
Ich sage Ihnen, Herr Kollege Haussmann: Die monetaristische Phase der europäischen Integration ist mit den Wahlentscheidungen in Großbritannien und in Frankreich zu Ende gegangen, und sie wird mit
der Wahlentscheidung hier in der Bundesrepublik
Deutschland nächstes Jahr endgültig zu Ende gehen.
Ich bin der festen Überzeugung - ich bin mir sicher, daß der Bundeskanzler, auch wenn er es nicht ausspricht, diesen Gedanken gar nicht von sich weisen wird -: Wir werden die Völker mit dem Hinweis „Der Weltmarkt erfordert es" nicht mitnehmen können. Das zeigt Frankreich. Man muß die französische Wahlentscheidung sehr ernst nehmen. Das ist nicht einfach nur eine falsche Taktik von Präsident Chirac gewesen. Der entscheidende Punkt ist: Man muß die Völker mitnehmen. Die Methode, die noch bis Maastricht geführt hat, wird in Zukunft nicht mehr funktionieren. Weitere Souveränitätsübertragungen - die wir wollen und die Sie wollen; da gibt es einen großen Konsens -, ohne daß wir die Völker mitnehmen, das heißt, ohne daß es einen innenpolitischen europäischen Prozeß gibt, werden nicht mehr funktionieren. Dieser Prozeß muß dann auch institutionell und legislativ umgesetzt werden.
Die Euro-Debatte ist jetzt die erste große innenpolitische europäische Debatte, die in allen Ländern gleich lang und mit gleichen Kontroversen geführt wird. Das finde ich unter Demokratiegesichtspunkten sehr wichtig. Aber das wird für die Zukunft heißen - auch das macht Amsterdam klar -: Wir werden eine weitergehende politische Integration unter Ausklammerung der Völker - das heißt ohne Volksentscheide bei weiterer Souveränitätsübertragung, ohne innenpolitische kontroverse Debatte, ohne das Risiko des Scheiterns, ohne offene Schlacht, auf dem Boden der Demokratie ausgetragen - nicht hinbekommen.
Deswegen haben wir, Herr Bundeskanzler, bei Europol zwei gravierende Einwände: bei der Demokratie- und der Subsidiaritätsfrage. Das sind keine grundsätzlichen Einwände. Aber Entschuldigung, wenn wir eine europäische Polizei installieren, dann frage ich, wo der europäische Grundrechtsschutz bleibt.
Das muß meines Erachtens mindestens parallel laufen. Das gehört eigentlich vorneweg gestaltet.
In dem Zusammenhang lassen Sie mich in aller Kürze auch einmal auf folgendes zu sprechen kommen: Ich habe nie auf Amsterdam gesetzt; nicht aus Berufspessimismus, sondern weil ich der Meinung war, daß man das europäische Maultier nicht überladen darf. Die Einführung des Euro hat jetzt unbedingte Priorität. Das zeigt auch das Gipfelergebnis von Amsterdam.
Nur, Herr Bundeskanzler, da reicht es nicht, wenn Sie sich mit Ihrem ganzen Gewicht hier hinstellen und erklären: Der Euro kommt. Ich möchte von Ihnen wissen, und ich möchte von Herrn Waigel wissen - er hat doch die Mär von den 3,0 Prozent gebracht
Joseph Fischer
- da schütteln Sie mit dem Kopf; ich könnte Ihnen die Reden aus dem Haushaltsausschuß und die Reden aus diesem Hause über die 3,0 Prozent, erst jüngst vorgetragen, vorlesen -: Was sagen Sie dazu, Herr Waigel, wenn Ministerpräsident Stoiber darauf hinweist - ich zitiere -:
Würde die CSU es plötzlich mit dem Bonner Fraktionsvorsitzenden Schäuble halten und nicht mehr auf unbedingte Stabilität pochen, beginge sie „den größten Vertrauensbruch in ihrer Geschichte."
„Unbedingte Stabilität" sind für ihn die 3,00 Prozent.
Nun wissen Sie: Die 3,00 Prozent sind nicht erreichbar. Herr Lamers hat das gerade wieder eindeutig gesagt. Auch der Bundeskanzler ist der Meinung. Wie soll das gehen? Wir sind es leid, daß hier Erklärungen abgelesen werden und die wirkliche politische Debatte zwischen CDU, CSU, F.D.P. und wem auch immer am Wochenende in den Medien stattfindet, wenn wir die Debatte hier geschlossen haben.
Herr Bundeskanzler, ich fordere Sie noch einmal klipp und klar auf: Nehmen Sie vor dem Deutschen Bundestag Stellung dazu, daß Herr Stoiber die Koalition in der Euro-Frage gegen die Wand fahren lassen will. Wenn das absurd ist, dann sagen Sie es. Welche Bedeutung hat es denn sonst, daß Herr Stoiber sagt, das wäre der größte Vertrauensverlust? In dem Zusammenhang möchte ich von Ihnen endlich Klartext hören. Wenn Sie das nicht tun, dann fordere ich den CSU-Vorsitzenden auf, hier eindeutig Stellung zu nehmen.
Vielen Dank.