Rede von
Marion
Caspers-Merk
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn Nachhaltigkeit ein Marathonlauf ist, zu dem in Rio der Startschuß gegeben wurde, legen wir jetzt nach fünf Jahren in New York eine erste Zwischenetappe ein. Dies ist ein Wettlauf gegen globale Trends und gegen die Zeit. Erst unsere Kinder und die nachfolgenden Generationen werden entscheiden, ob wir diesen Wettlauf gewonnen haben. Denn Nachhaltigkeit ist für uns eigentlich der einzige Zukunftspfad, der uns bleibt, wenn wir uns die globalen Risiken ansehen, und stellt die einzige Chance dar, wenn wir die globalen Herausforderungen annehmen wollen.
Wir glauben, daß wir in New York wirklich einen neuen Anstoß brauchen. Frau Dr. Merkel, Sie werden uns an Ihrer Seite haben, wenn es darum geht, auf dieser Sondergeneralversammlung auf alle Forderungen konkrete Ergebnisse zu erreichen. Sie werden uns an Ihrer Seite haben, wenn es darum geht, eine Waldkonvention einzufordern. Sie werden uns auch an Ihrer Seite haben, wenn es darum geht, im Abschlußdokument deutlich zu machen, daß das Thema Artenvielfalt endlich richtig umgesetzt werden soll.
Wir werden Sie ermutigen, eine deutliche Initiative für ein hartes Klimaprotokoll zu ergreifen. Unsere Anträge sind ja, was den internationalen Teil angeht, im Kern nicht unterschiedlich. Wir gehen vielleicht noch ein Stück weit über das, was Sie fordern, hinaus, wenn wir zum Beispiel Initiativen für eine internationale Bodenkonvention einfordern.
Sie haben uns auch an Ihrer Seite, wenn es darum geht, das Thema Ökoeffizienz und Faktor 4 in das Abschlußdokument einzufügen - ich weiß, daß das derzeit noch schwierig ist -, und wenn es darum geht, die Agenda 21 in allen ihren Teilen umzusetzen.
Aber, Frau Dr. Merkel, wir möchten gerne erhobenen Hauptes nach New York gehen können.
Dazu gehört, daß man auf internationaler Ebene nur das einfordern kann, was man national selber vorlebt.
Was antworte ich denn dem Vertreter des Staates Bangladesch, wenn er mich fragt, warum wir die Nutzung erneuerbarer Energien von ihm einfordern
Marion Caspers-Merk
angesichts dessen, daß er nur ein Achtzigstel unseres Energieverbrauchs hat und wir gleichzeitig in unserem Energieverbrauch und in der Art, wie wir Energie erzeugen, weitermachen wie bisher?
Was antworte ich unseren europäischen Freunden, wenn sie fragen, woran es liegt, daß in Europa fast zwei Drittel aller Kommunen schon lokale Agendaprozesse durchgeführt oder angestoßen haben und wir bei mageren 10 Prozent stehengeblieben sind? Was antworte ich nicht zuletzt den Amerikanern - wir wissen ja, daß sie die absoluten Bremser beim Thema Klimaschutz sind -, wenn sie uns vorwerfen, daß wir unser Klimaschutzziel wie eine Monstranz vor uns hertragen, aber im eigenen Land eigentlich nur die Dividende für den wirtschaftlichen Zusammenbruch Ostdeutschlands abfeiern?
Natürlich werde ich mich auf internationalen Konferenzen immer auf die Seite einer fortschrittlichen Politik stellen. Aber für uns ist wichtig, daß wir diese Glaubwürdigkeitslücke endlich schließen. Deshalb möchten wir von Ihnen wissen - denn nach New York geht die innenpolitische Debatte weiter -: Was tun Sie ganz konkret, um eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie in der Bundesrepublik Deutschland zu verankern? Eine Nachhaltigkeitsstrategie, die einen Umweltplan umfaßt, muß zur Chefsache gemacht werden.
- Jetzt wird mir zugerufen: „Kommt drauf an, wer der Chef ist". Wir werden das hoffentlich bald ändern.
Es ist für mich als Umweltpolitikerin unerträglich, wenn Sie als Umweltministerin gestern einen Leitfaden für den kommunalen Klimaschutz vorstellen - sehr lobenswert -, man von Ihnen gleichzeitig aber kein Veto hört, wenn es um das Energiewirtschaftsgesetz geht. Damit wird den Kommunen jede Möglichkeit für aktive Klimapolitik aus der Hand geschlagen.
Es ist auch unerträglich für uns, wenn wir international stärkere Anstrengungen von anderen einfordern, aber innerhalb der Europäischen Union - das adressiere ich an Sie, Frau Homburger - zu den Bremsern gehören, wie sich gezeigt hat, als sich der Wirtschaftsminister im Ecofin-Rat gegen Umweltsteuern gewandt hat.
Insofern ist es nur zu verständlich, wenn ich von dem dänischen Energie- und Umweltminister die Frage hören muß, warum wir von den Mächten des Lichts zu den Mächten der Finsternis werden. Das sind Fragen, auf die wir antworten müssen. Wir müssen feststellen, daß hier Reden und Handeln nicht übereinstimmen.
Ich will zu den internationalen „hot spots" etwas sagen. Wir haben einen Anteil von Naturschutzgebieten von ungefähr 1,8 Prozent. Jetzt fordern wir von den anderen „hot spots" und eine Liste. Das soll ganz stark unter Schutz gestellt werden. Aber bei uns scheitert schon eine Sollbestimmung in einem Bundesgesetz für die Unterschutzstellung von 10 Prozent der Fläche. Damit habe ich meine Probleme. Deswegen glaube ich, daß es wichtig ist, daß wir nicht nur international etwas einfordern, sondern daß wir auch national entsprechend handeln.
Da haben wir eine Chance, auch nach New York. Wir haben nämlich die Chance, einmal alle Akteure in der Zivilgesellschaft zusammenzuholen und den Prozeß einer Nachhaltigkeitsstrategie, eines nationalen Umweltplans - oder wie immer die Überschrift heißt - zu beginnen. Das eröffnet die Möglichkeit, daß wir nicht nur - was wir bisher tun - zurückblikken. Umweltberichte haben wir genug. Damit sind wir in der Bundesrepublik sehr weit; wir kennen jeden Grenzwert und jedes Milligramm. Aber wir schauen nicht nach vorne. Wir haben keinen Dialog und nicht einmal Ansätze für eine Verständigung darüber, wohin wir wollen. Welche Umweltziele setzen wir uns? Mit welchen Maßnahmen wollen wir diese Umweltziele erreichen? Was sind die wichtigen Themen? Warum lassen wir uns immer vom Schadstoff der Woche und von dem Skandal des Tages treiben?
- Sie wissen, Frau Homburger und Herr Grill, daß wir diese nationale Nachhaltigkeitsstrategie innerhalb der Enquete-Kommission durchzusetzen versuchen und daß wir unsere Arbeiten als Beiträge zu dieser Debatte sehen.
Wir haben für New York derzeit vier unterschiedliche Berichte. Der Bericht, den die Ministerialbürokratie gemacht hat, enthält in Teilbereichen gute Ansätze. Aber er orientiert sich hinsichtlich der Querschnittsaufgabe nicht an dem Ziel Integration, sondern an dem Motto: Jeder darf seinen Senf dazugeben.
Dann haben wir einen Bericht, den das nationale Komitee erstellt. Außerdem äußert sich der WBGU. Auch die Enquete-Kommission erstellt einen verkleinerten Teil ihres Berichts für New York. Wie stehen wir denn international dar, wenn wir feststellen müs-
Marion Caspers-Merk
sen, daß 60 Nationen Umweltpläne, Umweltstrategien und Maßnahmen vorlegen, und wir selbst diesen Schritt noch nicht gegangen sind?
Ich glaube, daß es eine Chance wäre, wenn wir uns nach New York zusammensetzen, diese Initiativen bündeln und zur gemeinsamen Initiative machen. Es gibt dazu auch einen einstimmigen Beschluß des Deutschen Bundestages, der die Bundesregierung auffordert, mit einem nationalen Umweltplan zu beginnen, und zwar auch in Zusammenarbeit mit den Nichtregierungsorganisationen, also mit allen in der Zivilgesellschaft, mit einem Dialog- und Verständigungsprozeß, der klären soll, was sich in Zukunft wie und mit welchen Instrumenten und Maßnahmen entwickeln soll.
Wir müssen ja nicht beim Punkt Null anfangen. Vielmehr gibt es doch sehr positive Initiativen, auf die wir zurückgreifen können. Ich erinnere daran, daß der Stadtstaat Hamburg jetzt sehr beachtliche erste Schritte für die Umsetzung der Agenda 21 getan hat. Ich erinnere daran, daß die Landesregierung in Baden-Württemberg einen Kabinettsbeschluß für die Erarbeitung eines Landesumweltplans getroffen hat. Ich erinnere daran, daß in Bayern erste Schritte für die Erarbeitung eines Plans - „Zukunftsfähiges Bayern" heißt er - getan worden sind. Ich erinnere auch daran, daß Niedersachsen auf Initiative der SPD- Landtagsfraktion mit einer solchen Nachhaltigkeitsstrategie begonnen hat.
Wenn die Länder das machen und wenn 150 Kommunen dies tun, dann frage ich Sie: Wo bleiben die Führungsrolle und die Richtlinienkompetenz der Bundesregierung in diesem Prozeß? Deswegen fordern wir von Ihnen, daß Sie, ausgehend von den Ergebnissen von New York, eine innenpolitische Debatte um die Fragen führen: Was wollen wir in Zukunft verändern und wie? Wir alle sollten gemeinsam an einer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie mitarbeiten, die unseren Kindern eine Chance für die Zukunft eröffnet.
Vielen Dank.