Rede von
Rezzo
Schlauch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In vielen Politikfeldern ist in den letzten Jahren ideologisch abgerüstet worden. Das ist aus meiner Sicht auch gut so. In der Drogenpolitik ist leider das Gegenteil der Fall. Hier werden die wissenschaftlichen Erkenntnisse und die Erfahrungen der Praktiker aus Medizin und Sozialarbeit von konservativer Seite schlichtweg ignoriert. Wenn die CDU dann aber selbst die Forderungen einer ständig wachsenden Zahl von Polizeipräsidenten und Polizeipraktikern nach einer Kurskorrektur ignoriert, dann ist dies für mich ein schlagender Beweis dafür, daß es Ihnen nicht um die Sache, nicht um die Betroffenen, nicht um die Lösung eines gesellschaftlich drängenden Problems, sondern um Ideologie geht.
Mit Ihrem Beharren auf der Politik der Repression befreien Sie keinen Süchtigen aus seiner Zwangslage. Nein, Sie treiben die Drogenabhängigen in die menschliche, in die medizinische und in die soziale Verelendung. Mit dieser Politik halten Sie niemanden vom Einstieg in den Drogenkonsum ab. Vielmehr wird diese ideologisch motivierte Repressionspolitik mehr und mehr zu einem gigantischen Wirtschaftsförderungsprogramm für das organisierte Verbrechen.
Ihre Drogenbilanz, Herr Lintner, besonders der Anstieg um fast 10 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf jetzt 1712 Drogentote im Jahre 1996, ist ein eindeutiger und trauriger Beleg für das Scheitern dieser Politik.
Unsere beiden Initiativen zur ärztlichen Heroinverschreibung und zu den sogenannten Rückzugsräumen als Bausteine einer humanen Drogenpolitik sind bereits in den Ausschüssen zur Beratung. Ich beschränke mich heute auf die Frage des CannabisKonsums.
Die Ausgangslage dabei ist, daß bis zu 6 Millionen meist jüngere Menschen Haschisch und Marihuana trotz Strafandrohung konsumieren. Diese hohe Zahl ist seit Beginn der 80er Jahre im wesentlichen gleich geblieben. Erfreulicherweise hören 90 bis 95 Prozent dieser Menschen nach einer Probierphase wieder auf. Dies wissen wir nicht zuletzt dank der Studie „Cannabis-Konsum in der Bundesrepublik Deutschland", die Professor Dieter Kleiber im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums angefertigt hat.
Bei der von uns geforderten neuen humanen Drogenpolitik geht es um zweierlei. Erstens wollen wir alles tun, um die Gefahr einer körperlichen oder psychischen Drogenabhängigkeit zu verhindern. Zweitens wollen wir, daß die Menschen, die Drogen konsumieren, vor gesundheitlichen Risiken geschützt werden und daß den Abhängigen ein Überleben und ein Leben in Würde ermöglicht wird.
Beim Cannabis-Konsum kommt ein weiterer rechtsstaatlicher Gesichtspunkt hinzu, Herr Kollege Singer. Die geltende Strafandrohung ist nicht dazu geeignet, Drogenkonsum zu verhindern. In fast 50 000 Fällen ermittelte die Polizei im Jahre 1995 wegen des Konsums, nicht wegen Handels oder Einfuhr von Cannabis. Tausende Haschischkonsumenten werden alljährlich verurteilt, trotz der Intention des Bundesverfassungsgericht und gegen sie. Was ein solches Strafverfahren für den einzelnen persönlich und beruflich bedeutet, brauche ich Ihnen nicht zu erklären.
Wir stehen mit unserer Position, die Strafandrohung für den Besitz von Cannabis aufzuheben, in Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht, das nämlich dem Gesetzgeber die Entscheidung überläßt - und jetzt zitiere ich wörtlich -, „ob eine Verminderung des Cannabiskonsums eher durch die ... Wirkung des Strafrechts oder aber durch die Freigabe von Cannabis ... erreicht wird".
Die Einwendungen gegen die Liberalisierung von Cannabis-Konsum sind Legion, und ich kann und will sie hier an wenigen Punkten widerlegen.
Cannabis ist weit weniger gesundheitsschädlich als Alkohol. Lediglich zwei Prozent aller Nutzer, so
Rezzo Schlauch
diese Studie aus dem Bundesgesundheitsministerium, sind abhängig vom Drogenkonsum. Die Gründe für den Umstieg auf andere Drogen liegen nicht in der Sucht, sondern vor allem im Zwang zur Illegalität.
Es ist auch falsch, daß die Legalisierung die Verfügbarkeit der Droge erhöhe - das ist Ihr Argument, wenn ich es recht weiß - und einen Dammbruch bei Jugendlichen auslösen werde. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat festgestellt, daß „die strafrechtliche Sanktionsandrohung nur bei einem geringen Teil der Jugendlichen wirksam ist".
Gegen die Legalisierung wird eingewendet, daß die Trennung der Märkte für weiche und harte Drogen nicht erreicht und damit die Gefahr, auch an Heroin oder Kokain zu gelangen, nicht reduziert werden könnte. Es ist aber altbekannt, daß der Dealer auf dem Schwarzmarkt in der linken Tasche das Haschisch und in der rechten Tasche die härteren Stoffe hat, mit denen er mehr Geld verdienen kann, weshalb er sie eben auch in den Handel bringt.
Und dann schließlich noch ein weiteres Argument: Ich habe noch nicht gehört und auch noch keine Schlagzeile gelesen, daß beispielsweise bekiffte Jugendliche Gewaltüberfälle gegen Ausländer oder sonstige Gewalttaten begehen,
sondern - und jetzt hören Sie bitte gut zu! - 29000 Gewaltdelikte im Jahre 1995, davon 2300 Totschlagsfälle und 1400 Vergewaltigungen, sind unter Alkoholeinfluß begangen worden. Und an diesem Punkt, spätestens an diesem Punkt wird es doch nicht mehr nachvollziehbar, warum die eine Droge erlaubt ist, gefördert wird, Reklame und Werbung für sie nicht verboten werden und die andere verboten wird.
Meine Damen und Herren, ich nehme an, daß Sie auch Zuschriften von betroffenen Drogenkonsumenten, Eltern usw. bekommenen. Ich zitiere aus dem Brief der Mutter eines Jugendlichen:
Ist es verantwortbar, weiterhin jugendliche Haschischkonsumenten zu verfolgen, zu bestrafen und soziale Folgeprobleme
- Stichwort Arbeitsplatz, Stichwort Führerschein, was alles dazugehört -
mit weit höherem Schaden zu schaffen, als sie der meist unproblematische Konsum von Haschisch und Marihuana verursacht?
Ich meine, der Deutsche Bundestag ist in der Pflicht, die Voraussetzungen für eine neue präventive Drogenpolitik zu verbessern und zur Kenntnis zu
nehmen, daß der alte Weg der Kriminalisierung und der Repression nachhaltig gescheitert ist.
Danke schön.