Rede von
Dr.
Wolfgang
Schäuble
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Scharping, nur damit es da nicht noch Legenden gibt: Gestern ist gesagt worden, von Ihrer Seite würden in der Debatte Herr Lafontaine, Herr Scharping und Herr Poß reden. Herr Lafontaine ist heute nicht gekommen.
Deswegen haben wir unsere Rednerreihenfolge auch ein bißchen umgestellt. Ich sage es nur, damit Sie da nicht etwas hineininterpretieren; es interessiert im übrigen außerhalb dieses Saales kaum jemanden.
Aus Gründen, über die man lange reden kann, die aber auch kaum noch interessieren, ist es nicht gelungen, in Gesprächen der Partei- und Fraktionsvorsitzenden vor Beginn der parlamentarischen Beratungen eine Einigung über Grundfragen zu erzielen. Eine solche Einigung hätte natürlich den Vorteil gehabt, daß diejenigen, die auf die Steuerreform dringend warten, früher gewußt hätten, wohin es geht, weil wir ja die Zustimmung des Bundesrates brauchen. Wir haben es nicht zustande gebracht. Hinsichtlich der Gründe kann man die Schuld hin und her schieben, was am Ende aber an 4,5 Millionen Arbeitslosen nichts ändert.
Ich bleibe dabei - das ist mein erster Punkt, und das haben wir immer gesagt -: Es wird keine Verzögerung geben. Wir haben im Januar die Grundzüge unserer Steuerreform nach intensiven Vorarbeiten der Öffentlichkeit vorgestellt. In unserer Steuerreformkommission waren übrigens die Finanzminister der Länder Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen, die Kollegen Mayer-Vorfelder, Huber und Milbradt, vertreten. Sie haben intensiv mitgewirkt und all diese Ergebnisse mitgetragen.
Herr Kollege Scharping, eines sollten Sie, glaube ich, wirklich nicht machen. Man kann über viele Einzelfragen unterschiedlicher Meinung sein. Aber diesen Gesetzentwurf, der die Ergebnisse unserer Kommission drei Monate später mit Punkt und Komma umsetzt, so zu behandeln, daß Sie sagen, man solle ihn am besten gleich in den Papierkorb werfen, ist dem Anliegen, der Bedeutung und der Qualität dieses Gesetzentwurfes, aber auch dem Urteil der gesamten fachorientierten Öffentlichkeit überhaupt nicht angemessen.
Wenn auch Ihnen an einer seriösen Beratung und an einem Austausch von Argumenten liegt, dann können Sie diese Konzeption so nicht würdigen; das hat keinen Sinn.
Dr. Wolfgang Schäuble
- Herr Kollege Meyer, ich habe es Ihnen schon vor Monaten von diesem Pult aus gesagt: Wir alle miteinander, auch Sie, haben im Jahr 1994 auf die Vorschläge der Bareis-Kommission zunächst einmal ein wenig erschreckt reagiert und gesagt, so weitgehende Änderungen würden wir möglicherweise politisch nicht zustande bringen. Lassen Sie es uns deshalb aufgeben, in den alten Schützengräben zu verharren, derweil die Arbeitslosigkeit nicht sinkt.
- Entschuldigung, das habe ich Ihnen vor Monaten hier schon gesagt.
Inzwischen haben wir alle miteinander begriffen, daß man die Schwierigkeiten unseres Arbeitsmarktes und die tiefgreifenden Veränderungen doch nicht so einfach mit Schuldzuweisungen lösen kann. Die Welt verändert sich, die Globalisierung bringt veränderte Rahmenbedingungen, in jeder Woche wandert eine zweistellige Zahl von Betrieben aus Deutschland ab und nimmt die Arbeitsplätze mit. Die Investitionen und Arbeitsplätze kommen nicht hierher, wenn wir die Rahmenbedingungen nicht verbessern.
Das haben wir alle miteinander begriffen; ich glaube, Sie haben es in Wahrheit auch begriffen. Ich habe hier eine Dokumentation dessen, was Sozialdemokraten alles zur Steuerreform gesagt haben. Soweit sie sich zur Sache äußern, sind sie alle viel näher bei den Vorschlägen dieses Gesetzentwurfes als bei ihrer eigenen offiziellen Propaganda.
Deswegen sind wir im Januar letzten Jahres, Herr Kollege Meyer, zu dem Ergebnis gekommen - es waren die Bundesregierung, die Wirtschaft, die Gewerkschaften, und selbst die SPD hat damals so geredet, woran Herr Scharping eben erinnert hat -, daß man doch einen grundlegenderen Reformansatz benötige, weil wir sonst die Erstarrung auf dem Arbeitsmarkt und in der wirtschaftlichen Entwicklung sowie unsere geringer werdende Wettbewerbsfähigkeit nicht verändern könnten. Dann haben wir uns auf den Weg gemacht. Jetzt setzen wir das alles um.
Nun können Sie uns sagen, das hätten wir schon vor zwei Jahren machen können. Aber Sie können uns doch, wenn Sie halbwegs seriös argumentieren wollen, nicht vorwerfen - vor einem halben Jahr hielten Sie uns ja vor, daß wir es nicht getan hätten -, daß wir nichts machten, und zugleich mit Ihrer Mehrheit im Bundesrat verhindern, daß es zustande kommt. Das ist unseriös und macht keinen Sinn. Außerdem ist es unverantwortlich.
Ehe ich zu den tragenden Punkten unserer Konzeption in ein paar Grundzügen zu sprechen komme
- es ist ja alles vom Bundesfinanzminister, dem Kollegen Friedrich Merz und dem Kollegen Sohns in ihren hervorragenden Redebeiträgen dargelegt worden -,
möchte ich auf das eingehen, was inzwischen aus den vielen Beiträgen von Sozialdemokraten zu sozialdemokratischer Alternative geronnen ist. Herr Scharping, Sie haben heute auch nichts anderes als das vorgetragen - das hat mir für Sie ein bißchen leid getan -, was Herr Lafontaine am 22. April dem Bundeskanzler geschrieben hat.
Ich habe die Vorschläge der SPD bei mir. Sie sind erstens bereit, zum 1. Juli 1997 die Sozialversicherungsbeiträge dadurch zu senken, daß die Verbrauchsteuern entsprechend erhöht werden. Sie sind zweitens bereit, den Eingangssteuersatz und den steuerlichen Grundfreibetrag zu senken, das Kindergeld zu erhöhen und den Körperschaftsteuersatz für nicht ausgeschüttete Gewinne von 45 auf 35 Prozent zu senken. Das ist Ihre Alternative. Ich sage Ihnen: Diese Alternative reicht auch im Ansatz nicht zur Lösung der Probleme unserer wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit und der zu hohen Arbeitslosigkeit aus.
Ich möchte Ihnen gern sagen, warum nicht. Eine Senkung der Sozialversicherungsbeiträge lediglich durch Erhöhung des verbrauchsteuerfinanzierten Bundeszuschusses - das ist die Wahrheit, anders geht es nicht - löst das Problem der Ausgabendynamik in den Sozialversicherungen nicht. Wir haben in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der Rentenversicherung eine Ausgabendynamik, die viele Ursachen hat; in der Krankenversicherung medizinische Fortschritte etc. etc. Aber die wichtigste ist - die kann man nicht bestreiten; sie ist übrigens eine höchst erfreuliche -, daß wir eine steigende Lebenserwartung haben. Die meisten Menschen leben im Durchschnitt länger als früher. Die Menschen sind heute doppelt so lange in Rente wie noch vor einer Generation.
Es geht nicht darum, daß die Renten sinken. Sie sollen gerade nicht sinken, sie sollen sicher bleiben. Nur können sie in den nächsten Jahren und Jahrzehnten nicht mehr in dem Tempo steigen wie in den zurückliegenden Jahrzehnten, sondern der Anstieg muß langsamer erfolgen. Wenn wir diese Ausgabendynamik nicht durch eine Strukturreform in den gesetzlichen Sozialversicherungen - in der Krankenversicherung wie in der Rentenversicherung - bremsen, wird jede Verbrauchsteuererhöhung zur Senkung des Sozialversicherungsbeitrages in zwei Jahren schon wieder ohne Wirkung sein. Dann haben Sie zwar die Verbrauchsteuer erhöht, aber die Beiträge sind schon wieder gestiegen.
- Sie fragen nach dem Inkrafttreten. Darüber können wir jetzt reden. Unsere Antwort in den Gesprächen war und ist auch jetzt - ich will auf Ihre Fragen eingehen -: Wir sind dazu bereit. Aber wir sind nicht dazu bereit, den Zusammenhang von Strukturreform und Umfinanzierung aufzulösen. Nur auf der Grundlage einer Strukturreform macht auch eine Beitragssatzsenkung durch Umfinanzierung Sinn.
Wir sind bereit, das in einem Gesetz so schnell wie irgend möglich zu verabschieden. Wir haben Sie ja
Dr. Wolfgang Schäuble
gefragt: Machen Sie mit? Die Antwort war ausweichend. Sie war auch kein definitives Nein, Gott sei Dank nicht; aber es war auch kein Ja. Wir sind bereit, den Gesetzentwurf zur Rentenreform gemeinsam oder als Koalition so rechtzeitig vorzulegen, daß wir noch vor der Sommerpause die erste Lesung machen können, daß wir das Gesetz in diesem Jahr verabschieden können. Im Rahmen dieses Gesetzes können wir dann gemeinsam oder notfalls auch ohne Sie auf der Grundlage einer Strukturreform einen weiteren Schritt zur dauerhaften Beitragssenkung durchsetzen. Aber das eine reicht ohne das andere nicht aus.
Der Bundesfinanzminister hat schon von begrenzten Haushaltsspielräumen gesprochen. Das ist ja gar keine Frage. Auch da sollten wir die Öffentlichkeit nicht durch zu viel Getöse zu täuschen versuchen. Das gelingt uns ja auch gar nicht mehr; die Leute erkennen ja, daß manches nicht mehr geht.
Natürlich ist die gegebene Finanzsituation aller öffentlichen Haushalte angespannt, übrigens auch die der gesetzlichen Sozialversicherungen. Alle zusammen bilden übrigens die berühmte Staatsquote. Die Staatsquote von rund 50 Prozent setzt sich ja aus den öffentlichen Haushalten von Bund, Ländern und Gemeinden und den gesetzlichen Sozialversicherungen zusammen. Sie ist zu hoch. Das sagen alle Sachverständigen, das haben Wirtschaft und Gewerkschaften schon vor einem Jahr gemeinsam mit der Bundesregierung gesagt. Sie muß sinken. Sie kann aber nur sinken, wenn die Ausgaben langsamer ansteigen. Durch Umfinanzierung sinkt sie nicht.
Bei der gegebenen angespannten Finanzsituation muß man natürlich zwischen Bund, Ländern und Gemeinden darüber reden, welche Verringerungen von Steuereinnahmen in welchem Zeitraum möglich sind. Wir haben in den Gesprächen, im Kanzleramt, auch in der nordrhein-westfälischen Landesvertretung und im Finanzministerium, gesagt, wir sind ja bereit, darüber zu reden, was zu welchem Zeitpunkt für die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden an Einnahmeverkürzungen möglich ist und was nicht. Ihre Position aber war null.
Ich sage Ihnen: Ohne eine Steuerentlastung kann die Steuerreform keinen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit leisten. Deswegen müssen wir uns über eine Steuerentlastung verständigen. Das ist auch richtig.
Wir haben gesagt, wir können die Steuerentlastung auch vorziehen. Ursprünglich haben wir ja gesagt: Alles 1999 in einem Schritt mit einer Nettoentlastung von 30 Milliarden DM.
Das halte ich auch heute noch für möglich und für richtig. Wenn wir ein gesamtwirtschaftliches Wachstum von real jeweils 2,5 Prozent in den Jahren 1997 und 1998 und von nominal jeweils 4,5 Prozent in den Jahren 1997 und 1998 haben, dann können wir für die Haushalte von Bund und Ländern bei einer entsprechenden Verstärkung der Dynamik von Wirtschaft, Wachstum und Beschäftigung 1999 eine Nettoentlastung von 30 Milliarden DM schaffen. Das halte ich für ehrgeizig, aber für notwendig, um die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.
Soll die Steuerreform früher in Kraft gesetzt werden, wird das Volumen wahrscheinlich nur geringer sein können. Deswegen hängen Inkrafttreten und Volumen notwendigerweise ein wenig zusammen. Aber in jedem Fall ist der Spielraum begrenzt; denn auch eine Nettoentlastung von 30 Milliarden DM ist wenig im Vergleich zu den Problemen, die wir in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt haben.
Da wir nur einen begrenzten Spielraum für Steuerentlastungen haben, ist unserer Meinung nach Ihr Ansatz falsch, jetzt den Grundfreibetrag und das Kindergeld zu erhöhen. Das ist zwar familienpolitisch wünschenswert; aber Theo Waigel hat gesagt: Im Moment ist es wichtiger, daß Vater und Mutter einen Arbeitsplatz haben, als daß das Kindergeld erhöht wird.
Wir müssen doch die Frage beantworten: Was hat Vorrang? Die Mittel sind immer knapp. Deswegen muß man Prioritäten setzen. Wir, CDU/CSU und F.D.P, die Koalition und die Regierung, haben uns dafür entschieden, der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in dieser Lage den Vorrang zu geben. Das ist das Prinzip unserer Steuerreform.
- Sie haben bisher niemanden gefunden - -
- Dazu sage ich gleich etwas. Herr Kollege von Larcher, Sie äußern sich heute, jedenfalls bei meiner Rede, ganz anders als bisher. Lassen Sie mich versuchen, ein Argument nach dem anderen darzulegen.
Sie haben wirklich niemanden gefunden - im übrigen auch in Ihren eigenen Reihen nicht -,
der meint, daß die Erhöhung von Grundfreibetrag und Kindergeld im Vergleich zu einer Änderung der Steuerstruktur der bessere Weg sei, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Das vertreten Sie selber nicht im Ernst.
- Ach was. Herr Kollege Poß, wir haben doch das Gemeinschaftsgutachten aller Forschungsinstitute. Auch ich habe es da. Sie haben natürlich nur einen Teil vorgelesen.
- Man kann das Ganze nicht vorlesen. Sie haben es selektiv vorgelesen.
Dr. Wolfgang Schäuble
Sie können nicht bestreiten, daß es in dem Gemeinschaftsgutachten heißt, unsere Konzeption der Steuerreform sei ein richtiger Beitrag zur Lösung der Probleme von Wirtschaft und Arbeitsmarkt. Das können Sie nicht bestreiten.
Jetzt kommt der entscheidende Punkt - Sie haben ihn absichtsvoll verwischt; andere waren vielleicht nicht so genau informiert; wenn man zuviel Zeitung liest, dann weiß man halt nicht alles so genau, Herr Kollege Fischer, aber das führt uns zu der Diskussion -: Die Anhörung beschäftigte sich mit dem Teil der Steuerreform, der nach dem vorgezogenen Gesetz 1998 in Kraft treten soll.
- Aber, Herr Kollege Poß, ganz gewiß.
- Die Gesamtwirkung wurde durch das Frühjahrsgutachten aller wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute beurteilt. In der Anhörung - Sie haben hier in der Debatte genauso argumentiert - haben Sie die Argumente gegen einen aufkommensneutralen Schritt in der Unternehmensbesteuerung gehört. Es wurde gesagt, daß eine aufkommensneutrale Veränderung in der Unternehmensbesteuerung kurzfristig nicht dieselben Wirkungen wie eine große Steuerreform hat. Deswegen brauchen wir eine Nettoentlastung. Über die Nettoentlastung besteht ja überhaupt kein Streit.