Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Politik in dieser Lage hat nur eine einzige Aufgabe, nämlich die Situation unseres Landes zu verbessern.
Das, was Sie vorschlagen, wird die Lage unseres Landes nicht verbessern.
Es ist eine unselige Fortsetzung dessen, was Sie gemacht haben.
Sie haben unser Land in die höchste Arbeitslosigkeit, in die höchste Verschuldung und zugleich in die höchste Steuerbelastung geführt. Wenn der Finanzminister wie heute erneut das Wort von der symmetrischen Finanzpolitik in den Mund nimmt, dann läuft es mir und den Menschen in Deutschland immer stärker kalt den Rücken herunter.
Denn die Kombination enormer wirtschaftlicher Schwierigkeiten mit einer tiefen sozialen Unsicherheit - zum Teil einer Spaltung unseres Landes - hatten wir in dieser Form noch nie.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer die Lage des Landes verbessern will, der muß wirtschaftliche Belebung ermöglichen, der muß soziale Gerechtigkeit und sozialen Zusammenhalt stärken, der muß beides auf eine finanziell solide Weise erreichen. Allen drei Zielen wird Ihr Vorhaben nicht gerecht. Es stärkt weder die wirtschaftliche Belebung, noch ist es gerecht, und schon gar nicht ist es finanziell solide.
Wir haben im Laufe der öffentlichen Debatte und auch der parlamentarischen Beratungen eine Reihe von Vorschlägen gemacht. Sie beziehen sich zunächst auf die Frage der wirtschaftlichen Belebung. Wenn die Wirtschaft in Deutschland sichere und verläßliche Rahmenbedingungen haben will - sie
Rudolf Scharping
braucht sie dringend -, dann muß mit diesem chaotischen Hin und Her der Finanz-, der Wirtschafts- und der Haushaltspolitik ein Ende gemacht werden.
Es muß ein Ende damit gemacht werden, daß Sie vor jeder Bundestagswahl Steuersenkungen versprechen und nach jeder Bundestagswahl die Steuern erhöhen.
Es muß ein Ende damit gemacht werden, daß Sie Abschreibungsbedingungen mal verbessern und mal verschlechtern. Es muß ein Ende damit gemacht werden, daß Sie durch Ihre Finanz-, Haushalts- und Wirtschaftspolitik ständig Verunsicherung in die Wirtschaft tragen, anstatt Sicherheit für Investitionen, Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze zu schaffen.
Ich schlage Ihnen erneut vor, in einem ersten Schritt zum 1. Juli 1997 die Lohnnebenkosten um zirka 30 Milliarden DM zu senken. Ich schlage Ihnen erneut vor, dafür gesetzlich präzise zu regeln, daß die Auffüllbeträge für die Renten in Ostdeutschland, die Beträge für die Fremdrenten und die Beträge zur Beseitigung des SED-Unrechtes aus der Beitragsfinanzierung in der Rentenversicherung herausgenommen werden und die Rentenversicherung damit um zirka 15 Milliarden DM entlastet wird. Ich schlage Ihnen vor, daß diese Finanzierung in einem fairen, gemeinsamen Lastenausgleich in Deutschland geregelt wird und nicht mehr zu Lasten der Arbeitsplätze, was nicht akzeptabel ist.
Ich schlage Ihnen erneut vor, in der Arbeitslosenversicherung schon zum 1. Juli dieses Jahres Teile des Bereichs Fortbildung und Umschulung, der eine große Gemeinschaftsaufgabe für die zukünftige Qualifikation der Arbeitnehmer, für die zukünftige Erhaltung von Arbeitsplätzen ist, gemeinsam und fair zu finanzieren und nicht mehr allein aus den Beitragsgroschen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie ihrer Arbeitgeber.
Wenn Sie wollen, daß in Mittelstand und Handwerk, daß in den deutschen Unternehmen Arbeitsplätze entstehen, Ausbildungsplätze reklamiert und geschaffen werden können, dann müssen Sie diesen Schritt jetzt tun und endlich korrigieren, was Sie den Beitragszahlern nach 1990 aus Feigheit vor dem Steuerzahler zum Schaden unserer Arbeitsplätze und zum Schaden der wirtschaftlichen Entwicklung aufgebürdet haben.
Ich schlage Ihnen erneut vor, so rasch wie möglich eine gesetzgeberische Entscheidung zu treffen, die die Arbeitsmarktpolitik flexibel gestaltet und lokal verankert, sie der Mitbestimmung und Mitwirkung der Gemeinden und der Tarifpartner, also der Gewerkschaften und der Unternehmen, öffnet und eine Möglichkeit schafft, daß die Gemeinden nicht mehr der Lastesel Ihrer Politik bleiben,
nicht mehr alles mit der Sozialhilfe bezahlen müssen, nicht mehr alles an Leistungen, an Qualität für die Bürger kürzen müssen, sondern mit einer aktiven und flexiblen Arbeitsmarktpolitik vor Ort gemeinsam Verantwortung wahrnehmen können; denn vor Ort ist noch möglich, was Sie in der Bundespolitik verweigern: gemeinsam Verantwortung wahrzunehmen.
Ich schlage Ihnen erneut vor, noch in diesem Jahr Entscheidungen zu treffen, mit denen die umfangreiche staatliche Bürokratie abgebaut werden kann. Ein großer Teil der Lasten, die den Bürgern und den Unternehmen zugemutet werden und dem wirtschaftlichen Fortschritt schaden, ergibt sich aus der überbordenden Bürokratie, deren Anwachsen wir seit 14 Jahren beklagen müssen.
Ich schlage Ihnen erneut vor, das öffentliche Dienstrecht so zu modernisieren, daß die Motivation und die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter dort aufgenommen und weiterentwickelt werden kann.
Ich habe noch nie erlebt, daß eine Bundesregierung nach mittlerweile gut 14 Jahren Amtszeit angesichts der erschreckenden, belastenden, schwierigen Ergebnisse ihrer Politik am Ende zwei Linien verfolgt. Zum einen sagt sie: Weiter so. Zum anderen sagt sie: Für die Folgen sind die Menschen in Deutschland, ist im Zweifelsfall die Opposition, sind alle anderen verantwortlich. Dabei ist das Vorgehen dieser Regierung organisierte Verantwortungsverweigerung.
Ich schlage Ihnen erneut vor, daß Sie den Bundesinnenminister endlich davon überzeugen, daß das Dienstrecht, daß die Bürokratie, daß vieles andere verändert werden müssen, damit der öffentliche Dienst das sein kann, was er nach dem Willen seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sein will, nämlich ein effizienter, leistungsstarker Partner der Bürgerinnen und Bürger.
Meine Damen und Herren, es gibt viel zu tun. Die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Lohnnebenkosten, für eine flexible Arbeitsmarktpolitik und für die Bürokratie
Rudolf Scharping
wäre eine gute Ergänzung dessen, was wir heute hier besprechen. Die Frage ist: Wie sehen die steuerlichen Rahmenbedingungen aus?
Da will ich Ihnen einiges im Zusammenhang mit Ihrem Gesetzentwurf sagen. Der Kollege Fischer hat schon darauf hingewiesen. Wenn Schule werden soll, daß Fraktionen Gesetzentwürfe dieser Machart einbringen, mit dem Hinweis, daß im Rechnungsjahr nach ihren eigenen Entwürfen zusätzliche finanzielle Löcher in Höhe von 57,1 Milliarden DM entstehen, wobei die Finanzierung mit einem Satz beschrieben wird, der in seiner allgemeinen Düsternis und Unklarheit jede Interpretation zuläßt, nämlich „teilweise Gegenfinanzierung durch Umschichtung innerhalb des Steuerrechts", frage ich Sie: Wie kommen Sie sich eigentlich vor? Sie schlagen Dutzende von Paragraphen vor. Aber da, wo es um die spannende Frage geht „Wer zahlt am Ende?", sagen Sie: teilweise Gegenfinanzierung durch Umschichtung innerhalb des Steuerrechts.
Den Anteil der direkten Steuern an den Steuereinnahmen wollen Sie zu Lasten der konsumabhängigen offenkundig vermindern. Sagen Sie den Bürgerinnen und Bürgern doch wenigstens ehrlich, was Sie ja intern zu erkennen gegeben haben: Sie wollen die Mehrwertsteuer erhöhen, damit die Senkung der Spitzensteuersätze bezahlt werden kann. Das werden wir nicht mitmachen.
Schon bei der ersten Beratung Ihres Gesetzentwurfes zur Unternehmensteuerreform habe ich auf den objektiven, nicht zu bestreitenden Zielkonflikt hingewiesen zwischen der Attraktion des Wirtschaftsstandortes Deutschland für ausländische Investoren auf der einen Seite - sie ziehen diesbezüglich die Konsequenz, sie müsse gesteigert werden, indem man die Steuersätze auf ausgeschüttete Gewinne deutlich herunterfährt - und den Investitionsbedingungen für die kontinuierlich investierende, also insbesondere die mittelständische Wirtschaft in Deutschland auf der anderen Seite.
In diesem Zusammenhang haben Sie, Herr Kollege Sohns, aus dem Gutachten zitiert, das ich hier vor mir liegen habe. Weil wir ja in der Lage sein sollten, wenigstens ein bißchen auf Argumente, auch wenn sie nur Scheinargumente sind, einzugehen, frage ich Sie, warum Sie nicht erwähnt haben, daß da auch folgendes steht:
Tatsächlich dürften sich die effektiven Grenzsteuersätze der Investitionen in vielen Fällen sogar erhöhen .. .
Da aber bei der weitgehend aufkommensneutralen Unternehmensteuerreform vor allem die Unternehmen, die nicht oder wenig investieren, entlastet werden,
während die Belastung derjenigen, die viel investieren, steigt,
ist nicht zu erwarten, daß durch diese Maßnahmen die Investitionsneigung größer wird.
Vielmehr dürfte es zu Vorzieheffekten kommen, also zu vermehrten Investitionen, bevor die neuen Regelungen greifen.
Nach diesen Vorzieheffekten wird es wohl eine Dämpfung der Investitionstätigkeit geben.
Ich beschreibe das zunächst als einen objektiven Zielkonflikt. Denn es kann ja niemand bestreiten, daß Deutschland seine Attraktion für ausländische Investoren erhöhen könnte und müßte. Ich füge aber hinzu: Der Weg, den Sie gehen, nämlich diese Attraktion zu erkaufen durch eine Verschlechterung der Investitionsbedingungen in Deutschland, zu Lasten der kontinuierlichen Modernisierung des Produktionsstockes, zu Lasten der kontinuierlichen Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit von schon vorhandenen Arbeitsplätzen, zu Lasten des Mittelstandes usw., rechtfertigt das Ziel der Verbesserung der Investitionsbedingungen für Ausländer in keiner Weise. Sie beschädigen die wirtschaftlichen Interessen in Deutschland.
Mich hat sehr verblüfft, daß es nicht möglich ist, auf der Grundlage dieses Jahresgutachtens in vernünftigen Gesprächen - hier sind sie offenkundig eher möglich als dort - zu solchen Zielkonflikten etwas zu sagen. Das war ja auch der Grund für den Vorschlag der Sozialdemokratie - ich wiederhole ihn hier; es bleibt auch dabei -: Die Steuersätze für thesaurierte Gewinne der Unternehmen werden bei 35 Prozent festgeschrieben, mit all den Folgen, die das für andere hat.
Jetzt will ich Ihnen etwas zu den anderen Steuersätzen sagen, insbesondere zu dem Eingangssteuersatz, der ja in Ihrem Paket ebenfalls eine große Rolle spielt. Sie sagen immer, es entlaste die unteren Einkommen, es erhöhe die Verteilungsgerechtigkeit der ist, wie auch immer politisch schöner -, wenn der Eingangssteuersatz sinkt. Sie verschwigen den Bürgerinnen und Bürgern, daß mit der Absenkung der Eingangssteuersätze und der Erhöhung des Grundfreibetrages alle Steuerzahler gleichmäßig entlastet werden.
- Wenn Sie jetzt zugeben, verehrte Frau Kollegin, daß das im System angelegt ist, dann muß ich Sie fragen, warum Sie diese gleichmäßige Entlastung aller Steuerzahler noch unbedingt um eine Senkung des
Rudolf Scharping
Spitzensteuersatzes ergänzen wollen, die den Staat mehr als 20 Milliarden DM kosten wird.
Wenn Sie darauf antworten, das sei wegen der besonderen Unternehmenskultur in Deutschland - dem hohen Anteil von Personengesellschaften - unbedingt notwendig, dann, so füge ich hinzu, lassen Sie uns doch gemeinsam einen Weg beschreiten, den alle anderen Wettbewerberländer gegangen sind, nämlich auch die Bedingungen für in Personengesellschaften erzielte und wiederinvestierte - thesaurierte - Gewinne zu verbessern.
Dieses Problem können wir im Interesse von Handwerk und Mittelstand lösen. Aber Sie dürfen eine solche Operation doch nicht dem Verdacht aussetzen bzw. tatsächlich dafür sorgen, daß am Ende nur eine unzulässige und wirtschaftlich schädliche Bereicherung von Spitzenverdienern steht, nicht aber die Stärkung der Unternehmen selbst.
Ich habe in den letzten Tagen darüber - ich spreche damit keine Vertraulichkeiten aus - mit vielen Unternehmern in Deutschland diskutiert. Die verstehen diese Argumentationen.
Sie hier haben in der Frage der Vermögensteuer und in der Frage der Spitzensteuersätze eine dogmatische Position.
Sie sind zu pragmatischen Schritten gar nicht in der Lage.
Sie haben in den Steuerverhandlungen - es waren ja gar keine Verhandlungen, sondern ein Meinungsaustausch - folgende Voraussetzung aufgestellt, die mich - das muß ich Ihnen ehrlich sagen - nicht mehr sonderlich gewundert hat - denn das Ergebnis war ja klar und das war die Ursache meiner Skepsis -: Sie haben Unterwerfung erwartet, anstatt Kooperation zu ermöglichen.
Wenn jemand schreibt, Voraussetzung für Gespräche sei - das ist hier schon gesagt worden -, daß man diese auf der Grundlage der vorgelegten Entwürfe führe, dann fordert das doch wohl Unterwerfung.
Nun muß ich zu diesem Thema noch etwas sagen; ich komme dann gleich zu den anderen Themen bezüglich der Steuern zurück. Wir, Oskar Lafontaine und ich, hatten Ihnen im Januar 1996 geschrieben, wir seien bereit, alle Entscheidungen mit Ihnen gemeinsam zu treffen, was die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit angeht. Das hat der Bundeskanzler hier im Februar 1996 freundlich mit einer allgemeinen Bemerkung beantwortet. Danach hat er dies zu den Akten gelegt. Die Gewerkschaften waren zu Gesprächen bereit. Der Vorsitzende des DGB ist im Rahmen einer Pressekonferenz sogar soweit gegangen, die Absenkung sozialer Leistungen anzukündigen. Sie haben diese Chance zum Bündnis für Arbeit zerschlagen.
Sie haben jetzt die Chance zerstört, nicht für raschere Entscheidungen, aber rasch für Orientierung zu sorgen. Der Attentismus, der möglicherweise daraus entsteht, geht voll zu Ihren Lasten.
Denn wenn Sie noch nicht einmal in der Lage sind, objektive Zielkonflikte sachkundig zu erörtern und dann nach einem guten Weg zu suchen, um beiden Zielen gerecht zu werden, dann ist das sehr erstaunlich.
Sie bleiben ja sogar hinter dem zurück, was christdemokratische Finanzminister zu dem Thema sagen. Ich komme nachher noch auf die Finanzierungslöcher zurück. Wenn ich mir aber vorstelle, was Finanzminister Mayer-Vorfelder schon vor langer Zeit als Lösung dieses Zielkonfliktes festgehalten hat, dann frage ich mich: Warum bringen Sie es denn nicht fertig, darüber sachkundig zu sprechen und die dort genannten Möglichkeiten zu eröffnen?
Wenn Ihre Politik aber dazu führt, daß wirtschaftliche Rahmenbedingungen noch weiter verunsichert und verunklart, Investitionen in Deutschland verteuert werden und damit die Wettbewerbsfähigkeit von Arbeitsplätzen und die Chance, Ausbildungsplätze zu schaffen, vernichtet wird, und wenn Ihre Politik dazu führt, daß die soziale Kluft in Deutschland tiefer wird, dann können Sie nicht erwarten, daß man das mitmacht - jedenfalls nicht von der Sozialdemokratie.
Wir wollen erreichen - ich schlage auch das erneut vor -, zum 1. Januar 1998 alles Erforderliche zu tun, damit die Kaufkraft in Deutschland verbessert wird. Das bedeutet, den Familien zu helfen, die Rentnerinnen und Rentner nicht zu bestrafen und die Arbeitnehmer nicht zur Kasse zu bitten, die mit ihrer Arbeitsleistung im Grunde erst dafür sorgen, daß die Unternehmen Gewinne machen können, und die mit ihrer Kaufkraft für die Nachfrage in Deutschland sorgen.
Meine Damen und Herren, ich muß Sie leider doch noch einmal darauf hinweisen, daß nach einer Untersuchung des Statistischen Bundesamtes - nicht von mir, nicht von der SPD - die Steuerbelastung nach Einkommensgruppen in der Kategorie der besonderen Großverdiener, nämlich derjenigen, die über 10 Millionen DM verdienen, im Jahre 1989 33,2 Prozent betrug. Wenn man die seit der deutschen Einheit hinzukommenden Möglichkeiten der legalen Steuerverkürzung hinzufügt, muß man davon ausge-
Rudolf Scharping
hen, daß wir eine sehr große Zahl von Menschen haben, die außerordentlich hohe Einkommen mit außerordentlich niedriger Steuerleistung verbinden.
Ich stelle mit Blick auf das, was die Kirchen, die Gewerkschaften und viele andere sagen, fest: Dieser Zustand muß geändert werden. Er wird aber durch Ihre Politik nicht geändert. Sie lassen ihn so. Sie maskieren ihn nur besser. Der erste Schritt zu dieser Maskerade war die Abschaffung der Besteuerung privater Vermögen zugunsten derjenigen, die diese Art der Begünstigung nun wirklich nicht mehr benötigen.
Zu dem Aspekt im Zusammenhang mit der Frage verläßlicher wirtschaftlicher Rahmenbedingungen einer Steuerreform, die die Wirtschaftskraft in Deutschland stärkt und Nachfrage stimuliert, sage ich Ihnen: Hier müssen sich wirtschaftliche Erwägungen und Erwägungen hinsichtlich der sozialen Gerechtigkeit auf eine kluge und zukunftsträchtige Weise verbinden.
Drittens der finanzielle Aspekt. Was bedeutet Ihre sogenannte Steuerreform für den Zustand des Staates und seiner Kasse, für seine Fähigkeit, eigene Beiträge zu einer vernünftigen Entwicklung zu leisten und die Lage der Menschen in Deutschland zu verbessern? Ich möchte einmal erleben, was passiert, wenn irgendein Mitglied der Sozialdemokratie sagen würde: Paßt einmal auf, ich habe einen guten Vorschlag; er kostet 60 Milliarden DM, die Finanzierung erfolgt später. Ich möchte das einmal erleben.
Eine ähnliche Situation hatten wir schon einmal: Ende des Jahres 1995 hat der SPD-Parteivorsitzende davon gesprochen, man müsse in bestimmten Situationen konjunkturell bedingte Defizite in Kauf nehmen und seine Kraft darauf konzentrieren, strukturell, also durch langfristig gewachsene Fehlentwicklungen, bedingte Defizite abzubauen. Daraufhin haben Sie Polemik - „da haben wir es wieder: Keynes, altes Denken, die typische Verschuldungspolitik der Sozialdemokratie" - ins Land hinausgeschleudert. Wenn diese Vorwürfe gestimmt hätten,
dann müßte ich sagen: Auf den vielen Seiten Ihres Gesetzentwurfs überbieten Sie alles, was Sie den Sozialdemokraten bisher in polemischer Weise unterstellt haben. Ihr Vorgehen ist unsolide und unseriös.
Lieber Herr Kollege Waigel, da Sie heute so viel zitiert haben, möchte ich Ihnen sagen: Sie haben das Bareis-Gutachten in den Papierkorb geworfen. Ich kann nicht bestreiten, daß Sie sich jetzt vor den Papierkorb gekniet haben und einiges wieder herausgeholt haben. Das kann ich nicht bestreiten. Aber das Beste, was Sie jetzt machen könnten, wäre, den
Entwurf Ihres Steuerreformgesetzes 1999 in den Papierkorb zu schmeißen. Das wäre wirklich das beste.
Nach Ihren Vorschlägen und nach Ihrer mittelfristigen Finanzplanung haben wir folgenden Zustand: Die Verschuldung der Bundesrepublik Deutschland, das Defizit des Bundeshaushaltes, ist am 31. März schon bei rund 40 Milliarden DM angekommen. Allein für dieses Jahr! Sie hatten in Ihrem Haushalt - er ist auch noch nicht so lange verabschiedet - gerade einmal 53 Milliarden DM für das ganze Jahr eingeplant.
Sie verweigern jede Auskunft darüber, wie Sie mit dieser Lücke umgehen wollen. Sie sagen uns dagegen, daß die mittelfristige Finanzplanung für das Jahr 1999 ein Defizit von 50 Milliarden DM ausweist. Hinzu kommen das Defizit der Gebietskörperschaften und das zusätzliche Defizit auf Grund Ihres Gesetzentwurfes. Es ist unverantwortlich, ein staatliches Defizit von weit über 100 Milliarden DM einzuplanen. Das ist unverantwortlich.
Wir sind nicht bereit, diese neuerliche Belastung der öffentlichen Haushalte, diese neuerliche Ruine einer Finanzpolitik, und vor allen Dingen den neuerlichen Betrug an den künftigen Generationen mitzumachen, die alles das bezahlen müssen, was Sie heute durch Ihre fehlerhafte Finanzpolitik verschulden.
Wenn Ihre Politik wenigstens dazu dienen würde, die Situation hinsichtlich der Arbeitsplätze, Infrastruktur, Ausbildung und Bildung zu verbessern, dann könnte man ja beginnen, darüber zu streiten. Aber die öffentliche Kasse zu ruinieren, um einer relativ kleinen Bevölkerungsgruppe, der ich Leistung attestiere und deren Leistungsvergütung ich akzeptiere, Steuersenkungen zugute kommen zu lassen, ist unvertretbar.
Vor diesem Hintergrund erinnere ich Sie an eines: Seien Sie bitte sorgfältig mit dem, was die Idee des sozialen Ausgleichs und des sozialen Friedens in Deutschland angeht. Sie haben diese Idee in der Vergangenheit schon extrem stark belastet und beschädigt. Sie sind dabei, das erneut zu tun. So, wie Karl Schiller früher einmal recht hatte mit dem Hinweis darauf, man solle die Tassen im Schrank lassen und müsse nicht jede Belastungsgrenze erproben, sagen wir Ihnen: Hören Sie endlich auf, jede denkbare Belastungsgrenze des sozialen Friedens erproben zu wollen! Es könnte sein, daß uns allen das Ergebnis dessen um die Ohren fliegt.
Nun habe ich interessiert gesehen, daß Kollege Schäuble Wert darauf legt, nach mir sprechen zu
Rudolf Scharping
können. Da geht es immer etwas hin und her; das ist auch in Ordnung. Aber ich habe einen Wunsch, wenn ich ihn äußern darf
- Verehrter Herr Kollege Schäuble, jetzt passen Sie auf! Sie haben da eine etwas schwierige Position.
Ich habe die Bitte, daß Sie uns die Frage beantworten: Wie finanzieren Sie ganz konkret die Lücke zwischen 30 und 57 Milliarden DM? Ich habe die Bitte, daß Sie uns einmal ganz konkret sagen, was Sie wirklich wollen - Inkrafttreten des gesamten Paketes zum 1. Januar 1999 oder die Teilung, wie sie jetzt vorgesehen ist. Ich bitte darum, daß Sie uns einmal ganz konkret sagen, wie Sie es rechtfertigen, daß der ledige oder verheiratete Facharbeiter mit mittlerem Einkommen um 3000 bis 4000 DM belastet wird,
während andere sehr stark entlastet werden.
Es war schon eine ziemliche Zumutung, hier am 22. April 1997 einen Gesetzentwurf einzubringen und dann zu erwarten, daß das Parlament in einer ersten Lesung darüber verantwortungsbewußt diskutiert, und es war mehr als ein technisches Detail, daß wir der Fristverkürzung zugestimmt haben.
Die SPD war bereit und wird auch bereit bleiben - das biete ich Ihnen ausdrücklich an -, alles ihr Mögliche zur Beschleunigung des Verfahrens beizutragen.
Ich verbinde das mit einer Gegenfrage danach, ob Sie denn wenigstens in den parlamentarischen Beratungen bereit sind, auf das einzugehen, was wir Ihnen seit mehreren Wochen öffentlich wie in Gesprächen
wie in parlamentarischen Beratungen an Vorschlägen machen. Ich bin diesbezüglich sehr gespannt; denn wenn Sie sagen, mit dem Ende dieser Gespräche sei kein Zeitverlust verbunden, dann interessiert mich eine andere Frage noch viel mehr, nämlich ob die Koalition jetzt wenigstens in den parlamentarischen Beratungen bereit ist, das zu tun, was für Deutschland dringend notwendig ist: seine wirtschaftliche Kraft zu stärken, den sozialen Frieden neu zu befestigen und das alles auf eine finanziell solide und zuverlässige Weise umzusetzen - für die Bürgerinnen und Bürger, für die Wirtschaft, für die Arbeits- und die Ausbildungsplätze.