Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Solms, Sie sind natürlich eine Antwort in Ihrem langen Vortrag schuldig geblieben, den Sie ja mit einer bestimmten Logik aufzubauen versucht haben. Das ist die Antwort auf die Frage, wie die Differenz von 56 Milliarden DM bezahlt werden soll. Sie ist gestellt worden. Ich finde, die Regierungskoalition darf nicht darum herumkommen, diese Frage heute der Bevölkerung zu beantworten, damit die Menschen wissen, welche Belastung letztlich auf sie zukommt.
Aber das Entscheidende bei jeder Steuerreform besteht natürlich in den Zielen dieser Steuerreform. Hier gibt es unterschiedliche Ansätze, die einmal deutlich ausgesprochen werden müssen. In Anbetracht der Realitäten in unserer Gesellschaft muß das erste Ziel einer Steuerreform in der Bekämpfung von Armut bestehen, was nur funktionieren wird, wenn Reichtum begrenzt wird. Wer nicht bereit ist, Reichtum zu begrenzen, kann auch nicht wirksam Armut bekämpfen, weil alles nur einmal verteilt werden kann.
Wenn ich mir Ihre Steuerreform und Ihre gesamte Politik ansehe, dann ist für mich ganz offenkundig, daß an einen Abbau von Armut überhaupt nicht zu denken ist. Im Gegenteil, es gibt schon wieder neue Vorschläge, die Sozialhilfe weiter zu kürzen. Sie wollen Lohnersatzleistungen besteuern und andere Maßnahmen gerade in diesem Bereich durchführen, die zu einer Vergrößerung der Armut führen würden. Auf der anderen Seite haben Sie per 1. Januar 1997 die Vermögensteuer abgeschafft, und Sie wollen den Spitzensteuersatz ganz erheblich senken - alles Maßnahmen, um Reichtum weiter zu befördern. Das heißt, während wir Armut bekämpfen wollen und deshalb - nicht aus irgendwelchen ideologischen Gründen - Reichtum begrenzen müssen und wollen, wollen Sie umgekehrt die Armut erweitern und dafür den Reichtum fließen lassen.
Ein zweites Ziel einer Steuerreform muß in der Herstellung sozialer Gerechtigkeit bestehen. Wir haben in dieser Bundesrepublik Deutschland inzwischen soziale Unterschiede, die jeder Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit hohnsprechen. Die Differenzen in den Einkommen nehmen immer stärker zu, die Spitzengehälter wachsen, und die Steuerentlastung, die Sie bei Ihrer Reform allein für die Bundestagsabgeordneten vorsehen, wird niemand von uns draußen in der Bevölkerung erklären können. So sehen die Realitäten Ihrer Vorstellungen aus.
Es ist übrigens auch grob ungerecht, wenn Sie den Spitzensteuersatz bei einem Jahreseinkommen von 90 000 DM ansetzen wollen und damit so tun, als ob das die Spitzenverdiener in dieser Gesellschaft seien, obwohl es in Wirklichkeit Hunderttausende gibt, die weit darüber verdienen und einen höheren Prozentsatz durchaus verkraften könnten.
- Sie zahlen natürlich beim gleichen Prozentsatz mehr, wenn sie mehr verdienen. Aber sie haben den gleichen Prozentsatz, und das ist nicht gerechtfertigt.
Ein drittes Ziel muß darin bestehen, die Einnahmen des Staates zu sichern; denn der Staat hat nun einmal eine soziale, eine kulturelle und eine ökologische Ausgleichsfunktion. Sie sorgen dafür, daß der Staat immer ärmer wird, um das dann als Argument zu benutzen, zum Beispiel die Leistungen in den neuen Bundesländern zu kürzen und Armut nicht bekämpfen zu können. Deshalb sage ich Ihnen, daß das eine völlig verfehlte Politik ist.
Das vierte und ganz entscheidende Ziel in unserer Zeit müßte darin bestehen, Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Das haben Sie auch alle erklärt. Aber es gibt keinen einzigen Vorschlag in diesem Steuerreformwerk, durch den Arbeitslosigkeit wirklich wirksam bekämpft würde. Ich setze mich mit zwei Thesen von Ihnen auseinander. Das eine ist: Sie sagen immer, der Reichtum müsse wachsen und die Unternehmensteuern müßten gesenkt werden, damit mehr investiert werde und dadurch Arbeitsplätze geschaf-
Dr. Gregor Gysi
fen würden. Aber Sie können doch nicht bestreiten, daß das eine Politik ist, die Sie seit über 14 Jahren betreiben und die bisher nicht zum Abbau von Arbeitslosigkeit, sondern nur zur Zunahme von Massenarbeitslosigkeit geführt hat.
War das nicht schon Ihr Argument beim Sparpaket im Jahre 1996? Welcher Arbeitsplatz ist durch dieses Sparpaket entstanden? Kein einziger. War das nicht Ihr Argument bei der Abschaffung der Vermögensteuer per 1. Januar 1997? Gibt es dadurch irgendwelche nennenswerten Investitionen der Vermögenden, die diese Vermögensteuer sparen? Kein einziger Arbeitsplatz ist dadurch geschaffen worden. Das ist eine offenkundig verfehlte Politik.
Dann haben Sie immer noch ein zweites Argument, nämlich daß die Steuerlast in Deutschland besonders hoch sei, gerade für Unternehmen, und in anderen Ländern viel günstiger sei. Dadurch würden dort auch viel günstigere Ergebnisse bei der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit erzielt. Nun haben aber die Bundesregierung und das Bundesfinanzministerium auf eine Kleine Anfrage der PDS-Gruppe eine interessante Antwort zur Steuerquote in ausgewählten EU-Mitgliedsländern gegeben. Danach stellt sich folgendes heraus: 1995 lag die Steuerquote in Deutschland bei 23,7 Prozent, in den Niederlanden bei 25,6 Prozent, in Großbritannien bei 29,0 Prozent, in Irland bei 30,3 Prozent, in Belgien bei 30,5 Prozent und in Dänemark bei 50,1 Prozent. Wir hatten die niedrigste Steuerquote, lagen aber bei der Arbeitslosigkeit auf Platz 3. Das ist die Realität.
Deshalb besteht der von Ihnen ständig behauptete Zusammenhang überhaupt nicht.
Wenn Sie wirklich Massenarbeitslosigkeit bekämpfen wollen, müssen Sie ganz andere Reformen angehen. Nicht nur, daß wir dann als Staat Geld brauchen, um eine Anschubfinanzierung im Rahmen eines öffentlichen Beschäftigungssektors durchzuführen. Sie müssen die Kaufkraft stärken.
Sie, Herr Dr. Solms, sagen, Sie würden beide Seiten sehen, Sie würden ein Mix von Angebots- und Nachfrageseite machen. Da frage ich Sie: Wann in den letzten Jahren ist je die Kaufkraft erhöht worden, außer bei den ganz Reichen und bei den ganz Vermögenden? Bei allen anderen Schichten der Bevölkerung ist die Kaufkraft nur reduziert worden, mit eklatanten Auswirkungen auf Dienstleistung und Einzelhandel und damit auf Arbeitsplätze. So sieht es aus.
Sie wissen ganz genau: Wenn die Kaufkraft von uns beiden erhöht wird, kaufen wir doch nicht mehr; wir sparen höchstens mehr. Wenn Sie den sozial Schwächeren etwas mehr Geld geben, kaufen sie auch mehr. Nur so können Sie in der Gesellschaft die Kaufkraft effektiv erhöhen.
- Aber hören Sie mal: Es wird doch nur investiert, wenn es einen Markt gibt. Wenn die Nachfrage ständig zurückgeht, wird auch nicht investiert. Das, was Sie hier ständig verbreiten, ist doch eine absurde Vorstellung.
Wir bräuchten andere Reformen. Hier wird immer von Lohnnebenkosten geredet. Glauben Sie denn wirklich, Sie kriegen das mit „einem Prozentpunkt runter oder einem halben Prozentpunkt hoch" in den Griff? Wir brauchen ein anderes System, ein anderes Denken auf diesem Gebiet.
Seit ewigen Zeiten schlagen wir vor, die Arbeitgeberanteile bei der Einzahlung in die Versicherungssysteme nicht länger in erster Linie nach der Bruttolohnsumme und nach der Zahl der Beschäftigten zu berechnen, sondern nach dem Gewinn, das heißt: nach dem Betriebsergebnis, und die Unternehmen damit flexibler zu machen. Zudem würden dann nicht mehr die Unternehmen besonders bestraft, die arbeitsintensiv produzieren, sondern jene, die mit hoher Technologie bei wenig Beschäftigten hohe Gewinne machen. Sie müssen zur Solidarität stärker bei diesen Kassen herangezogen werden. Das wäre einmal eine Reform.
Nicht nur „ein Prozentpünktchen hoch oder runter" - das bringt hier gar nichts.
Ein weiteres Ziel einer solchen Steuerreform müßte darin bestehen, kleine und mittelständische Unternehmen zu entlasten, große Konzerne mit hohen Gewinnen aber anders zur Kasse zu bitten, als das heute der Fall ist, insbesondere übrigens Banken und Versicherungen. Nichts sieht Ihre Reform diesbezüglich vor.
Sie beklagen hier, daß die Alleininhaber von Firmen, also Handwerker und Gewerbetreibende, heute viel benachteiligter sind. Das aber ist doch das Ergebnis Ihrer Politik. Sie hätten das seit Jahren korrigieren können -das wird auch seit Jahren gefordert -, aber Sie waren nie dazu bereit. Sie, gerade die F.D.P., nennen sich immer Mittelstandspartei. Diese Klientel aber vergessen Sie bei den Ansätzen Ihrer Politik am meisten. Das gilt bis heute.
Ein weiteres Ziel einer solchen Politik müßte natürlich auch in der Vereinfachung bestehen. Eine Vereinfachung aber erreichen Sie nicht, indem Sie ein paar Vorschriften streichen und dafür andere einfügen. Eine Vereinfachung erreichen Sie nur, wenn Sie über die gesamte Steuersystematik nachdenken, darüber, ob nicht vieles vereinheitlicht werden könnte, ob es wirklich so viele verschiedene Steuern geben muß und anderes mehr. Aber es gibt keine Vorschläge in dieser Richtung.
Dr. Gregor Gysi
Nun sage ich noch etwas zum Spitzensteuersatz. Ich bin ganz entschieden dagegen, den Spitzensteuersatz zu senken, zumindest für Einkommen ab 120 000 DM, also bei denen, die richtig Geld verdienen. Ich kann die Logik der Argumentation weder von Ihnen, von der Koalition, noch von Ihnen, Kollege Fischer, verstehen.
Ich finde es ziemlich abenteuerlich, zu erklären: Weil sie alle Schlupflöcher suchen und nicht bereit sind, Steuern zu zahlen, müssen wir die Steuersätze senken, das heißt: ihnen entgegenkommen.
- Zu Ihrem Argument komme ich noch. So aber hat es die Koalition formuliert. - Ich kann nur sagen: Wer Kriminellen erklärt, daß man ihnen schrittweise entgegenkommt, bis sie bereit sind, freiwillig ihre Steuern zu zahlen, der kann die Steuern gleich abschaffen, der wird das nämlich nie erreichen.
- Aber selbstverständlich. Wenn Sie die Entnahme von Waren im Kaufhaus dulden, dann haben Sie keinen Diebstahl mehr. Das ist eine ganz einfache Variante.
Jetzt sage ich Ihnen folgendes: Wenn Sie mehr Geld haben wollen, dann reduzieren Sie doch legale Abschreibungen bei der Steuer. Sie müssen aber nicht den Steuersatz senken. Genau dadurch bekämen Sie mehr Geld in die Kassen und könnten sozial, kulturell und ökologisch ausgleichend wirken - wenn Sie das vorhätten.
Lassen Sie mich noch etwas zum Zeitpunkt sagen. Es ist nicht wahr, Herr Fischer, daß vorgeschlagen wird, erst 1999 das Gesetz zu verabschieden. Nein, nein, das Gesetz will die Koalition schon im Jahre 1998 machen.
Mit dem Gesetz will sie natürlich in den Wahlkampf gehen. Aber sie will auch, daß die Leute die Wirkung noch nicht kennen. Deshalb soll das Gesetz erst am 1. Januar 1999 in Kraft treten.
Sie will erst nach der Wahl die Steuerbelastungen beschließen. Das geht nämlich ganz schnell, zum Beispiel bei der Mehrwertsteuer. Das kann sie sich 1998 natürlich nicht leisten. Deshalb will sie bis 1999 warten. Eine andere vernünftige Erklärung gibt es dafür nicht, Herr Schäuble, und Sie haben auch noch keine andere Begründung dafür genannt.
Wir haben eine Tradition der Steuerlügen seit 1990. Sie sind in den Wahlkampf 1990 gezogen und haben gesagt: Es wird wegen der Einheit keine Steuererhöhungen geben. Die kamen dann ganz dicke. Dann haben Sie vor den Landtagswahlen im März 1996 ein Gesetz zur Senkung des Solidaritätszuschlages beschlossen, haben damit die Wahlen gewonnen und haben nach den Wahlen dieses Gesetz zurückgenommen. Sie haben nicht einmal Hemmungen, geltendes Recht zu verändern, wenn Wahlen vorbei sind, um das zu korrigieren, mit dem Sie vorher eine Wahl gewonnen haben.
Deshalb sage ich Ihnen: Hören Sie auf mit dieser Tradition! Was Sie hier vorlegen, solange Sie nicht erklären, wovon Sie die 56 Milliarden DM bezahlen wollen, ist nichts anderes als die Fortsetzung der Politik der Steuerlüge.