Rede von
Joseph
Fischer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich habe trotzdem meine Meinung gesagt.
Meine Damen und Herren, das zweite ist der Termin. Dieser Termin ist ein politischer Termin. Deswegen rate ich den Bürgerinnen und Bürgern, sehr genau darauf zu achten, was tatsächlich geschieht. Wenn die Steuerreform das hält, was Theo Waigel verspricht, das hält, was Helmut Kohl verspricht, das hält, was die F.D.P. ihrer Klientel verspricht, dann fordere ich Sie auf, mit dieser Steuerreform in den Wahlkampf zu gehen. Das heißt aber, sie vorher per Gesetz in Kraft zu setzen. Das ist der entscheidende Punkt. Haben Sie den Mut dazu, die Termine nicht auf 1999 zu verschieben, sondern kämpfen Sie darum, sie 1998 durchzubekommen! Wenn es ein so großartiges Werk ist, dann muß das ja eine nachhaltige Unterstützung für Ihren Wahlkampf sein. Nur fürchte ich, es wird das Gegenteil werden.
Die dritte Wahrheit ist die Nettoentlastung, Herr Waigel. Ich weiß nicht, warum Sie nicht ähnlichen Mut wie die Sachverständigen haben. Die Sachverständigen haben auf der Pressekonferenz bei der Vorlage ihres Frühjahrsgutachtens darauf hingewiesen, daß die Spielräume für eine Nettoentlastung gegenwärtig minimal seien. Dieser Meinung sind wir nachdrücklich. Wir halten nichts davon, jetzt im Vorwahlkampf den Bürgerinnen und Bürgern - dazu ist die Lage zu verfahren, dazu ist der Karren schon zu sehr im Dreck - zu erklären: Wir können euch mit Steuergeschenken überhäufen, wenn ihr uns wählt. Wir sehen keinen Spielraum für eine Nettoentlastung. Die Kosten der deutschen Einheit - -
- Herr Westerwelle, auf Ihren Zwischenruf habe ich gerade gewartet. Die ganze Zeit über wird verkündet, daß die nachfrageorientierte Politik falsch sei.
Da wird die ganze Zeit von Ihrer Seite verkündet, daß die angebotsorientierte Politik richtig ist. Und nun der Solidaritätszuschlag! Jeder weiß um die Zustände, um die dramatisch schlechte Lage Ostdeutschlands. Auch das Frühjahrsgutachten macht wieder klar: Arbeitsplatzzuwächse, wenn es so etwas wie Aufschwung gibt, werden im wesentlichen um
Ostdeutschland herumgehen. Und da sage ich Ihnen: Da kommen Sie ausgerechnet mit dem Soli-Zuschlag, und zwar nur aus einem Grund, weil die F.D.P. damit ein Wahlversprechen eingegangen ist, das Sie im übrigen aber schon gebrochen haben. Die Senkung des Soli-Zuschlags oder gar seine Abschaffung - das weiß der Bundesfinanzminister, das weiß der Bundeskanzler, das weiß Herr Schäuble, das weiß jeder in der Unions-Fraktion - ist schlichtweg ökonomischer Unsinn.
Das heißt, die Leute für dumm zu verkaufen, wenn man das hier verkündet.
Nein, meine Damen und Herren, Deutschland steckt in einem gewaltigen Reformstau, in einem Reformstau, den diese Regierung jahrelang ausgesessen hat. Die Probleme bei der Rentenreform sind doch nicht über Nacht und erst jetzt entstanden, die sind seit 20 Jahren zu sehen. Das Konzept, das der Bundesarbeitsminister vorgelegt und die Koalition beschlossen hat, wird - das prophezeie ich Ihnen - knapp den Wahltag überdauern. Die Grundlagen, von denen Sie ausgehen, werden nicht belastbar sein, werden nicht tragen. Sie werden einen dramatischen Einbruch auf der Beitragszahlerinnen- und Beitragszahlerseite haben.
Schauen Sie sich doch die oft zitierte Entwicklung in anderen Ländern an! Überall dort erleben Sie, daß vor allen Dingen Teilzeitarbeitsplätze und nicht versicherungspflichtige Arbeitsplätze die Antwort auf den Abbau von Vollzeitarbeitsplätzen sind. Das heißt, was wir befürchten, ist, daß wir - wenn es mit diesen Illusionen so weitergeht - am Ende bei einer Grundrente knapp über Sozialhilfeniveau nach Biedenkopf landen werden, nur weil Sie sich nicht trauen, der eigenen Bevölkerung endlich reinen Wein einzuschenken
und solidarische Vorschläge für eine neue Rentenfinanzierungsstruktur zu machen und dann auch tatsächlich vorzulegen, die die kommenden zwei Generationen trägt. Sie wissen nur zu gut, daß Sie dann in einen Konflikt mit vielen Interessen kommen, den Sie nicht haben wollen.
Biedenkopfs Position unterstütze ich zwar nicht, aber vom Ergebnis her wird er leider recht behalten. Ich betone: leider. Eine beitragsfinanzierte Grundrente wird am Ende Ihrer rentenpolitischen Illusionen stehen.
Beim Energierecht ist halbherzig, was Sie anpakken.
Dann zum deutschen Bankensystem! Ja, warum greifen Sie nicht endlich eine fundamentale Bankenreform an?
Joseph Fischer
Was muß denn noch passieren? Thyssen und Krupp-Henschel, war das nicht Signal genug? Diese Regierung hätte schon längst handeln können.
Und dann immer wieder der Hinweis auf Holland! Es erbost mich nachgerade. Holland hatte der Bundeskanzler mit dem Bündnis für Arbeit im Bundeskanzleramt. Und es war doch niemand anderes als Herr Kohl und Herr Schäuble, die den Gewerkschaften in der Frage der Lohnfortzahlung den Stuhl vor die Tür gestellt haben. Wir könnten doch heute schon wesentlich weiter sein, wenn Staatsklugheit und Vernunft regiert hätten und nicht Parteitaktik nach einer gewonnenen Landtagswahl, meine Damen und Herren.
Wozu eine große Steuerreform, die wir für geboten und notwendig halten? Sinn und Zweck müssen nicht Steuergeschenke sein, sondern wir brauchen endlich Steuergerechtigkeit durch Steuervereinfachung. Schluß muß sein mit Schlupflöchern, die es ermöglichen, daß man hier in Deutschland verdientes Geld, das wir allen gönnen, legal um die Steuer herumführt, ohne daß es zu einer entsprechenden Besteuerung kommt.
Wir sind nachdrücklich dafür: Es muß Schluß damit sein, daß sich Reiche armrechnen können. Was nützt uns ein 53 Prozent hoher Spitzensteuersatz, der bei einem klug angelegten Vermögen dazu führt, daß sich am Ende jemand armrechnen kann. Auch damit muß Schluß sein, und wir müssen den Steuerdschungel lichten.
Ich werde Ihnen gleich unsere Vorschläge machen, meine Damen und Herren. Gedulden Sie sich noch eine Sekunde.
Wir wollen die gleiche Besteuerung aller Einkommensarten. Wir wollen die Verbreiterung der Bemessensgrundlage der zu versteuernden Einkommen, um mit Streichen von Steuersubventionen Schlupflöcher zu beseitigen. Wir wollen durch diese Reform die Zukunftsfähigkeit für die kommenden Generationen - das größte Problem - durch die Förderung des Lebens mit Kindern erreichen.
Wir wollen soziale Gerechtigkeit durch Entlastung der unteren und mittleren Einkommen und erst dann - erst dann - eine Anpassung der nominalen an die realen Steuertarife nach Maßgabe auch einer aufkommensneutralen Finanzierung. Das ist es, was wir uns unter einer großen Steuerreform vorstellen.
Dazu machen wir Ihnen unsere Vorschläge.
Unter Aufbietung aller Kräfte - es wird nicht einfach werden, es bedüfte in der Tat eines Konsenses - halten wir es für möglich, auf der Grundlage der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage eine aufkommensneutrale Gegenfinanzierung zu machen, das Existenzminimum auf 15 000 für Ledige, auf 30 000 für Verheiratete anzuheben, wenn wir wirklich die Bemessensgrundlage entsprechend verbreitern, das heißt aber auch, wesentlich weitergehen als das, was der Bundesfinanzminister vorgelegt hat. Wir müssen also wesentlich über das hinausgehen, was der Bundesfinanzminister vorgelegt hat.
Wir halten ein einheitliches Kindergeld von 300 DM, eine Steuerfreistellung der Vorsorgeleistungen, eine Senkung des Eingangssteuersatzes auf 18,5 Prozent und des Spitzensteuersatzes auf 45 Prozent und einen einheitlichen Körperschaftsteuersatz - ich betone: einen einheitlichen - von 35 Prozent für möglich.
Die Lohnersatzleistungen möchte ich noch gesondert erwähnen. Ich glaube, kein Arbeitnehmer und keine Arbeitnehmerin hätte etwas gegen das steuersystematische Argument, daß die Lohnersatzleistungen wie alle anderen Einkommensarten besteuert werden sollen. Aber wogegen sie und auch ich entschieden etwas haben, ist, daß diese steuersystematische Reform, über Nacht kommend, dann zu Reallohnkürzungen führen könnte. Wenn es eine entsprechende Erhöhung der Bruttoentgelte gibt - das gilt für Lohnersatzleistungen genauso wie für die Zuschläge -, so daß am Ende netto - das interessiert die Menschen - dasselbe in der Lohntüte drinbleibt, dann, behaupte ich, werden Sie bei den lohnabhängig Beschäftigten, bei all denen, die diese Leistungen beziehen, volle Zustimmung ernten. Nur, was ich nicht nachvollziehen kann und wogegen ich energisch bin, ist, daß Sie hier Reallohnkürzungen mit steuersystematischen Argumenten betreiben.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Der entscheidende Punkt, um den es hier geht, der Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit, bedarf noch eines zweiten Ansatzes. Wir müssen runter mit den Kosten der Arbeit. Steuergerechtigkeit durch Steuervereinfachung ist die erste große finanzpolitische Reform. Die zweite, parallel damit vorzunehmende große finanzpolitische Reform ist eine Senkung der Arbeitskosten durch eine Senkung der Lohnnebenkosten. Wenn Sie da nicht wieder unseriös werden wollen, müssen Sie den Menschen sagen, daß wir die Senkung der Lohnnebenkosten gegenfinanzieren müssen. Wir müssen die Lohnnebenkosten aus Gründen der Konkurrenzfähigkeit senken, damit Arbeit wieder rentierlich wird und in diesem Land wieder nachgefragt wird. Das ist die beste Investitionsvoraussetzung, die wir schaffen können. Ich halte nichts von einer Mehrwertsteuererhöhung, weil sie keine neuen Märkte öffnen und keine neuen Arbeitsplätze schaffen, sondern nur Massenkaufkraft abschöpfen wird. Wir können die Senkung der Lohnnebenkosten nur gegenfinanzieren, indem wir endlich eine Öko- bzw. eine Energiesteuer einführen.
Joseph Fischer
Aber dazu sage ich in Richtung aller hier: Eine Erhöhung der Mineralölsteuer ist kein Einstieg in die Ökosteuer; auch das muß klar sein.
Meine Damen und Herren, deswegen lassen Sie uns doch endlich die beiden großen Reformwerke anpacken, damit Deutschland aus der tiefen Krise herauskommt: Steuergerechtigkeit durch Steuervereinfachung im Einkommensteuerrecht und Einführung einer Ökosteuer zur Öffnung neuer Märkte, zur Schaffung neuer Arbeitsplätze und zur Gegenfinanzierung der dringend notwendigen Senkung der Lohnnebenkosten.