Rede von
Joachim
Poß
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe, Herr Bundesfinanzminister, ein gewisses Verständnis für Ihre Rundumschläge gegen die SPD nach den vergangenen schweren Jahren in Ihrem Amt als Bundesfinanzminister. Wenn ich an die vergangenen, schweren Wochen in Ihrem Amt als CSU-Vorsitzender denke, habe ich schon ein gewisses Verständnis dafür, daß Sie gelegentlich nicht nur die Übersicht, sondern auch noch die Contenance verlieren.
Das haben Sie hier eindrucksvoll demonstriert.
Sie sagen, Sie hätten mit einem sachkundigen Sozialdemokraten gesprochen;
ich habe kürzlich auf NTV den CSU-Parteitag beobachtet und die Rede von Herrn Stoiber, Ihrem bayerischen Parteifreund, zum Beispiel zu dem Problem Besteuerung von Zuschlägen und Renten gehört. Da hat er in der Sache den Sozialdemokraten recht gegeben. Vielleicht sollten Sie sich einmal mit Ihrem bayerischen Parteifreund Stoiber zusammensetzen und nicht nur mit von Ihnen nicht namentlich genannten sachkundigen Sozialdemokraten, Herr Bundesfinanzminister!
Sie haben von der Weigerung der SPD gesprochen, die Steuerreform zügig umzusetzen. Das ist das Gegenteil der Wahrheit. Sie haben doch erst am Dienstag im Kabinett und in den Koalitionsfraktionen den Jumbo beschlossen. Heute findet mit unserer Zustimmung schon die erste Lesung statt. Im Finanzausschuß haben wir einstimmig einen Zeitplan verabredet, der Sondersitzungen des Finanzausschusses im Mai und im Juni vorsieht. Wenn Wochen verloren gegangen sind, liegt das doch an der Regierung und nicht an der SPD.
Verdrehen Sie also bitte nicht die Fakten.
Wenn ich dann noch lese, daß Herr Schäuble die gesamte Reform auf 1999 verschieben will, kann ich doch wohl davon ausgehen, daß wir Beratungszeit haben. Oder ist jetzt etwa Herr Schäuble der Verzögerer? Dabei hat doch die F.D.P. schon plakatiert: Wer zu spät senkt, den bestraft das Leben.
Wir bekommen heute einen Gesetzentwurf mit einem Finanzierungsloch von 57 Milliarden DM vorgelegt. Man muß sich das einmal vorstellen: 57 Milliarden DM! Noch keine Bundesregierung hat es bisher gewagt, einen solchen Gesetzentwurf im Bundestag vorzulegen. Für jeden Vorgänger von Herrn Waigel wäre dies ein Anlaß gewesen zurückzutreten.
Aber der Finanzminister selbst schlägt einen solchen Gesetzentwurf mit einem riesigen Loch vor. Man müßte Herrn Waigel dieses selbst dann vorwerfen, wenn er als Kassenwart in eine volle Kasse gegriffen hätte. Aber die Kasse ist längst leer. Herr Waigel macht schon lange zu Lasten Dritter Schulden. Das sind nicht die Schulden dieser Generation, das sind Schulden unserer Kinder! Dies ist der Skandal.
Sie haben es gerade nötig, in diesem Zusammenhang von Kostgängern zu reden. Wenn einer der teuerste Kostgänger dieser Nation zu Lasten der Bürger ist, dann sind es doch Sie, Herr Waigel.
Die Steuer- und Finanzpolitik dieser Bundesregierung ist von Grund auf unseriös. Immer wieder redet sie anders, als sie handelt - und das immer gleichzeitig.
Jahrelang haben Sie zum Beispiel die Forderungen der SPD nach gezielten Investitionsprogrammen zur Schaffung von zusätzlichen Arbeitsplätzen in ideologischer Verbohrtheit als keynesianisches Teufelszeug abgetan. Erst wenige Wochen ist es her, daß Kanzler Kohl ein Investitionsförderprogramm verkündet, das in dieser Form von der SPD gefordert wurde. Für die Wirtschaft und für die Arbeitsplätze wäre es besser gewesen, Sie wären unserem Vorschlag schon eher gefolgt.
In ihren Sonntagsreden sprechen CDU/CSU und F.D.P. gleichermaßen davon, daß sie bereit sind, sich den umweltpolitischen Herausforderungen zu stellen und die ökologische Modernisierung unserer Gesellschaft voranzubringen. Wenn es dann darum geht, wirklich etwas zu tun, lehnen Sie im Deutschen Bundestag jeden konkreten Vorschlag der SPD oder auch der Grünen rigoros ab. CDU/CSU und F.D.P. reden davon, daß die Verschuldung nicht weiter steigen darf, legen aber einen Steuerreformentwurf vor, der zwangsläufig zur Folge hat, daß die Verschuldung von Bund, Ländern und Gemeinden sprunghaft in die Höhe getrieben wird.
Joachim Poß
Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie reden ständig davon, daß unsere Wirtschaft verläßliche Rahmenbedingungen braucht. Das ist auch richtig. Ihre Steuer- und Finanzpolitik leistet hierzu jedoch nicht den geringsten Beitrag.
Im Gegenteil. Denken Sie doch nur an das Hin und Her um die Rückführung des Solidaritätszuschlags. Der Fraktionsvorsitzende der F.D.P., Herr Sohns, hatte, wie Sie sich erinnern, seinen Schnauzer verwettet, daß der Solidaritätszuschlag bereits 1997 in einem ersten Schritt zurückgeführt wird. Wie Sie alle wissen, wurde daraus nichts. Der Soli ist noch in voller Stärke da und der Schnauzer von Henn Solms, wie Sie alle sehen können, auch noch.
Bundeskanzler Kohl hat im Sommer vergangenen Jahres versprochen, bis Ende 1999 sei der Solidaritätszuschlag endgültig weg.
Herr Kohl hat nicht gewettet. Er weiß, warum. Wir alle wissen: Den Solidaritätszuschlag wird es noch viele Jahre geben. Sie kündigen ständig Dinge an, die nicht geschehen. Kein Wunder, daß die Wirtschaft und die Bevölkerung Ihre Politik nicht mehr ernst nehmen.
Mit dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf setzen Sie diese unseriöse Ankündigungspolitik fort. Bei der Anhörung zum ersten Teil der Steuerreform in der letzten Woche haben sich die Sachverständigen zu den Beschäftigungswirkungen der Steuerreform geäußert. Mit der vorgezogenen ersten Stufe wollen Sie kurzfristig Arbeitsplätze schaffen. Die Sachverständigen haben übereinstimmend festgestellt, daß dieses Ziel glatt verfehlt wird. Herr Professor Walter von der Deutschen Bank hat sogar von einer Mogelpackung gesprochen. Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung schätzt den „Impuls" für das Wirtschaftswachstum auf nicht mehr als 0,1 Prozent.
Damit steht fest: Wertvolle Zeit wird nutzlos für eine Reform vertan, die diesen Namen nicht verdient. Vertane Chancen können aber auch nicht mit dem zweiten Teil des Steuerpakets wettgemacht werden. Statt dessen hat sich das RWI dafür ausgesprochen, zur Schaffung neuer Arbeitsplätze vor allem eine Senkung von Sozialbeiträgen vorzunehmen. Die Reduzierung der Sozialbeiträge sei beschäftigungspolitisch effizienter und würde das Entlastungsprofil stärker zugunsten unterer und mittlerer Einkommensgruppen verschieben, also zugunsten der Gruppen, die durch die deutsche Einheit, in Zahlen nachgewiesen, besonders belastet werden. Die Reduzierung der Sozialbeiträge ist genau das, was die SPD will, und zwar zum 1. Juli 1997.
Dies haben wir auch in den Gesprächen mit Ihnen
gefordert. Der Bundeskanzler hatte bereits angekündigt, daß er ebenfalls zu einer Senkung der Lohnnebenkosten bereit sei. Darüber hätten wir reden können und reden sollen.
Ich halte es für unverantwortlich, daß Sie den Konsens in zentralen Fragen der Steuer- und Finanzpolitik jetzt verweigern. Sie sind zur Kooperation auch dort nicht bereit, wo wir uns schnell einigen könnten. Ich nenne in diesem Zusammenhang neben den Lohnnebenkosten die Senkung des Eingangssteuersatzes. Wir wollen eine deutliche Senkung, und Sie wollen eine. Dennoch sind Sie nicht bereit, mit uns gemeinsam in diesem Punkt eine Lösung zu suchen. Die Senkung des Eingangssteuersatzes ist ein zentrales Element für einen neuen, leistungsorientierten Steuertarif. Warum waren Sie nicht bereit, im Kanzleramt mit uns über diesen Punkt zu sprechen?
Wir Sozialdemokraten wollen den Grundfreibetrag auf 14 000 DM für Ledige und 28 000 DM für Verheiratete erhöhen. Damit wird das Existenzminimum eines Erwachsenen im Jahre 1999 zweifelsfrei und verfassungsfest steuerfrei gestellt. Darüber soll kein Konsens möglich sein? Sie verweigern sich an dieser Stelle, meine Damen und Herren von der Koalition. Sie sind nicht bereit, Kompromisse einzugehen. Wer nicht bereit ist, Kompromisse einzugehen, erreicht gar nichts.
Weil der Bundeskanzler offensichtlich keine Verhandlungsvollmacht von der F.D.P. bekam, war Ihre Koalition zu einem Konsens nicht bereit. Sie sind wegen Ihrer inneren Zerissenheit zu einem Konsens nicht einmal fähig.
Fähig und einig sind Sie in der Koalition nur, wenn es darum geht, großspurig Steuersenkungen zu versprechen und nach den jeweiligen Wahlen beim Steuerzahler zu kassieren.
Dies ist die Kontinuität der Bundesregierung in der Steuerpolitik: Steuersenkungsversprechen und Steuerlügen als Mittel der Politik.
Die Beschäftigungspolitik war und ist Ihnen immer weniger wert als die Absicht, die Wähler mit Steuersenkungen vor der Wahl zu täuschen, um hinterher die Steuern zu erhöhen. Nicht umsonst sind Steuerlügen das Markenzeichen dieser Koalition und dieses Bundeskanzlers.
Und jetzt ist zu lesen, daß Herr Schäuble überlegt, die gesamte Steuerreform auf das Jahr 1999 zu verschieben. Unsere Bemühungen waren darauf gerichtet, eine Steuerreform schon zum 1. Januar 1998 wirksam werden zu lassen und nicht bis zum Jahre 1999 zu warten. Uns ging und geht es darum, Attentismus zu vermeiden und die Wirkung der Steuerreform, nämlich Klarheit über die Rahmenbedingungen, die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und niedrigere Steuersätze für die Wirtschaft, für Ar-
Joachim Poß
beitnehmer und Familien, so früh wie möglich herzustellen.
Wir Sozialdemokraten haben darauf gesetzt, daß der Bundeskanzler ein Verhandlungsmandat für die Koalition bekommen würde. Dies war ein Irrtum. Wir sind davon ausgegangen, daß der Bundeskanzler die Zustimmung seiner Koalition für wirksame und sinnvolle Maßnahmen bekommen würde. Wir haben allerdings auch die Rolle des Fraktionsvorsitzenden Schäuble unterschätzt, der von Anfang an in mehreren Interviews gesagt hat, daß für die Bezieher der kleinen Einkommen diesmal nichts drin sei.
Die Tatsache, daß der Bundeskanzler bei dem letzten Gespräch schon um 9.05 Uhr feststellte - „Lassen Sie uns heute feststellen, was festzustellen ist", sagte er-, daß aus seiner Sicht die Gespräche gescheitert seien, und die Tatsache, daß Sie die Presseerklärung über das Scheitern schon vorher geschrieben haben, beweisen, daß Sie keinen Konsens wollten, und zwar aus parteitaktischen Gründen.
Meine Damen und Herren, eine Steuerreform, die nicht solide finanziert ist, ist keine Steuerreform. Ihr Gesetzentwurf macht unser Steuerrecht nicht einfacher und nicht gerechter. Statt dessen reißen Sie in die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden neue, riesige Finanzlöcher.
Sie sprechen immer von 30 Milliarden DM Nettoentlastung. Tatsächlich aber fehlen nach Ihren eigenen Angaben im Jahre 1999 57 Milliarden DM. Dazu kommt noch, Herr Minister, daß die bisherigen Steuereinnahmen dieses Jahres erkennen lassen, daß nach der anstehenden Mai-Schätzung für die Jahre 1997 bis 2001 schon für das laufende Jahr etwa 20 Milliarden DM für Bund, Länder und Gemeinden fehlen werden. Diese Steuerausfälle werden in den folgenden Jahren sogar noch höher sein.
Bei dieser dramatischen Haushaltslage sind 30 Milliarden DM Nettoentlastung und damit 30 Milliarden DM höhere Schulden für Bund, Länder und Gemeinden unverantwortlich.
Sie wissen ganz genau, Herr Waigel, daß Ihr bayerischer Parteifreund, Ministerpräsident Stoiber, das in keinem Fall mitmachen wird.
Sie rechtfertigen die im Gesetzentwurf vorgesehene Nettoentlastung in Höhe von 30 Milliarden DM mit dem sogenannten Selbstfinanzierungseffekt. In diesem Zusammenhang verweisen Sie, wie heute morgen, gern auf US-Erfahrungen unter Reagan.
Ausgerechnet die Leistungsträger, die Männer und Frauen, die jeden Tag ins Büro oder in die Fabrik gehen, werden so nicht nur nichts von der Steuerreform haben, sondern sie müssen statt dessen sogar ganz kräftig draufzahlen.
Das, was ich jetzt vortrage, orientiert sich an Ihren Zahlen sowie an der Auswertung von Fragen und Antworten. Ein verheirateter Chemiefacharbeiter mit zwei Kindern, einem Bruttolohn von 55 000 DM im Jahr plus Schichtzuschlägen von 9 000 DM im Jahr sowie einer Entfernung zum Arbeitsplatz von 30 Kilometern müßte unter dem Strich jährlich 3 253 DM mehr Steuern und Sozialabgaben zahlen. Ein lediger Facharbeiter in der Druckindustrie mit einem Bruttolohn von 75 000 DM im Jahr plus Schichtzuschlägen von 10 000 DM im Jahr sowie einer Entfernung zum Arbeitsplatz von 40 Kilometern hätte sogar eine Mehrbelastung von 3 854 DM zu tragen. Dabei sind die Belastungen durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer bei einem Haushalt mit einem verheirateten Paar und zwei Kindern in Höhe von 300 bis 400 DM
Joachim Poll
im Jahr noch gar nicht mitberücksichtigt. Das sind immense Mehrbelastungen für Arbeitnehmer, die wichtige Leistungsträger unserer Gesellschaft sind.
Hat denn dann Herr Stoiber nicht recht, wenn er in diesem Zusammenhang die Frage stellt, ob diese und andere Vorschläge mit dem Charakter einer Volkspartei noch zu vereinbaren sind?
Insgesamt fällt die Bilanz der Gesetzentwürfe der Koalition zur Steuerreform daher vernichtend aus:
Erstens. Es gibt keine zusätzlichen Wachstums- und Beschäftigungsperspektiven.
Zweitens. Die Bezieher hoher Einkommen werden massiv begünstigt.
Drittens. Ihr Konzept treibt die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden in eine unverantwortliche Verschuldung.
Wir Sozialdemokraten wollen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit die Sozialabgaben schon zum 1. Juli dieses Jahres senken. Wir wollen eine Steuer- und Abgabenreform aus einem Guß. Wir haben ein Reformkonzept, das für mehr Arbeitsplätze sorgt, das sozial gerecht ist und das solide finanzierbar ist.
Wir setzen dabei an zwei wirtschaftspolitisch entscheidenden Punkten an. Durch jahrelange Reallohnverluste und durch die Rekordbelastung der Arbeitnehmer mit Steuern und Abgaben hat die Bundesregierung mit ihrer falschen Politik die Binnenkonjunktur geschwächt. Die SPD will deshalb die Kaufkraft durch Steuersenkungen für Arbeitnehmer und Familien stärken. Nur wenn die Nachfrage steigt, werden die Unternehmen in neue Arbeitsplätze investieren. Allererste Priorität haben deshalb für uns die Verbesserung des steuerlichen Grundfreibetrages, die spürbare Senkung des Eingangssteuersatzes auf unter 20 Prozent und die Verbesserung des Familienleistungsausgleichs durch eine Anhebung des Kindergeldes für das erste und zweite Kind um 30 DM.
Das bringt für eine Familie mit zwei Kindern jährlich eine Entlastung von 1700 DM. Deswegen merken Sie sich, meine Damen und Herren von der Koalition: Eine sozial gerechte Steuerreform ist die wachstumsfreundlichste Steuerreform.
Die steigenden Sozialbeiträge verteuern die Arbeit und vernichten Arbeitsplätze. Deshalb will die SPD eine Senkung der Sozialabgaben im Rahmen einer ökologischen Steuerreform. Die Beitragssenkung entlastet Arbeitnehmer und Unternehmen, stärkt die Kaufkraft und verringert die Arbeitskosten. Wie lange wollen sich eigentlich die Volksparteien CDU und CSU von der Klientelpartei F.D.P. vorführen lassen?
Solange sie das weiter machen, wird es in den zentralen Fragen der Finanzpolitik im Vorfeld keinen Konsens geben können.
Ich will es ganz deutlich sagen: Es sind nicht Klientelparteien, die für die Akzeptanz politischer Entscheidungen in der Bevölkerung zu sorgen haben.
In einer Situation mit erheblichen strukturellen Veränderungen in dieser Gesellschaft, die unausweichlich sind, ist es Aufgabe von Volksparteien, Innovationen zu fördern, die Modernisierung voranzutreiben und gleichzeitig die soziale Symmetrie zu wahren.
Das, meine Damen und Herren von der Koalition, empfinden jedenfalls wir Sozialdemokraten als Volkspartei als unseren Auftrag.