Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst bedanke ich mich herzlich für die Möglichkeit, nun doch hier zu sprechen. Ich will mich deutlich kürzer fassen, als die jetzt beschlossene zusätzliche Debattenzeit erlauben würde.
Ich möchte nur deutlich machen, daß ich in dieser Frage eine völlig andere Auffassung vertrete als mein geschätzter Fraktionskollege Helmut Lippelt,
dessen Beitrag ich nichtsdestotrotz gerade in sprachlicher, aber auch in gedanklicher Hinsicht sehr goutiert habe.
Mir ist vor allen Dingen folgendes wichtig: Die deutsche Sprache hat sich bisher, wenn wir einmal von weit zurückliegenden sprachregulierenden Maßnahmen - etwas im Jahre 1901- absehen, nicht deshalb entwickelt, weil Kommissionen, Minister, Regierungen irgend etwas vorgeschrieben haben. Sprache gehört ihrem Wesen nach nicht Kommissionen, gehört nicht Regierungen, sondern gehört den Men-
Gerald Häfner
schen, und sie entwickelt sich ständig mit diesen und durch diese Menschen.
Sprache verändert sich.
Daß ich heute Foto häufig mit „F" schreibe und es noch in meiner Schulzeit mit „Ph" geschrieben hätte, liegt nicht daran, daß mir ein Minister vorgeschrieben hätte, ich solle das künftig anders schreiben. Vielmehr liegt es daran, daß sich die Sprache und auch die Schreibweise verändert haben.
Bisher hat der Duden solche Veränderungen beobachtend aufgezeichnet, und ihm war irgendwann zu entnehmen: Jetzt sind zwei Schreibweisen möglich. Irgendwann hieß es dann: Inzwischen ist diese oder jene Schreibweise üblich. Das war alles von einer ministeriellen Vorschrift weit entfernt.
Jetzt haben wir den erstmaligen und, wie ich finde, bemerkenswerten Vorgang, daß die Exekutive der Länder glaubt, Sprache bzw. Schrift amtlich regulieren zu müssen. Dazu sage ich ganz deutlich: Das ist noch nicht einmal eine Reform, die irgend etwas verbessert; Beispiele dazu sind vielfach gebracht worden. Es ist vielmehr eine Reform, die vieles verschlimmert,
weil es doch keinem Menschen einleuchtet, warum ich in Zukunft zum Beispiel „hoch begabt" auseinander, „hochgebildet" aber zusammen, „hoch qualifiziert" wieder auseinander, dafür „hochgelehrt" wieder zusammenschreiben soll. All dies ist vollständig unsinnig und leuchtet keinem Menschen ein.
Es leuchtet auch keinem Menschen ein, warum ich bisher „fließen", ,,floß" und „Fluß" jeweils mit scharfem S geschrieben habe, zukünftig aber - der Vereinfachung und der Erleichterung wegen, wie man uns erzählt - „fließen" nach wie vor mit scharfem S, dagegen „floss" mit Doppels und „Fluss" auch mit Doppels schreiben muß. Es fehlt die Logik, es fehlt die Klarheit.
Auch beim sogenannten Stammwortprinzip sind die Vorschriften widersinnig. Sie alle kennen das Wort „einbleuen". Niemand wird mich vergewaltigen, dies künftig mit „ä" zu schreiben, wo das Wort doch von „bleuen", also schlagen, kommt, was zum Beispiel noch in dem Wort „Pleuel" als Wortstamm lebt und mit der Farbe blau, wie man uns vormachen will, überhaupt nichts zu tun hat - allenfalls im Ergebnis, aber keinesfalls im Prozeß. - Also, das sind vollständig unsinnige Pseudo-Ref ormen.
Es ärgert mich, daß hier nach einer Methode, die wir in der Politik leider oft haben, nämlich nach dem Motto „Augen zu und durch" oder „Kopf in den Sand", ignoriert wird, daß 90 Prozent der Menschen im Land sagen: „Wir wollen das nicht", daß auch die Österreicher sagen: „Wir haben das eigentlich nie wirklich gewollt; wenn Deutschland das nicht macht, machen wir das auch nicht", daß die Schweizer in ähnlicher Richtung diskutieren, daß in immer mehr Bundesländern gegen diese erklärende Reform Volksbegehren laufen und daß nur eine kleinere Kommission und die Minister den Kopf in den Sand stecken und sagen: Watt mut, dat mutt.
Ich sage: Das sollten wir nicht zulassen. Ich bin - nebenbei - auch nicht der Meinung, daß der Bundestag über die Rechtschreibung entscheiden sollte. Ich bin vielmehr der Auffassung, daß es Bereiche gibt, bei denen sich die Politik zurückhalten muß; es gibt drei Bereiche, die die Politik nichts angehen. Dazu gehört unsere Sprache. Die wird sich weiterhin frei entwickeln und verändern, wenn wir Politiker nur die Finger davonlassen. Das setzt aber voraus, daß endlich auch die Kultusminister davon ablassen, und das setzt voraus, daß wir über den Antrag und über unsere Handlungsmöglichkeiten in vernünftiger Weise beraten, weshalb auch wir uns für dessen Überweisung aussprechen.
Ich bedanke mich.