Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Agrarreform von 1992 hatte die Zielsetzung, Agrarüberschüsse abzubauen, um die Agrarmärkte zu entlasten und die Einkommen in der Landwirtschaft bei noch umweltfreundlicherer Produktion zu sichern.
Vorübergehend konnten durch die Agrarreform die Interventionsbestände in der EU weitgehend abgebaut werden. Die durch Druck der Franzosen vorgenommene Absenkung der Stillegungsrate hat aber auch wieder zu einem deutlichen Anstieg der Getreideüberschußmengen geführt. Es wäre mit Sicherheit sinnvoller gewesen, die Stillegungsrate bei mindestens 15 Prozent zu belassen. Dadurch wäre eine aktivere Preispolitik bei Getreide möglich gewesen. An der Tatsache, daß der Getreidepreis der Eckpreis für andere Agrarprodukte ist, führt auch heute kein Weg vorbei. Es muß hier aber auch deutlich festgestellt werden, daß sich Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert in Brüssel deutlich gegen eine Absenkung der Flächenstillegungsrate ausgesprochen hat, daß er dabei aber überstimmt wurde.
Wir stehen heute vor der Frage: Mit welchem Konzept geht Europa in die WTO-Verhandlungen? Es ist schon ein starkes Stück, Herr Sielaff, wenn die SPD in ihrem Antrag zuerst feststellt:
Die Tendenz zur Liberalisierung der Weltmärkte ist für Deutschland als Industrieland notwendig
und dann der Bundesregierug ein paar Absätze weiter vorwirft, daß sie eine ungebremste Liberalisierung des Welthandels akzeptiert, was nachweislich falsch ist.
Es war die SPD-Fraktion, die vor der letzten GATT- Runde in ihrem Antrag vom 12. Dezember 1991 forderte:
Von der allgemeinen Zielsetzung, einen freien Welthandel mit offenen Grenzen zu schaffen, darf der EG-Agrarbereich nicht ausgenommen werden.
Das ist genau der Punkt, dem ich entschieden widerspreche. Es gibt keinen fairen Weltagrarmarkt. Die Amerikaner fordern liberalisierte Agrarmärkte und nutzen jede Möglichkeit, um Einfuhren in ihr Land zu schikanieren. Wer einer ungebremsten Liberalisierung das Wort redet, gefährdet die Existenz von Millionen Bauern in Europa.
Ich unterstütze Minister Borchert, wenn er fordert, daß auch bei der nächsten WTO-Runde ein entsprechender Schutz an den EU-Außengrenzen gesichert werden muß. Wer glaubt, daß wir unsere Landwirtschaft in absehbarer Zeit für den Weltmarkt konkurrenzfähig machen können, verkennt die Realitäten. Es ist ein ökonomischer und ökologischer Unsinn, wenn wir auf Dauer Steuergelder verschwenden, um auf dem Weltmarkt Agrarprodukte abzusetzen, bei denen der sogenannte Weltmarktpreis unter unseren Produktionskosten liegt.
Den Liberalisierungsaposteln erteile ich eine entschiedene Absage. Weltmarktagrarpreise sind weitgehend ein Betrug an den Bauern, bewirken die Ausbeutung von Landarbeitern und sind nicht selten ein Verbrechen an der Umwelt.
In Brasilien - ich kenne dieses Land sehr gut - sind in den vergangenen Jahren über hundert Kleinbauern ermordet worden, damit Großgrundbesitzer großflächig Agrarproduktion betreiben können. Wir machen uns mitverantwortlich, wenn wir den Weltmarktfetischisten nicht entschieden entgegentreten.
Ein liberalisierter Weltagrarmarkt nützt nicht den Bauern, er dient dem Wohlergehen des Groß- und Außenhandels und der Transportunternehmen, die ein Interesse daran haben, daß möglichst viele Massengüter hin- und hertransportiert werden, ohne Rücksicht darauf, wieviel Energie dabei vergeudet wird.
Europa muß das Recht haben, einen eigenen agrarpolitischen Weg im Interesse unserer Gesellschaft zu gehen. Es ist unabdingbar notwendig, daß das Prinzip der Nachhaltigkeit bei künftigen Verhandlungen über den Weltagrarhandel prägende Grundlage und Norm wird. Dies ist im Interesse der gesamten Weltbevölkerung und nicht ein spezielles Interesse der bayerischen, deutschen oder europäischen Landwirtschaft. Die Agrarpolitik muß sich die Grundprinzipien der Konferenz von Rio zu eigen machen
Albert Deß
und sich mit allen daran interessierten gesellschaftlichen Gruppen verbünden. Sie muß einem rein ökonomischen Denken nach dem Prinzip möglichst billiger Produktion von Nahrungsmitteln, und sei es um den Preis des Raubbaus an der Natur, entschieden widerstehen.
Interessant ist auch die Aussage von Kommissionspräsident Jacques Santer, über die wir nachdenken sollten. Er sagte vor kurzem, es müsse eine echte Revolution in der Auffassung von Ernährung und Landwirtschaft geben und ein intensives Nachdenken über die Zukunft der gemeinsamen Agrarpolitik innerhalb der Europäischen Union. Nach Auffassung Santers bestehen erhebliche Zweifel, ob die BSE- Krise wirklich ein Unfall der Natur ist. Ist die BSE- Geschichte nicht vielmehr die Folge eines Landwirtschaftsmodells, das auf Produktivität um jeden Preis ausgerichtet ist?, fragte Santer.
Die Konsequenzen dieser Produktionsweise zu minimalen Kosten setze die Grundgesetze der Natur außer Kraft und führe letztendlich zu höheren Belastungen für unsere Gesellschaft.
Aus übergeordneten ökologischen Gründen ist es auch wichtig, die künftigen Regelungen für den Weltagrarhandel so zu gestalten, daß auch auf ungünstigen Standorten auf Dauer Landwirtschaft betrieben werden kann. Die Umweltstandards, wie sie in der Konferenz von Rio vereinbart wurden, nehmen national und international an Bedeutung drastisch zu. Das Prinzip der Nachhaltigkeit muß dabei zum prägenden Element der Landbewirtschaftung werden. Insbesondere auf Grund der unterschiedlichen Wettbewerbs- und Produktionsbedingungen ist auch weiterhin ein wirksamer Außenschutz notwendig, damit die Qualität der Produkte und die Art der Produktion zur Sicherstellung einer flächendeckenden Landwirtschaft und des Verbraucherschutzes erhalten werden können.
Die Stärke des ländlichen Raumes ist in Zukunft auch davon abhängig, ob es uns gelingt, Antworten auf die Herausforderungen immer schnellerer Veränderungen und Entwicklungen zu finden. In einer Zeit, in der uns das Thema Globalisierung täglich aufgedrängt wird, ist es wichtig, daß wir dem im Agrarbereich entgegensteuern und uns auf unsere regionalen Möglichkeiten besinnen.
Die von vielen zum neuen Glaubensbekenntnis erhobene Globalisierungsstrategie hat bisher weltweit vor allem Schäden hinterlassen. Statt dessen brauchen wir ein Denken in regionalen Kreisläufen, wenn wir dem Würgegriff der Liberalisierungsanbeter entkommen wollen.
Die Europäer müssen bei den anstehenden Verhandlungen selbstbewußter auftreten. Minister Borchert hat dies angekündigt. In der Region Europa brauchen wir wirkungsvolle Mengensteuerungsinstrumente. Ich bin der Meinung, daß nur mit Mengensteuerungsinstrumenten auch die Osterweiterung ohne große Verwerfungen für unsere Bauern durchgeführt werden kann.
Vielen Dank.