Rede von
Eva-Maria
Bulling-Schröter
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was die PDS von der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD hält, ist in unserem Entschließungsantrag ausführlich nachzulesen. Auf den Punkt gebracht, lautet unsere Einschätzung: Der aus der Antwort der Bundesregierung erkennbare Kurs für die zukünftige EU- und WTO-Politik wird sowohl für die Bauern als auch für die Verbraucherinnen und Verbraucher zu einer Katastrophe führen.
In diesem Haus wird so oft von Sachzwängen gesprochen; das ist eines Ihrer Totschlagargumente. Wir sind unbedingt für Sachargumente. Ich denke, sie sollten auch die Grundlage politischer Entscheidungen sein. Voraussetzung dafür ist aber, daß die Sachzwänge richtig benannt werden.
Zu den grundlegenden Sachverhalten in der Landwirtschaft gehört vor allem die Tatsache, daß der Boden nur in Deutschland bewirtschaftet und nicht ins Ausland verlagert werden kann, daß die Landwirtschaft nicht nur agrarische Güter produziert, sondern auch Leistungen für den Erhalt der Natur und die Gestaltung der Kulturlandschaft erbringen muß, also Umweltschutz betreibt. In der Diskussion zum Bodenschutz- und Naturschutzgesetz gibt es diese Differenzen; Sie wissen das, und wir sind hier in der Diskussion.
Im Unterschied zur Industrie, die unter dem Problem leidet, Käuferinnen und Käufer für ihre zuviel produzierten Produkte zu finden, steht die Landwirtschaft vor der Aufgabe, den Hunger von 800 Millionen Menschen zu beseitigen und - wie die Bundesregierung in ihrer Antwort ausführt - die Produktion in den nächsten Jahrzehnten um 60 Prozent zu steigern.
Nicht zuletzt ist es ein nicht zu ignorierender Sachverhalt, daß der reiche Norden von den Feldern des hungernden Südens ißt. Die Fläche, die für die Erzeugung der EU-Nettoimporte von Agrarprodukten verbraucht wird, entspricht jener der fruchtbaren Landflächen von Venezuela, Kolumbien, Ecuador, Panama und Guyana. Für den Wert eines halben Stündchens Arbeit kaufen wir uns die Arbeit eines Dutzend Kulis, die eine Woche lang schuften, um Radios oder Computer zu bauen, Kleider zu nähen oder Spielzeug zu basteln.
Die Bundesregierung setzt nicht nur weiterhin auf die Liberalisierung der Märkte; sie will auch die Agrarproduktion möglichst schnell auf diesen Kurs trimmen. Die Auswirkungen Ihrer Liberalisierungspolitik kennen wir auf allen Feldern dieser Politik, ob beim Arbeitsrecht oder der Stromliberalisierung; es sind immer die gleichen Auswirkungen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist inzwischen in Mode gekommen, über Nachhaltigkeit zu reden. Dabei wird immer betont, daß der Begriff aus der Waldwirtschaft kommt. Das ist richtig. Doch das Ziel der nachhaltigen Waldwirtschaft war ein höherer Profit, und das Ergebnis waren Monokulturen, Umweltbelastungen und die Zerstörung der biologischen Vielfalt.
Eine zentrale Kategorie der Nachhaltigkeit ist die des Umweltraums. Jeder Mensch dieser Erde hat das gleiche Recht auf den gleichen Umweltraum. Wo ist die Analyse der Bundesregierung, die diese Kategorie für die Bundesrepublik durchgerechnet hat? Wo sind die konkreten Maßnahmen, die sich aus einer solchen Analyse ergeben würden?
Statt eine politische Kurskorrektur vorzunehmen, glänzt die Bundesregierung auf internationalen Konferenzen mit Versprechungen über CO2-Reduktionen. Gleichzeitig hofft sie, durch eine Diskussion über den Agrarstandort Deutschland neue internationale Märkte zu erobern, um ein noch größeres Stück von dem kleiner werdenden Kuchen abzubekommen.
Es ist das Dilemma der Nachhaltigkeitsdiskussion in Deutschland, daß die sozialen und gesellschaftlichen Konsequenzen und Bedingungen ausgeklammert werden. Mit der Wuppertal-Studie läßt sich gut leben. Inzwischen geben die größten Konzerne auch viel Geld für ihr Nachhaltigkeitsimage aus.
Am Ende dieser Entwicklung wird es aber mehr reiche und arme, mehr satte und hungernde Menschen und Länder geben. Die Rohstoffe werden weiter von Süden nach Norden strömen. Sie, meine Damen und Herren, werden mehr Waffen brauchen, um diese Stoffströme und die Interessen der Kapitalverwertung zu sichern, die natürlich als Interessen der Wohlstandssicherung verkündet werden.
Wem es wirklich um die Zukunft der Menschheit geht, muß sich vorurteilslos allen Tatsachen stellen,
Eva Bulling-Schröter
der darf das Kosten- und Gewinnkriterium nicht an die Spitze stellen, der muß zuerst danach fragen: Worin bestehen die Interessen der Menschen? Wie werden wir den Lebenshoffnungen künftiger Generationen gerecht? Das Ergebnis würde ein radikaler Wandel der EU-Agrarpolitik sein, der die Bezeichnung „nachhaltig" wirklich verdient und zu mehr Gerechtigkeit auf dieser Erde führt.
Danke.