Verehrter Herr Kollege Sielaff, ich habe Ihre Rede vorhin schon zur Kenntnis genommen und habe daraus zitiert, daß Sie gesagt haben, daß eine weitere Liberalisierung unausweichlich ist.
- Dies haben Sie gesagt; Sie haben es eben nochmals vorgelesen.
Sie haben damit das Ergebnis einer WTO-Runde bereits vorweggenommen. Für mich ist das Ergebnis völlig offen. Das Ergebnis, ob und in welchem Umfang es zu einer weiteren Liberalisierung kommt, wird entscheidend davon abhängen, ob wir unsere Position durchsetzen. Im weiteren Verlauf meiner Rede werde ich betonen, daß das Ergebnis der WTO- Runde natürlich entscheidend davon abhängt, mit welchen Forderungen wir in die Runde gehen. Das Ergebnis wird schlechter sein, wenn wir unsere Position, wie Sie es immer fordern, bereits vorher auf geben und sagen, wo wir Zugeständnisse machen wollen. Mir ist nicht bekannt, daß bei Tarifauseinandersetzungen ein Verhandlungspartner vorher erklärt, wo für ihn die Schmerzgrenze liegt, und dann anfängt zu verhandeln. Vielmehr geht jeder Tarifpartner mit seinen Maximalforderungen in die Verhandlungen, um ein für ihn erträgliches Ergebnis zu erzielen. Ihre Aufforderung geht immer dahin, von vornherein zu erklären, welche Zugeständnisse wir akzeptieren, und das, bevor wir überhaupt in Verhandlungen eingetreten sind.
- Aber natürlich, Herr Sielaff. Dies ist der einzige Streitpunkt.
Ich werde hier wie auch überall sonst betonen: Für uns geht es darum, unsere Positionen im Interesse einer bäuerlichen Landwirtschaft in der WTO zu verteidigen und zu vertreten und nicht bereits vorher Positionen zu räumen, die möglicherweise am Ende der Verhandlungen nicht in allen Punkten zu retten sein werden, aber von denen wir möglichst viele verteidigen müssen. Es kann nicht darum gehen, bereits vorher Positionen aufzugeben.
Meine Damen und Herren, unser Ziel bleibt eine bäuerliche Landwirtschaft; unser Ziel sind bäuerliche Familienbetriebe, die gerade im ländlichen Raum vielen Familien Brot und Arbeit geben. Nur die bäuerliche Landwirtschaft kann auf Dauer die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen auf kurzem Weg sichern, unsere Kulturlandschaft erhalten, eine flächendeckende Landbewirtschaftung sicherstellen und damit die natürlichen Lebensgrundlagen schützen. Deshalb wollen wir unsere Landwirte fit machen für den Wettbewerb, für den Aufbau leistungsfähiger Betriebe, für die Aufgabe, die Landschaft zu erhalten und zu pflegen.
Wir wollen aber auch den Landwirten helfen, die für sich keine Perspektive in der Landwirtschaft sehen, indem wir den Strukturwandel durch sozialpolitische Maßnahmen abfedern. Wir wollen jedoch keine unausgegorenen Experimente, die unsere Bäuerinnen und Bauern in eine ungewisse Zukunft treiben würden.
Wir halten es für unverantwortlich, daß bei Ihren Aussagen immer wieder anklingt: Versuchen wir es doch einmal mit Weltmarktbedingungen. Wenn wir die Weltmarktbedingungen nicht erfüllen können - und das können wir nicht -, dann gibt es kein Zurück mehr; denn die Mehrzahl der Betriebe würde ein solches Experiment nicht überleben. Deshalb wird sich die Bundesregierung nicht auf solche Utopien einlassen, sondern ihre Politik zur Sicherung des Agrarstandortes Deutschland fortsetzen.
Auch wenn derzeit einige gezielt versuchen, unter Hinweis auf die nächste WTO-Runde und die vorgesehene Osterweiterung der Europäischen Union Konzepte einzufordern, die Landwirte zu verunsichern: Es gibt zur Zeit keinen Grund für einen radikalen Wechsel in der Agrarpolitik. Wir können davon ausgehen, daß die beitrittswilligen Länder ihre Beitrittsfähigkeit zu unterschiedlichen Zeitpunkten erreichen werden. Die Beitrittsländer müssen die Grundelemente der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik übernehmen.
Wenn wir diesen Weg einer schrittweisen und zeitlich gestaffelten Osterweiterung verfolgen - das ist aus meiner Sicht der einzig gangbare Weg -, dann ergibt sich auch kein unmittelbarer, kurzfristiger Reformbedarf für die europäische Agrarpolitik. Dies gilt auch im Hinblick auf die Fortsetzung der WTO-Verhandlungen, die 1999 in Angriff genommen werden sollen.
Auf Grund der geltenden Friedensklausel sind die europäischen Ausgleichszahlungen in ihrer derzeitigen Ausgestaltung ebenso wie die Exportsubventionen bis zum Jahr 2003 abgesichert. Neu auszuhandelnde Verpflichtungen sind voraussichtlich erst nach dem Jahr 2003 zu erwarten. Wie würden wir heute dastehen, wenn wir bereits 1987 oder früher Konsequenzen hinsichtlich möglicher Ergebnisse der GATT-Verhandlungen von 1993 gezogen hätten?
Bundesminister Jochen Borchert
Wir müssen sehen: Das Hauptaugenmerk der Verhandlungspartner wird dabei nicht so sehr auf den Ausgleichszahlungen liegen, sondern auf einer Verbesserung des Marktzugangs und einem weiteren Abbau subventionierter Exporte.
Ich frage deshalb: Kann es vor dem Hintergrund dieser Zeitperspektive - bis zum Jahr 2003 sind es noch sechs Jahre - unser Anliegen sein, jetzt schon wieder eine neue Agrarpolitik einzuleiten? Ich denke, die Antwort kann nur nein lauten, wenn wir aus der Sicht Europas nicht schon im Vorfeld Verhandlungsspielraum preisgeben wollen.
Natürlich müssen wir unsere Positionen heute definieren, damit die Europäische Union die Verhandlungen in allen Punkten offensiv führen kann. Dafür haben wir unsere Positionen festgelegt, mit den Bundesländern diskutiert und in Brüssel eingebracht. Es gibt übrigens erstaunlich wenig Differenzen in den konkreten Fragen - auch zu den SPD-regierten Bundesländern.
Zu dieser offensiven Strategie gehört für mich auch, dafür einzutreten, daß Umweltstandards und Grundsätze nachhaltigen Wirtschaftens in den künftigen WTO-Abkommen verbindlich festgeschrieben werden.
- Ich finde es gut, wenn das Ergebnis ist, daß Sie uns in dem Punkt unterstützen. Mit Konsequenzen für die Agrarpolitik müssen wir aber warten, bis wir wissen, in welchem Umfang und in welcher Form Umweltstandards festgeschrieben werden. Unser Ziel muß es doch sein, Umweltstandards und Grundsätze nachhaltigen Wirtschaftens so festzuschreiben, daß bäuerliche Landwirtschaft in Deutschland auch in Zukunft existieren kann. Erst wenn wir diese Grundsätze festgeschrieben haben, können wir doch, abhängig von diesen Eckpunkten, Agrarpolitik neu orientieren. Wir können nicht schon vorher, im luftleeren Raum, ehe das Ergebnis feststeht, eine neue Agrarpolitik definieren.
Es gibt, Herr Sielaff, für mich eben Grenzen in der Liberalisierung, nicht nur aus der Sicht der Industrieländer wie Deutschland, sondern auch aus der Sicht der Entwicklungsländer. Auch die Entwicklungsländer brauchen Schutz, wenn sie die Chance haben sollen, eine eigene Agrarproduktion aufzubauen.
Deswegen müssen wir gemeinsam, Industrieländer und Entwicklungsländer, bei der WTO-Runde unser Ziel, verbindliche Standards zu vereinbaren, durchsetzen.
Ich bin optimistisch, daß wir in der WTO-Runde Ergebnisse erreichen, mit denen wir unsere Agrarpolitik, die wir in Europa und in Deutschland konzipiert haben, fortsetzen können.
Noch wichtiger ist es aber, daß wir agrarpolitische Verhandlungsspielräume behalten, das heißt einen ausreichenden Außenschutz und ein ausreichendes Stützungsniveau mit Ausgleichszahlungen. Es kommt also darauf an, Bewährtes zu verteidigen und dauerhaft abzusichern, es nicht ohne Not in Frage zu stellen. Es kann nicht darum gehen, bereits heute öffentlich Positionen aufzugeben, um damit die Chancen auf ein vernünftiges Ergebnis weiter zu verschlechtern.
Niemand kann bestreiten: Die 1992 beschlossene Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik hat Wirkung gezeigt: Die Märkte wurden durch Produktionsrückführung entlastet; der Anstieg der Haushaltsausgaben wurde gebremst; und die Einkommen wurden durch direkte Ausgleichszahlungen stabilisiert.
Unbefriedigend ist die Lage der Futterbaubetriebe. Diese Betriebe sind unverschuldet von der BSE-Krise betroffen worden. Zudem leiden sie unter sinkenden Milchpreisen.
Die akuten Probleme, die den Bäuerinnen und Bauern heute auf den Nägeln brennen, müssen wir vorrangig angehen, und zwar im Rahmen der bestehenden Systeme. Das heißt für die Milch: nicht die Milchquotenregelung über Bord werfen, sondern die vorhandenen Marktinstrumente zur Preis- und Einkommensstabilisierung konsequent nutzen!
Ich bin gegen die phantasielose Senkung der Erstattungen, die die Kommission in ihrer Marktpolitik für den Milchsektor betreibt. Nicht die Quote hat versagt, sondern die Handhabung dieses Instrumentes durch die Kommission.
Die geltenden WTO-Vereinbarungen und der europäische Haushalt bieten ausreichend Spielräume bei der Beihilfen- und Erstattungspolitik, die wir zum Vorteil unserer Milcherzeuger ausschöpfen müssen. Was die mittelfristige Weiterentwicklung der europäischen Milchpolitik angeht, so soll es grundsätzlich bei der Milchquotenregelung bleiben, auch nach dem Jahr 2000. Darin sind sich Bund und Länder einig. Auf Grund der Erfahrungen seit 1984 streben wir weitere Verbesserungen in Detailbereichen an. Dabei muß es vor allem darum gehen, die Position der aktiven Bewirtschafter zu stärken und den Transfer der Quoten zu erleichtern.
Die Probleme beim Milchpreis sind aber nicht nur darauf zurückzuführen, daß die Produktion die Nachfrage im Binnenmarkt übersteigt, sondern hängen speziell in Deutschland auch mit strukturellen Defiziten im Verarbeitungs- und Vermarktungsbereich zusammen. Diese Probleme aber kann der Staat nicht lösen; hier muß die Wirtschaft selbst aktiv werden. Wir können sie dabei unterstützen, aber es geht nicht ohne die aktive Mitarbeit der Wirtschaft.
Beim Rindfleisch brauchen wir angesichts der anhaltenden Krise Änderungen der Marktordnung.
Bundesminister Jochen Borchert
Hier haben wir mit kurzfristigen Maßnahmen geholfen, die Krise zu überwinden. Mittel- und langfristig aber ist es unumgänglich, das Rindfleischangebot den Absatzmöglichkeiten innerhalb und außerhalb der Europäischen Union anzupassen, also ein neues Marktgleichgewicht zu erreichen. Die Kommission hat vom Rat den Auftrag erhalten, geeignete Vorschläge vorzulegen. Die Frist läuft ab; sie hat sie bisher leider noch nicht vorgelegt.
Die Bundesregierung wird sich bei den Beratungen dafür einsetzen, daß die erforderliche Produktionsrückführung ausgewogen zwischen den Mitgliedstaaten und unter Berücksichtigung der gewachsenen Produktionsstrukturen stattfindet. Das heißt, keinesfalls darf es eine Bevorzugung oder Benachteiligung einzelner Produktionsverfahren geben. Die intensive und extensive Rindermast sind Mastformen, die historisch gewachsen sind, auf die sich Betriebe eingestellt haben und die auch in Zukunft ihre Berechtigung im Rahmen einer europäischen Rindfleischmarktordnung behalten müssen.
Beunruhigt sind zur Zeit auch die Getreideanbauer trotz der günstigen Einkommensentwicklung in den vergangenen Jahren. Für diese Unruhe sorgen die Preisvorschläge der Kommission, die eine Kürzung der Flächenprämie beinhalten. Ich habe für diese Vorschläge überhaupt kein Verständnis. Aus meiner Sicht gibt es keine vernünftige Begründung dafür. Mit solchen Vorschlägen erschüttert man das Vertrauen der Landwirte in die Verläßlichkeit der Agrarpolitik. Damit machen wir die Agrarpolitik unglaubwürdig.
Meine Damen und Herren, für die Bundesregierung steht fest: Statt eines radikalen Umbruchs brauchen wir eine Fortentwicklung der Agrarpolitik mit Augenmaß. Dabei werden wir auf dem bisher Erreichten aufbauen, an Bewährtem festhalten und dort, wo es notwendig ist und wo die WTO-Verhandlungen Ergebnisse erfordern, weitere Verbesserungen der Agrarpolitik umsetzen.
Ich bin davon überzeugt, daß wir mit unserer Politik Rahmenbedingungen für eine bäuerliche Landwirtschaft schaffen, die es Bäuerinnen und Bauern ermöglichen, sich den Herausforderungen auch nach der Jahrtausendwende zu stellen und sich im europäischen Wettbewerb auch unter veränderten Bedingungen zu behaupten.
Vielen Dank.