Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein sehr schwieriges, ein sehr sensibles, ein mit Augenmaß und mit Weitsicht wie die Rückführung bosnischer Bürgerkriegsflüchtlinge hier in 30 Minuten abzuhandeln ist eine Sache, die nur schwerlich gelingen kann. Deswegen habe ich die Hoffnung, daß wir in den Ausschußberatungen in sachgerechter Form gemeinsam, wie das auch bisher der Fall war, zu einem Ergebnis kommen, das von uns allen in diesem Hause gemeinsam getragen wird. Es geht um Menschen; es geht nicht um Gegenstände. Dies möchte ich vorweg bemerken.
Ich möchte allerdings auch vorweg bemerken, daß dies ein Thema ist, das breite Kreise der Öffentlichkeit sehr bewegt, nicht nur hier bei uns in Deutschland, nicht nur in Bosnien, sondern auch darüber hinaus. Sie schauen sehr genau, wie wir in Deutschland mit dieser Thematik umgehen.
Ich möchte von vornherein eines deutlich machen - das haben wir auch in unserem Antrag formuliert -: Grundsätzlich führt an der Rückführung der bosnischen Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge kein Weg vorbei. Ich bin mir darüber im klaren, daß das auch die hier bei uns Lebenden wissen. Ich weiß und bin sicher, daß sie zu Tausenden und aber Tausenden in ihr Land zurückgehen werden, wenn sie es ungefährdet tun können.
Aber bis dahin ist noch ein weiter Weg. Denn der Frieden in Bosnien-Herzegowina ist längst nicht hergestellt.
Ich denke, wir stimmen in diesem Hause auch überein, wenn ich feststelle, daß ein gutes Jahr nach dem Abkommen von Dayton der Friedensprozeß noch gefährdet ist. Das auf 18 Monate beschränkte Mandat wird ganz sicher nicht ausreichen, den Frieden endgültig herzustellen. Ich persönlich gehe davon aus, daß es ein Generationenproblem sein wird, weil die Wunden, weil die Verletzungen, die die Menschen auf Grund der Kriegsereignisse erlebt und erlitten haben, viel zu groß sind, als daß sie durch formale Rechtsakte und behördliche Anweisungen, Verordnungen und Richtlinien beseitigt werden könnten. Daran sollten wir denken, wenn wir uns mit diesem Thema beschäftigen.
Der heutige Zustand in Bosnien-Herzegowina ist kein Friede, sondern ein durch den Dayton-Vertrag und durch IFOR erzwungener, an vielen Stellen brüchiger Waffenstillstand.
Die Lage in Bosnien-Herzegowina ist nach wie vor instabil und in sich voller Widersprüche. Wenn man von Dayton spricht, so ist sicherlich unbestritten festzustellen: Seit 16 Monaten gibt es keinen Krieg
mehr; seit 16 Monaten ist es nicht zu erneuten Kriegshandlungen gekommen. Dies ist sicherlich ein Erfolg.
Daß daran auch das internationale Polizeikontingent, die staatlichen und nichtstaatlichen Hilfsorganisationen ihren Anteil haben, soll hier nicht unerwähnt bleiben. Ich möchte an dieser Stelle allen, die gegenwärtig daran mitwirken und mitgewirkt haben, diesen Friedensprozeß zu fördern, im Namen der Fraktion und, so denke ich, im Namen des ganzen Hauses unseren Dank aussprechen.
Mehr können wir im Moment an dieser Stelle nicht tun.
Was die zivile Komponente des Dayton-Abkommens angeht, so ist diese weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Nach wie vor besteht ein erheblicher Mangel an Kooperationsbereitschaft zwischen den im Dayton-Abkommen begründeten Institutionen, den politisch Verantwortlichen.
Lassen Sie mich nur darauf hinweisen, daß es nach dem Inkrafttreten des Abkommens zu massiven Häuserzerstörungen gekommen ist. Ich bin mit Kollegen aller Fraktionen dieses Hauses dort gewesen. Wir haben dies dort sehr drastisch zu hören bekommen. Wenn ich eben gesagt habe, daß die Verantwortlichen vor Ort offenbar nicht gewillt sind, aus innerlicher Überzeugung in bester Absicht diesen Prozeß zu fördern, dann mag das auch daran deutlich werden, daß es in einer Nacht „gelungen" ist, 96 Häuser in Schutt und Asche zu legen. Das ist kein Werk von einzelnen Leuten. Dies ist organisiert und geduldet. Anders kann es nicht sein.
Wenn ich von Kooperationsbereitschaft gesprochen habe, muß man sich auch vor Augen führen, daß es bis zum heutigen Tage zu keiner Festnahme, zu keiner Anklage und zu keiner Verurteilung gekommen ist. Das macht sehr deutlich, wie groß das Interesse der Verantwortlichen vor Ort ist: Es ist gleich null. Im Grunde genommen wird die Politik der ethnischen Säuberung weiter betrieben, zumindest aber geduldet.
Man sollte auch nicht verschweigen, daß diejenigen, die vor und während der Kriegshandlungen das Sagen hatten, heute noch die Drahtzieher sind und die Politik in diesem Lande weitestgehend bestimmen. Uns stünde es gut zu Gesicht, gerade die Kräfte im Land zu unterstützen, von denen wir den Eindruck haben oder wissen, daß sie es ehrlich meinen, und nicht denjenigen die Hand zu reichen, von denen wir wissen, daß sie sich gegen ihre innere Überzeugung hinstellen und anders reden. Das darf nicht sein.
Günter Graf
Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, daß die Rückführung der zirka 320 000 in Deutschland lebenden Kriegsflüchtlinge nach Bosnien-Herzegowina nur sehr behutsam, sehr durchdacht, sehr gut vorbereitet und mit den dafür zuständigen Stellen und Organisationen abgesprochen durchgeführt werden kann. Dabei ist von uns in besonderer Weise auch zu berücksichtigen, daß es nach Schätzungen der Behörden in Bosnien-Herzegowina gegenwärtig immer noch 860 000 Binnenvertriebene gibt. Sie stammen fast ausnahmslos aus Orten, die von einer anderen als der eigenen Volksgruppe beherrscht sind.
Nicht anders sieht es bei den bosnischen Flüchtlingen aus, die im Ausland Zuflucht gefunden haben. Zwar sind zwischenzeitlich etwa 90 000 zurückgekehrt, allerdings fast ausnahmslos in Ortschaften, wo sie der ethnischen Mehrheit angehören.
Von den in Deutschland Lebenden stammt die Mehrzahl aus Orten, in denen sie im Falle einer Rückkehr zu einer ethnischen Minderheit gehören würden. Dies betrifft die serbischen Flüchtlinge aus dem Gebiet der muslimisch-kroatischen Föderation ebenso wie muslimische oder kroatische Flüchtlinge aus dem serbisch kontrollierten Teil Bosniens und muslimische Flüchtlinge aus den kroatisch beherrschten Gebieten. Dieser in Dayton nicht gewollte Zustand ist beklagenswert, ist aber letztlich von denen zu verantworten, die nach wie vor an ihrem Kriegsziel, ethnisch gesäuberte Territorien zu schaffen, unverändert festhalten, wie ich es eben bereits bemerkt habe.
Die aktuelle Situation in Deutschland verhält sich so - das hat die Kollegin Müller hier schon angesprochen -, daß in diesen Tagen und Wochen Zehntausende von bosnischen Flüchtlingen die behördliche Aufforderung, nunmehr in ihr Heimatland zurückzukehren, erhalten. Diese Aufforderung ist mit einer Androhung der Zwangsabschiebung verbunden.
Dies führt natürlich bei den Betroffenen vielfach zu der Frage, wo sie denn in Bosnien eine Unterkunft finden können, zumal mehr als die Hälfte der bosnischen Flüchtlinge in Deutschland Muslime aus der Republik Srpska sind. Überzeugende Antworten, das will ich hier in aller Deutlichkeit feststellen, gibt es für die meisten dieser Fragesteller nicht.
Was die Frage der freiwilligen Rückkehr angeht, gibt es weitere Hindernisse, die die Situation nicht gerade günstiger gestalten. Zum einen sind es die brachliegende Wirtschaft des Landes und die extrem hohe Arbeitslosigkeit, die in manchen Landesteilen bis zu 80 Prozent beträgt. Trotz dieser düsteren und schwierigen Situation vor Ort haben immerhin 75 000 bosnische Flüchtlinge aus Deutschland in den letzten neun Monaten die Möglichkeit genutzt, Besuchsreisen in ihre Heimat durchzuführen, um sich selbst vor Ort ein Bild von den tatsächlichen Verhältnissen zu machen.
Ich darf auch darauf hinweisen, daß im Bonner Büro der internationalen Organisation für Migration allein im Monat März 3 500 Anträge von Bosniern zur finanziellen Unterstützung der freiwilligen Rückkehr aus von Bund und Ländern finanzierten REAG- und GAP-Programmen gezählt wurden.
Ich denke, Kolleginnen und Kollegen, allein dies verdeutlicht schon, daß die Rückkehrwilligkeit vieler bosnischer Flüchtlinge gegeben ist. Auch hat sich in den letzten Monaten sehr deutlich gezeigt, daß die Bereitschaft zur freiwilligen Rückkehr besonders dort sehr groß ist, wo es qualifizierte Beratung gibt und die Möglichkeit gezielter Hilfen besteht. Dies wird leider in unserem Land in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich gehandhabt; das ist ein ganz erheblicher Mangel. Ich darf an dieser Stelle allerdings positiv das Land Nordrhein-Westfalen erwähnen, das mit seinen zusätzlichen Rückkehrhilfen, die viele Bosnier in Anspruch genommen haben, dazu beigetragen hat, daß viele freiwillig zurückgekehrt sind. Inzwischen denken allerdings auch andere Bundesländer darüber nach, wie man entsprechende Starthilfen geben kann.
Ich persönlich will an dieser Stelle aber nicht verhehlen, daß dies nicht ganz unproblematisch ist. Denn wir alle wissen, daß die Heimkehrenden, die über ein Auto, eine Sachausstattung und Geld verfügen, von den Einheimischen, den dort Verbliebenen, sehr kritisch nach dem Motto betrachtet werden: Wir haben hier die Jahre über gekämpft und unser Leben hingegeben; aber ihr habt euch im Ausland ein schönes Leben gemacht, habt dort gut gelebt und Vermögen erworben. Das ist ein Problem, das bei der Rückführung in besonderer Weise betrachtet werden sollte.
Das Thema „Hilfen der EU" will ich hier nicht weiter ansprechen. Es ist angesprochen worden. Es ist im Grunde genommen ein Skandal, was da abläuft, daß nämlich Gelder in Milliardenhöhe bereitliegen, aber Projekte, die seit langem vorbereitet sind, bis zum heutigen Tage nicht begonnen werden konnten, obwohl die Gelder dazu bereitgestellt wurden.
Ich denke, es ist notwendig, daß man seitens der Bundesregierung klarer bei der EU vorspricht und darauf drängt, daß die Gelder, die zur Verfügung stehen, nun endlich gewährt werden.
Es gäbe noch eine Menge zu sagen. Ich habe betont: Wir werden in den Ausschußberatungen sehr sorgfältig darüber beraten.
Ein Wort will ich aber an alle diejenigen richten, die sehr kritisch reagieren, wenn man sagt, wir müßten sehr behutsam usw. vorgehen: Wir haben auch gegenüber denjenigen Menschen, die in unserem Land leben, eine Verpflichtung. Die Situation in der Bundesrepublik Deutschland ist nicht ganz einfach. Viele sind betroffen. Die Einkommen gehen zurück. Arbeitslosigkeit bedrückt sie. Wir alle wissen - das hat auch die Vergangenheit gezeigt -: In Zeiten wie diesen sucht man natürlich nach Gründen, woran dies alles liegt. Dann sucht man nach Sündenböcken. Wenn man diese sucht, dann findet man sie auch.
Günter Graf
Ich muß diesen, die so denken, ganz deutlich sagen: Wenn wir nicht sehr behutsam vorgehen und wenn die IMK im Einvernehmen mit dem Bundesinnenminister nicht die Positionen dahin gehend überdenkt, daß es zu sehr behutsamen Regelungen und Vorgehensweisen kommt, dann kann dies letztlich dazu führen, daß die Zahl derer, die Bosnien-Herzegowina verlassen, doppelt so hoch ist wie die Zahl derjenigen, die dorthin zurückkehren. Dann sind die Kosten, die wir zu tragen haben - ganz abgesehen von den menschlichen Problemen -, erheblich größer.