Rede von
Erwin
Marschewski
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Kollegin Müller, ich meine, daß der Ton und der Inhalt Ihrer Darstellung so nicht billigenswert waren. Das, was da in Jugoslawien, in Bosnien geschehen ist, war wirklich ein Schicksalsschlag der Geschichte. Ich hätte dies an Ihrer Stelle deswegen anders dargestellt, mit mehr Würde. Ich hätte, was die Einzelfälle betrifft, wirklich nach der Wahrheit geforscht. Diese moralische Überheblichkeit hätte ich fallenlassen, Frau Kollegin.
Erwin Marschewski
Ich spreche hier ganz in Ruhe - das gebietet dieses Thema - für eine Fraktion, die über 50 Jahre hinweg Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden nicht nur erstrebt, sondern auch erreicht hat. Wir haben überhaupt keine Nachhilfe nötig, wenn es darum geht, Menschenrechte und Humanität zu wahren. Das ist Signum unserer Politik. Ich weiß, meine Kolleginnen und Kollegen, das gilt auch für andere hier im Hause.
Deswegen verstehe ich es nicht, weil die prinzipielle Forderung nach Rückkehr der bosnischen Flüchtlinge eigentlich nicht bestritten ist. Worüber wir uns auseinandersetzen, ist doch nur der richtige Zeitpunkt. Auch ist doch unbestritten, daß wir mehrere Gesichtspunkte beachten müssen: die Lage vor Ort, die Unterbringung, die Versorgung, die Auswirkungen der Rückführung auf den Friedensprozeß, aber auch die Situation in Deutschland.
Lassen Sie uns dies noch einmal ins Gedächtnis zurückrufen. Wir haben von über 400 000 Flüchtlingen 320 000 hier in Deutschland aufgenommen. Diese Aufnahme war ganz einfach unsere Pflicht. Daß wir hierfür viel Geld - 15 Milliarden DM - aufgewandt haben, darf doch sicherlich erwähnt werden.
Aber eines muß auch klar sein: Die Bürgerkriegsflüchtlinge sollten so lange - und nur so lange - Schutz erhalten, wie sie durch den Bürgerkrieg an Leib und Leben gefährdet waren. Manche haben gesagt, diese seien Gäste auf Zeit. Nur, mit der Beendigung des Bürgerkrieges, so meine ich, ist zumindest eine Voraussetzung für die generelle Rückkehr erfüllt. Wenn die Menschen weiterhin die Möglichkeit erhalten sollen, in Deutschland Zuflucht gewährt zu bekommen, dann müssen wir einfach so handeln. Wir haben doch nur die Chance, die jeweils am aktuellsten und schwersten betroffenen Menschen aufzunehmen.
Sie wissen, parallel mit uns tagen die Innenminister der Länder. Sie ändern ihre Position - auch die sozialdemokratischen Innenminister - nicht, lieber Günter Graf. Sie kennen den Plan: In der ersten Phase. sollen alleinstehende Erwachsene und Ehepaare ohne Kinder zurückgeführt werden. Klar ist doch, Frau Kollegin Müller, daß wir Ausnahmen machen für traumatisierte Personen, für alte Menschen, für Schüler und Auszubildende, die nun hier ihre Ausbildung beenden sollen, und daß wir erst in der zweiten Phase die anderen Menschen zurückführen.
Ich habe viele Artikel gelesen, auch von Frau Kumin, die neulich geschrieben hat, es bestehe doch die Möglichkeit, daß 100 000 Flüchtlinge noch in diesem Jahr zurückkehren könnten. Auch Vertreter der bosnischen Regierung haben gesagt, eine Rückführung sei sukzessive durchaus möglich.
Eines ist doch auch richtig: Gerade der Wiederaufbau in Bosnien verlangt die tatkräftige Mithilfe der heimkehrenden jüngeren und arbeitsfähigen Bosnier.
Klar ist auch, was Frau Kumin gefordert hat: daß wir einen Beitrag dazu leisten. Wir beteiligen uns am europäischen Haushalt mit 30 Prozent. Das ist doch eine Menge. Wir leisten weitere 60 Millionen DM Hilfe für Infrastrukturmaßnahmen, für den Wohnungsbau, für die wirtschaftliche Entwicklung, für die landwirtschaftliche Entwicklung. Aber ich verhehle meinen Unmut darüber nicht - da sind wir einer Meinung, Günter Graf -, daß gerade die Europäische Union ihre Mittel für Projekte in Bosnien viel zu zögerlich zur Verfügung stellt. Da gilt es natürlich etwas zu unternehmen.
Die Innenminister tagen. Wir haben uns im Innenausschuß mit dem Thema befaßt. Die Innenminister unter Vorsitz des Kollegen Rudi Geil sowie die Minister Beckstein und Glogowski waren dort und haben uns einen Bericht gegeben. Sie haben übereinstimmend gesagt, die Rückkehr der bosnischen Flüchtlinge sei nicht nur möglich, sondern auch sinnvoll; denn die Flüchtlinge werden dringend vor Ort gebraucht. Wer soll denn sonst den Wiederaufbau leisten? Je länger die Flüchtlinge in Deutschland bleiben, desto schwieriger ist doch deren Wiedereingliederung in Bosnien.
Deswegen sage ich: Natürlich sind grundsätzlich Rückführungen möglich. Frau Kumin sagt ja selbst, 40 000 bis 50 000 - eine sehr hohe Zahl - seien bereits freiwillig in die Heimat zurückgekehrt.
Es dient niemandem, die Situation in Bosnien-Herzegowina zu beschönigen. Das ist wahr. Aber ebenso wahr ist, daß es nicht gerechtfertigt ist, dies negativ zu verzerren. Deswegen sage ich: Es ist keine Frage, daß die Rückführungen nicht nur konsequent, sondern auch behutsam erfolgen müssen. Ich nehme die Kritik vom Kollegen Christian Schwarz-Schilling und von anderen durchaus sehr ernst. Es ist eben völlig richtig, was Sie gesagt haben: daß wir die Flüchtlingsrückkehr unter Beachtung humanitärer Aspekte organisieren müssen. Es ist auch richtig, Herr Kollege Schwarz-Schilling, daß wir bei zwangsweisen Rückführungen in jedem Einzelfall, das heißt individuell, prüfen müssen, ob besondere Abschiebungshindernisse vorliegen. Richtig ist auch die Forderung, daß wir die Rückführung koordinieren müssen; denn es liegt doch in unserem Interesse, daß sich die Heimkehrer wiedereingliedern können, daß ihre Rückkehr eben keine neuen Spannungen erzeugt. Darüber sprechen die Innenminister, darüber haben wir in den letzten Tagen mit allen Innenministern geredet.
Außer Frage steht für mich, daß es gerechtfertigt ist, wenn dies mit großem Augenmaß geschieht, die Beschlüsse umzusetzen - konsequent, aber vorsichtig. Ich meine, Bosnien-Herzegowina braucht diese Menschen, die hier in Deutschland sind, braucht sie dringend zum Wiederaufbau. Ich meine auch, die hier lebenden Bosnier dürfen sich ihrer Verpflichtung gegenüber ihrer Heimat nicht entziehen. Ihr nachzukommen, darum kann ich diese Menschen nur bitten.
Herzlichen Dank.