Rede von
Dr.
Peter
Ramsauer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon äußerst sonderbar, was die SPD heute mit ihren Forderungen in diesem Gesetzentwurf auf den Tisch legt.
- Das werde ich Ihnen gleich erklären, lieber Herr Kollege Gilges. Seien Sie nicht so ungeduldig. Wenn Redner von der Union und insbesondere von der CSU auftreten, dann hält es Sie vor lauter Ungeduld fast nicht mehr auf Ihren Oppositionsbänken.
Das wissen wir inzwischen. Aber ich kann Sie beruhigen: Ich werde Ihnen in den nächsten neun Minuten in allen Einzelheiten darlegen, warum das sonderbar ist.
Unter anderem wird dort wider besseres Wissen ausgeführt, daß die soziale Absicherung von Arbeitnehmern im Krankheitsfall nach der Änderung des Entgeltfortzahlungsgesetzes gefährdet würde. Die Beschränkung bedrohe den gewachsenen sozialen Konsens unserer Gesellschaft unmittelbar, und dies führe zu ausgeprägten und vermeidbaren sozialen Spannungen sowie zu einer schweren Belastung der unverzichtbaren Tarifpartnerschaft. - Das sind Behauptungen, die völlig aus der Luft gegriffen sind.
Ich bezweifle auch, daß viele von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, diesen Gesetzentwurf, der vom 29. Januar dieses Jahres datiert, auch heute noch so unterschreiben würden, nachdem sich die Emotionen zu dem Thema inzwischen eigentlich gelegt haben. Der Gesetzentwurf paßt überhaupt nicht mehr in die Landschaft.
Die diesbezüglichen Schlachten in der Tariflandschaft sind längst geschlagen.
Der Pulverdampf ist längst verraucht, der Kanonendonner längst verhallt.
Jetzt kommen Sie damit daher. Die Tarifpartner und Ihre Genossen in den Kreisen der Gewerkschaften haben sich alle längst darauf eingestellt. Die Abmachungen und Tarifverträge sind alle längst über die Bühne, und jetzt kommen Sie mit diesem Gesetzentwurf.
Die meisten unserer Vorschläge im Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung sind gesetzgeberisch verwirklicht worden. Allerdings - das gebe ich zu - in bezug auf die Änderung der Lohnfortzahlungsmodalitäten hätte die Wirkung besser sein können. Gerade was die Änderungen im Entgeltfortzahlungsgesetz angeht, habe ich mir persönlich von den Tarifparteien weit mehr versprochen, und ich habe auch von der Arbeitgeberseite mehr Mut erwartet.
- Das hat ein wenig auch damit zu tun, daß manche, die vorher von der Politik manche Dinge mehr oder minder forsch gefordert haben, im entscheidenden Moment der Mut verläßt.
Die Politik hat mit der Umsetzung des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung ihre Aufgaben gemacht; die Tarifparteien haben jedoch die Angebote der Politik zum Teil nicht angenommen.
Arbeitgeber und Gewerkschaften müssen jedoch erkennen, daß die Arbeitslosigkeit nicht ohne die Tarifpartner bekämpft werden kann. Es kann nicht nur Aufgabe der Politik sein, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und mehr Beschäftigung zu schaffen.
Die Politik kann nur Rahmenbedingungen schaffen. In diesem Rahmen muß die Wirtschaft ihre Aufgaben erledigen, und zur Wirtschaft zähle ich in diesem Fall auch die Gewerkschaften.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Dezember 1996 war in den Zeitungen zu lesen - ich zitiere-:
Die Schlacht um die Lohnfortzahlung haben die Gewerkschaften gewonnen. Verloren haben die Arbeitgeberverbände. Die Tarifautonomie bewies ihre Stärke.
Dr. Peter Ramsauer
Das ist eine höchst unfaire Verdrehung unserer Absichten, die von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, bewußt provoziert wurde.
Wir haben von Anfang an klargestellt, daß wir nicht in die Tarifautonomie eingreifen wollen. Sie haben aber die gut geschmierte Propagandamaschine der Gewerkschaften für die Verbreitung dieser Unwahrheit genutzt.
Die Kritik muß sich auch gegen viele Arbeitgeber richten, die den Konflikt in den Tarifverhandlungen zum Teil nicht ausgetragen, zum Teil nicht einmal gesucht haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin nach wie vor der festen Überzeugung, daß es nicht richtig sein kann, Nichtarbeit genauso gut zu bezahlen wie Arbeit, sei es im Krankheitsfall oder auch in der Sozialhilfe. Dies meine ich nicht nur unter Kostenaspekten, sondern ebenso unter dem Gesichtspunkt der Leistungsgerechtigkeit.
Selbst sozialdemokratische Regierungen überall in Europa haben damit begonnen, Fehlentwicklungen des Wohlfahrtsstaates zu korrigieren.
- Liebe Kolleginnen und Kollegen und vor allen Dingen lieber Kollege Hans Büttner, ich verstehe die Aufregung überhaupt nicht.
Gerade in bezug auf diesen Punkt liegt mir beispielsweise ein Papier vor
- zur Bibel komme ich gleich-, mit dem Titel: „Moderner Staat in einer modernen Gesellschaft - Grundlagenpapier für die Konferenzen der SPD zur Modernisierung von Staat und öffentlicher Verwaltung am 3. und 4. Februar 1997 in Bonn". Dort steht unter anderem - ich zitiere -:
Auch die immer enger werdenden Finanzierungsmöglichkeiten zwingen dazu, staatliche Leistungen auf den Prüfstand zu stellen:
Die Wirtschaftlichkeit und Zielgenauigkeit staatlicher Leistungen muß verbessert werden. Die
Ansprüche an den Staat müssen zurückgenommen werden. Vieles, was wünschbar wäre, ist nicht mehr finanzierbar.
Kennen Sie eigentlich Ihre Papiere? Das steht wortwörtlich dort. Wer nicht weiß, wo es steht, könnte glatt meinen, das stammt aus einem Papier der Jungen Union Bayern aus den 70er Jahren. Damals ist vorgedacht worden. Jetzt, zwanzig Jahre später, steht etwas Ähnliches in den Strategiepapieren der SPD.
Nun zur Bibel und zur Kirche. Das wird mir immer wieder vorgehalten, und es wird immer vom C in unserem Parteinamen gesprochen. Es paßt gut hierher, was der Sozialbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, Josef Homeyer, kürzlich gesagt hat - ich zitiere -:
Wir müssen unsere Besitzstände auf den Prüfstand stellen lassen. Da ist nichts zu machen. Die jetzt beschnittene Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ist ein solcher Besitzstand, für den es kein Land auf der Erde gibt, das sich so etwas leisten kann.
Wer sich das Papier der beiden Kirchen zur sozialen Lage anschaut, der wird sehen, daß hier außerordentlich konstruktiv auch auf diesem Gebiet gedacht wird. Man darf nicht immer nur einseitig das herauspicken, was einem gerade in den Kram paßt.
Die SPD wirbt dafür, daß sich in Deutschland eine Bunkermentalität Breitmacht. Schon kleine Korrekturen wie die Begrenzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall werden als Anfang vom Ende der sozialen Marktwirtschaft interpretiert. Das ist unverantwortliche Panikmache, die es schwermacht, notwendige Veränderungen zur Reduzierung der Lohnnebenkosten zur Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen in der Öffentlichkeit zu vermitteln.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich aber auch auf die bis heute durchaus erfreulichen Entwicklungen durch die Gesetzesänderung aufmerksam machen. Auch wenn die geplanten Maßnahmen in den Tarifverhandlungen nur teilweise zu den gewünschten Ergebnissen geführt haben, kann das geänderte Lohnfortzahlungsgesetz sicherlich nicht als Mißerfolg gewertet werden. Die Textilbranche beispielsweise hat vernünftige Regelungen gefunden. Die westdeutsche Bauindustrie - ein anderes Beispiel - meldete den niedrigsten Krankenstand seit 1988.
Dabei wird der besonders starke Rückgang der Krankenstandsquote im vierten Quartal 1996 von 6,9 Prozent auf 5,7 Prozent auch auf die Neuregelung der Lohnfortzahlung zurückgeführt.
Dr. Peter Ramsauer
Es zeigt sich also, daß viele Arbeitnehmer mit der Krankmeldung verantwortungsvoller umgehen, wenn sie in einem vernünftigen Umfang am Krankheitsrisiko beteiligt sind.
Gerade in den kleinen und mittleren Betrieben, von denen vor allen Dingen die Schaffung von Arbeitsplätzen erwartet wird, bringt die Absenkung der Lohnfortzahlung auf 80 Prozent Ersparnisse zwischen 7 und 10 Milliarden DM. Insgesamt wird in der Wirtschaft mit Einsparungen von 15 bis 20 Milliarden DM im Jahr 1997 gerechnet.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich noch eine letzte Bemerkung machen, mit der ich ganz eindringlich an die verantwortlichen Vertreter des öffentlichen Dienstes appellieren möchte. Es ist meiner Meinung nach unerträglich und schadet der Akzeptanz seitens der Bevölkerung für notwendiges politisches Handeln, daß die Maßnahmen bei der Entgeltfortzahlung bisher nicht auf den öffentlichen Dienst übertragen werden konnten.
Bis heute zeigen die Verantwortlichen für den Beamtenbereich sowie die Verantwortlichen für den Angestelltenbereich im öffentlichen Dienst gegenseitig mit dem Finger aufeinander. Dieses gegenseitige Verspreizen ist typisch für solche, die um jeden Preis an Besitzständen festhalten wollen, obwohl sie, wenn sie über den nationalen Tellerrand hinausschauen, wissen, daß es in Deutschland auf diese Art und Weise nicht mehr weitergehen kann.
Das im Bundesrat zunächst gescheiterte Bezügefortzahlungsgesetz muß deshalb weiter auf der Tagesordnung bleiben. Die Gewerkschaftsseite muß sich in den Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst für entsprechende Änderungen ohne Wenn und Aber offen zeigen.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, daß die gewerblichen Arbeitnehmer bisher fast die einzigen sind, die die neuen Gegebenheiten im Bereich der Entgeltfortzahlung für sich gelten lassen, während sich die Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst nach wie vor wegducken können, müssen Sie von der SPD diesen gewerblichen Arbeitnehmern innerhalb und außerhalb der Gewerkschaft erst einmal erklären.
- Das ist Ihre Aufgabe. Sie haben die gerechte Erstreckung dieser neuen Regelungen auf den öffentlichen Dienst bisher verhindert. Aber ich sage Ihnen: Auf Dauer kommen auch Sie nicht daran vorbei.
Ich bedanke mich.