Rede von
Christoph
Matschie
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Staatssekretär Klinkert hat schon deutlich gemacht: Wir reden hier über das größte Sanierungsprojekt in der Bundesrepublik. Zugleich ist aber auch klar, Herr Staatssekretär: Der größere Teil dieses Projektes liegt, wenn man von den Summen, mit denen wir rechnen, ausgeht, noch vor uns.
Kein Zweifel, es ist bisher in der Sanierung sehr viel geleistet worden. Aber es bleibt dabei: Der größte Teil der Aufgaben liegt noch vor uns. Das heißt, wir können jetzt nicht sozusagen vor dieser Aufgabe in die Knie gehen, davor zurückzucken und Mittel zusammenstreichen. Ich bedaure es deshalb ein wenig, daß Sie es hier vornehmlich beim Beschreiben der Situation belassen haben und wenig zu den ganz konkreten Vorstellungen der Bundesregierung gesagt haben.
Wir müssen hier vor allem drei Fragen klären: Erstens, welche Ziele mit der Sanierung verbunden sein sollen, zweitens, wie die Finanzierung dafür aussehen soll, und drittens, was wir diesbezüglich von der Bundesregierung erwarten.
Die Ziele dieser Sanierung sind ja zwischen Bund und Ländern vereinbart worden. Es sind im wesentlichen fünf Ziele: Das erste Ziel ist die Abwehr von konkreten Gefahren, indem man den bergrechtlichen Verpflichtungen zur Gefahrenabwehr folgt. Das zweite Ziel ist die Beseitigung ökologischer Schäden, zum Beispiel die Regulierung des Wasserhaushaltes, die Bodensanierung und die Rekultivierung. Das dritte Ziel ist die arbeitsmarktpolitische Flankierung des extremen Strukturwandels in den Braunkohlerevieren. Das vierte Ziel ist Wirtschaftsförderung und Strukturentwicklung. Das fünfte Ziel ist die Beseitigung von Investitionshemmnissen durch Sanierung entsprechender Flächen.
Diese Ziele sind einvernehmlich zwischen Bund und Ländern festgelegt. Wenn man an diesen Zielen festhalten will, muß man auch für die entsprechende Finanzierung sorgen. Bisher war klar: Bis 1997 wird eine Summe von 1,5 Milliarden DM pro Jahr bereitgestellt. Darüber hinaus gibt es die Bund-LänderVereinbarung: Für den Zeitraum danach soll bis 2002 rechtzeitig ein bedarfsgerechter Finanzrahmen einvernehmlich festgelegt werden. Nun stellt sich die Frage, was denn bedarfsgerecht ist. Wenn ich in die entsprechenden Unterlagen schaue, stelle ich fest, daß die mittelfristige Finanzplanung der LMBV von einem Bedarf von 7,5 Milliarden DM für die nächsten fünf Jahre ausgeht; das bedeutet weiterhin eine Summe von 1,5 Milliarden DM pro Jahr.
Herr Staatssekretär Klinkert, Sie haben in der ersten Debatte zu diesen Anträgen gesagt, daß eine zeitliche Streckung der Mittel zu Mehrkosten in Höhe von ungefähr 700 Millionen DM führt. Sie haben in dieser Debatte auch gesagt, daß eine Mittelabsenkung zu einer Erhöhung der Arbeitslosigkeit in der Region führt und dies einer Region mit schon über 20 Prozent Arbeitslosigkeit und teilweise steigender Tendenz nicht zuzumuten sei. Diese klaren Worte habe ich hier nicht gehört.
Frau Kollegin Reichert, Sie haben damals gefragt: Was bedeutet rechtzeitig und was bedeutet bedarfsgerecht? Im Herbst vergangenen Jahres haben Sie geantwortet: Rechtzeitig bedeutet sofort, und bedarfsgerecht bedeutet, daß in den nächsten Jahren etwa der gleiche Finanzrahmen zur Verfügung steht wie bis 1997.
Nun müßte man annehmen, daß alles klar ist. Die Konsequenz für die Bundesregierung lautet: Es muß im bisherigen Umfang weiter gefördert werden, um die Sanierung entsprechend den Sanierungszielen voranzubringen. Nun hört man aus der Presse über Verhandlungen, demzufolge sich der Bund aus der Finanzierung zurückziehen will. Dabei wird eine Zahl von 4,1 Milliarden DM als Angebot gegenüber den Bundesländern gehandelt. Nun fragt man sich, was denn vorher geschehen ist. War das bewußte Täuschung? Oder verhält es sich so, daß je näher die Entscheidung rückt, um so mehr die große Pose, in der man sich vorher gefallen hat, in sich zusammenfällt? Auf jeden Fall bedeutet ein solches Angebot, daß man sich von den Sanierungszielen verabschiedet.
Eines ist ganz klar: Mit einem Betrag von nur noch 4,1 Milliarden DM für die nächsten fünf Jahre ist sozusagen nur noch die Gefährdung abzuwenden. Das ist nicht nur eine Behauptung von uns. Ich habe gerade in den Ticker-Meldungen der letzten Tage die Äußerungen des Chefs der sächsischen Staatskanzlei Hans-Werner Wagner gefunden, der 4,1 Milliarden DM allein für die Gefahrenabwehr als nötig erachtet. Das heißt, alle anderen vier vereinbarten Sanierungsziele bleiben auf der Strecke.
Im Klartext bedeutet dies höhere Arbeitslosigkeit. Nach den Berechnungen, die in diesem Zusammenhang angestellt worden sind, wird allein die Beschäftigtenzahl bei den Sanierungsgesellschaften von im Mittel 11 000 Beschäftigten auf rund 7000 zurückgehen. Das betrifft aber nur ganz konkret die Sanierungsgesellschaften. Daran hängt noch sehr viel mehr. Weitere Investitionshemmnisse werden bestehenbleiben; denn wenn bestimmte Sanierungs-
und Rekultivierungsaufgaben nicht wahrgenommen werden, kann auch die industrielle Entwicklung dort nicht vorangetrieben werden. Zerstörte sowie kontaminierte Landschaften und Industriebrachen sind nicht gerade ein gutes Aushängeschild für eine Re-
Christoph Matschie
gion und ziehen nicht gerade neue Investitionen an. Dazu brauche ich wahrscheinlich nicht sehr viel mehr hinzuzufügen.
Auch die ökologischen Gefahren stellen eine weitere Bedrohung dar. Allein die Regulierung des Wasserhaushaltes erfordert ja sehr umfangreiche Mittel. Die Spree ist mittlerweile ein künstlicher Fluß, dessen Wasserhaushalt nur durch das Abpumpen von Wasser aus den Braunkohlerevieren reguliert werden kann. Wir haben ohnehin sehr hohe Kosten. Eine Verschiebung dieser notwendigen Sanierungsmaßnahmen erhöht die Kosten noch weiter, weil wir auf Grund dieser Verschiebung bestimmte wassertechnische Maßnahmen vorhalten müssen, damit das ganze Ökosystem nicht in sich zusammenbricht.
Allein für die Wasserhaltung betragen die Mehrkosten nach Angaben der LMBV ungefähr 230 Millionen DM. Insgesamt rechnet man mit Mehrkosten in Höhe von 700 Millionen DM.
Biedenkopf hat, wenn ich die Presse richtig gelesen habe, im Zusammenhang mit den Gesprächen gesagt, die Auswirkungen von Sparmaßnahmen auf die betroffenen ostdeutschen Regionen würden statt zu blühenden Landschaften zum Erhalt von Kraterlandschaften führen. Ich glaube, das kann nicht der Wunsch dieses Hauses sein.
Nun ist es sicherlich so - das zeigt die Erfahrung -, daß man die Sanierung an der einen oder anderen Stelle noch effektiver machen und möglicherweise auch noch Einsparpotentiale erschließen kann. In dieser sehr stark strukturell belasteten Region sprechen dagegen aber arbeitsmarktpolitische Überlegungen. Wenn ich die Mittel herunterfahre, dann wirkt sich das ganz klar konkret auf den Arbeitsmarkt aus.
Es gibt angesichts der Mittel, die heute bereitgestellt werden, noch einen Mehrbedarf, da zum Beispiel der Altbergbau ohne Rechtsnachfolger bisher nicht in das Abkommen über die Sanierung einbezogen ist und auch eine bessere Verzahnung von Bergbausanierung, Infrastrukturentwicklung und Altlastenbeseitigung der Chemie - das betrifft vor allem Sachsen-Anhalt - bisher nicht in ausreichendem Umfang in Angriff genommen werden konnte. Das heißt, eigentlich gibt es schon über die heutigen finanziellen Mittel hinaus einen Mehrbedarf.
Das Fazit dieser Überlegung kann eigentlich nur sein: Die Finanzierung muß im bisherigen Umfang weitergeführt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, in Brandenburg ist heute auch im Landtag über diese Frage debattiert worden. Es hat einen einstimmigen Beschluß des Brandenburger Landtages gegeben, die Finanzierung im Umfang von 7,4 Milliarden DM in den nächsten fünf Jahren fortzusetzen. Ich denke, das ist die Marke, an der wir uns orientieren müssen.
Leider ist es in den Ausschußberatungen nicht gelungen - wir haben es zwar versucht -, auch hier einen gemeinsamen Antrag auf die Beine zu stellen, der die Finanzierung im bisherigen Umfang festschreibt. Ich bedaure das sehr. Ich kann unsere Forderung nur wiederholen: Wir wollen, daß in der bisherigen Höhe weiter finanziert wird, daß die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen fortgeführt werden, daß der Bergbau ohne Rechtsnachfolger in die Sanierungsvereinbarungen einbezogen wird und daß es verstärkte Anstrengungen zur Regulierung des Wasserhaushaltes gibt.
Ich komme zum Anfangspunkt zurück. Die Ziele sind eigentlich klar definiert. Auch was bedarfsgerechte Finanzierung ist, liegt klar auf der Hand. Die Konsequenz für die Bundesregierung kann deshalb nur sein, die Finanzierung im bisherigen Umfang fortzusetzen. Ich bitte Sie deshalb, den diesbezüglichen Anträgen der Opposition zuzustimmen.