Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist das gute Recht der Opposition, anderer Auffassung zu sein. Wenn man Verantwortung trägt und in der Regierung ist, ist das ein bißchen schwieriger, manchmal aber auch angenehmer. In einigen Fragen aber täuschen Sie sich, lieber Herr Verheugen.
Erstens. Zu alldem, was ich früher gesagt habe und was Sie ,vorgetragen haben, stehe ich, und zwar voll und ganz.
Zweitens. Ich nehme für mich in Anspruch, daß ich gerade China gegenüber bei dem verschobenen Besuch in einem weit über eine Stunde dauernden Gespräch mit dem chinesischen Ministerpräsidenten Li Peng die Menschenrechtsfragen massivst und deutlich besprochen habe, in einer Art und Weise, die an Deutlichkeit nichts übrigließ. Ich brauche mir von niemandem in der Opposition sagen zu lassen, daß ich in der Ansprache von Menschenrechten der Volksrepublik China gegenüber schüchtern wäre.
Drittens. Die Menschenrechtslage in China und die chinesische Menschenrechtspolitik sind seit Jahren Gegenstand der Diskussionen in den Sitzungen der UN-Menschenrechtskommission in Genf. Das war auch in diesem Jahr der Fall. Die bisherigen Versuche, eine Resolution zu China zu verabschieden, sind jedesmal, auch dieses Jahr, gescheitert. Eine gemeinsame Haltung war nicht erreichbar, und zwar nicht unter deutscher Federführung. Auch was dazu gesagt wurde, ist falsch. Sie können - wenn es sie gibt; ich weiß es gar nicht - sicher die Protokolle der beiden Außenministertagungen nachlesen. Dort müßte stehen, was ich für die Bundesregierung gesagt habe. Dazu stehe ich. Das ist nachlesbar.
Nachdem eine gemeinsame Resolution nicht erreichbar war,
bestand also Anlaß, darüber nachzudenken, ob eine Resolution, die bisher nie durchgebracht werden konnte, das richtige Verfahren ist, um Fortschritte im Bereich der Menschenrechte in China zu erreichen. Um diese Fortschritte muß es uns gehen. Wir haben in der Europäischen Union oft mit unterschiedlichen Auffassungen darüber diskutiert. Im Ergebnis haben sich eine Reihe europäischer Länder, an erster Stelle Frankreich, entschieden, sich dieses Jahr definitiv
nicht an dieser Resolution zu beteiligen, sondern China beim Wort zu nehmen, um auf anderen Wegen, unter anderem über intensive Gespräche, Kontakte usw., Fortschritte im Bereich der Menschenrechte zu erzielen.
Es i st manchmal von einem Papierfetischismus die Rede gewesen. Die Frage muß wohl lauten: Wollen wir Papiere um der Papiere willen produzieren, die wir nicht durch- und umsetzen können, oder wollen wir Fortschritte in der Sache?
Das ist die präzise Fragestellung. Auch da kann ich nur wieder sagen: Gott sei Dank tragen Sie keine Verantwortung, sonst wäre es ein klein wenig schwieriger.
- Ich will gleich welche nennen.
Wir haben uns der Entscheidung zusammen mit Italien, Spanien und anderen Ländern angeschlossen.
China hat immer wieder deutlich gemacht, daß es nicht bereit ist, seine Menschenrechtspolitik auf ausländischen Druck zu ändern. China hat aber gleichzeitig seine Bereitschaft erklärt, in diesem Sinne einen Dialog zu führen. Da werden wir die Chinesen nun beim Wort nehmen.
Schon im Vorfeld der 53. MRK gab es intensive Bemühungen, insbesondere seitens der Bundesregierung, China zu spürbaren Verbesserungen in der Menschenrechtssituation zu bewegen. Diese Bemühungen haben sich hauptsächlich auf den Beitritt Chinas zu den beiden Menschenrechtspakten, aber auch auf Änderungen in dem für Menschenrechte zentralen Bereich der chinesischen Gesetzgebung gerichtet. Ich wiederhole, daß ich gerade bei meinem letzten Besuch wirklich intensivst über dieses Thema gesprochen habe.
Ich habe dabei den chinesischen Gesprächspartnern allerdings auch erklärt, daß wir diese schwierigen Fragen nicht konfrontativ, sondern im Wege des Gesprächs angehen wollen. Ich stimme Ihnen gerne zu, Herr Verheugen: Menschenrechtsfragen müssen selbstverständlich generell deutlich und klar angesprochen werden, in vielen Fällen eher durch eine ruhige Ansprache des Partners. Aber es kann nicht unser Ziel sein, eine lautstarke Auseinandersetzung um ihrer selbst willen zu führen, die im Ergebnis sehr oft nur die Fronten verhärtet, aber nichts bewegt und
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
nicht zu greifbaren Verbesserungen führt. Aber um diese Verbesserungen für die Menschen muß es uns gehen. Alles andere kann Getöse und Deklaration nach außen sein, die aber in der Praxis nicht sehr viel weiterführen.
Bei der Diskussion heute sollten wir auch nicht außer acht lassen, daß es im Bereich der Menschenrechte in China durchaus Fortschritte gegeben hat, auch wenn diese längst nicht ausreichen. Ich spreche von den eingeleiteten Reformen beim Verwaltungs- und Strafrecht durch Streichung des Tatbestandes der konterrevolutionären Verbrechen,
den Gesetzen über den Schutz der Rechte von Frauen und Minderjährigen, dem Gefängnisgesetz, dem Staatshaftungsgesetz, dem Rechtsanwaltsgesetz und den Änderungen der Strafprozeßordnung. Ich denke auch an die Einladung des Vorsitzenden der UN-Arbeitsgruppe „Willkürliche Festnahmen" und die Zusammenarbeit mit dem Hochkommissar für Menschenrechte und dem Internationalen Komitee. Zudem -wir haben das jedenfalls vorher durch viele Versuche, Resolutionen durchzubringen, die uns nicht gelungen sind, nicht erreicht - hat die chinesische Regierung jetzt immerhin formell angekündigt, den UN-Sozialpakt bis Ende des Jahres zu zeichnen.
Jetzt können Sie einwenden: Das reicht alles nicht aus. Das sage auch ich. Aber mindestens das Letztgenannte und zwei oder drei andere Maßnahmen, die ich als früherer Justizminister und in Kenntnis der Situation dort sehr wohl bewerten kann, rechtfertigen die Aussage, daß wir immerhin schrittweise vorangekommen sind, während wir bisher bloß Papiere produziert haben, ohne jeden Erfolg und ohne jede Bewegung.
Ungeachtet der Frage einer Resolution waren sich im übrigen - ich bin dankbar, daß darauf schon eingegangen wurde - alle Europäer mit vielen anderen Ländern darin einig, daß sich China einer Diskussion seiner Menschenrechtslage bei der MRK natürlich nicht entziehen kann und darf. Deshalb haben wir zusammen mit den anderen EU-Staaten vorgestern geschlossen gegen den chinesischen Antrag auf Nichtbefassung gestimmt.
Unsere weiterhin kritische Einstellung zur Lage der Menschenrechte in China kommt auch unmißverständlich in der ausführlichen Passage in der Erklärung der Europäischen Union bei der MRK zur Menschenrechtssituation in allen Teilen der Welt zum Ausdruck. Um es noch einmal klar und unmißverständlich zu sagen: Die Bundesregierung wird zusammen mit ihren Partnern weiterhin die Frage der Menschenrechte in China wie auch in anderen Ländern kritisch zur Diskussion stellen. Schutz und Förderung der Menschenrechte weltweit bleiben ein
Schwerpunkt unserer Außenpolitik - es wäre komisch, wenn es anders wäre -, und dies gilt für alle Länder, in denen Menschenrechtsverletzungen vorkommen. Deshalb bleibt das Thema auch weiter auf der Tagesordnung der Europäischen Union.
In der Debatte heute geht es nicht um die Frage, was wir erreichen wollen, sondern darum, wie wir dabei vorgehen. Über das Ziel, die Verbesserung der Menschenrechtslage in China, bestand und besteht auch in der EU voller Konsens. Wir setzen in diesem schwierigen Bereich auf Gespräche, Kooperation und nicht auf Konfrontation. Für Deutschland und Europa - das muß man dann eben in einer solchen Debatte auch einmal sagen - bleibt China ein wichtiger Partner der Zukunft.
Wenn Sie nach der französischen Weigerung, sich einem Konsens anzuschließen, von der Bundesregierung erwarten, daß sie sich in einer solchen Gemengelage gegen Frankreich und China stellt, dann muß ich Ihnen sagen, daß Sie so etwas vielleicht aus der Opposition heraus verlangen können, daß man in der Regierung so etwas aber wohl kaum vertreten kann, und dies aus Gründen, die Sie, ohne daß ich sie jetzt hier darlegen kann, nachvollziehen können und die Sie genauso wie ich kennen.
Wir brauchen - genauso wie übrigens die USA - eine langfristig ausgerichtete China-Politik, die zum Ziel hat, China in die internationale Verantwortung einzubeziehen. Dazu gehört auch, daß sich die Volksrepublik China natürlich an dem internationalen Standard der Menschenrechte messen lassen muß. Diese langfristige Politik, ausgerichtet an der Wahrung unserer Gesamtinteressen, zu denen selbstverständlich auch die Achtung der Menschenrechte gehört, bleibt Richtschnur unseres Handelns. Davon lassen wir uns auch nicht durch tagespolitische Aufgeregtheiten abbringen.